Finale im Institut für Skulpturelle Peripherie

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

Auf das dialogische Prinzip von Push sind wir bereits in der Vergangenheit eingegangen. Nach einigen Monaten vorprogrammierter Kollision und künstlerischer Reibungen bot die Abschlussausstellung ein friedfertiges Bild. Jeder Künstler der Reihe war mit einer Arbeit vertreten und okkupierte jeweils einen kleinen Bereich des ohnehin kleinen Raumes. Demnach wirkte die gesamte Präsentation wie ein ungezwungenes Zusammenkommen von Freunden, mit Verzicht auf einen künstlichen Überbau und (in diesem Fall: überflüssigen)  konzeptuellen Hintergrund.

Burchhard Garlichs

Interessanterweise waren gerade die zwei Positionen, die ich bei einer früheren Rezension ein wenig hart in die Mangel genommen hatte, die aus meiner Sicht besten der Ausstellung. Burchhard Garlichs hat Papierarbeiten an eine Wand gehängt und die richtige Balance zwischen strengem Kompositionsprinzip und einer sensiblen Sinnlichkeit gefunden. Der Rhythmus seiner auf vertikalen, diagonalen und horizontalen Linien basierenden Bilder besitzt die Prägnanz von serieller Musik, verschwindet jedoch nicht hinter einem anonymen Duktus. Die Hand des Künstlers bleibt durch winzige Zuckungen und Unregelmäßigkeiten stets sichtbar. Auch die Behandlung des Papiers, die teilweise die linierte Struktur hinter einem weißen Schimmer durchscheinen lässt, trägt zu dieser ausgeglichenen aber dennoch spannenden Gesamterscheinung bei.

Michalis Nicolaides

Seinerseits hat Michalis Nicolaides die Störenfried-Rolle fortgesetzt, die er bereits bei der ersten Ausgabe der Serie erfüllt hatte. Bei seiner schelmischen Licht- und Videoinstallation, bezieht er sich sowohl auf die allgemeine Raumsituation, mit den vielen über den Putz verlaufenden Elektrokabeln, als auch auf die konkrete Ausstellungssituation, deren harmonische Wahrnehmung er in regelmäßigen Abständen stört. Das Video zeigt den Künstler, zwei Segmente eines abgeschnittenen elektrischen Kabels über dem Kopf zusammenhaltend, in einer angestrengten Körperposition. Nach einer gewissen Zeit, als er an die Grenzen seiner Muskelkraft stößt, lässt er los, die Bindung der Kabel bricht ab, das Licht im gefilmten Raum geht aus – sowie an den Wänden des Instituts für Skulpturelle Peripherie. Für ein paar Sekunden wird es an diesem späten Winternachmittag düster im Raum. Mehr als ein Gag ist dies hier eine humorvolle und anspielungsreiche Performance und Nicolaides hält viele Stränge in einer Hand: Das Klischee des heldenhaften Künstlers als (hier: müder) Prometheus wird zitiert, aber natürlich auch die ganze Tradition des immer-aufs-Ganze-gehenden-Performers à la Flatz oder Abramovic und das Pygmalion-Paradigma wird revidiert und auf die neuen Medien übersetzt. Eine scheinbar simple Angelegenheit führt den Betrachter auf viele, interessante Pfade…

Ulrike Kötz

Unbeeindruckt von Nicolaides Lichtunterbrechungen leuchtete spärlich aber beständig die Installation von Ulrike Kötz, ein Überbleibsel aus der letzten Ausstellung der Push-Reihe, die sich wortwörtlich an den markanten Holzbalken des Raumes anlehnte und, sich verselbstständigend, eine Verbindung zwischen Decke und Boden vornahm.

Christiane Rasch

Weiterhin ist das geschickt platzierte Video von Hüseyin Karakaya aufgefallen, das in unmittelbarer Umgebung des und im Institut realisiert wurde. Wie für eine Art subjektiver Raumerkundung und Spurensuche näherte sich Karakaya mal in völlig abstrakten, mal in gespenstischen Nachtaufnahmen manchen visuellen Elementen des Ortes an.

Martin Steiner war mit einer Arbeit vertreten, die, trotz der kompakten Erscheinung, in einem eigentümlichen Schwebezustand stand und die Grenze zwischen Bildhauerei und Malerei, Leere und Fülle, geführter Linie und zufälliger Spur suchte. Das „Bild“ war wohl ein modifiziertes Überbleibsel aus einem früheren Werk und verhielt sich dazu wie ein Negativ oder autonom gewordener Schatten einer unsichtbaren Form.

Des weiteren waren auch Sonja Meyer, Wanda Sebastian und Christiane Rasch mit präzisen und unaufdringlichen Arbeiten vertreten – eben alle Pusher und Gepuschten der vergangenen Monate. Erstaunlicherweise gestaltete sich das Finale also zu einer klaren, aufgeräumten und harmonischen Präsentation. Manche, wie Sonja Meyer, gingen noch einmal auf architektonische Besonderheiten des Ortes ein, andere, wie Christiane Rasch, zeigten streng autonome Arbeiten.

Sonja Meyer

Und wie geht es weiter, nun da Push zu Ende ist? Die aktuellen Betreiberinnen Pe, Friederike Schardt und Eva Weinert haben für die Zukunft keine feste Reihe geplant. Das serielle Ausstellungsformat spielerisch-konfrontativer Akzente, mit dem das Institut für Skulpturelle Peripherie seit einigen Jahren gut fährt, soll nicht fortgeführt werden. Zu einnehmend wurde die regelmäßige Arbeit, die ein solches Format mit sich bringt. Stattdessen soll es künftig zu punktuellen Ausstellungen kommen, die bevorzugt in Kooperation mit anderen Projekträumen der Republik stattfinden werden. Der erste Austausch ist indes schon mit dem Kunst- und Kulturverein 2025 e.V. aus Hamburg geplant; voraussichtlich September 2013 wird das Institut dort ausstellen und Maler aus der Hansestadt zuvor empfangen. Wir halten euch auf dem Laufenden…

Christel Blömeke: Abdruck (courtesy Christel Blömeke)

 

Baustelle Schaustelle in Essen – Ein Gespräch mit Brigitte Krieger

Fotos: Stefanie Pluta

 

Emmanuel Mir: In der Regel werden Off-Räume oder Projekträume von Künstlern gegründet, seltener auch von Kunsthistorikern. Nun gehörst Du weder zu der einen noch zur anderen Kategorie. Was hat Dich bewegt, die „Baustelle Schaustelle“ zu gründen?

Brigitte Krieger: Vor der Baustelle Schaustelle hatte ich schon ca. 5 Jahre lang Ausstellungen im Amtsgericht Langenfeld kuratiert – ein in mehrerer Hinsicht sensibler Ort. Der Off-Raum in Essen ist entstanden, weil mir einerseits den Raum zur Verfügung stand und ich andererseits über eine lange Liste von interessierten KünstlerInnen verfügte, die ich gerne zeigen wollte. So kam es zur Eröffnung in 2007. Es waren die Jahre, in denen viele Kunstsammler ihre eigenen Museen aufbauten. Da hätte es auch genug Raum in der Brigittastraße gegeben. Das war mir aber nicht spannend genug. Die Bestände der Sammlung Krieger waren alle schon lange angesehen und mein Bedarf nach ihnen nicht vorhanden. Dann doch lieber Förderung junger KünstlerInnen mit immer wieder neuem Input für mich und andere.

Du besitzt also auch noch eine Sammlung?

Die „Sammlung“ Krieger haben mein Mann und ich ab den 80er Jahren zu unserem Vergnügen erworben. Wir haben nie aus kommerziell technischen Gründen eine Arbeit gekauft, sondern nur, was uns zum jeweiligen Zeitpunkt interessiert hat und für eine junge Familie erschwinglich war! Es hat sich eine ziemlich große Menge an Arbeiten angesammelt, viele Fotoarbeiten dabei, auch Malerei, Zeichnung u.a.m.. Skulptur und Installation ist weniger möglich, das Haus bietet kaum Gelegenheit dazu. Die größten Arbeiten, die uns gehören, sind an die Kanzlei ausgeliehen, in der mein Mann Seniorpartner ist. Die anderen sind auf Lager. Nur wenige befinden sich bei mir im Haus oder in der Wohnung meines Mannes.

 

Zu Deiner Person: Welche Hintergründe hast Du? Wie bist Du auf die Kunst gekommen?

Mein Kunstinteresse geht auf die Förderung meines Vaters zurück, der mich schon als kleines Mädchen sonntäglich mit ins Folkwang-Museum und andere Ausstellungen nahm – übrigens auch mit in Theater, Oper und Konzerte. Viele Museen im Ruhrgebiet kenne ich von daher schon lange. Bei mir hat es immer Kunst an Wänden gegeben – ich arbeite u.a. auch an Konzepten von  Beleuchtung bildender Kunst, an Lichtkonzepten überhaupt, genauso wie an Interior- und Exteriordesign.

Welche Struktur hat die Baustelle? Wie sind die Aufgaben in Deinem Team verteilt?

Wir haben uns die Arbeitsbereiche je nach zeitlichen Möglichkeiten und Interessen aufgeteilt. Stefanie und Susanne, die seit fünf Jahren im Team sind, haben meist die direkten Künstlerkontakte, Alex bearbeitet die Büroangelegenheiten und Eckhard betreut die Website. Und jeder springt bei jedem ein, alle teilen sich die Aufgaben beim Fotografieren der Ausstellungen, alle reden bei den Ausstellungs- und Kunstpreiskonzepten mit. Wir arbeiten nach einem Konsensprinzip. Und ich? Mache das Networking, bringe Nachrichten über interessante KünstlerInnen von außen in die Runde und sage auch schon mal nein! Und natürlich muss ich den Finanzrahmen betreuen. Seit März sind wir ein gemeinnütziger Verein mit neuen Möglichkeiten, aber auch vielen neuen Anforderungen.

 

Habt ihr eine konzeptuelle Linie? Werden bestimmte Medien oder Themen bevorzugt? Und: Wo kommen die Künstler her, die Du ausstellst?

Nein, wir haben uns keine Konzeptlinie gegeben und wir bevorzugen auch keine Medien oder Themen. Themenausstellungen gab es zu den drei bisherigen Kunstpreisen, sonst nie. Es zeigt sich allerdings, dass Installationen unter Einbeziehung des Raums weit überwiegen. Bisher mussten wir aus Sicherheitsgründen leider technische Medien in der Dauerausstellung auslassen (da werden wir aber umstellen).

Unsere Künstler bewerben sich bei uns oder werden von mir  / uns eingeladen. Sie kommen aus Düsseldorf, Essen, Münster, Berlin, Braunschweig, Karlsruhe, Köln, Frankfurt, Hamburg, aus den Niederlanden, Italien, Dänemark, eigentlich aus ganz Europa. Einige kommen sogar aus Lateinamerika oder aus Israel…

Luca Vanello

Warum? Befürchtest Du, dass eingebrochen wird?

Wir haben bisher technische Medien nur einbezogen, wenn sie durch die Künstler nach der Eröffnung wieder abgebaut und gesichert werden konnten.
Einige haben dann ein Substitut an die Stelle gebracht (Tine Bay Lührsen, die den Beamer zur Projektion ihres Besens – Teil der Installation –  wieder abgebaute und an Stelle dessen einen realen Besen an die Wand lehnte. Wir konnten und können keine Verantwortung für Arbeiten und Geräte übernehmen. Und Leute, die auch für einen kleinen Ertrag die Scheibe einschlagen, gibt es immer mal.

Wir werden in 2013 den Kunstpreis für Videoarbeiten ausschreiben. Die Präsentationen können dann nur ein Wochenende stattfinden und wir werden alle Technik sichern.

Aussenansicht – Erika Hock: Cool Tools

Den Kunstpreis für Video? Das klingt ja interessant…

In den vergangenen Jahren haben wir regelmäßige Preisverleihungen für Nachwuchskünstler veranstaltet. Dabei legen wir jedes Mal einen neuen thematischen Schwerpunkt. Der erste Preis 2010 bezog sich auf die Region, die Stadt und den Raum. Nicolas Pelzer, Matthias Wollgast und Rimma Arslanov
wurden Laureaten. Ein Jahr später wurden Künstlerduos, also solche, die wirklich gemeinsam arbeiten, gefordert und Adrian Davila und Carolina Pinzon, sowie  die Raumzeitpiraten mit Tobias Daemgen und Moritz Ellrich bekamen den Preis. 2012 konnten sich Künstler für den Schaufensterraum, genannt „Schaustelle“, oder den hinteren Raum, den wir durch eine Wand abgetrennt hatten und als „Baustelle“ genannt haben, bewerben. Laureaten wurden diesmal Luca Vanello und Cornelia Fachinger. Und für 2013 eben ein Preis für Videokünstler.

Nathalia Stachon

Wie schätzt Du die Kunstszene in Essen ein? Wenn ich mich nicht irre, ist die Baustelle das einzige Off-Projekt der Stadt, oder? 

Die Kunstversorgung in Essen wird hauptsächlich durch das Folkwang-Museum bestimmt. Es fördert, unterstützt und fordert. Leider ist in den vergangenen Jahrzehnten einiges versäumt oder auch unnötig vernachlässigt worden. Die Szene, die ich bei meinem Umzug nach Düsseldorf im Jahr 1983 verlassen habe, war lebendig. Die, die ich 2007 wieder vorgefunden habe, konnte und kann immer noch starke Förderung brauchen. Seit einiger Zeit  kommt die Kunst wieder aus ihren Winkeln hervor, ganz langsam.

Leider hat 2010 (gemeint ist die Ernennung von Essen und dem Ruhrgebiet als Kulturhauptstadt Europas, Anm. d. Red.) für die zeitgenössische Kunst nicht den Anstoß gegeben, den das Ruhrgebiet hätte aufnehmen können. Dann gibt es immer wieder temporäre Ausstellungssituationen von Gruppen, verstreut über die ganze Stadt. Auf Zeche Carl hat sich wieder eine Gruppe zusammengefunden, die auch KünstlerInnen aus Düsseldorf u.a. einladen. Diese Gruppe war vorher direkt bei uns in der Nähe – das war klasse, weil die Eröffnungen zum gleichen Zeitpunkt stattfanden und viel Publikum zogen.

Brigitte Krieger

 
Und zum Schluss: Was steht in den kommenden Wochen für euch an ?

Wir werden im Januar eine Künstlerin vom Goldsmith College London ausstellen und direkt anfang februar im großen parallelraum zwei künstler, die mit digitalen medien arbeiten. heisses thema, s. heuteige FAZ Sonntag. es bleibt lebendig bei uns.

Die Kölner Boutique zu Gast in der Tanzschule München

Maximilian Erbacher, Yvonne Klasen und André Sauer betreiben in Köln die BOUTIQUE – RAUM FÜR TEMPORÄRE KUNST (wir haben berichtet). Der Raum ist durch seine Örtlichkeit wie auch in der konzeptuellen Ausrichtung in Köln einzigartig. Unweit des Kölner Hauptbahnhofes, am Verkehrsknotenpunkt Ebertplatz gelegen, eröffneten die Drei im April 2011 in der unwirtlichen Betonumgebung einen alternativen, nicht kommerziellen Projektraum.
Das Geld für ein Atelier floss seitdem in die Finanzierung des Programms. Das Ziel ist es einen „nicht-elitären“ Kunstraum in der öffentlichen Wahrnehmung zu etablieren, mit einem subversiv/zwanglosen Programm. Der Focus liegt auf konzeptuellen und ortsspezifischen Arbeiten junger KünstlerInnen und Kuratoren, die größtenteils am Anfang ihrer Laufbahn stehen. Der Raum ist Plattform und Kommunikationsort für künstlerische und kuratorische Experimente. Ein Schwerpunkt des Programmes sind orts- und raumbezogene Installationen.

Die drei Betreiber und Organisatoren der Boutique waren nun gemeinsam in München eingeladen um dort in der Tanzschule unter dem Titel ‚Aber es bleibt eine Illusion‚ eine Show zu machen. Max war so freundlich uns ein paar Bilder davon zu kommen zu lassen. Danke!

Boutique zu Gast in der Tanzschule, München, 2012

 

Versproch ist versprochen. Guten Morgen Düsseldorf, guten Morgen Welt!

Wir hatten es letzte Woche versprochen und wollen dieses Versprechen auch gerne halten. Es gibt wieder mehr Unterstützung von unserer Seite für den Start in die harte lange Arbeistwoche – oder für das Duchhalten derselben.

Diesmal zur Wochenmitte also eine kleine Erinnerung daran, dass bei allem was man tut auch immer ein bißchen Glück dazu gehört. Und es ist ein Appell daran, doch ruhig einmal wieder die gewohnten sicheren Pfade zu verlassen und sich abseits von diesen auf ein haarsträubendes, aufregendes und gar nicht ungefährliches Unterfangen einzulassen.

(via klaus kusanowsky)

Wir wünschen alles Gute! Bleiben Sie gesund und passen Sie gut auf sich auf.

Die Tagung des Kulturrats NRW zum geplanten Kulturfördergesetz im Düsseldorfer Landtag

von Florian Kuhlmann (Düsseldorf)


Vergangenen Montag tagten einige Vertreterinnen und Vertreter des nordrheinwestfälischen Kunst- und Kulturbetriebs auf Einladung des Kulturrats NRW im Düsseldorfer Landtag. Erklärtes Ziel war es eigene Wünsche und Vorgaben für ein derzeit geplantes Kulturfördergesetzt zu definieren. Das Kulturfördergesetzt soll die Finanzierung der Kulturlandschaft NRW, sowie die Verteilung der Aufgaben und Lasten zwischen Kommune und Land regeln und dem vergleichsweise kleinen Posten im Landesetat in den kommenden Jahre einen gewissen Schutz vor den zu erwartenden Einsparmaßnahmen bieten. Wir waren wie angekündigt dabei.

Diskutiert wurde auf erfreulich hohem Niveau, mit viel Wissen über und Verständnis von der Materie in jeweils 3 Foren am Vormittag und 3 weiteren Foren Nachmittags. Themen der einzelnen Foren war etwa die Frage nach den Schutzmöglichkeiten für Neues, oder ganz generell die Frage welcher Kulturbegriff das Gesetz prägen soll.
Wer sich die Redebeiträge jeglicher Couleur und aller Parteien aufmerksam anhörte, konnte sich des Verdachts nicht erwehren, dass es sich offensichtlich um ein mysteriöses Versehen handeln muss, dass der Kulturetat der kleinste und nicht der mit Abstand größte Posten im Landeshaushalt ist. Wir waren uns einig, Kultur ist wichtig und die unverzichtbare Basis für unser Zusammenleben. Nur von Systemrelevanz sprach leider niemand.

Zum geplanten Haushalt 2013

Der Kulturrat hatte aber gegenüber der Ministerin des Landes NRW Frau Ute Schäfer seine starken Bedenken gegen die Reduzierung der Kulturfördermittel im Haushaltsentwurf 2013 zum Ausdruck gebracht. Denn angesichts des minimalen Anteils der Kulturausgaben am Gesamthaushalt und am Haushalt des zuständigen Ministeriums sind zu erwartenden die Kürzungen offensichtlich unverhältnismäßig hoch. Sie betreffen in der aktuell geplanten Form wichtige Aktivitäten der Künstlerinnen und Künstler in Nordrhein-Westfalen.
Derzeitige Planung ist den Haushalt von 196 Mio. auf 180 Mio. €. zu kürzen, was in etwa einer Kürzung von 10% entspricht. Auch wenn darin Reserven enthalten sind, die im Moment nicht zur Ausgabe anstehen, so macht sich die Landesregierung in den Augen des Kulturrats allerdings doch auf den Weg zu dramatischen Kürzungen, da dieser Prozess mit dem Haushalt 2013 nicht abgeschlossen sein dürfte.
Der Kulturrat NRW fordert nun die Projektmittel in Höhe von rd. 4,5 Mio € auf keinen Fall zu kürzen und die jetzige Haushaltsmittel so zu sichern, dass in den nächsten Jahren in den Reserven nicht mehr zu Verfügung stehen weitere Einschnitte vermieden werden. Auch gegen andere Einsparvorschläge hat der Kulturrat erhebliche Bedenken.
Gemessen wird die Landesregierung an der klaren Aussage der Ministerpräsidentin in der Regierungserklärung: „Kunst und Kultur sind kein Luxus – und dürfen es grade in schwierigen Zeiten nicht sein.“
Diesem Anspruch wird der vorgelegte Kulturhaushalt allerding nicht gerecht. Deshalb soll es Anfang nächsten Jahres weitere Gespräche mit den Landtagsfraktionen und der Landesregierung geben, um zu verhindern, dass der Haushalt in der Form des Entwurfes verabschiedet wird. Der Kulturrat begrüßt in diesem Zusammenhang, dass die Kultursprecher der Landtagsfraktionen, nicht nur der Opposition sondern auch die der Regierungskoalition, den Haushalt in der vorgelegten Form kritisieren.

