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PETER MÜLLER IM REINRAUM

Tony Cragg-Schüler hocken nicht in ihrer Klasse herum in der Hoffnung, abgeholt zu werden. Sie gehen mit ihrer Arbeit in die weite Welt hinaus. Oder zumindest nach Düsseldorf-Mitte oder Oberbilk. Vorletzte Woche trafen wir einen dieser (ex-) Schüler  im Raum für Vollendete Tatsachen. Letzte Woche trafen wir einen Anderen im reinraum. Was werden die kommenden Wochen bringen?

„Beleuchten“ heißt die aktuelle Ausstellung von Peter Müller in der ehemaligen öffentlichen Toilettenanlage. Und tatsächlich ist jede Zelle des Ortes in einem besonderen Licht getaucht, mal Blau, mal Rot, mal Gelb, und empfängt jeweils eine einzige Skulptur. Im zentralen Raum der Ausstellung ist eine Arbeit präsentiert, die viel an die expressive Bildhauerei der Nachkriegszeit erinnert. Modernistisch anmutend, von filigraner Dynamik und trotzdem geballt und dicht, steht das Objekt auf einem Sockel wie eine Perle in ihrem Schmuckkästchen. Angeregt durch die Bilder der Rauchsäule der Deepwater Horizont, hat Müller eine große Arbeit konzipiert, die zur Zeit im Kunstverein Oberhausen ausgestellt ist –  während das Modell im Düsseldorfer Untergrund zu sehen ist.

Das Material der Plastik ahmt Wellpappe täuschend echt nach, was interessante mikro-Durchblicke ermöglicht und ihren grafischen, linearen Charakter unterstützt. Die Negativräume kommen so stärker zur Geltung, was zum Schwung und zur Leichtigkeit der Arbeit beiträgt.

Im Hintergrund sind z.T. direkt über die Pissoirs Fotos der gleichen Arbeit in anderen Toilettenanlagen angebracht worden –  da thront die Plastik im Klo des Neusser Rathauses oder des Malkasten. Müller hat in der Tat einige öffentliche WCs abgeklappert und die Skulptur kurz dort ablichten lassen um, wie er selbst erzählte, zu überprüfen, welcher Einfluss der Raum auf die Rezeption seiner Arbeit ausübt.

Ein wenig weiter steht ein Turm aus Kuhhörner, die, wie eine Wirbelsäule, an der Vertikale montiert sind. Wer glaubt (wie ich es zunächst getan habe), dass Peter Müller vom Material ausgeht und, im besten Craggschen Stil, sich an den Grenzen des Stoffes genussvoll reibt um dessen Widersinnigkeit zu erfahren und zu zähmen, irrt sich. „Erst die Idee, dann das Material und schließlich die Form“, verriet mir der Künstler. Der spielerische Umgang mit sehr unterschiedlichen Materialien sowie eine gewisse Neugier sind in Müllers Arbeit unleugbar, aber die idea scheint in seiner Prioritätshierarchie noch vor dem designo zu stehen. Stets haben diese Gebilde eine konkrete Beziehung zur Welt, zur Aktualität, zu all dem, was der Künstler sieht, hört und beobachtet.

Jede gute Ausstellung im reinraum ist eine Ausstellung, die den sehr spezifischen Charakter des Ortes berücksichtigen muss. Der unheimlich dominante Zug des Raums bedeutet einen Zwang für jeden Künstler – Letzterer kommt aber nicht drum herum das besondere genius loci anzudeuten und zu reflektieren. Müller war erfreulicherweise nicht so naiv, seine Arbeiten wie Solitäre in die Klozellen zu  stellen. Durch den vorsichtigen und gut dosierten Rückgriff auf einen Sockel hebt er seine Skulptur von dem Umfeld ab. Zugleich geht er auf dieses Umfeld ein, wie die überdrehte Lichtinszenierung des gesamten Schaus und die Fotoserie bezeugen. Um die Frage der Skulptur allein geht es bei Peter Müller nicht. Um die Fragen der Form, des Materials, der Struktur und der Textur geht es nicht ausschließlich. Auch der Ausstellungskontext wird zum vollwertigen Bestandteil der skulpturalen Arbeit gemacht.

Ausstellung bis zum 27.7.2011
Finissage am 27.7.2011 mit einem Künstlergespräch um 19.30 Uhr
geöffnet am 13.7., 20.7., 27.7, je um 19.30 Uhr
www.reinraum-ev.de