Kulturfördergesetz

Der Kulturrat NRW unterstützt das Projekt eines Kulturfördergesetzes NRW und verbindet damit die Hoffnung, dass Kulturpolitik aufgewertet wird. Der Kulturrat erwartet dass das Gesetz die Förderung von Kultur, Kunst und kulturelle Bildung der Förderung einen verlässlichen Rahmen gibt.
Unter anderem kommt es darauf an den Städten und Gemeinden Handlungsspielraum zu ermöglichen, sie zu motivieren Kunst und Kultur zu fördern. Zudem sollte Kulturpolitik entwickelt und verlässlich formuliert werden und damit den Künstlerinnen und Künstlern Planungssicherheit zu gewähren.

Darüber hinaus hält der Kulturrat NRW eine Entbürokratisierung des Förderwesens für unabdingbar. Wir übrigens auch.

Jenseits in der Hans Peter Zimmer Stiftung

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

 

Es ist eine gewagte und für den durchschnittlichen Kunstbetrieb höchst außergewöhnliche Ausstellung. Nicht, dass eine Präsentation zum Thema „Tod und darüber hinaus“ (meine Zusammenfassung) neu oder gar sensationell wäre. Aber wenn eine Institution ihre Arbeit zum ersten Mal in der Öffentlichkeit präsentiert und sich zu diesem Zweck als Neugeborene stilisiert, erwartet man üblicherweise eine zukunftsträchtige Rhetorik voll jugendlicher Kraft sowie feuerwerksartige Statements und Bilder, die blühende Landschaften und sonnige Perspektiven versprechen. Stattdessen wird uns der Tod serviert. „Jenseits – Beyond the Body“, mehr oder weniger als Eröffnungsgala der HPZ-Stiftung zu verstehen, dreht sich in der Tat um eine gerne verdrängte Thematik.

vorne: Roy Villevoye; hinten Alet Pilon

Die Auslöschung des Lebens als Auftaktveranstaltung kann entweder als makabrer Humor oder als antizyklische und widerborstige Programmankündigung bewertet werden. Und wer den Künstler Wolfgang Schäfer kennt, den führenden Kopf der Stiftung und bekennenden Christen mit starker Affinität zur offiziellen Kirche, wird für die zweite Hypothese tendieren. Denn die Auslöschung des Lebens ist ja aus religiöser Perspektive nicht alles und markiert eher einen Neuanfang als ein endgültiges Ende. Von diesen Prämissen ausgehend hat die eingeladene Kuratorin Anne Berk ihre Vernetzungen in den Niederlanden (und jenseits davon) reaktiviert und eine Ausstellung konzipiert, die wie eine Faust auf das Auge der Stiftungsräume passt.

Alet Pilon; hinten: Mark Cramer

Es ist sicherlich keine einfache Aufgabe, die großen und atmosphärischen, z.T. düsteren, z.T. bloß rohen Hallen der HPZ-Stiftung zu bespielen. Und auch wenn man die Schmuddelästhetik verlassener Industriegebäude im Kunstkontext langsam leid wird (gibt es wirklich keine andere Alternative zum White Cube?) müssen wir Berks kuratorische Arbeit loben. Sie hat sich auf Positionen der Bildhauerei, der Installation und der Videokunst konzentriert, die sparsam und ausgewogen in den unterschiedlich großen Sälen platziert wurden. Ihr facettenreicher Parcours spielt klug und ohne unnötige Effekte mit Lichtvariationen und räumlichen Hell-Dunkel-Kontrasten (eine schöne inszenatorische Metapher zum Ausstellungsthema). Während die Raumbespielung so gut wie perfekt erscheint, ist hingegen die Künstlerauswahl ungleichmäßig. Die Qualität der Werke, bzw. der Künstler schwankt so stark, dass man, aller atmosphärischen Dichte und thematischen Prägnanz zum Trotz, nicht von einer homogenen Ausstellung sprechen kann.

Jeroen Eisinga: Springtime

Der fesselndste und tiefste Beitrag der gesamten Schau stand direkt an deren Anfang. Der Film von Jeroen Eisinga wurde einsam im sog. „Backraum“ projiziert und war so stark, dass er locker den großen, dunklen Raum  füllte. Hier erlebte man in feinkörnigen Bildern, wie ein riesiger Bienenschwarm den Körper des Künstlers nach und nach bedeckte, bis der Mensch zu einer einzigen wimmelnden, organischen Masse wurde. Die Extremsituation braucht weder Ton noch andere Mittel um ihre ganze existentielle Dramatik zu entfalten und ein Minimum an Empathie reicht beim Betrachter aus, um Beklemmungsängste und Todesfurcht auszulösen. Höchst sinnlich und ätherisch zugleich, von einer mystischen Symbolik durchdrungen und trotzdem extrem körperbezogen, ist Springtime ein Film, der die paradigmatische Balance zwischen Angst und Ekstase auslotet und einen Schritt in den Tod wagt.

Jaap de Ruig: Man

An diese beeindruckend starke Arbeit kommen die meisten anderen Beiträge nicht heran – und werden nicht selten von dem genuinen Zusammenspiel mit den Räumen der Stiftung gerettet. Suffering von Jaap de Ruig ist hingegen so abgründig gemein, dass das Video sich durchaus in diesem und in jedem anderen Rahmen locker behaupten kann. Wie ein böser, ungezogener Junge spielt de Ruig mit toten Tieren und inszeniert ihr Ableben mit einer kindischen Ernsthaftigkeit, die nicht frei von Grausamkeit bleibt – wie als das kleine, süße, bereits tote Mäuschen mit dem Spielzeug-Traktor zur Mausefalle transportiert wird um dort erneut eliminiert zu werden. Ist einmal die kulturell bedingte Ekelschwelle und der oberflächliche Eindruck, vor einer perversen, krankhaften Handlung zu stehen, überwunden, dringt man in weitere, komplexere Schichten der Arbeit ein. Abseits moralisch korrekter und pietätvoller Gefühle, ist Suffering eine Metapher des menschlichen Körpers und seiner Verletzbarkeit und nimmt eine ungenierte Manipulation des Phänomens Tot vor. Ein verstörender und befreiender Tabubruch.

Célio Braga: Unveil

Der brasilianische Künstler Célio Braga hat eine sensible Installation realisiert, die sich aus dem Leiden und der Krankheit seines Freundes speist – und automatisch an manche wunderbaren Arbeiten von Felix Gonzalez-Torres erinnert. Medikamentpackungen und Beipackzettel werden in repetitiven und geduldigen Gesten verarbeitet und zu einer Kettenwand verwoben oder zu einem Turm (mit eindeutigem Brancusi-Bezug) assembliert. Bragas Herangehensweise hat etwas naiv-magisches – als ob er mit diesen obsessiven Gesten die Krankheit eines ihm teuren Menschen ausmerzen wollte.

Judith Maria Kleintjes: No title
Judith Maria Kleintjes: o.T.
Judith Maria Kleintjes: in between

Eine weitere stimmige, wenn auch im Kontext der Ausstellung fragwürdige Position, ist die von Judith Maria Kleintjes. Die seit vielen Jahren in Düsseldorf lebende Niederländerin zeigte eine Stahlwolle-Skulptur, die in mühsamer und z.T. schmerzhafter Arbeit entwirrt und in eine kokonartige Form gebracht wurde. Wie Braga, aber mit einer gesteigerten Aufmerksamkeit für die inhärente Qualität ihres Materials, legt Kleintje ebenso viel Wert auf das Prozesshafte ihrer Kunst als auch auf deren fertige, skulpturale Gestalt. Die zeitintensive und geduldige Verarbeitung der Stahlwolle fließt in deren Interpretationsfeld. In einem anderen Raum lagen auf dem Boden kleinen, rötlichen Keramikobjekte, deren organische Formen, zwischen Vulva und Schmetterling oszillierend, zu sehr mit der Ästhetik  des Weiblichen kokettierten.

Mark Kramer: Tracing Out the Void
vorne: Mark Kramer; Mittelgrund: Roy Villevoye; Hointergrund: Alet Pilon

Erwähnenswert ist noch die abstrakte Installation von Mark Kramer, deren Bezug zur Ausstellung nur grenzwertig einleuchtend war (wobei ihre universelle Gültigkeit dazu führt, dass sie mit Sicherheit in allen denkbaren Kontexten passen kann). Der Körperbezug, den man in allen anderen Werken der Schau feststellen kann, hat sich nun vollständig aufgelöst. Hier kann die Leere, das Nichts, das den lebendigen Körper in dessen Tod entlastet, erfahren werden – so zumindest laut Katalog der Ausstellung. Jedenfalls war das extrem reduzierte Spiel mit Licht und Schatten, das reflexartig Platos Höhlengleichnis evoziert, ansprechend.

Alet Pilon: Not Me
Alet Pilon: Wish I Had

Brele Scholz: Study in Motion 3

Obwohl sie sich mit einem unsagbaren Phänomen auseinandersetzt, ist Jenseits eine erstaunlich gegenständlich geprägte Ausstellung, die teilweise auf konventionell-symbolischen Werken beruht. Die Skulpturen und Installationen von Alet Pilon, Esther Bruggink, Brele Scholz oder Jan Thomas operieren beispielsweise mit mehr oder weniger eindeutigen Bildern und Zeichen. Ohne sie in eine einzige, einheitliche Schublade aufräumen zu wollen, erkennt man formelle Verwandtschaften in all diesen Werken. Sie gehen auf den Tod ein und visualisieren das Phänomen wirksam und direkt – manchmal aber eben ein wenig zu direkt.

Erzebeth Baefeldt: Pieta
Esther Bruggink: Rusalka
Ida van der Lee: Allerzielen Alom
Ida van der Lee

Auch das von Anne Berk konstatierte „religiöse Defizit“ unserer einigermaßen säkularisierten Gesellschaft wird nicht wirklich aufgegriffen. Mehr als das Eindringen ins Jenseits, wird hier vor allem das Ende des leiblichen Lebens registriert und durchdekliniert. Transzendentale Elemente findet man nur mit angestrengtem, gutem Willen in der einen oder anderen Installation. Diese Tatsache ist von mir jedoch nicht als Kritik gedacht – denn eine abgeklärte Ausstellung zum Leben nach dem Leben hätte mir, gerade in dieser engelüberladenen vorweihnachtlichen Zeit, gar nicht geschmeckt.

Jan Thomas: Black Master
Martin uit den Bogarth: Painting and Singin‘ Finger
Jenseits – Beyond the Body
Weltkunstzimmer in der Hans Peter Zimmer Stiftung
Ronsdorfer Straße 77a
28.10-30.11.2012
 

Netz, Kultur, Spenden und Fördern – Wie organisieren wir die digitale Allmende?

von Florian Kuhlmann (Düsseldorf)


Sprechen wir über Kultur

Der Kulturrat NRW lädt kommenden Montag zur Parlamentarischen Begegnung Kultur und Politik in Nordrhein-Westfalen in den Düsseldorfer Landtag ein. Zusammen mit Dr. Lars Henrik Gass von den Oberhausener Kurzfilmtagen werde ich dort über Sinn- und Unsinn kultur- und kreativwirtschaftlichen Förderinstrumente in einem Kulturfördergesetz diskutieren. Ob in Zeiten der globalen Haushaltskonsolidierung aber all zu viel für die freie Szene rauszuholen ist, wage ich zu bezweifeln (mal ganz abgesehen davon, dass ich natürlich weiß, dass man hier bestenfalls einen minimalen Impuls liefern, und nicht das große Rad drehen kann).
Und dennoch freue ich mich auf die Einladung, immerhin bietet die Veranstaltung Anlass sich Gedanken über das Thema zu machen, das ein oder andere Gespräch zu führen und sich die Zeit zu nehmen, eigene Ideen zu den Fragestellungen zu entwickeln. In unserem speziellen Fall bedeutet das einmal über die aktuelle Fördersituation für unkommerzielle Onlineprojekte nachzudenken.

Ein Datennetz als Kulturraum?

Die Innovationskraft des Netzes ist mittlerweile unumstritten, an vielen Stellen unseres privaten Alltags und unseres sozialen Miteinanders hat diese Technologie ihre Spuren hinterlassen und wir befinden uns inmitten eines Veränderungsprozesses, der noch nicht abgeschlossen ist. Somit ist es nicht weiter verwunderlich, dass das Netz auch im Bereich des kulturellen Schaffens tiefgreifende Veränderungen hervorruft. Denn was online geschieht, was dort veröffentlicht, erdacht und produziert wird, ist zu einem wichtigen Element unserer Kultur geworden. Blogs, Podcasts, Netlabels, Onlinegaming, aber auch Foren, Wikis, Mailinglisten und Soziale Netzwerke zur Bürgerbeteiligung gewinnen in unserer modernen Gesellschaft zunehmend an Bedeutung. Auf medialer Ebene entsteht so an manchen Stellen eine neue Form der „Commons“ – oder der Gemeingüter, was in etwa dem entspricht was man früher in Dorfgemeinschaften die Allmende nannte.

Wie aber wollen wir die Gemeingüter organisieren?

Überlassen wir Google, Facebook und den noch zu gründenden Start-Ups das Feld und vertrauen auf die Organisationskraft von Unternehmen oder ist es eventuell doch notwendig zumindest parallel dazu auch andere Modelle zu etablieren? Thorsten Wiesmann schreibt dazu in einem aktuellen Artikel „Um die Politik der Zukunft gestalten zu können, braucht es Pioniere, die sich lokal und international gegen die weitere Privatisierung und Kommerzialisierung von Natur, Wissen, öffentlichem Raum und für eine andere Form der institutionellen Organisation einsetzen. Dabei geht es vor allem auch immer um die Frage, wie die Gemeingüter durch die Stärkung vertrauensvoller und fairer sozialer Beziehungen geschützt und weiterentwickelt werden können.
Und es geht um die Frage wie die Pioniere, die diese Politik mitgestalten in das bestehende, arbeitsteilig organisierte Gesellschaftsmodell eingebunden werden. Wirklich lohnend ist in diesem Zusammenhang übrigens das Interview mit dem New Yorker Journalisten Stephen Engelberg (ProPublica – New York), der erfolgreich eine gemeinnützige Nachrichtenredaktion auf Spendenbasis aufbaut.

Als weiteres Praxisbeispiel gilt aber natürlich auch das Feld der Künste und die dort angesiedelte freie Szene. Denn Künstler haben schon immer kollaborative Formen der Zusammenarbeit ohne Kapitalflüsse entwickelt. Zugegeben: der traditionelle Begriff des Kulturschaffenden, Autors oder Künstlers ist nicht eins zu eins aufs Netz übertragbar. Zu oft zerfließen die Grenzen zwischen Publikation und Autorschaft, an vielen Stellen laufen kreative Prozesse auf einer kollaborativen Ebene ab, selbst die Trennung zwischen Autor und Publikum löst sich in der Commons auf, die stark auf Copy-And-Paste und Remix basiert. Am Ende ist nicht immer klar ersichtlich, wer in dem Prozess federführend war, was die Situation in der ersten Betrachtung unüberschaubar macht. Unbestritten ist allerdings, dass alle diejenigen, die im Netz mit viel Einsatz von Zeit, Wissen und Ressourcen an Öffentlichkeit und Kultur mitwirken, auch wertvolle und wichtige Impulse geben.
Während es aber in vielen Bereichen, wie etwa Theater, Musik oder auch der Bildendenden Künste, mittlerweile kommunale, regionale und landesweite Förderungen gibt, ist im Bereich der Onlinemedien insbesondere im Bezug auf das Netz noch sehr wenig vergleichbare Unterstützung vorhanden.

Allan Kaprow “Eighteen Happenings in Six Parts.”

Die Menschen denken, nicht die Institutionen.

Hier besteht Diskussionsbedarf, und für ein Land wie Nordrhein Westfalen, das sich wie wenig andere der Idee eines Kulturwandels durch breite Förderung von Kultur und Kreativwirtschaft verschrieben hat, eine große Chance sich als Vorreiter zu positionieren.
Es existieren mittlerweile zahlreiche Projekte, die vor allem durch den hohen Zeiteinsatz einzelner Personen mit viel Engagement vorangetrieben werden, oftmals aber auch verschwinden wenn die persönlichen Ressourcen nicht mehr vorhanden sind, etwa weil die beruflichen Anforderungen steigen oder sich die familiäre Situation wandelt. Eine innovative Förderpolitik könnte hier Unterstützung bieten, die Arbeit erleichtern, den Fortbestand von Projekten sichern und überregionales Vorbild sein. Kultur, Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit, Kreativität und Ideenreichtum würden auf diese Weise unterstützt und gefördert werden. Politisches Engagement, Bürgerbeteiligung und die Kulturregion NRW würden langfristig davon profitieren, indem neue Ideen leichter entwickelt werden und darüber hinaus engagierte Köpfe besser im Land gehalten werden könnten.

Wichtig ist dabei aber, dass die Förderung eben nicht wie in der derzeit bevorzugten Praxis vor allem Institutionen und teuren Leuchtturmprojekten zu Gute kommt, sondern dass es ein Umdenken gibt. Denn insbesondere in der freien Szene und aber auch im Bereich der onlinebasierten Projekte – in denen Infrastruktur oft zum kleinsten Kostenfaktor wird – sind es meist kleine Teams und vor allem eben die Köpfe welche die kreative Arbeit leisten. Diese müssen unterstützt und gestützt werden wenn wir die Organisation der entstehende Commons nicht gänzlich dem E-Business überantworten wollen.

The white male complex bei SAVVY Contemporary

von Stefanie Ippendorf (Berlin)

„Macho, weiß, von gestern” titelte DIE ZEIT und machte damit Barack Obamas Wiederwahl sowie die „Bedrohung“ der „Männer des Westens“ durch „Frauen, Migranten“ und „den Rest der Welt“ zum Thema.  „Die Wiederwahl von Obama“, so das gemischtgeschlechtliche Autorenteam „markiert eine historische Wende, die Jahre selbstverständlicher männlicher, weißer Dominanz gehen zu Ende …“.

Ähnlicher Meinung dürfte auch der Künstlerkurator Thomas Eller sein. Für den Berliner Kunst- und Projektraum SAVVY Contemporary hat er die Ausstellung The white male complex konzipiert, in der stichprobenartig untersucht werden soll, was es unter heutigen Voraussetzungen bedeutet, weiß und männlich zu sein. SAVVY Contemporary versteht ich als „Laboratorium der Formgedanken“ und  ist, so die Homepage-Selbstdarstellung, “ein gemeinnütziger Kunstraum, der durch Ausstellungen, Performances, Lectures und Talks den Austausch zwischen Westkunst und Nicht-Westkunst fördert“.

links: Adib Fricke: Seven Ties Version1 with 7 suits_
(1991); rechts: Thomas Eller: THE selbst (sans…) (2011)

Bei der Themenfindung zur aktuellen Ausstellung hat sich Eller durch eine kritische Betrachtung der amerikanischen „Whiteness Studies“ sowie vom Gedankengut des Germanisten Klaus Theweleits inspirieren lassen, der 1977 mit seinen „Männerphantasien“ Furore machte: einem doppelbändigem Buch, in dem er die Entstehung der faschistischen Gewalt untersuchte und danach fragte, wie diese in den Körpern der (männlichen) Soldaten verankert war. Laut Eller haben Theweleits „Beschreibungsweise von nicht zu Ende geborener Männlichkeit und Körperpanzern aller Art, bis hin zu Superheldenhalluzinationen ein brauchbares Instrumentarium zur Verfügung“ gestellt. Resultat ist eine Ausstellung mit zwölf, durchweg von Männerhand erschaffenen Werken und einem Comicheft.

DETEX: VI4GRA [SPAM] (2012)

Was also sind die Komplexe des weißen Mannes? Thema: Phallus, Thema: Potenz! Mit der VI4GRA [SPAM] betitelten Arbeit, die am Anfang der Ausstellung zu sehen und hören ist, geht die Künstlergruppe DETEXT in Zusammenarbeit mit der spanischen Band Mendetz direkt in die Vollen. „life is unjust and cruel if you have a tiny tool”, „you can be a real macho”, „be proud of your masculinity, much longer than it used to be” tönt es hier aus den kleinen Boxen – alles Textzeilen von per Spam-Mail empfangenen Viagra-Werbungen, die zu einem tanzbaren Synthie-Pop-Song mit schicken Visuals verarbeitet wurden (leider ein Ohrwurm! hier nachzuhören http://www.detext.es/).

Thomas Eller: THE selbst (endgame)(2012)

Thomas Eller lässt die Hosen runter. In seinen Arbeiten macht sich der Künstler immer wieder selbst zum Thema und bevölkert die Welt mit Stellvertreter-Aufstellfiguren in unterschiedlichen Größendimensionen. Als THE selbst (sans…) zeigt er sich dandyhaft  im schwarzen Anzug mit Krawatte, doch ohne Beinkleid und geschrumpft. Auf THE selbst (endgame) gibt er sich gar die komplette Blöße und sitzt mit erigiertem Penis beim Schachspiel gegen das eigene, bekleidete Konterfei. Mit der 2012 entstandenen Arbeit verweist Eller auf Marcel Duchamp, der sich 1963 mit der nackten Studentin Eve Babitz beim Schachspielen im Museum fotografieren ließ, um das Ende seiner künstlerischen Tätigkeit anzukündigen.

Markus Voit: ME (2005)
Markus Voit: Ohne Titel (2011)

Für das Selbstportrait ME lies auch Markus Voit die Hüllen fallen. Mit bravem Seitenscheitel und freundlichem Blick präsentiert er uns seinen schmalen, jugendlichen Körper. Doch was ist das? Statt roter Brustwarzen, wachsen zwei Fellbüschel auf der sonst haarlosen Brust. Seinen damals ebenfalls noch jugendlichen Körper inszeniert Bruce Naumann in Walk with Contraposto. Mit ordentlich viel Hüftschwung durchschreitet er einen langen, schmalen Korridor und erkundet dabei die Möglichkeit,  den auf Standbein und Spielbein basierenden, in der klassischen Bildhauerei genutzten Kontrapost in Bewegung zu setzen.

Clemens Wilhelm: Read me (2011)

„Was die Zukunft wohl bringen mag?“ fragte sich Clemens Wilhelm und konsultierte während eines Residency-Aufenthalts im chinesischen Chongqing vier Wahrsager, die ihm aus der Hand lasen und ihm über seine künftigen Erfolge, den Reichtum, das Liebesleben und die Gesundheit Auskunft gaben. Im Video ist die überlebensgroß auf einen Tisch projizierte Hand zu sehen. Als Untertitel läuft die englische Übersetzung der aus dem Off erschallenden chinesischen Zukunftsvorhersagen. Erstaunlicherweise sind sich die unabhängig voneinander befragten Wahrsager in den Kernaussagen einig. Man erfährt u.a., dass Wilhelm wohl nicht so früh heiraten wird (bzw. nicht so früh heiraten sollte), er aber einige Affären haben wird, er  jemand ist, dessen Arbeit auf dem Intellekt fußt und nicht körperlicher Art ist und dass er eine ausgeprägte Analysefähigkeiten besitzt. Mit Read me gewährt Wilhelms Einblicke in eine normalerweise sehr private Erfahrung und vermittelt dabei eine chinesische Blickweise auf seine Person.

Mike Kelley: Superman Recites Selections from `The Bell Jar`and other works by Sylvia Plath (1999)

In seinem Spätwerk hat sich der leider Anfang des Jahres verstorbene Mike Kelley mit der Vita von Superman und somit dem Paradebeispiel des heldenhaften, weißen Mannes, befasst. Ausgangspunkt für das Projekt Kandor-Con 2000 ist die Stadt Kandor: eine Stadt, die in den Comics als letztes Überbleibsel des zerstörten Heimatplanten Krypton auftaucht. Kandor wurde von einem Bösewicht auf Miniaturformat geschrumpft und gelangte in Supermanns Besitz, der die Stadt unter einer Glasglocke aufbewahrt – Superman nicht als Held sondern als durch die Vergangenheit, den Verlust der Heimat bzw. durch ein „entfremdetes Verhältnis zu dem jetzt von ihm bewohnten Planeten“ traumatisiert.  Mit dem Video Superman Recites Selections from ‚The Bell Jar‘ and Other Works by Sylvia Plath ist in der Ausstellung leider nur ein minimaler Teil von Kelleys umfassendem Projekt zu sehen. Hier rezitiert ein Schauspieler im Supermann-Kostüm Textteile aus Sylvia Plaths Roman Die Glasglocke (1963).

Irgendwie unnötig, dass neben Kelleys Arbeit eine Kopie des Comics Superman: Für den Mann, der alles hat (1968) hängt, in dem Batman, Robin und Wonder Woman dem Superhelden eigentlich einen Geburtstagsbesuch in seiner „Festung der Einsamkeit“ abstatten wollen, diesen jedoch starr, geistesabwesend und von einer Art Pflanze befallen vorfinden…

Walter Robinson: untitled (Penthouse) (2010)

Wie sang einst Herbert Grönemeyer? „Männer haben Muskeln, Männer sind furchtbar stark, Männer können alles, Männer kriegen ´nen Herzinfarkt, Männer sind einsame Streiter, müssen durch jede Wand, müssen immer weiter…“

 

The white male complex
Thomas Eller, DETEXT, Adib Fricke, Mike Kelley, Bruce Nauman, Walter Robinson,
Felix Schneeweiss, Superman, Markus Voit, Clemens Wilhelm
4.11. – 4.12.2012
Do- So, 16.00-20.00 Uhr
SAVVY Contemporary
Richardstr.43/44
12055 Berlin
www.savvy-contemporary.com

 

Guten Morgen Düsseldorf, guten Morgen Welt!

Liebe Leserinnen und Leser,

wir haben es in den letzten Wochen etwas vernachlässigt Euch und Sie mit einem fröhlichen und positiv gestimmten ‚Guten Morgen‘ in die neue Woche zu entlassen. Dafür möchten wir uns entschuldigen und Besserung geloben. Eventuell verzeihen Sie uns aber, wenn Sie erfahren, dass es keine fahrlässige Unachtsamkeit oder mangelnde Wertschätzung Ihnen gegenüber war, wir sie natürlich nicht vergessen haben, sondern dass es auch bei uns lediglich der ganz profane Grund des Zeitmangels ist wenn Wichtiges liegen bleibt.
Denn die Subsistenz muss auch hier gesichert werden. Nicht nur die des Bloggers selber, sondern eben auch die der Menschen in seinem nächsten Umfeld. Und das bedeutet für uns das Gleiche was es auch für Sie und alle Anderen bedeutet: Arbeiten, mitmachen, Geld ranschaffen.
Tröstlich zumindest, dass der Grund diesbezüglich ein oder zwei Gänge hochzuschalten der Beste, Einzig legitime und Schönste ist.

Unabhängig von der privaten Entwicklung gilt aber auch ganz allgemein, die Zeiten werden mit Blick auf die Sicherung der eigenen Existenzen für die allermeisten von uns nicht einfacher. Der außergewöhnlich rasante Wandel der Welt überrolt uns immer mehr, lässt uns Staunen, Schaudern und zuweilen Schwindelig werden.
Und zeitgleich mit dem Eintreffen des grauen rheinischen Winterherbst, dämmert uns auch langsam wieder, was über die Sommerzeit so erfolgreich verdrängt wurde, nämlich dass die Wachstumsgrenzen auch virtuell nicht beliebig verschiebbar sind und die damit verbundenen ökonomischen Verwerfungen nicht spurlos an uns vorüber gehen werden.
Es gilt umso mehr, was schon lange gesagt ist: Die fetten Jahre sind vorbei.

Aber liebe Leserinnen und Leser, solange zu Zeiten wie diesen Soundtracks wie der nachfolgende erdacht und gemacht werden ist natürlich nicht Alles verloren. Stillstand gibt es bekanntlich nicht, und weiter geht es sowieso von ganz alleine. Immer.
Bereiten Sie sich also so gut es eben geht vor, behalten Sie einen klaren Kopf, Ihre Liebsten im Auge und vergessen Sie nicht diesen Moment der extremen Bewegung auch zu genießen.
Bleiben Sie uns bitte auch darüber hinaus gewogen und halten Sie Augen und Ohren offen, sowie letztere auch steif.
Wir wünschen guten Morgen Düsseldorf, guten Morgen Welt!

(video via aisthesis | inspiration via rebellmarkt)

Podiumsdiskussion vom Netzwerk freier Berliner Projekträume

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

 

So ungern wir Rheinländer und Wahlrheinländer es zugeben: In vielen Dingen sind uns die Berliner ein Stückchen voraus. In Sache Projekträume und freie Kunstszene kennt die Dichte der Berliner Initiativen keinen Vergleich in ganz Europa. Und auch der Grad der Selbstorganisation und die Qualität der Selbstreflexion dieses voluminösen Netzwerkes sind für alle weiteren Off-Projekte der Republik ein Vorbild. 2009 wurde auf Antrieb der Art Transponder das Netzwerk freier Berliner Projekträume und –initiativen gegründet, das sich als „loser Zusammenschluss“ einiger Projekträumen der Hauptstadt versteht. Durch regelmäßige Treffen, Konferenzen und Aktionen sowie die Etablierung einer zentralen, koordinierenden Stabsstelle, die zugleich als Think Tank und als Diskussionsplattform dient, soll ein stärkeres Solidaritätsgefühl kreiert und die Identität und Rolle der unabhängigen Szene definiert werden.

Ein solches Konstrukt kann freilich nur in einer Stadt entstehen, in der die Zahl an Projekträumen derart groß und die politische Motivation ihrer Akteuren so hoch ist wie in Berlin – nur Hamburg könnte gegenwärtig eine vergleichbare Metastruktur auf die Beine stellen. Vergangene Woche organisierte das Netzwerk eine Podiumsdiskussion mit dem programmatischen Titel: „Interdisziplinär. diskursiv. nicht marktorientiert. Zur besonderen Bedeutung von freien Projekträumen und –initiativen für die bildende Kunst in Berlin“; Gastgeber war das Haus der Kulturen der Welt. Was von der Provinz aus wie eine Berlin-berlinerische Nabelschau wahrgenommen werden könnte, sollte jedoch genauer betrachtet werden. Denn die zwischen Kreuzberg und Prenzlauer Berg geführte Debatte dreht sich um Probleme, die wir auch, im wilden Westen – und im Süden und im Norden –, kennen. Außerdem gibt es nirgendwo sonst ein derartiges Reflexionsniveau zu diesem Sujet.

Séverine Marguin

Zum Auftakt der Veranstaltung wurden die Ergebnisse einer von Séverine Marguin geführten Studie präsentiert. Die französische Nachwuchssoziologin hat 2011 eine empirische Untersuchung zu den Berliner Projekträumen durchgeführt und stellt seitdem eine Datenbank her, in der die Komponenten des Phänomens katalogisiert werden. Ihre Umfrage, die von ca. 60 Off-Galerien beantwortet und von Experteninterviews flankiert wurde, brachte im Großen und Ganzen keine brandneuen Erkenntnisse zum Vorschein, bestätigte aber auf wissenschaftlicher Ebene viele gefühlten und intuitiv erfassten Fakten. Dass Projekträume flexibel, spontan, experimentorientiert und finanziell unterversorgt sind, und dass Selbstorganisation Selbstausbeutung zum Korrelat hat dürfte nicht als revolutionäre These durchgehen – aber nun beruhen diese Binsenwahrheiten des Offs auf einem zitierfähigen Dokument.

Die gegenwärtige Dynamik der Berliner Szene ist immer noch an ihre günstige urbane Struktur gekoppelt. Noch stehen genug freie Räume zur Verfügung, die zur Zwischennutzung umgewandelt und von einer Handvoll engagierter Menschen betrieben werden können. 150 Räume, betrieben von 900 Ehrenamtlichen, stemmen Jahr für Jahr um die 750 Ausstellungen in der Hauptstadt. Es sind beeindruckende Zahlen, die die Fragilität und endemische Prekarität des Biotops jedoch nicht verbergen können. Die Lebensdauer eines Projektraumes wurde zwar in Marguins Studie nicht dokumentiert, dürfte aber im Durchschnitt 3-5 Jahren nicht überschreiten. Zudem nimmt die Menge an bespielbaren Räumen aufgrund steigender Mietpreise ständig ab.

Nach der kurzen Präsentation von Marguins Studie fand die angekündigte Podiumsdiskussion statt. Versammelt waren Leonie Baumann, Jan Ketz, Andreas Koch, Heike Catharina Mertens und Detlev Schneider. Es wurden ebenso die klassischen Themen der Projekträume angesprochen, wie beispielsweise Fragen der Finanzierung, der Prekarität oder des ewigen Kampfes „On“ vs. „Off“, als auch neue Entwicklungen, wie zum Beispiel die Tatsache, dass kommerzielle Galerien oder Institutionen (Stichwort: Guggenheim Lab) sich anschicken, Projekträume zu betreiben und damit das Experimentelle und Prozessuale in ihre globale Kommunikationsstrategie zu integrieren – wie Jan Ketz, Leiter des Raums für Zweckfreiheit, bemerkte. Wir können und wollen nicht an dieser Stelle die Gesamtheit des informativen, vielseitigen und gut geführten Gesprächs zusammenfassen; der geneigte Leser sollte selbst zuhören.

Sehr angenehm an der Runde war jedenfalls das Selbstbewusstsein ihrer Teilnehmer, die mit dem anrüchigen Ruf des Off aufräumten. Von außen wird die freie Szene nämlich nicht selten als Reservoir für gescheiterte Künstler gesehen, ohne Zugang zum institutionellen oder kommerziellen System, sich mit den Krümeln der Öffentlichkeit begnügend. Dabei ist das „Off“ eine existentielle Wahl – im Sinne einer politischen Entscheidung –  und kein Abstellgleis. Viele bekennen sich offensiv zur Projektraum-Szene als Ort der Alternative und als Gegenentwurf zu einer dominierenden Kultur; sie sind keineswegs Gestrandete des offiziellen Kunstbetriebs. Die Bemerkung von Leonie Baumann war in dieser Hinsicht rhetorisch geschickt (wenn nicht unbedingt faktisch nachvollziehbar): Wenn einerseits viele junge Künstler sich nicht für den Kunstmarkt interessieren, sondern nur ihre Arbeit verrichten möchten und anderseits gestandene Künstler ohne Galerienvermittlung gut bis sehr gut von ihrer Produktion leben können, und wenn diese beiden Gruppen sowieso die große Mehrheit der Künstlerschaft bilden, müsste man den aktuell herrschenden Kunstmarkt zur eigentlichen Parallelgesellschaft erklären, zum (extrem sichtbaren und lauten, aber letztendlich peripheren) Randphänomen mit geringfügigem Realitätsbezug.

Dieses Selbstbewusstsein ist im braven Westen wenig vertreten. Hier spielt das Off allzu oft die Rolle eines Sprungbretts ins sehnsüchtig erträumte On. Eine klare politische und konsequente Haltung für die freie Szene lässt sich nicht ausmachen. Und vor allem lässt eines sich nicht ausmachen – und das ist etwas, das wir Rheinländer und Wahlrheinländer von den Berlinern lernen sollten: Den Zusammenschluss.

 

 

Über die Streetart in Düsseldorf (und anderswo)

Es ist schon eigenartig mit dem Internet. Da scannt man täglich durch den digitalen Äther, hält die Augen auf und ist fest davon überzeugt man kenne sich gut aus und all das was dazu gehört. Und wenn man schon nicht alles kennt, dann glaubt man doch man hätte zumindest all das auf dem Schirm, was für die eigene Filterbubble von Relevanz ist.
Und dann stolpert man eines Tages doch über etwas Neues was offensichtlich gar nicht so neu ist, schaut ich das dann an und fragt sich wie diese Sache so lange Zeit mit solcher Energie betrieben werden konnte, ohne in den eigenen Wahrnehumgshorizont zu geraten. Sebastian Hartmanns Blog streetartmag.wordpress.com ist ein solches Projekt und wird hiermit sofort in unsere Blogroll aufgenommen.
Schön, dass es auch in Düsseldorf ein ambitioniertes Projekt gibt, welches sich dieser mittlerweile ganz und gar nicht mehr so exotischen Kunst im öffentlichen Raum widmet. Und schön auch, dass das Projekt nicht nur in der digitalen Öffentlichkeit aktiv ist, sondern auch in den Straßen der Stadt, zum Beispiel mit einer kleinen Streetart-Führung für Facebook-Fans durch Bilk.

Sebastian Hartmann bei der zweiten Streetart-Tour durch Düsseldorf Bilk

 

Die Bilder stammen aus Sebastian Hartmanns Blog und von den Kollegen vom bilkorama – wir sagen Danke! Weitere Infos zu den vorgestellten Künstlern und zu Streetart in Düsseldorf generell finden unser neugierigen Leserinnen und Leser dort.

(Tip via Rieke – Danke!)

http://streetartmag.wordpress.com

 

Winfred Gaul im Grafischen Kabinett

von Dominik Busch (Düsseldorf)

Fotos: Sebastian Riemer

 

Den langen Flur in der Ackerstraße mit einer Ausstellung zu bespielen, die „ich unbedingt noch machen wollte“, bevor das Grafische Kabinett in absehbarer Zeit schließt – so gezwungen wirkt die Schau beileibe nicht. Es verwundert vielmehr die für das Kabinett ungewohnt farbigen Siebdrucke Wilfred Gauls, die Erzählungen zufolge der sonst eher üblichen Grisaille ausgestellter Arbeiten entgegentritt.

Foto: D. Busch

Sebastian Riemer, über den perisphere.de bereits zu anderer Gelegenheit berichtete, Meisterschüler von Thomas Ruff und Christopher Williams, öffnet seit mehreren Jahren seine Wohnung für temporäre Ausstellungen. Der Name ist hierbei Programm. So werden im Grafischen Kabinett vornehmlich Grafiken von akademienahen Künstlern und Künstlerinnen ausgestellt, zuletzt solche des Düsseldorfer Malers Lukas Schmenger. Wir haben es also mit einem Projektraum aus dem direkten Umfeld der Kunstakademie Düsseldorf zu tun und dürfen eine kuratorische wie künstlerische Auseinandersetzung am vermeintlichen Puls der Zeit erwarten.

 

Warum also, mag manch einer fragen, stellt man im Jahr 2012 einen Maler des deutschen Informel aus, dieser Großkeule deutscher Malereigeschichte? Warum zudem in einem Projektraum, der von einem Kurator in seinen Mittzwanzigern betrieben wird und der begann zu studieren, als Gaul gerade verstorben war? Etwa Profilierungsnot im Wust Düsseldorfer Projekträume? Abwechslungsbedürfnis zu den sonst omnipräsenten Positionen aspirierender Kollegen? Oder schlichtweg das Ergreifen der Gelegenheit beim Schopfe? Nichts von alldem und doch von allem ein bisschen.

 

Die Gelegenheit bot sich Riemer durch die Bekanntschaft mit der Nichte Gauls, die den Kontakt zwischen dessen Witwe, seiner Nachlassverwalterin, und Riemer herstellte. Ein Zufall definitiv, und doch ein glücklicher. Nicht viele Düsseldorfer Projekträume können sich eines solch großen Namens rühmen. Und dieser verfehlt auch nicht seine Wirkung; zur Eröffnung am vergangenen Freitag erscheinen Galeristen gleichermaßen wie Museasten und Kollegen beider Professionen. Die Auswahl der gezeigten Arbeiten bildet indes den Querschnitt einer der differenten Phasen im Werk Winfred Gauls. Geboren in Kaiserswerth, studiert bei Baumeister in Stuttgart, Aufenthalt in Paris, Auszeichnung unter Anderem der Villa Romana und (Gast)Professuren in Norddeutschland und England. Mitglied der Gruppe 53, Freund und Kollege Dahmens, Hoehmes, Götz’ und Brünings. Soweit die Vita eines „typischen“ Informellen. Doch Gauls Werk lässt sich klarer als das der genannten Kollegen in Phasen einteilen, zumal er diese selbst markierte und benannte. Sinngemäß zitiert, begriff er das Informel wie viele seiner Weggefährten als revolutionär-anarchistische Verarbeitung braundeutscher Vergangenheit, dessen Kunst sich jedoch sukzessive abnutze und von Zeit zu Zeit wieder aufgeladen werden müsse – und zwar an und durch die Realität.

 

Informelle Grafiken sind die ausgestellten daher auch nur nominell, korrekterweise stammen sie aus Gauls Gruppe der Signale & Verkehrszeichen. In jenen sah der durchaus belesene Maler einen Sonderfall des Zeichens, angesiedelt zwischen Ikon und Symbol, einen abstrakter Index kultureller Prägung. In ihre formalen Bestandteile zerlegt, legen diese die ikonische Verwendung von Zeichen offen und demonstrieren die doppeldeutige Oberflächlichkeit des aufkommenden digitalen Zeitalters. Im Begleittext eines Kataloges moniert Gaul die in den 60er und frühen 70er Jahren zunehmende Schilderflut deutscher Großstädte, die Bilderflut der Werbung, der Banner und Plakate. Die Formensprache seiner Siebdrucke entstammt jener Alltagsästhetik, sie seziert und analysiert sie jedoch gleichermaßen. Sie zeigt uns die ihr implizite Verdummungsstrategie, die gezielte Vereinfachung bildlicher Inhalte zugunsten einer allgemeinverständlichen Aussage; Strategien, die mittlerweile als Kavaliersweg gewisser deutscher Fotografen dienen und nicht zuletzt dadurch schon lange ins Repertoire zeitgenössischer Kunstpraktiken aufgenommen wurden. Doch das Einfache Zeigen wäre nicht genug. Gauls Arbeiten sind ebenso formal spannend wie sie klug sind, sie sind ebenso klassisch wie sie aktuell sein können.

Hierin liegt also die Rechtfertigung jener Ausstellung, wenn es denn einer solchen bedürfte. Hierin liegt auch ihre Stärke. Gauls Siebdrucke sind trotz all ihrer Aktualität zur Zeit ihrer Entstehung ihrer Zeit weit voraus. Bedenkt man, dass die älteste gezeigte Grafik ’63 und die meisten um 1970 entstanden sind, zweifelt man so manches Wissen und Können zeitgenössischer Kollegen an. Gemäß dem vergleichsweise jungen Gedanken eines französischen Kunstkritikers, wird jegliche Form entwickelt und auf vorherige aufgebaut, in der Form, wie sich Eis „setzt“. Was gestern formlos oder informell war, trifft heute nicht mehr auf sie zu. Die Ambivalenz, mit der uns die Arbeiten Winfred Gauls zurücklassen, das Hin- und Hergeworfensein zwischen melancholischer Wertschätzung und neidvollem Staunen belegt das. Genauso wie die sinnbildliche Eingangsbemerkung Riemers: „Gaul wird völlig unterschätzt.“

 

Schilderwald – Winfred Gaul im Grafischen Kabinett
Ausstellung 17-20.11.2012
Ackerstr. 39
Besichtigung nach Vereinbarung (0178 400 71 75)

 

Dreamland im Venus und Apoll

eine Fotostrecke von Sirin Simsek (Köln, Düsseldorf)

 

Die THE CONEY ISLAND PSYCHOANALYTIC AMATEUR SOCIETY erkundet ein neues Land zwischen ‚Kunstwelt‘ und ‚Alltagsleben‘. Sie sucht verlassene oder anachronistische Orte heim, um sie in erfahrbare Räume rückzuverzaubern. Die Treffen der Society finden nie zweimal am selben Ort und stets in jeweils verschiedenen Konstellationen statt.
An der Düsseldorfer Versammlung beteiligt waren: Aaron Beebe, Zoe Beloff, Ul-rich Bernard NAILS NOW, Çish&Phipps, Johanna Daab, Iris Dankemeyer, Mf David Deery, Lisa Domin, Wythe Marschall, Scott Wyman Neagle, Andrew ‚Aberglaube‘ Kemp

 

 

 

 

 

Stefan Riebel – Somethings in der Boutique am Ebertplatz

von Florian Kuhlmann (Düsseldorf)

 

2010 wurde ich auf Stefan Riebels Arbeit ‘Black Pixel‘ aufmerksam – ein 1×1 Pixel großes, schwarzes Quadrat auf weißer Fläche. Die Arbeit hat mir auf Anhieb sehr gut gefallen und da ich etwas neidisch auf ihn und seinen Einfall war, beschloss ich ihm die Arbeit zu stehlen.

Dazu speicherte ich seinen schwarzen Pixel bei mir auf der Festplatte, kopierte ihn dann per FTP in den Webspace meines Servers, um ihn von nun an dort unter der Domain www.stolen-black-pixel.de zu präsentieren. Stefan informierte ich dann per E-Mail über den dreisten Diebstahl, so kamen wir in Kontakt und es entstand über die Jahre ein äußerst fruchtbarer Austausch, mit gemeinsamen Projekten und Ausstellungen, vor allem in Berlin.

Um so schöner also, dass der Berliner Künstler, Kurator, Projektinitiator und Raumbetreiber (Institut für alles Mögliche) nun vom 18.11. bis zum 02.12.2012 mit einer Einzelausstellung in der Kölner Boutique zu Gast ist. Der Projektraum wird von Maximilian Erbacher, Yvonne Klasen
und André Sauer auf der unteren Ebene der Ebertplatzpassagen betrieben, wo sich mittlerweile mit gleich drei Räumen ein Zentrum der Kölner Off-Szene gebildet hat. Schräg gegenüber der Boutique liegt Bruch&Dallas, direkt daneben die Halle der vollständigen Wahrheit. Der Ort ist abgerockt, hinreichend zentral gelegen und dennoch abgeschieden genug um auch mal ordentlich feiern zu können – was im übrigen u.a. der Partyinszenator Alexander Wissel mit dem Single Club vor Ort auch dort bewiesen hat.

Somethings

ist der Titel der Ausstellung, unter dem Riebel ältere und aktuelle Arbeit zusammen gestellt hat.

somethings ist neben dem Namen der Ausstellung aber auch gleichzeitig Titel der größten und nach Außen hin sichtbaren Videoinstallation. Die dort zu lesenden Wörter auf der matten Scheibe hat Riebel assoziativ für diese Ausstellung gesammelt. Seit der Einladung hatte er immer wieder Worte notiert die ihm im zusammenhang mit diesem Ereignis in den Sinn kamen. So entstand eine ortsspezifische Wortsammlung, ganz ähnlich einer Tag-Cloud.
Riebel hat die Arbeit seit dem Jahr 2010 an verschiedenen Orten realisiert und die Ergebnisse dieser Denktätigkeit im Netz festgehalten http://somethings.stefanriebel.de/.

Die Arbeit dedication pieces besteht aus Postkarten und Plakaten die auf einem Holztisch ausgelegt und zum mitnehmen sind. Die Arbeit verteilt sich so mit Hilfe der Besucher langsam und kontinuierlich über die Welt. Auf den verschiedenen Medien in unterschiedlichen Formaten sind poetische, minimalistisch Widmungen notiert, die sich online nachlesen lassen dedication.stefanriebel.de/.

Die Arbeit bg (before google) – im Netz zu sehen unter www.beforegoogle.net war in Düsseldorf in der weißen Version bereits im Rahmen des Transprivacy-Projekts zu sehen. Auch hier lagen kleinformatige Flyer aus, über die sich das Konzept langsam aber leicht mit Hilfe des Publikums verteilt.

Die versuchsanordnung für plattenspieler, vinylrohling und zeit (#3) besteht aus einer einfachen Konfiguration. Auf einem Plattenspieler liegt ein Vinylrohling auf, der beim Abspielen durch die darauf kratzende Nadel beschrieben wird. Die dabei entstehende Tonspur wird gleichzeitig auf normalem Wegen auf den Boxen abgespielt.

dead pixel (on hyundai b71a) ist ein Sammlerstück aus Riebels Sammlung kaputter Pixel, wie sie sich auf diversen Monitoren und Flachbildschirm befinden. Dieser toter Pixel befindet sich auf einem Hyandai B71A Flatscreen. In der Vergrößerung und auf dem Kopf stehenden online hier zu sehen dead-pixel.stefanriebel.de/

Stefan Riebel, somethings
Dauer: 17.11.-01.12.2012
Öffnungszeiten: Do-Sa, 16-19 Uhr

Ebertplatz 0,
Ebertplatzpassagen,
50668 Köln

www.boutique-koeln.de

Rückblick Kunstfilmtag 2012

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

Fotos (wenn nicht anders angegeben): Christof Wolff

 

Schon immer war der Düsseldorfer Kunstfilmtag ein Filmscreening der anderen Art. Lokale und soziale Aspekte spielten bereits bei den vergangenen Ausgaben eine wichtige Rolle, und die Gründerin der Veranstaltung, Susanne Fasbender, weigert sich seit der ersten Stunde beharrlich, von einem „Festival“ zu sprechen – denn sie hält die Vorstellung eines Wettbewerbs in diesem Fall für unangebracht. Der Kunstfilmtag ist in erster Linie ein großer Familientreff, der von Jahr zu Jahr immer mehr Menschen anzieht, und neben Beiträgen aus der ganzen Welt viel Raum für die Film- und Videopräsentationen Düsseldorfer Künstler schafft. Von Mittag bis Mitternacht wird Programm gemacht. Die Kurzfilme werden in mehr oder weniger stringenten thematischen Blöcken gezeigt; im Foyer kommt man zusammen und tauscht sich in ungezwungener Atmosphäre aus. Gerade diese atmosphärische Komponente, fernab der professionellen Anspannung üblicher Filmwettbewerbe, macht den Charme des Kunstfilmtages aus.

„Die Sprache ist das Haus in dem wir leben“. Der schöne, poetische Titel der Veranstaltung, einem Film von Jean-Luc Godard entnommen, hätte zu einem engen programmatischen Korsett werden und den Kunstfilmtag zu einer didaktischen Übung werden lassen können. Die offene Filmzusammenstellung, die wie gewohnt besonders auf lokale Künstler einging und ein erweitertes Verständnis von Sprache zu Tage legte, umging dieses Hindernis aber geschickt. Zwar boten genug Filme Reflexionsstoff zur Thematik an; alles in allem gestaltete sich der Tag jedoch unaufdringlich. Von der Doku zur Fiktion, vom Animationsfilm zum künstlerischen Experiment, von der Bildsprache zum Sprachspiel, von der Sprache als Erinnerungsvermögen zur Sprache als Konstituierungselement der Welt – ohne Anspruch auf Vollständigkeit und mit einem guten Gefühl für Rhythmus entfaltete die abwechslungsreiche Vorführung zahlreiche Facetten ihres Sujets.

Foto: Saskia Zeller
Im Appendix-Saal des Malkastens hatte Susanne Fasbender eine Auswahl an längeren, zumeist politischen Filmen…
… zusammengestellt und damit eine konzentrierte Wahrnehmung ermöglicht.

Es war jedenfalls interessant festzustellen, wie die Aufmerksamkeit des Besuchers sich im Laufe des Tages veränderte und die Fokussierung auf sprachliche Phänomene sich verschärfte. Wer genug Sitzfleisch und Zeit hatte, um mindestens drei oder vier Blöcke zu erleben, konnte während der Pausen zusehen, wie die Welt sich in einen einzigen Sprechakt verwandelte. Und wer rein theoretische Aspekte vertiefen wollte, konnte sich mit den Aufsätzen des Katalogs befassen, wovon einige hochwertig waren (ich denke hier besonders an den Artikel von Frauke Tomczak).

Susanne Fasbender (Bild: Saskia Zeller)
Katharina Schmitt (Foto: Saskia Zeller)

Zwei wesentliche Veränderungen haben den diesjährigen Kunstfilmtag bereichert. Zunächst wurden die Beiträge nicht mehr per Post oder per pedes eingereicht, wie in den vergangenen Jahren, sondern auf der Reelport-Plattform hochgeladen und dann juriert. Dadurch wurde der Call for Entry weltweit ausgestrahlt und erreichte sowohl Künstler als auch „klassische“ Filmemacher und Filmkreative aller Couleur. Neben einer Steigerung der Einreichungen auf über 500 Filme, hat dieser Auswahlmodus zu einer Erweiterung der GenreBandbreite geführt; klassisch-erzählerische Kurzfilme, die bisher kaum berücksichtigt wurden, fanden so Eingang in den Kunstfilmtag. Die zweite Veränderung betraf die Konstituierung eines Teams. Fasbender hat alle drei vergangenen Veranstaltungen im (Beinahe-) Alleingang durchgeführt und war demnach ausgebrannt. Nun wurde sie von der Künstlerin Katharina Schmitt unterstützt, die sich mit viel Energie und Tatendrang in die inhaltliche und organisatorische Materie stürzte. Im Hintergrund wirkten noch einige Menschen mit, um die zwei Macherinnen zu entlasten.

Der Original-Trailer wurde von Frauke Berg realisiert (Foto: Saskia Zeller)

Nach Aussage einiger treuer Kunstfilmtag-Aficionados war diese Ausgabe die bisher beste. Die Qualität der Beiträge wurde hervorgehoben, das sympathisch-lockere Ambiente genossen. Dieser Kunstfilmtag war also ein Erfolg und bildete für Susanne Fasbender und Katharina Schmitt die Bestätigung einer guten Zusammenarbeit. Und nun, da das Gewicht der Organisation auf mehreren Schultern verteilt wird, können wir hoffen, dass es in naher Zukunft eine fünfte Ausgabe der Veranstaltung geben wird…

Das INSTITUT FÜR ALLES MÖGLICHE in Berlin

Ein Gastbeitrag von Luisa Hänsel, Berlin

Kunst lebt nicht vom Sehen allein. In diesem Sinne erprobt das Institut für Alles Mögliche (I-A-M) neue Wege der künstlerischen und nicht-künstlerischen Zusammenarbeit. Statt sich weiterhin am Konzept eines „Friedhofes der Dinge“, wie Boris Groys es nennt zu orientieren, ermöglicht das Institut die aktive Teilnahme an kreativen Prozessen.

Dabei bleibt es nicht in herkömmlichen Strukturen verhaftet, sondern streckt seine Fühler über den gesamten Stadtraum Berlin aus. In Wedding, Neukölln und Mitte betreibt das Institut seine Zweigstellen Zentrale, Niederlassung, Büro für Bestimmte Dinge und Abteilung für Alles Andere. Kommerzielle Mietstrukturen werden genutzt, um nichtkommerzielle Experimente zu realisieren.
Das I-A-M bietet Raum und Zeit für Projekte jeglicher Art. Dazu gehören eigenwillige Formate, wie der einmal im Monat stattfindende Berlin Art Battle, die von Laura Klatt organisierten Tischgesellschaften oder etwa Workshops zu Robotermusik von Karl Heinz Jeron.

Tischgesellschaften
Berlin Art Battle
Roboterhausmusik

Viele Veranstaltungen animieren die Besucher zum Mitmachen und regen zu Interaktion und Kommunikation zwischen allen Involvierten an. Kunstvermittler und Gründer des Instituts für unkontrolliertes Denken Oliver Breitenstein oder Netzkünstler Florian Kuhlmann eröffneten mit Projekten, wie dem Büro für Kunstvermittlung und der Ausstellung Konfiguration No 7, Diskurse über die momentane Situation der Kunstwelt und den Gebrauch neuer Medien.

Das vom Institut für Alles Mögliche jährlich organisierte unkuratierte Performancefestival Direct Action ermöglicht außerdem weniger bekannten oder unbekannten Künstlern ihre Arbeiten der Öffentlichkeit zu zeigen. Dadurch erhalten auch junge Kreative, wie beispielsweise Kunsthochschulstudenten, die Chance sich vor Publikum zu präsentieren.

Direct Action 2012
Direct Action 2010

In den Künstlerresidenzen, Büro für Bestimmte Dinge und Zentrale, finden Kunstschaffende aus aller Welt eine Anlaufstelle für kreative Arbeit in Berlin. Den Ideen sind auch hier keine Grenzen gesetzt. Kunst ist kein Muss, sondern eine Möglichkeit. Subtiler Humor schwingt dabei fast immer mit.


DAS BÜRO FÜR BESTIMMTE DING

Das „BÜRO FÜR BESTIMMTE DINGE“ in Neukölln ist ein Atelier und Wohnraum und steht seit August 2012 Künstlern aus aller Welt zur Verfügung. Es ist eine schöner und einfacher Ort um in Berlin zu wohnen, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren und in einem der spannendsten Statteile Berlins seine Projekte zu präsentieren.


ZENTRALE

Die „ZENTRALE“ in der Schererstraße im Wedding ist ein weiteres Atelier und Wohnraum der seit Juni 2011 Künstler aus aller Welt offen steht. Auch hier handelt es sich um ein einfachen und charmanten Ort um in Berlin zu wohnen, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren und seine Projekte zu präsentieren.


DIE ABTEILUNG FÜR ALLES ANDERE

Die „ABTEILUNG FÜR ALLES ANDERE“ ist ein temporäres Büro / Labor / Initiative für Kunst und alles Andere. Sie befindet sich in einer Remise im Innenhof der Ackerstraße in Berlin Mitte und ist etwa 30 qm groß. Der Raum wird in zusammenarbeit mit dem Künstlerhaus am acker! e.v. organisiert und wurde im September 2011 eröffnet.


NIEDERLASSUNG BERLIN

Die „NIEDERLASSUNG BERLIN“ ist ein Experimentalraum sowie ein Ort für Sammlungen, Absurdes und langwierige Prozesse. Sie befindet sich in einem Ladengeschäft im Wedding und wird in zusammenarbeit mit Ilse Ermen organisiert und unregelmäßig bespielt.

Institut für Alles Mögliche
PO-BOX 440156
12001 Berlin
Germany 
www.i-a-m.tk

What is it to be Chinese? im Grimmuseum

von Stefanie Ippendorf (Berlin)

 

Auf die Frage „Was bedeutet es Chinese zu sein/ Was bedeutet Chinesisch-Sein?“ würden sicherlich viele Nicht-Chinesen mit einem bunten Potpourri aus Klischees antworten: Chinesen sind klein, essen Hundefleisch mit Stäbchen, schmatzen, schlürfen und spucken, fälschen Markenartikel, sind eine wirtschaftliche Großmacht auf der Überholspur, müssen die Ein-Kind-Politik und Zensur der Kommunistischen Partei erdulden und eifrig für niedrige Löhne arbeiten.

FX Harsono: Writing in the Rain

Der China-Fastfood-Mann von nebenan oder Chinatown in New York – vielen von uns scheint die chinesische (Eß-)Kultur vor allem durch die unzähligen, in der ganzen Welt verstreuten Auslandschinesen vertraut, doch welche Beziehung haben die oft schon seit mehreren Generationen nicht mehr in China lebenden Menschen zu ihren kulturellen Wurzeln und wie definieren sie ihre Identität? Genau dies sind die Fragen, um die es in der von Katerina Valdivia Bruch kuratierten Ausstellung >What is it to be Chinese?< im Berliner Grimmuseum geht. Die fünf beteiligten KünstlerInnen sind zwar chinesisch-stämmig bzw. haben einen chinesischen Hintergrund, doch wurden sie weder in China geboren, noch sprechen sie die Sprache oder leben dort. Oftmals nehmen sie die eigen Vita oder Familiengeschichte als Ausgangspunkt ihrer künstlerischen Arbeit und vermitteln so ganz persönliche Eindrücke davon, was es heißt, Teil der globalen Migrations-bewegungen zu sein und von außen auf das Land des eigenen kulturellen Ursprungs zu schauen.

Kyungwoo Chun: 1592Nr1 und Nr2
Kyungwoo Chun: Departure Songs
David Zink Yi: El Festejo

Für das von 2006 bis 2008 andauernde Fotoprojekte >Thousands< begab sich der Südkorea geborene  und heute in Seoul und Bremen lebende Künstler Kyungwoo Chun auf eine Recherchereise in die chinesische Provinz Henan. Dort machte er sich auf die Suche nach Menschen mit demselben chinesischen Familiennamen und wurde fündig. „Chun“ ist nicht nur ein gängiger Name in der Region, sondern bedeutet „1000“ auf Chinesisch. Der Bedeutung seines Familiennamens folgend, hat Kyungwoo Chun tausend weitere „Chuns“ portaitiert und auf den Fotos deren Geburtsorte und –daten archiviert. Alleine durch die Erkundung des eigenen Namens, erinnert Chun an die bis ins 13. Jahrhundert zurückreichende Geschichte der Chinesen, die nach Korea ausgewandert sind. Einer von ihnen war auch General Chun, der 1592 vom chinesischen Kaiser mit einem Heer ins Feindesland Korea geschickt wurde, dort jedoch sesshaft wurde. Die beiden verschwommenen Fotos eines Mannes in Kämpfermontur, >1592#1 und #2< (2007), verweisen auf die historische Person.

David Zink: Yi El Festejo

Auch David Zink Yis >El Festejo< (2001) vermittelt Geschichte über den Lebenslauf einer Einzelperson. Sein 2-Kanal-Video erzählt von einer Peruanerin, deren Mutter chinesischen und deren Vater afrikanischen Ursprungs ist. Nahaufnahmen ihrer Hände oder eines Auges werden hier neben asiatischen Porzellanfiguren an die Wand projiziert. Zwischendurch sind trommelnde Hände zu sehen und man hört afrikanisch-peruanische Musik. Dass ein chinesisch-afrikanisches Paar auf peruanischem Boden zueinander finden konnte, hängt damit zusammen, dass Afrikaner im 16. Jahrhundert als Sklaven nach Peru gebracht wurden, welche im Laufe des späten 19. Jahrhunderts zunehmend durch chinesische Arbeiter ersetzt wurden. Ähnlich wie die Protagonistin seines Videos ist auch Zink Yi in Peru geboren, ist jedoch das Kind Deutsch-Chinesischer Eltern.

Truong Ngu: Glücklicher Stern
Truong Ngu: Glücklicher Stern
Truong Ngu: Glücklicher Stern

>Glücklicher Stern (Lucky Star)< (2010) ist wie ein Brettspiel aufgebaut. Als Spielplan dient eine chinesische Landkarte, es gibt Spielsteine, einen Würfel und Handlungsanweisungen. Das Spiel ist Bestandteil von Truong Ngus gleichnamiger Performance, bei der der Künstler über den Akt des Spielens vermittelt die Migrationsgeschichte seiner Familie erzählt. Hier bestimmen die Würfel das Schicksal einer Familie, die sich gezwungen sah, ihr Heimatland Vietnam als chinesische Minderheit zu verlassen. Heute lebt und arbeitet Ngu in Berlin.

FX Harsono: Writing in the Rain
FX Harsono: Writing in the Rain

Mit der installativen Videoarbeit >Writing in the Rain< (2011) thematisiert FX Harsono den lange Zeit durch Diskriminierung und Vertreibung geprägten Alltag der in Indonesien lebenden Überseechinesen. Selbst in Ost-Java zur Welt gekommen, lernte Harsono erst vor wenigen Jahren, seinen chinesischen Namen zu schreiben. In dem Video macht er genau dies: es zeigt, wie er den Namen wiederholte Male mit Tinte auf eine Glasplatte schreibt, bis sich die Schrift zu einem abstrakten Muster verdichtet und schließlich von einem starken Regenguss wieder ausgelöscht und fortgespült wird. FX Harsono bezieht sich damit auf eine gesetzliche Anordnung, welche die in Indonesien lebenden Chinesen Ende der 1960er Jahre zwang, ihre Namen in indonesisch klingende Namen umzuändern. In derselben Zeit war es verboten, chinesischsprachige Bücher und Zeitschriften zu verkaufen und das chinesische Neujahrfest zu feiern, chinesischsprachige Schulen im Lande wurden geschlossen und viele Kulturvereinigungen wurden aufgelöst

Tintin Wulia: Study for Wanton
Tintin Wulia: Study for Wanton

Tintin Wulia stammt ebenfalls aus Indonesien, lebt und arbeitet aber inzwischen in Melbourne. Die 4-Kanal-Videoinstallation >Study for Wanton< (2008) zeigt verschiedene Filme im Loop: Mücken in Reagenzgläsern, jemand, der Glückskekse öffnet, eine Fahrt durch eine grüne Landschaft, eine Frau, die verschiedene Nationalhymnen Karaoke singt. Mal auf einem Fernsehbildschirm, mal an die Wand gebeamt, flirren die Filme um einen herum und verleiten zum Gedankenspiel. Dem Ausstellungstext ist schließlich zu entnehmen, dass es sich bei den Karaoke-Liedern um Nationalhymnen von Ländern wie Japan oder den Niederlanden handelt, die Indonesien einmal besetzt haben und dass die Glückskekse, welche seit jeher mit China bzw. chinesischem Essen in Verbindung gebracht werden, ursprünglich gar keine chinesische Erfindung sind (Wer hats erfunden? die Japaner!).

Tintin Wulia: Study for Wanton

 

What is it to be Chinese?
Kyungwoo Chun, FX Harsono, Truong Ngu, Tintin Wulia, David Zink Yi
12.10.-18.11.2012
 
Grimmuseum
Fichtestrasse 2
10967 Berlin
Mi-So 14-19h
 
www.grimmuseum.com
info@grimmuseum.com
Infos zum aktuellen Buchprojekt: www.grimmuseum.com/blog-61/blog-74/index.html

 

 

 

Unser Mann in Nürnberg

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

Danke, vielen Dank, tausend Dank, oh, Du freundliche Nürnberger Congress- und Tourismus-Zentrale, für Deine Einladung! Was, außer Deinem verführerischen, zweitägigen, rundumbetreuten Angebot, hätte mich sonst dazu motiviert, die Stadt Nürnberg zu besuchen? Nichts. Aber du ludst mich ein und ich bekam die Gelegenheit, mir ein Bild der selbstorganisierten Kunstszene der Stadt zu machen. Anlass war allerdings ein anderer: Die Akademie der Bildenden Künste wurde dieses Jahr 350 und zählt somit zur ältesten Kunst-Ausbildungsstätte der Republik. Ein erstaunliches Alter, wenn man bedenkt, dass die erste Kunstakademie des Abendlandes in Florenz weniger als ein Jahrhundert zuvor gegründet wurde. Trotz der ausgiebigen Feierlichkeiten und einer anknüpfenden, hochinteressanten Tagung zur Rolle der Kunstakademie und zum Sinn der Künstlerausbildung, darf die Frage gestellt werden – wer in der weiten Welt hat dieses außergewöhnliche Jubiläum wirklich wahrgenommen? Denn wer im Jahr 2012 sein Blick nach Nürnberg gerichtet hat, konnte vor allem Eines sehen: Dürer.

Der „berühmteste Sohn der Stadt“ (ein geflügeltes Wort, das ich zu oft zu hören bekam) bleibt – fast 500 Jahre nach seinem Tod – ein gnadenloser Egozentriker, der alle Scheinwerferlichter auf sich monopolisiert und keine Konkurrenz duldet. Die vermutlich letzte umfangreiche Schau von Dürer lockte in den vergangenen Monaten bis zu 300.000 Menschen nach Nürnberg. Die Zahl der z.T. weitgereisten Gäste, die im Anschluss an ihren Besuch des Germanischen Nationalmuseums auch noch einen Fuß in das (architektonisch) wunderbare Neue Museum gewagt haben, ist zwar nicht erfasst worden, dürfte jedoch nach Aussage der Museumsdirektorin Angelika Nollert, sehr gering sein. Wer zu Dürer geht, hat u.U. seine Schwierigkeiten mit Richter, Kiecol oder Taffe. Und kann mit der sehr jungen Kunst, die in der AdBK produziert wird, nichts anfangen.

Akademie der Bildenden Künste

Wie viele von den Dürer-Fans und anderen Frankenophilen wissen eigentlich, dass die Stadt über eine so schöne Kunstakademie verfügt? Die von Sep Ruf in den frühen 1950er Jahren erbauten Pavillons, in denen die einzelnen Klassen untergebracht sind, liegen idyllisch am Stadtrand, umgeben von hohen Bäumen, offen zum Himmel und zur Natur. Nach den schweren Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft, die besonders in Nürnberg wie Blei gewogen hatten, bildete Rufs humanistische und zuversichtliche Architektur den Versuch, eine längst verlorene Leichtigkeit und Durchlässigkeit wieder zu finden. Die klaren Linien und die offene und transparente Struktur der Anlage zeugen bis heute von einem euphorischen Zukunftsglauben. Die Stadt lag noch in Schutt und Asche; abseits der zerstörten Welt von gestern wurde an einer neuen Welt gearbeitet.

Bildhauereiklasse

Die AdBK ist ein leider wenig bekanntes oder gar verkanntes Musterbeispiel der modernistischen Architektur und zählt mit Sicherheit zu den schönsten Kunstakademien der Republik. Allerdings ist auch sie von den globalen Entwicklungen im Bereich der künstlerischen Ausbildung betroffen. Ursprünglich für 150 Studierende konzipiert, zählt die Anstalt heute mehr als zwei Mal so viele Schüler. Der Raumnot ist überall sichtbar, wird aber besonders in den Bildhauerei-Ateliers eklatant. Um die vorhandenen Werkstätten zu entlasten und die angehenden Kunsterzieher (zurzeit in der 15 Kilometer weiter gelegenen Stadt Lauf untergebracht) zu integrieren werden gerade weitere Pavillons gebaut, die die filigrane Achse von Sep Ruf verdoppeln sollen. Es ist noch zu früh, um zu sagen, ob das harmonische Ensemble dadurch aus dem Gleichgewicht geraten wird, aber diese Erweiterung ist als Wachstumssymbol unverkennbar. Und trotz dieser positiven Zukunftsaussichten, scheint die Akademie weit von einer Integration in – oder von einer Akzeptanz durch – die Stadt entfernt zu sein. Eine Perle vor die Säue?

Bild: Stadt Nuernberg/Ralf Schedlbauer
Vorbereitung für die Ausstellung „Prospekt“ der Akademie im Neuen Museum

Das relative Desinteresse der Bürger an ihrer Kunsthochschule muss nicht in deren geographisch abgelegener Position gesucht werden. Es muss auch nicht in der kommunikativen Zurückhaltung der Anstalt gesucht werden – denn in diesem Bereich wird Einiges bemüht, wie die zurzeit stattfindende Kooperation mit dem Neuen Museum beweist. Die Bürger Nürnbergs scheinen sich einfach überhaupt nicht für zeitgenössische Kunst zu interessieren. Es gibt hier keine seriöse Galerie, die auch nur eine regionale Bedeutung hätte. Es gibt keinen charismatischen Kunstsammler, der eine Vorbildfunktion übernehmen konnte. Das eben erwähnte Neue Museum wurde erst im Jahr 2000 eröffnet; und das Gebäude von Volker Staab zählt zwar zu den gelungensten seiner Gattung in der deutschen Museumslandschaft, gilt aber als Spätgeburt – und mit jährlich 20.000 Besuchern wirkt es als mäßiger Publikumsmagnet. Immerhin findet man in Nürnberg einen Kunstverein. Und eine Akademie der Bildenden Künste. Aber das Volk wandert weiterhin zu Dürer.

Die Chance von Nürnberg ist auch ihr Fluch. Die Stadt ist durch und durch von der Geschichte geprägt – oder: von der Geschichte geplagt. Die Kaiserpfalz, Sitz von regelmäßigen Reichstagen im Mittelalter, blühende Handels- und Kulturmetropole bis zur Neuzeit, dynamischer Industriestandort im 19. Jahrhundert und Machtzentrum des Nationalsozialismus, hat nichts vergessen. Überall ist die Geschichte dieser „deutschesten aller deutschen Städte“, so Goethe, abzulesen. Trotz der Beinahe-Vernichtung der Frankenmetropole im zweiten Weltkrieg ist die Last der Vergangenheit deutlich zu spüren. Keine Überraschung, dass Nürnberg zu einer in erster Linie historischen Stadt erklärt wurde. So preist die Werbegemeinschaft „Magic Cities“, ein Zusammenschluss der Stadtmarketingbüros der größten deutschen Städte, der sich um eine geschlossene Kommunikation des City-Images und damit um die Erhöhung der touristischen Attraktivität bemüht, Berlin als „City of cool“, Hamburg als „Maritime City“, München als „City of lifestyle“ (oh, Gott!) – aber Nürnberg ist und bleibt die „City of history“.

Bild: Uwe Niklas

Es mag sinnvoll sein, den historischen Reichtum der Stadt als Marketing-Argument zu nutzen und eine globale Imagestrategie danach zu richten. Besonders zukunftsweisend ist dies allerdings nicht. Gerade nach der Insolvenz von Quelle hat Nürnberg eine weitere wirtschaftliche Größe verloren, und es sind nicht Dürer und die Staufer, die die innovativen, erlebnishungrigen und kulturell interessierten Investoren und Arbeitnehmer, die die Stadt unbedingt braucht, anziehen werden. Der rückwärtsgewandte Blick könnte also fatal sein. Für die junge Kunstszene ist dieser Blick jedenfalls unheilvoll. Denn was geschieht in einer solchen Stadt mit den jetzigen und damaligen Akademikern? Wo gehen die jungen, eben fertigstudierten Künstler hin, wenn sie ihre Ausbildung abgeschlossen haben? Wie finden sie einen Anschluss an den regionalen oder nationalen Kunstbetrieb? Anscheinend werden sie zu Taxi-Fahrern oder Christkindlmarkt-Verkäufern. Oder sie verlassen die Stadt und kommen nur für die nächste Dürer-Ausstellung wieder. Jedenfalls sind sie nicht präsent. Sie unternehmen nichts, um eine alternative Szene aufzubauen, ihre Arbeit an die Öffentlichkeit zu bringen, eine Lobby zu gründen. Sie erobern keinen Leerstand. Sie schließen sich nicht zusammen, um ihre Ressourcen zu vereinen und eine stärkere Wirkung zu entfalten. Warum denn auch die liebe Mühe? „Hier fehlt das Gefühl, dass jemand sich eine neue Ausstellung wirklich anschauen will“, erzählte mir ein Student der AdBK. Wer sollte denn schon zu den regelmäßigen Shows einer vermeintlichen Off-Szene hingehen?

Bild: Steffen Oliver Riese

Bis auf den Kunstbunker, eine Art Post-Punk-Institution des überschaubaren Nürnberger Kunstbetriebes, deren Stichhaltigkeit ich leider nicht überprüfen konnte, und dem AEG-Gelände, einer von Künstlerateliers bespielten industriellen Brache, die ab und an die eine oder andere Ausstellung auf die Beine stellt, ist nichts in dieser Stadt, das auf eine lebendige und autonome Kunstszene hinweisen könnte. Trotz der großstädtischen Struktur (mit einer halben Million Einwohner ist Nürnberg kaum kleiner als Düsseldorf oder Leipzig) und trotz der Präsenz einer Kunstakademie, ist hier keine selbstorganisierte Szene vorzufinden. Weitere Faktoren wären notwendig, um eine solche Alternative zu etablieren: ein poröser und internationaler Humus, in dem sich verschiedene Subkulturen begegnen (Berlin), eine Tradition der Kunstrezeption, die das Neue willkommen heißt (Köln), eine Tradition des politischen Widerstandes und der Autonomie (Hamburg) oder eine dezidierte kommunale Kulturpolitik, die die Nische als Chance auffasst (Düsseldorf). All diese Faktoren vermisst man in Nürnberg.

 

Deine Geduld, geneigter Leser, weiß ich zu schätzen. Ich habe am Anfang des Artikels einen Bericht zur Nürnberger Off-Szene angekündigt und brauchte die Umwege über Dürer, die AdBK und die historisierende Orientierung der Stadt, um endlich auf dem Punkt zu kommen. Und schließlich so gut wie nichts vorzulegen. Aber auch wenn ich nicht gefunden, wonach ich explizit gesucht habe, wurde die Studienreise erkenntnisreich. Mir liegt der Gedanke einer Instrumentalisierung der freien und selbstorganisierten Kunstszene zu Zwecken des Stadtmarketings sehr fern (das muss ich hier nicht beweisen), aber, durch den vielen und langen Gesprächen mit den mitreisenden Blogger-Kollegen und Nürnberger Künstlern und Kuratoren, wurde mir klar, welche Impulsen diese Kunstszene und – allgemeiner – die zeitgenössische Kunst für eine Stadt leisten und wie sie zu einer Dynamik des wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwungs beitragen können. Und da fungiert Nürnberg als Negativbeispiel. Die Reise war kurz, die Eindrücke gewiss oberflächlich, aber in diese Stadt habe ich eine Teilbestätigung mancher Creative Class-Thesen erhalten – und bin der Ansicht, dass man Richard Florida nicht so schnell abschreiben sollte, wie die deutsche Wissenschaft tut.

Pierre Beloüin über das Abenteuer der Glassbox

Das Gespräch führte Emmanuel Mir.

Vielen Dank an Havva Erdem für die Korrektur der Übersetzung!

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Pierre Beloüin in his magnificent splendor

 

Du bist Gründungsmitglied der Glassbox in Paris, einem Projektraum, der als einer der ersten dieser Art in Frankreich galt. Kannst du auf die Geschichte des Raumes und der Gruppe zurückkommen?

Während meines Studiums an der Beaux-Arts de Paris, Mitte der 1990er, hatte ich bereits das Label Optical Sound lanciert und war auf der Suche nach Formen der Zusammenarbeit, nach möglichen Synergien. Alles hat mit einem Treffen mit Sandie Tourle, Frédéric Beaumes und Gemma Shedden angefangen. Sie haben mich gefragt, ob ich mich nicht zu ihnen gesellen wollte um, unter anderem, Webmaster der Galerie-Homepage zu werden – damals stand das Web ja noch in den Kinderschuhen. Das sollte also meine Spezialität werden, aber, wie alle anderen Gründungsmitglieder der Gruppe (es waren übrigens alle Künstler), war ich vielseitig beschäftigt. Neben den eben genannten Menschen, gehören übrigens auch Laurence Delaquis, Stefan Nikolaev und Jan Kopp zu den Gründungsmitgliedern der Glassbox.

Gemma, eine Engländerin,  war damals die Lebensgefährtin von Stefan Nikolaev. Beide waren in Großbritannien schon mit dem Phänomen des artists run spaces in Berührung gekommen und sie haben praktisch das Model einer selbstverwalteten Galerie, deren Programm von Künstlern bestimmt wird, nach Paris importiert. Auf dieser Basis wurde der Verein „Smart“ gegründet und man fand bald einen modulierbaren Raum von 120qm (konzipiert vom Architekt Marc Borel) im 11. Arrondissement von Paris.

v.l.n.r.: Gemma Shedden, Pierre Beloüin, Jan Kopp, Stefan Nikolaev, Frédéric Beaumes. Bild ©Philippe Munda

 

Du meinst, dass es damals keine andere Initiative dieser Art in Paris gegeben hat? Habt ihr also den ersten artists run space der Hauptstadt gegründet?

In dieser Form waren wir in der Tat die Ersten. Man sollte natürlich die E.P.E (Etablissements Phonographiques de L’Est) auf der Strasse des Chemin Vert erwähnen, oder auch Circuit Court, aber diese Projekte waren in erster Linie auf Musik und Film konzentriert. Die Usine Éphèmere oder die Frigos waren auch aktiv, aber es handelte sich da eher um Künstlerateliers als um reine Showrooms. 1997, nach der Gründung von Glassbox, sind weitere Projekte entstanden, wie Console, Lap’s, Place des fêtes, Immanence, 2 Pièces cuisine, Accès Local, Infozone, Eof, PPR, etc…

 

Wie erklärst du dir die Tatsache, dass diese Art von Initiative sich erst so spät in Paris entwickelt hat?

Vielleicht liegt es daran, dass die jungen Künstler und andere kulturelle Akteure, die zu diesem Zeitpunkt in der Hauptstadt arbeiteten, eine  Art „Was soll’s“-Haltung pflegten. Es gab jedenfalls eine lasche Einstellung der Künstlerschaft, meilenweit von der punkigen Idee eines „Do it yourself“ entfernt – einer Idee, die wir wiederum auf die zeitgenössische Kunst übertragen wollten. Nachdem die autonomen Squats (damit sind wilde Ateliers gemeint, die in verlassenen Industriestandorten errichtet werden) von der Stadt Paris nicht mehr geduldet und in den späten 80ern aufgelöst wurden, gestaltete sich die Gründung von nicht-offiziellen Initiativen schwierig. Das hat Einige sicherlich demotiviert.

 

 

Wie sah der Raum aus?

Es war ein Lokal von 120qm und wir bespielten das Untergeschoss des Hauses. Es gab auch einen Garten und große Fenster, durch die wir auf den Projektnamen gekommen sind.

 

Was war eigentlich eure Motivation ?
Die französische Kunstszene orientierte sich hauptsächlich an Galerien und Institutionen. Wir wollten da einen autonomen Impuls generieren. Mit dem in Frankreich völlig unbekannten Modell der artists run spaces als Inspiration, wollten wir eine dynamische und vielseitige Kreation unterstützen.

 

Wie wichtig war der Aspekt der Selbstvermarktung für euch?  Wie man es an den heutigen Off-Spaces unschwer feststellen kann, gehört die Gründung und das Betreiben eines künstlerischen Projektraumes zu einer beliebten Strategie, um das persönliche Netzwerk zu pflegen und zu erweitern, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erreichen und sich im lokalen künstlerischen Feld zu behaupten. Haben solchen Gedanken damals eine Rolle gespielt?

Unbedingt! Das war auch eine unserer Motivationen. Aber uns ging es vor allem darum, einen Erfahrungsschatz aufzubauen, Verwaltungsaufgaben zu bewältigen, zu lernen, die Organisation einer Ausstellung zu beherrschen, Künstler zu treffen, etc. Dies sind Dinge, mit denen man sich in einer Kunsthochschule nicht konfrontiert.

Damals war diese Form der Arbeit allerdings nicht unproblematisch, denn die von uns vorgenommene Öffnung und Interdisziplinarität war nicht besonders geschätzt. Es war zum Beispiel leicht anrüchig, gleichzeitig Künstler und Kurator zu sein, während es später eher akzeptiert wurde, Kritiker und Kurator zu sein.

 

Wie waren die Reaktionen des Publikums und der Künstlerschaft unmittelbar nach eurer Gründung?

Wir hatten das vielfältigste Publikum, das man sich vorstellen kann. Galeristen, Institutionsvertreter, Kritiker, Künstler und Nachbarn waren da. Von Anfang an haben wir eine sehr gute Resonanz bekommen. Das mag an dem guten Programm, an der Qualität der Werke und der Präsentation gelegen haben und auch an dem innovativen Konzept der Glassbox oder der professionellen Kommunikationsarbeit, die wir da geleistet haben. Sicherlich hat auch das Sponsoring von Ricard ein Übriges getan!

Ich erinnere mich, dass die Qualität unserer Ausstellungen, aber auch die Relevanz unserer Partner und unsere Presseresonanz beneidet wurden. Dabei haben wir alles mit bescheidenen finanziellen Mitteln realisiert. Ausschlaggebend war unsere Kompromisslosigkeit und die Tatsache, dass wir eine geschlossene Teamarbeit geleistet haben und dass jeder in seinem Bereich brillierte. Es war eine sehr intensive Zeit.

War der direkt-urbane Kontext der Glassbox besonders wichtig für euch? Habt ihr euch nur aus ökonomischen Gründen im 11. Arrondissement angesiedelt?

In der Tat war der Ort um Oberkampf herum, der damals generalüberholt wurde, ziemlich wichtig. Vor allem mit der Eröffnung des Café Charbon, das schnell als einer unserer Partner fungieren sollte, wurde das Viertel Bastille entlastet. Die typische Kundschaft der Bastille, die, wie du weißt, aus einer Mischung aus  populärer und trendig-kreativer Bevölkerung besteht und für eine besonders stimulierende Atmosphäre sorgt, sollte ins 11. Arrondissement gelockt werden. Jedenfalls stand die Straße, in die wir gezogen waren, gerade in einem größeren Wandlungsprozess. Es wurde da viel gebaut, aber viele Geschäfte oder Hotels standen noch leer. Und abgesehen von der Tatsache, dass unsere Miete sehr moderat war, wollten wir einerseits am Stadtteilleben teilhaben und andererseits zeitgenössische Kunst zugänglicher machen.

 

Wie habt ihr euch finanziert ?

Wir erhielten eine Förderung der Stadt, der DRAC Ile-de-France (Kulturbehörde auf regionaler Ebene) und der Caisse des dépôts et consignation (staatliches Finanzinstitut), sowie privater Sponsoren wie dem Café Charbon, dem Café Mercerie, La Mère Lachaise oder dem Espace Paul Ricard – eine Seltenheit zu diesem Zeitpunkt.

 

Habt ihr eine besondere konzeptuelle Linie gefolgt ? Wie wurde das Ausstellungsprogramm bestimmt?

Glassbox zeigte französische und ausländische Künstler, stellte die Arbeiten fremder Künstler sowie der eigenen Betreiber aus und vertrat sowohl die Sparte der Bildenden Kunst als auch die des Designs, der Architektur und der Musik. Es wurde vor allem an einer Öffnung der Disziplinen, der Kulturen – und der Orte – gearbeitet. Wir haben immer wieder neue Vernetzungen mit verwandten Strukturen gesucht (wie Attitude, In Vitro, Field, Kaskadenkondensator, büro, light cone, icono etc…) oder fremde Kuratoren eingeladen (hier könnte man Cécile Bourne oder Robert Fleck nennen). Auch die Interaktion mit dem Publikum oder externe Interventionen waren uns wichtig.

Unsere erste Programmausstellung fand am 4. Oktober 1997 statt und hieß „Ne me quitte pas“. Neben der Liebesthematik, die ich für meine Installation absichtlich wörtlich genommen hatte, ging es da um die kulturelle Entwurzelung der Raumbetreiber.

 

Du hast vorhin behauptet, dass bei der Gründung von Glassbox die französische Kunstszene eher kommerziell oder institutionell ausgerichtet war. Hast du, 15 Jahre später, das Gefühl, dass sich etwas verändert hat und dass autonome Präsentationsmodi an Gewicht gewonnen haben ?

Die semi-autonomen Ausstellungsstrukturen haben sich auf jeden Fall vermehrt, und dies in der Provinz noch stärker als in Paris selbst – vielleicht, wie damals schon, aufgrund der hohen Mietpreise in der Hauptstadt. Die Förderungsmodi haben sich jedoch wenig verändert und sind nach wie vor beschränkt…

Wenn man die heutige Pariser Projekträume betrachtet, merkt man, dass sie nicht mehr so lange bestehen bleiben wie damals und dass ihre Laufzeit sehr von der freiwilligen Energie abhängt, die jeder im kollektiven Projekt zur Verfügung stellt. Soviel ich weiß, haben sich viele Akteure der Szene irgendwann dazu entschieden, mehr für ihre eigene Arbeit zu tun oder irgendwelchen bezahlten kuratorischen Tätigkeiten nachzugehen.

Um deine Frage zu beantworten, kann man sagen, dass sich nichts verändert hat. Bis auf die Tatsache, dass die Zahl an echten selbstorganisierten Strukturen abnimmt, während institutionelle oder institutionalisierte Strukturen, die einen Off-Modus aufweisen aber dessen Kuratoren und Leiter sich von der öffentlichen Hand bezahlen lassen und institutionsabhängig sind (deshalb nenne ich sie „semi-autonomen“), gedeihen.

Wie, wann und warum ging das Glassbox-Abenteuer zu Ende ?

Mein Beitrag zum Projekt hörte 1999 auf, als ich mein Diplom der Beaux-Arts absolvierte und mehr Zeit für die eigene Arbeit benötigte. Ich hatte bereits vieles ins Glassbox-Unternehmen investiert. Zudem gab es Streitereien im Team wegen einer Frau (meiner damaligen Freundin, wohlgemerkt, die mich für ein Vereinsmitglied verließ…) und ich dachte mir, dass es eine günstige Zeit wäre, meine symbiotische Beziehung zum Projekt abzuschließen. Danach wechselte das Team regelmäßig; neue Persönlichkeiten wie Dominique Blais oder Julien Fronsacq kamen hinzu. 2006 musste Glassbox die Räumlichkeiten in der rue d’Oberkampf verlassen, blieb lange raumlos und hat sich wohl vor kurzem in der rue Moret eingenistet. Viele der damaligen Gründungsmitglieder sind übrigens  aus der Kunstproduktion oder –vermittlung ausgestiegen.

Am Fuße der Metamoderne

Wenn man ueber den Berg ist, gehts wieder bergauf.
Wo befinden wir uns gerade?

Postmoderne ist over, anything goes zwar noch hochaktuell, aber nicht mehr en vogue. Der basisdemokratisch organisierte Pöbel errichtet den Metaaether, kontrolliert ihn über Twittertwittertwitter und löst das bürgerlich geprägte Kapital als höchste Kontrollinstanz ab.
Der gute alte Onkel Ford fährt langsam seine Fließbänder runter und Ifacegoogle übernimmt per Nexus4!

Das Bild wird langsam deutlich und klar, wir befinden uns bereits am Fuße des nächsten 8000ers, der diesmal heißt Metamoderne.
Die neue Losung lautet also von nun an: Erklimmen und abseilen!

westgermany ist der new way! – by Powergalerist Hamburg, 10/2012

Wenn Sie die obige Aufnahme nicht über unsere Webseite hören können oder wollen, können Sie diese selbstverständlich gerne herunter laden. Das

mp3-file steht wie immer unter der Creative Commons License CC BY-NC 2.0 zum Download bereit: pissen_scheissen_sein_am_fuße_der_metamoderne.mp3

// Collaboration Credits 2 GB, GG, JT, KE, LB, MH // no copyright 2012

Eine Performance von Taka Kagitomi im Atelier am Eck

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

 

Nach seiner Ausstellung im Gagarin vor ein paar Wochen, schlug Taka Kagitomi ein zweites Mal in der Landeshauptstadt zu. Zusammen mit der Malerin und Fotografin Barbara Kruttke zeigte er seine Objektassemblagen im Atelier am Eck, einem kleinen Show-Room, der seit beinah 20 Jahren von der Stadt Düsseldorf unterhalten wird.

Foto: Adam C. Oellers

Der begnadete Bricoleur kreiert surrealistische Geräte aus Materialfundstücken, die an Möbel, Musikinstrumente oder vergessene Werkzeuge erinnern. Ganz im Geiste des Fluxus, können und sollen die Steampunk-Assemblagen auch angefasst, verwendet und mit diesen auch gespielt werden. Ihr poetisches Assoziationspotential erschöpft sich also nicht in der Skurrilität ihrer Erscheinung oder in einem vermeintlich spektakulären Aha-Effekt, sondern appelliert an die Bereitschaft des Besuchers, die übliche rezeptionelle Passivität zu verlassen und etwas zu tun.Und wenn der Besucher nichts tut, tut Kagitomi selber etwas. Zum Abschluss der kurzen Ausstellung führte der Japaner eine ebenso kurze Performance mit einem seiner Exponate durch.

Foto: Adam C. Oellers

„Instrumental Alchemist“ besteht aus Besen-, Stuhl- und Schaukelstuhlelementen sowie aus einer kleinen metallischen Weltkugel, die von einem eingebauten Motor in Bewegung gebracht werden kann. Auf dem Boden erinnert das Instrument vage an eine Harfe oder an einen barocken Schlitten; der Korpus, an dem Saiten aufgespannt sind, kann aber auch auf dem Rücken getragen werden. Durch kleine Bedienungshebel wird die Weltkugel in Schwingungen versetzt, schlägt gegen die Saiten und das hölzerne Gerät fängt an, Töne von sich zu geben.

Kagitomis Klangkörper wurde während der Performance zunächst durch ein Kruzifix und einen Gitarrengriff bespielt, später auf dem Rücken des Künstlers durch die Umgebung transportiert – und verschwand schließlich hinter einem Busch.

 
Die Performance fand am 21.10.2012 im Atelier am Eck statt

Interview mit Chiara Passa, der Gründerin der Widget Art Gallery bei Rhizome

Die Widget Art Gallery – kurz WAG – ist eine 3-dimensionale Galerie, die aus einem einzigen Raum besteht und in jede Tasche passt, denn sie läuft auf dem Iphone, dem IPod Touch und dem IPad.
Chiara Passa hat diesen experimentellen Ausstellungsraum im Juli 2011 eröffnet und seit dem im monatlichen Wechsel 13 verschiedene Arbeiten internationaler Künstlerinnen und Künstler präsentiert. Jeden Monat wird dem Publikum direkt auf dem eigenen Smartphone eine digitale Einzelausstellung präsentiert.

„All for you forever“ by Andrew Benson, Juni 2012

Rhizome hat ein Interview mit Chiara gemacht, welches Ihr hier findet. Die Webseite des Projekts befindet sich hinter diesem Link.

‚Operatic Narcoleptic‘- Lorna Mills, Oktober 2011

Die Links zum Installieren der WAG befinden sich auf der Webseite.

Chiara Passa
http://the-widget-art-gallery.blogspot.de/

Alles kann – die Welt als Kunst. Ein letzter Kommentar zur documenta 13

von Dominik Busch (Düsseldorf)

 

Anfang Juni 2012 beschwor Hans-Joachim Müller in der „Welt“ noch das Recht der Kunst als soziale Handlungsform und erinnerte in einem historischen Aufriss vergangener Weltausstellungen an die Vergangenheit einer Kunst als säkularisierter Religion. Einige Tage nach der Eröffnung der d13, der 13. documenta in Kassel, mag er sich jener Worte erinnert und deren Veröffentlichung möglicherweise bereut haben. Denn was an Berichterstattungen über die documenta im Folgenden erschien, ließ sich durchaus als Kritik jenes Volksgeschehens pseudoreligiöser Art lesen. So besprach man beispielsweise an zahlreichen Stellen die stetig durchscheinende Allmacht der Kuratorin Carolyn Christov-Barkagiev, deren Konzept hermetischer Geschlossenheit vorgeführt, gerügt und gewissermaßen in sträfliche Nähe zu Wagner gestellt, die Rollenverteilung zwischen Künstler und Kurator gar in ihrer Praxis angezweifelt wurde. Christov-Barkagiev erschien bisweilen als die eigentliche Künstlerin der documenta, ausreichend viele Berichte zeugten von einer Art der Überwachung, die künstlerische Praktiken massiv einschränkte und versuchte zu institutionalisieren.

Foto: Eduardo Knapp

Neben dieser rein an „CCB’s“ kuratorischer Arbeit ansetzenden Kritik, verwirrte sie jedoch zeitweise selbst mit beispielsweise der Forderung nach dem Wahlrecht für Hunde und Erdbeeren, da sich ihrer Meinung nach in „einer wahren Demokratie alle äußern dürfen“[1]. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung klingen die Worte der Kuratorin wie im Nachhall Joseph Beuys’. Sie spricht von natureigenen Schöpfungen als der Kunst gleichwertigen Bestandteilen der Welt und macht aus „Jeder ist ein Künstler“ „Alles ist ein Künstler“. Sie sieht keinen grundlegenden, will sagen strukturellen Unterschied zwischen einer Frau oder einem Hund, einem Menschen oder einer Pflanze. Noch in dem Moment, in dem sie Heideggers Zitat „Wir wissen, dass wir sterben müssen, die anderen Tiere nicht“ für ihre Argumentation gegen eine menschenzentrierte Auffassung von Kunst anführt, missinterpretiert sie die Intention des Philosophen, der sich vielmehr auf seinesgleichen bezog, als auf das Sein der Tiere.

Christov-Barkagiev geht es jedoch um die Emanzipation der Tiere und die Emanzipation der Pflanzen. Aha. Das verwundert allerdings nur bedingt weniger, wenn man ihre Ablehnung der westlichen Philosophie sowie des gesamten Intellektualismus des 20. und 21. Jahrhunderts in Betracht zieht. Geradezu paradox mutet dies in Bezug auf die Wahl ihrer Referenzen an. Was bleibt ist der Nachgeschmack einer Selbstinszenierung zwischen Schamane und Revoluzzer, zwischen Naturgeist und Atomphysiker, der sich die paradoxe Intervention auf seine Fahne geschrieben hat. Folgerichtig, dass die offizielle Pressemappe zur d13 aus drei Fotografien zu Giuseppe Penone, neun zu Jimmie Durham, aber gleich neunzehn zur Kuratorin selbst inklusive Abstract besteht. Das von Seiten der Presse verliehene Alias CCB’s – „Madame Maybe“ – scheint sowohl in Bezug auf ihre kuratorische Schlagrichtung, als auch auf ihr Hierarchieverständnis nicht ganz unpassend gewählt.

Aber lassen sich „diese ganze Maybe-Rhetorik der Kunstvermittlung, die Sichtschutzwände endloser Textgebirge, die allerorten aufsteigenden verbalen kosmischen Nebel der Ambivalenzen und Relativierungen“ wirklich derart leicht klassifizieren oder stehen wir letztendlich als einer dieser „traumatisierten Kunstkritiker“ da und stellen fest, dass wir den Schuss nicht gehört haben, weil jede Art von Kritik von Vornherein impliziert und damit unwirksam war?

Foto: Nils Klinger

Akzeptieren wir ruhig für einen Moment die mögliche Lesart der d13 als Gesamtkunstwerk, akzeptieren wir meinetwegen auch jene im Sinne Wagners, die infolgedessen zu Noten in der Partitur der Kuratorin degradierten Künstler und eine zum seienden Nichts aufgeblasene Kunst – so vermag der Philosoph doch ein Konzept zu entdecken, welches unausgesprochen bleibt, da es doch zumindest polarisiert. Ein ebenso hochaktuelles wie diskussionswürdiges Konzept, welches in seiner Ur-Form Luhmann, Deleuze und Foucault erkennen lässt und Ende der 90er unter dem Namen „Relationale Ästhetik“ veröffentlicht wurde. Das Konzept des Kunstkritikers Nicolas Bourriaud blieb nicht lange unkommentiert und erfuhr bisweilen harsche Kritik seitens der zeitgenössischen Philosophie[2], welche der Relationalen Ästhetik per definitionem Willkür, Zufall und Mangel an Referenzen unterstellte. Bourriauds Definition der „Relationalen Kunst“ als einem „Set künstlerischer Praktiken, welches als seinen theoretischen und praktischen Ausgangspunkt eher die Gesamtheit der menschlichen Beziehungen und deren sozialen Kontext nimmt, als einen unabhängigen oder privaten Raum.[3] darf also durchaus kritisch gegenüber gestanden werden und ist in dieser Form sogar aufgrund ihrer Unbestimmtheit das Beste Argument gegen sie.

 

Unabhängig jedoch von der argumentativer Folgerichtigkeit des Konzepts erscheint diese Definition als eine gleichermaßen theoretisierende wie prägnante Verbalisierung der Kasseler Weltausstellung. In den Worten Georg Diez’ führt die d13 „die Überlegenheit der Kunst vor, weil Kunst eben eine Methode ist und keine Form, nicht festgelegt wie Theater, Film oder Literatur. Weil die Kunst damit so sehr dem entspricht, was diese Zeit fordert: verschiedene Dinge zu bündeln, […] den Traumata unserer Zeit nachzuforschen, der Chronologie zu entfliehen, Geschichten zu sammeln, die Welt zu erfassen, sinnlich wie intellektuell.“ Nach Meinung des Autors stimmt Diez nur zu überschwänglich in die Lobreden dieser ach so politischen documenta ein, dieser weltverbessernden, politisch korrekten und polyformalen documenta, welche sich letztlich doch zumeist nur banaler, formloser und angestrengter Kunst widmet, die auf Biegen und Brechen hochkomplexe Bezugssysteme aufstellen zu wollen scheint, welche jedoch letztlich im Nichts verlaufen. Der politische wie feministische Impetus, das evozierte ökologische wie technoinnovative Bewusstsein der Besucher bleibt ebenso ungelenkt, uferlos und beliebig, wie die Aussage darüber, was hier eigentlich Kunst ist. Hätte die Kuratorin dieser Uferlosigkeit entgegengewirkt, die angestrebte Diskussion hätte sich deutlich substanzieller gestaltet.

 

Die Berücksichtigung von Polykontexturalität ist indes kein neues Vorgehen, das interobjektive Befragen der Werke ebenso wenig wie das Tanzen, Lesen oder Kochen im Ausstellungsraum. Aber wann gab es zuletzt eine Kuratorin, die dies alles unter einem Dach vereinte? Wann gab es zuletzt eine Kuratorin, die der eigentliche Star, der eigentliche Künstler ihrer Ausstellung war und gewissermaßen als Urheberin jeder einzelnen kommunikativen Einheit verstanden werden konnte? Gab es jemals eine derart hochkomplexe Diskussionsplattform, die bei ausreichender Auseinandersetzung die Grenzen ihres Systems tatsächlich auf die gesamte Welt auszudehnen vermochte?[4] Falls dem so sein sollte, darf man sich durchaus einigen Aspekten der kritischen Reflexion der d13 anschließen. Falls nicht, findet sich CCB aktuell absolut zu Recht auf Platz eins der artreview Top 100. Wie lange sie dort zu bleiben vermag, hängt indes von einer Unzahl komplexer Bezüge ab.

 

Sämtliche Abbildungen sind dem offiziellen Pressematerial der documenta entnommen (http://www3.documenta.de/de/presse/oeffentlichebilder/).


[1] Vgl. die Berichterstattung der Welt, der Neuen Zürcher Zeitung, der Süddeutschen Zeitung, der Zeit, der FAZ, des Spiegels, des art-magazins, des monopol-magazins sowie diverser Blogs, bspw. perisphere.de. Sinngebend für einen Großteil der Debatte war das von Kia Vahland auf sueddeutsche.de geführte Interview mit Carolyn Christov-Barkagiev.

[2] Vgl. u.a. Jacques Rancière; Der emanzipierte Zuschauer; Wien 2009

[3] Bourriaud, Nicolas; Relational Aesthetics; Les presses du réel 2002; S. 113

[4] Im Unterschied zu den anderen Subsystemen der Gesellschaft verfügt das „Kunstsystem“ über eine gesamtgesellschaftlich-reflexive Beobachtungsfähigkeit. Vgl.: Lehmann, Harry: Die flüchtige Wahrheit der Kunst, Ästhetik nach Luhmann; München 2003 sowie meinen Artikel „Die Kunst der Gesellschaft?“ auf definitionsarephenomena.tumblr.com vom 16.07.2012

Land Art Biennale Mongolia

Im Qjubes-Blog gibt es aktuell einen Artikel mit Bildstrecke über die Land Art Biennale Mongolia 360°, ein wirklich großartiges Projekt in der mongolischen Wüste. Wir verlieren hier keine großen Worte, wer die nachfolgenden Bilder mag sollte hier klicken um mehr zu erfahren.

(via qjubes)

www.landartmongolia.com
Bilderreihe zur Biennale auf facebook

duktil im Hinterconti, Hamburg

Die Gruppe mit dem Arbeitstitel duktil hatte am 19.10. zum vierten und letzten Mal in die Ausstellungsräume des hinterconti geladen. Die lose zusammengehörige Gemeinschaft, bestehend aus Künstlern/-innen mit sehr unterschiedlichen Schwerpunkten, hat das Grundjahr in der HFBK miteinander verbracht. Einige haben Hamburg verlassen und nur wenige studieren in gemeinsamen Klassen. Es gab bei der Ausstellung kein wirkliches Konzept, so stand eher die Party im Vordergrund. Unsere Hamburgkorrespondentin Theda Schillmöller hat mal ein paar wenige Sachen rausgepickt.

Super Idee, tolle Arbeit! Gefällt uns gut.

Sebastian Faßnacht beschäftigt sich seit längerem mit dem Hanky-Tuch und seinen verschiedensten Bedeutungen in der Schwulenszene.

Fotos: Theda Schillmöller

hinterconti e.V.
Marktstraße 40A
20357 Hamburg

duktil
Eröffnung: 19.10.2012 / 20 Uhr
Öffnungszeiten: 20.& 21.10.2012 / 14 bis 20 Uhr

Cornelia Sollfrank über Remix und Kunst

Die Künstlerin und Forscherin Cornelia Sollfrank schreibt auf der Webseite des Goethe-Instituts Moskau über Remixkultur, bürgerliches Kunstsystem und die Monopolstellung der Kreativität. Sie stellt in Ihrem kurzen Essay zwei Fragen die natürlich auch uns umtreiben.

1. Was bedeutet es für die Praxis der Kunst, wenn der Werkbegriff sich auflöst und massenweise und kollektive kreative Produktion die Rollen von Autor und Rezipient aufweicht – ganz so wie es postmoderne Philosophie in der Theorie vorweg genommen hat?

und

2. Wird das System – wieder einmal – in der Lage sein, die neuen Bedingungen soweit zu kooptieren, dass es selbst nicht mehr gefährdet ist, oder wird mit einem vollständigen Paradigmenwechsel das Kunstsystem, inklusive der Künstler ebenso obsolet werden, wie ein Urheberechtsdogma, das genau darauf beruht?

Meine aktuelle und ganz persönliche Einschätzung zur Frage zwei ist übrigens, dass ‚das System‘ zumindest einmal mittelfristig in der Lage sein wird, die neuen Bedingungen soweit zu kooptieren, so dass es selbst nicht gefährdet wird. Ein guter Freund meinte einmal sinngemäß, dass es nichts geben würde, das nicht ins globale Kunstsystem integrierbar wäre.

Aber es gibt doch auch durchaus Momente in denen ich mir auch etwas anderes vorstellen kann. Diese werden gerade in letzter Zeit mehr. Man wird also sehen, eventuell wird es ja doch noch mal wieder spannend in (oder nach) der Kunst.

Link http://www.goethe.de/ins/ru/lp/kul/dur/dig/rmk/de10024622.htm

Guten Morgen Düsseldorf, guten Morgen Welt!

Warum sind wir, in der Perisphere, immer so gut drauf? Warum ist unser Herz so leicht und von so viele Liebe erfüllt? Warum gehen wir in die Welt mit einem stetigen Lächeln und einer strahlenden Aura und warum können uns die finstere Blicke mancher besonders coolen Künstlern nichts anhaben?

Unser Geheimnis heißt: Das Zellenlied.

Jeden Morgen, kurz vor Sonnenaufgang, versammeln wir uns und singen zusammen. Die befreite Energie dringt in unseren Zellen ein. Diese laden sich regelrecht mit einer positiven Energie auf, die uns den ganzen Tag trägt. Die Trübsal weicht aus, das miesepetrige um uns herum verschwindet, eine neue Kraft brodelt in uns! Wir sind Lichtgestalten! Ich bin der Regenbogen! Probiere es auch aus!

 

Wir wünschen euch eine schöne Woche aus der Perisphere. Und seid lieb zueinander.

 

(Danke an der perisphere-Schwester Steffi Ippendorf für den Hinweis)

Anna Schmitt in Düsseldorf-Reisholz

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

 

Film: Franz Schuier

 

Liebe Anna Schmitt,

in der Hoffnung, Dich kennen zu lernen, habe ich vor wenigen Tagen die große Halle in Reisholz besucht, in der Du Deine Einstandsausstellung als Kuratorin hattest. Natürlich hatte mich auch die Kunst dorthin verschlagen. Aber ich war in erster Linie sehr neugierig zu erfahren, wer Du bist. Denn, obwohl ich mich nicht wenig in der hiesigen Szene herumtreibe, muss ich gestehen, dass ich Deinen Namen noch nie gehört hatte. Im Vorfeld meines Besuchs hatte ich im üblichen Kreis der Connaisseurs nach Dir gefragt, bekam aber stets vage und widersprüchliche Aussagen. Später ertappte ich mich dabei, Deinen Namen zu googeln, um Informationen – oder ein Gesicht – zu erhaschen. Aber das Netz und die Welt sind voll von Anna Schmitts! Hättest Du Dich tarnen wollen, hättest Du keinen besseren Namen finden können.

Foto: Jeannette Schnüttgen
Foto: Jeannette Schnüttgen

Du kannst Dir also vorstellen, wie enttäuscht ich war, als ich letzten Montag erfuhr, dass Du nicht kommen könntest. Du warst auf alle Fälle gut vertreten: Jeannette Schnüttgen und Anne-Katrin Puchner waren vor Ort und haben mich durch die Ausstellung geführt. Sie erzählten mir, dass Kai Richter auch eine wichtige Rolle spielt und dass ihr alle an dieser ersten Präsentation gearbeitet habt. Durch die zwei Frauen wurde ich übrigens bezüglich Deiner Person nicht schlauer. Ihre Antworten auf mein Nachfragen waren rätselhaft und ließen sogar die Deutung zu, dass es Dich gar nicht gibt! Absurd, nicht? Ich vermute jedoch, dass Du genau wie Deine drei Freunde Künstlerin bist. Ich vermute sogar, dass Du skulptural arbeitest. Puchner und Schnüttgen, in geringerem Maße auch Richter, entwickeln ja in ihrer jeweiligen Kunst einen Ansatz, in dem die Spannungsverhältnisse zwischen Form und Fläche, zwischen Zwei- und Dreidimensionalität ausgelotet werden. Interessanterweise war genau dies der rote Faden der Ausstellung – deshalb meine naheliegende Vermutung. Man merkt es ihr an, dass diese Ausstellung eine Gelegenheit für die Künstler-Kuratoren war, ihre eigene Herangehensweise zu überprüfen und sich mit verwandten Positionen zu konfrontieren.

Julia Kröpelin: Hidden Move (2011)
Julia Kröpelin: Hidden Move (2011)

In dieser Hinsicht fand ich die zwei bunten Plastiken von Julia Kröpelin sehr passend. Kröpelin geht zunächst von expressiven, abstrakten, all-over-Zeichnungen aus, die hochkopiert und auf eine kubistisch anmutende Struktur geklebt werden. Die in sich geschlossene, mannshohe Form spielt dabei die Rolle eines Trägers oder Körpers, der die Zeichnungen gleichzeitig hält und in den Raum projiziert. Reminiszenzen an Picasso drängen sich auf. Sowohl der Bezug zur Collage-Technik als auch die Öffnung eines zweidimensionalen Objektes zum Raum hin (und dazu müsste man noch die gebrochene, grobe und kristalline Grundform der Plastik erwähnen) rufen den alten Meister auf den Plan. Du wirst vielleicht denken, dass es ein gewagter Vergleich ist, aber alles in allem hatte Deine Ausstellung doch etwas Klassisches.

Heiko Räpple: Actio (2011)
Heiko Räpple: Karya (2010)
Heiko Räpple: Karya (2010)

Auch die zwei Arbeiten von Heiko Räpple besitzen, trotz des Umgangs mit aktuellen technischen Materialien (seine Stahl- und Gipsskulpturen sind mit Kunststoffaser verstärkt), eine klassisch-moderne Prägung. Die dynamisch anmutenden Karya und Action, ihre unaufdringliche, zurückhaltende aber durchaus selbstbewusste Präsenz im Raum, dieses gelungene Gleichgewicht zwischen Bodenständigkeit und graziöser Leichtigkeit haben mich an manche minimalen Kompositionen von Archipenko oder Brancusi erinnert – ja, der Kunsthistoriker in mir muss sich immer wieder zu Wort melden. Dabei scheint Räpple mehr an der reinen Materialität und Objekthaftigkeit seiner Skulpturen interessiert zu sein als seine illustren Vorgänger es waren. Die Gipsabgüsse von Blechplatten werden gedreht, gezwängt, verspannt und in einem zwiespältigen Schwebezustand gebracht. Diese körpergewordene Grenzsituation fand ich überzeugend.

Max Sudhues: Inverted Invasion (Billard) (2012)

Ich gestehe, es mir ein wenig schwerer mit den Kopien von Max Sudhues getan zu haben. Vor gut einem Jahr hatte ich seine Arbeit im Institut für Skulpturelle Peripherie gesehen und fand das Zusammenspiel mit Jon Moscow gelungen. Hier fiel mir der Zugang nicht besonders leicht; die Relevanz des Motivs blieb schleierhaft. Ich könnte die Kunst der nicht informierten Deutung so weit bringen und im Motiv des Billardtisches und der Billardkugel eine formale Spielerei zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion sehen, oder eine Metapher der Bildhauerei (Fläche und Volumen; Ordnung, Komposition und Hierarchie, Manipulation und Hand-Werk) oder aber eine Projektion von kosmischen Zeichen und stellaren Konstellationen in der Fläche. Ja, liebe Anna, ich kann in diesen Arbeiten Einiges sehen – aber ich fürchte, dass es Sudhues nicht besonders tangiert.

Janine Tobüren: Twig (2012)
Janine Tobüren: Bastard Title (2012)

Sudhues scheint jedenfalls einige Aspekte der komplexen Brücke, die zwischen den Disziplinen der Graphik und der Bildhauerei / Plastik geschlagen ist, verarbeiten zu wollen. Dieser Impetus ist bei Janine Tobüren deutlich klarer ablesbar. Die Münsteranerin und Meisterschülerin von Guillaume Bijl führt seit ein paar Jahren eine kritische Interpretation der Lyrischen Abstraktion durch. In ihrer Beschäftigung mit der New York School, hinterfragt sie die expressionistische, spontane Geste und nähert sich systematisch den Meistern der 50er und 60er Jahren an. Dies brachte sie in der Vergangenheit dazu, Kompositionen von Franz Kline in die Dreidimensionalität zu übertragen. Die beiden Plastiken in Reisholz beziehen sich ihrerseits auf Zeichnungen von K.R.H. Sonderborg. Es sind in Tusche gefasste Holzbalken, die die räumliche Bedeutung des Grafischen hinterfragen und einen distanzierten Kommentar zu Wildheit und Spontanität formulieren.

Das Video von Adriane Wachholz hat auch etwas Wildes an sich. Der kurze Loop zeigt eine Art schnelle Fahrt durch die Natur. Pflanzlich-organische Formen, die rasch vorbei ziehen und verschwinden, bestimmen das Bild. Dieses hat eine kongeniale Präsentation auf der verdreckten und verrosteten Hallentür gefunden. Eine klare Wahrnehmung der Arbeit stellt sich indes nicht ein (vor allem nicht, als die Sonne durch die Halle schien und die Projektion unsichtbar machte). Wenn der Bezug zum Grafischen evident ist, habe ich mich doch gefragt, ob diese Arbeit, wie ihre Nachbarn, wirklich den Raum sucht.

Carsten Gliese: o.T. (2003)
Carsten Gliese: Tür (2003)

Denn auf der gegenüberliegenden Wand ist diese Suche nach dem Raum, bzw. die Abflachung des dreidimensionalen Raums evident. Carsten Gliese ist eigentlich Bildhauer und greift, wenn er nicht mit verschachtelten Modellen arbeitet, die sich einer eindeutigen Raumwahrnehmung entziehen, in den vorhandenen architektonischen Kontext seiner Ausstellungen ein – oder aber auch gerne in Hausfassaden. Hier tritt er ein wenig kürzer und zeigt Fotografien von Lichtprojektionen in verschiedenen Raumsituationen. Die Lichtkontraste sind dabei so hoch, dass die Hell-Dunkel-Abstufungen verschwinden und die Perspektive sich auflöst. Es bleiben abstrakte Formen, in einer Balance zwischen 2D und 3D. Auch wenn der Bezug zum realen Raum nicht ganz verneint wird und raumanekdotische Elemente zugelassen werden, haben diese Lichtflächen eine immaterielle und geometrische Schönheit, die sie in die Nähe der Kompositionen des Suprematismus rücken lassen.

Tania Bedrinana: aus der Serie „Simple Song“ (2009)

Neben diesen strengen Kompositionen sind die zarten und zugleich bestimmten Zeichnungen der in Peru geborenen und in Berlin lebenden Tania Bedriñana zu sehen. Es sind surrealistisch anmutende, onirische, z.T. verstörende Szenen, in denen Kinder inszeniert werden. Das Bilduniversum von Bedriñana hat diese vage und trotzdem präzise Konsistenz eines Traums, oszilliert zwischen der Wunderwelt von Lewis Carroll und der präpubertären Hölle eines Henry Darger. Grazile, junge Wesen, die sich in einem Zustand der Metamorphose befinden und ihr Gesicht noch nicht gefunden haben, spielen, tanzen und führen merkwürdige Rituale in einem diffusen Raum durch. Die einzige narrative Position der Ausstellung ist zwar alles anderes als überraschend, weckt ja gar ein Déjà-vu-Gefühl, gleicht jedoch die allgemeine ästhetische Kälte und die spröde Schönheit der gesamten Ausstellung aus.

Christian Schreckenberger: o.T. (the only mistake) (vorne)
Christian Schreckenberger: o.T. (2012)

Es ist eben keine opulente, überbordende und farb- oder motivverliebte Ausstellung. Es ist eine konzentrierte, pointierte und aufmerksam zusammengestellte Präsentation, zugleich luftig und dicht, vielleicht ein wenig zu ernst, aber einfach gut und auf den Punkt gebracht. So wie die Arbeit von Christian Schreckenberger. Seine Materialerkundungen, die sich in höchst heterogenen Objekten manifestieren und immer wieder die Nähe zur angewandten Kunst suchen – oder einen leichten Hang zur narrativen Aufladung aufweisen –, haben all die eben genannten Prädikate verdient. Der Bildhauer entwickelt eine besondere Aufmerksamkeit für Texturen, in der Regel ungewöhnlich, nicht selten widerspenstig, und koppelt diese an Formen.

 

Liebe Anna, ich weiß nicht, warum ich Dir das alles erzähle. Du kennst ja diese Dinge besser als ich; es ist schließlich Deine Ausstellung! Aber ich wollte Dir mit diesem Brief sagen, wie gut mir Dein Einstand gefallen hat. Ich bin gespannt auf die zwei nächsten Einzelpräsentationen, die Du bis Ende des Jahres auf die Beine stellen willst. Du willst beim nächsten Mal zum Gagarin ziehen, den Raum dort okkupieren und dann weiter wandern. Vielleicht kreuzen sich unsere Wege. Vielleicht schon am kommenden Sonntag. Die Finissage der Ausstellung findet ja am Nachmittag bei Kaffee und Kuchen statt. Kaffee-Kuchen ist nicht gerade mein Ding, aber vielleicht komme ich doch. Um Dich endlich kennen zu lernen.

 

Mit herzlichen Grüßen.

Ein Blick nach New York: art from behind

Art from behind ist ein Blog aus der Welthauptstadt der Kunst, der sich halb ironisch halb im Ernst – so richtig deutlich wird das eigentlich nie – zwischen Arty-Farty, Lifestyle, Hipstertum, Kunstszene, Underground, jugendlicher Coolness und sehr leckerem Essen bewegt. Diese Bewegung wird von Kathy Grayson, Kuratorin, Autorin, Galeristin, etc, … mit vielen Bildern dokumentiert und zelebriert.
Nun ist Arty-Farty ja nicht ganz so unser Ding und Jung oder gar Hip sind wir schon lang nicht mehr – wenn wir es denn jemals waren. Von daher ist es ist vor allem der letzte Punkt, der immer wieder alles rausreisst und die hier gehegten und gepflegten Ressentiments gegenüber allem was Szene ist, vergessen lässt. Denn wer gut zu Essen weiß, beweist Geschmack sowie Sinn für die wichtigen Dinge des Lebens und kann kein wirklich schlechter Mensch sein.
Außerdem gilt – so Ehrlich muss man schon sein – dass man sich beim durchscrollen der Seiten manchmal doch etwas mehr New York ins Rheinland wünscht.

Hier also unsere Empfehlung für den Blick über den großen Teich mitten hinein ins coolen Leben, dahin wo die Menschen jung und schön, die Kunst immer geil, der Underground aufregend und das Essen fantastisch zu sein scheint, auf zu artfrombehind, auf nach New York!

Die meisten der Bilder sind von hier http://blog.artfrombehind.net/hyperannuated – der Rest von Woanders im Blog.

Art from behind
http://blog.artfrombehind.net/
New York City, US

W1111 bei Transmission

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

Auch im weiten Westen der Bundesrepublik ist die junge polnische Kunstszene keine Unbekannte mehr. Abgesehen von den vielen polnischen Künstlern, die den Weg ins Rheinland auf eigene Faust finden, gibt es hierzulande genug Einzelpräsentationen oder Gruppenschauen, die eine Plattform für den östlichen Nachbarn anbieten. Insofern ist das Vorhaben von Transmission nicht originell – aber Originalität ist hier kein relevantes Kriterium. Angeführt von Anna Czerlitski, der in Danzig geborenen und in Düsseldorf studierten Kunsthistorikerin, hat der Verein seine letzte Ausstellung auf der Worringer Straße veranstaltet und zwölf Positionen aus Düsseldorf und Warschau vereint. Wie für die letzte Präsentation an diesem Standort, okkupieren die Künstler alle drei Bereiche der Halle: Erdgeschoss, Galerie und Untergeschoss.

Anna Czerlitski (re.) und ein Teil des Transmission-Teams

Erste angenehme, augenfällige Feststellung: Auf ihrer Suche nach Kunst und Künstlern, hat Czerlitski, die die Recherchearbeit in den zwei Städten im Alleingang durchgeführt hat, keine strenge konzeptuelle Linie verfolgt und sich nicht auf ein übergeordnetes Thema verkrampft. Sie ist von einzelnen, starken und individuellen  Positionen ausgegangen und hat ihren Gästen den nötigen Freiraum gewährt. Was daraus gemacht wurde, ist sehr unterschiedlich. Es gibt starke qualitative Schwankungen in den einzelnen Arbeiten und Brüche in der Struktur der Hängung. Da wo das Untergeschoss zu einer Ansammlung aus Solitären gerät und keinen Dialog schafft, entwickeln die Arbeiten der Galerie eine bezugsreiche Spannung, bestehend aus formellen Korrespondenzen – auch wenn der Zufall es hier gut gemeint hat.

Agnieszka Kurant: 88,2

Zweite angenehme Feststellung: Bei einer guten Medienstreuung (Malerei, Bildhauerei, Grafik, Video- und Performancekunst sind gleichermaßen vertreten) erhält die Klangkunst einen angemessenen Raum. Endlich eine Gruppenausstellung, die dieser Sparte gerecht wird! Die aus unserer Sicht interessanteste Arbeit im Erdgeschoss ist übrigens eine akustische; und zwar eine ganz feine. Agnieszka Kurant hat eine kleine Sammlung von stillen Momenten zusammengetragen und diese aneinander montiert. Ausgehend von Dr. Murkes gesammeltes Schweigen, der Erzählung von Henrich Böll, in der ein Radioredakteur die verworfenen, abgeschnittenen und wortlosen Stellen von Tonaufnahmen findet und eine Faszination für diese leeren Momente der Kommunikation empfindet, hat Kurant große, geschichtsträchtige Reden gesammelt und sie ihrer verbalen Inhalte entledigt, um ausschließlich auf das in den Sprechpausen entstehende Ton-Material zurückzugreifen. Es sind diese Momente des Innehaltens, der Konzentration, des Zauderns oder der Andacht, die hier geballt auftreten. Aber es sind auch die Momente des rhetorischen Schweigens, die, in der Stille selbst, die Bedeutung des Wortes unterstreichen und dem Gesagten mehr Gewicht verleihen. Ähnlich dem skulpturalen Denken, das dem leeren Raum eine ebenso große gestalterische Bedeutung zuspricht wie der greifbaren, sichtbaren Form, umfasst das akustische Denken sowohl das Signal als auch dessen Abwesenheit – danke John Cage… Wer seinen Hörsinn schärft und sich auf diese Sensibilisierung einlässt, wird in der vermeintlichen Stille die vielen Spielarten des Schweigens heraushören und feststellen, wie vielschichtig (und wie laut!) die Wortlosigkeit sein kann.

Seb Koberstädt: Düsseldorfer Säule
Jürgen Staack: DISPUT

Polens experimentelle Klangkunstszene, mit ihrem starken Zentrum in Posen und den vielen Hybridprojekten zwischen Musik und Bildender Kunst im ganzen restlichen Land, scheint besser vermittelt zu werden als ihre deutsche Nachbarin. Immerhin können hierzulande Künstler wie Jürgen Staack auf eine beginnende institutionelle Anerkennung blicken. Der Kunststiftungs-Stipendiat hat seine Klang-Arbeit im Keller installiert und untersucht dort, wie bei früheren Werken, die Distanz zwischen Wort und Bild – und in diesem Fall zwischen Wort und Wort. In Disput stellt er zwei Begriffspaare (ja-nein) gegenüber, in chinesischer und japanischer Fassung. Mal stark verwandt, mal grundsätzlich verschieden, sind die gesprochenen Wörter in eine frontale und räumlich unversöhnliche Situation gebracht worden. Wie bei Schuss-Salven, werden die kurzen und prägnanten Begriffe von einer Seite zur nächsten gefeuert und bilden damit einen dichten, staccato-artigen Klangraum mit leicht aggressivem, jedenfalls sehr dynamischem Hintergrund. Die Installation spielt auf die neuesten politischen Spannungen zwischen den zwei großen Mächten an. Wer aber auf die politische Aktualität der Arbeit verzichten möchte, kann sich auf den guten Umgang von Staack mit dem Raum und auf die Rhythmik des Schlagabtausches konzentrieren.

Giulietta Ockenfuß: Anthropologie
Giulietta Ockenfuß: Geologie
Oskar Dawicki: Telezakupy

Weiter im Keller stößt man auf die Videodokumentation einer Performance von Oskar Dawicki. Der Star der jungen Warschauer Kunstszene gilt als Enfant Terrible und hat sich bereits mit einigen Kollegen verkracht. Für seinen Wisielec, hat er sich kurzerhand erhängt und schwebt, einen Bund weißer Luftballons in jeder Hand, halb-tragisch, halb-grotesk wie ein morbider Clown im Raum. Dabei begrüßt er in seinem Zirkusdirektor-Anzug die Zuschauermenge und betont ausdrücklich die Nicht-Fiktionalität seiner Handlung. Den fragwürdigen Voyeurismus des Performance-Publikums ansprechend und der Spektakellogik des Kunstbetriebs entgegenkommend, formuliert Dawicki eine Institutionskritik, die aus einer Mischung aus sarkastischem Humor, radikaler Konsequenz und scharfsinniger Beobachtung besteht. Im Erdgeschoss präsentiert er ein Video, das ihn die Freundschaft mit dem (exzellenten) Maler Rafal Bujnowski gekostet hat: in einer Fernsehwerbungs-Parodie preist Dawicki die Qualität eines (real existierenden, dem Künstler geschenkten) Bildes von Bujnowski an, das sich bestens zum sauberen Ersatz von dekorativen Tierfellen eignet, die die Wände von polnischen, kleinbürgerlichen Wohnungen zieren. Das hyperrealistische Bild, ein Lammfell in bester illusionistischer Manier darstellend, staubt ja nicht, ist allergiefrei und tierfreundlich. Eine lustige Idee, eigentlich gar nicht weit entfernt vom konzeptuellen Ansatz Bujnowskis. Nur dass die Werbung wirklich ausgestrahlt und das Bild tatsächlich verkauft wurde – der Urheber der Leinwand fand’s gar nicht lustig.

Magdalena Kita: Bialy partyzant / Der weiße Partisane
Magdalena Kita

Apropos Tierfell: Magdalena Kita hat ihre neuen Arbeiten in der unmittelbaren Nähe des eben erwähnten Videos von Dawicki ausgebreitet. Mit Sexopaste-Farbe (doch, diesen Namen gibt es tatsächlich!) hat sie naiv anmutende Szenen auf verschiedene Tierfelle gemalt. Die Bilder beziehen sich alle auf die Legende des weißen Partisans, einer mythisch verklärten Figur, die im letzten Weltkrieg durch die polnischen Wälder streifte und, ausschließlich mit den Briten kooperierend, Widerstand gegen die Wehrmacht leistete. Der Held war und bleibt eine populäre Erscheinung, vor allem wegen seiner reinen Weste: Nicht nur, dass er sein Volk effizient rächte, er kompromittierte sich dabei auch nicht mit den russischen Truppen. Der weiße Partisan bleibt allerdings eine literarische Erfindung mit tröstender Funktion und einer Gutem-Gewissen-Garantie für die Nachkriegsgeneration. Es ist ein schwieriges Stück nationaler Selbstfindung und Identitätsgestaltung, die Kita hier verarbeitet. Die volkstümlichen Fellbilder ordnen sich ein in eine aktuelle Diskussion in Polen, die sich um die Frage der Täter-Schuld im zweiten Weltkrieg dreht und viel Schlamm umwühlt.

Anna Molska: Tkacze / Die Weber  – courtesy Foksal Gallery Foundation
Anna Molska: Tkacze / Die Weber  – courtesy Foksal Gallery Foundation

Das Politische ist auch im Videobeitrag von Anna Molska präsent. Sie hat ganze Stellen von Gerhart Hauptmanns Stück Die Weber in einer zeitgenössischen Fassung nachinszeniert, die mit den Effekten des Naturalismus spielen. Laiendarsteller bewegen sich in den Originalschauplätzen des Stückes (den tristen, verlassenen Zechen Schlesiens) und rezitieren, mehr oder weniger textsicher, Auszüge aus Hauptmanns Drama in einer verrottenden post-industriellen Landschaft. Ein solides, politisch korrektes Projekt mit allzu klaren Absichten – aber unleugbar gutem Hintergrund.

Konrad Smolenski: Guard

Die nächste Videoarbeit im Keller wurde von Konrad Smolenski realisiert. Der junge, polnische Künstler ist auf der Suche nach einer ganzheitlichen Erfassung des Klangs und konzentriert seinen Ansatz auf der sowohl massenhaften als auch homogenen Rezeption von Musik. Während die Wahrnehmung eines Bildes oder einer Skulptur eine hochsubjektive und individuelle Angelegenheit ist, löst die Musik vergleichbare Gefühle bei allen Menschen aus. Es geht also darum, einen Raum zu schaffen, in welchem ein einziges, großes Klangerlebnis schwebt und alle Menschen vereint. Während dies kein bisschen bei der schwachen Arbeit Guard sichtbar wird, knüpfte Smolenski bei der Eröffnung an diese Idee an und legte mit seinem selbst gebastelten und extrem verstärkten Saiteninstrument einen starken Auftritt hin. Zusammen mit dem furiosen Daniel Szwed am Schlagzeug (das Duo bildet die Band BNNT) lieferten die zwei vermummten Sound-Terroristen eine packende Punk-Performance ab.

Giulia Bowinkel und Friedemann Banz: Intersection C213
Giulia Bowinkel und Friedemann Banz: Intersection C213 (Reflexion: Martin Pfeifle)
Giulia Bowinkel und Friedemann Banz: Boolesche Komposition 017
Liv Schwenk: o.T.

Alles in allem enttäuschten die Düsseldorfer ein wenig. Weil einige ihrer Arbeiten bekannt sind und bereits teilweise an anderen Orten gezeigt wurden, oder aber weil sie nicht überraschen und auf bekannte Mittel zurückgreifen, resultiert aus ihrem Heimspiel kein Vorteil. Indes haben Giulia Bowinkel und Friedemann Banz, von denen man lange nichts mehr gesehen hatte, eine besondere, positive Erwähnung verdient. Ihre zwei Collagen, die architektonische Aspekte der Transmission-Halle übernehmen und diese in eine komplexe, semi-abstrakte Komposition überführen, besitzen eine verwirrende, vielschichtige Qualität und eine Tiefe in den Texturen und Strukturen, die mir neuartig ist. Eine solche Kontextorientierung findet man auch in der benachbarten Wand- und Videoinstallation von Liv Schwenk, die ihre ganzkörperliche Erkundung des Raumes an einer Ecke der Galerie durchgeführt hat. Die geisterhafte Projizierung ihres Wändekrabbelns und ihre relativ zurückhaltende Geste harmonieren perfekt. Und schließlich möchten wir noch auf die sehr gelungene Arbeit von Agnieszka Kalinowska hinweisen, die auf der Emporen-Ebene eine Wand von einem bekannten Düsseldorfer Graffiti-Künstler hat besprühen lassen und, in einer Geste der Raumbeanspruchung und –aneignung, die man eben eher in der Sprayer-Szene kennt, das fertige Graffiti mit ihrer eigenen kleinteiligen Struktur aus Sperrholz und Papier zugedeckt hat. Die Struktur ist direkt inspiriert von typisch polnischen Dekoplatten für Hausfassaden aus der sozialistischen Ära. Der Muff von gestern setzt sich doch durch.

Agnieszka Kalinowska: Pattern

„Der Muff von gestern…“ – Es ist gewiss überhaupt kein passendes Schlusswort für eine Ausstellung, die einiges in Bewegung bringt und eine teilweise gute, auf jeden Fall lobenswerte Präsentation schafft. Mit W1111 (es liegen genau 1111 Kilometer zwische Düsseldorf und Warschau) hat Transmission ein für Düsseldorfer Verhältnisse großes Coup hingelegt und kann sich mit dieser Initiative weiter empfehlen lassen.

Martin Pfeifle: SLUP
 
 
W1111 bei Transmission
Worringer Str. 57
Ausstellung v.4.10-25.11.2012
Do + Fr 15-20 Uhr und Sa 12-18 Uhr und nach Absprache

 

reflecting on networks – artistic strategies using the web bei km temporaer in Berlin

Mit Eigenwerbung im eigenen Blog für Projekte, an denen man selber als Aussteller dabei ist, ist das immer so eine Sache. Wie präsentiert man das? Wie dezent muss man bleiben? Wie sehr stellt man den eigenen Anteil in den Vordergrund? Und ganz wichtig, schreibt man in der ersten oder dritten Person? Das ist nicht ganz einfach, wir üben diesbezüglich auch noch etwas und werden sehen, ob wir darauf eine langfristige Antwort finden.
Im Folgenden nun die aktuelle Lösung der Fragen.

Das Projekt

Vom 19.10. bis zum 11.11.2012 findet die Ausstellung „reflecting on networks / artistic strategies using the web“ bei km temporaer in Berlin statt. Das von Elisa R. Linn und Lennart Wolff kuratierte Projekt beschäftigt sich mit den Möglichkeiten und Bedingungen künstlerischer Praxis im digitalen Zeitalter. Ein zentrales Interesse gilt der Bedeutung, die dem Einsatz von Medientechnologien in den verschiedenen Arbeiten zukommt. Als Kommunikations- oder Recherchemedium, als interaktive Plattform oder als technologisches System rücken unterschiedliche Funktionen der digitalen Medien in den Vordergrund und lassen so verschiedenartige künstlerische Strategien fassbar werden.

Präsentiert werden Werke von KünstlerInnen, die sich mit gesellschaftlichen, sozialen und politischen Veränderungen in einer technik- und datenorientierten Welt auseinandersetzen. Veränderte Wahrnehmung von Raum, Privatsphäre und Eigentum durch die alltägliche Nutzung des Internets werden ebenso thematisiert wie die Kanalisierung und Transformation von Informationen durch Suchmaschinen, Social-Media Plattformen und Videoportale. Andere Arbeiten fokussieren auf die Interaktivität zwischen Mensch und Maschine, zwischen Nutzer und komplexen informationsverarbeitenden Systemen, die heute ein integraler Bestandteil des täglichen Lebens sind.

Eigenanteil fk/Perisphere

Ich werde mit der ‚Konfiguration No. 8‘ dabei sein, einem Multiple, welches auf der Collage www.spectaculartakeoverbattle.de basiert. Die einzelnen Tableaus stehen zum Verkauf, wobei das erste in der Ecke oben links 2,- Euro kosten wird und sich der Preis bei jedem weiteren jeweils verdoppelt. Es ist anzunehmen, dass sich einige der Bilder verkaufen lassen werden, sicherlich aber nicht alle. Das Multiple soll und wird sich so über die Dauer des Ausstellung hinweg im Aussehen verändern, da jedes verkaufte Tableau durch ein anderes mit weißem Inhalt und Angabe des Betrags ausgetauscht wird.
Weitere Infos dazu gibt es hier.

Der Ort

Das km temporaer in der Kremmener Straße 8a befindet sich in unmittelbarer Nähe zum ehemaligen Grenzstreifen gegenüber vom Mauerpark im Bezirk Berlin Mitte. Teile des Mietshauses wurden während des Ausbaus der innerdeutschen Grenze abgerissen. Diese prägenden geschichtlichen Ereignisse sind an der Bausubstanz des Hauses ablesbar, so etwa in einem seit dieser Zeit fensterlosen Raum.
Die ca. 166qm große Ausstellungsfläche umfasst acht Räume und ist über drei ebenerdige Eingänge erreichbar. Der Ausstellungsort soll bis April 2013 mit verschiedenen Bespielungen einen kulturellen Ankerpunkt der Gegend bilden.

1 Navid Tschopp „Third Space“
2 Karen Eliot „I Felt Silly“
3 Fayçal Baghriche „The Last Man Out“
4 Florian Kuhlmann „Konfiguration No. 8 (Spectacular Take Over Battle)“
5 Sebastian Schmieg „Search by Image“
6 Stefan Riebel „B.G.“
7 Karl Heinz Jeron „9 to 5“
8 Thomas Lindenberg „Proclamationbox“
9 Johannes P Osterhoff „iPhone live“
10 Aram Bartholl „Dead Drop“
11 Niko Princen „Starry Nights“

Die teilnehmenden Künstler setzen sich kritisch mit den netzmedialen Verfahren zur Regulierung von Benutzeroberflächen im Internet auseinander, die in Form von Datenfilterung sowie staatlichen Restriktionen und Kontrollmechanismen in Erscheinung treten. Durch die Teilhabe der User an der Genese mancher Arbeiten entsteht ein wechselseitiges Beziehungsgefüge zwischen Künstler und Rezipient, sodass die alleinige Autorenschaft des Künstlers in Frage gestellt wird. Im Zuge der entwickelten Möglichkeiten der digitalen Manipulation kann zudem auch der Wahrheitsgehalt eines Kunstwerkes beeinflusst werden, so dass die Frage nach der Originalität desselben eine neue Dimension annimmt.

reflecting on networks – artistic strategies using the web
19.10.2012 – 11.11.2012

km temporaer 2012
große hamburger str 29
10115 / berlin

http://kmtemporaer.de/
https://www.facebook.com/km.temporaer

 

Alexander Kluge und Bazon Brock im Gespräch über Dada und die Folgen

Der Griff ins Schwarze – Bazon Brock über Dada und die Folgen

Zwei Männer sprechen über Dada und die Folgen und scheinen sich dabei prächtig zu verstehen. Für den Zuschauer ist bei aller offen zur Schau gestellten Übereinkunft natürlich nicht immer ganz klar um was es geht und über was gerade gesprochen wird. Aber eventuell geht es ja auch um gar nichts oder gibt es nichts, oder zumindest nicht immer etwas zu verstehen, außer dem Verstehen des Nichtverstehenkönnens.

Wie auch immer wir das nun interpretieren, die 45 Minuten lohnen sich definitiv. Einfach mal laufen lassen, wenn es am Rechner mal wieder was stupides zu tun gibt – so wie ja eigentlich immer.

„Der Griff ins Schwarze – Bazon Brock über Dada und die Folgen“
News & Stories vom 09.01.2012, RTL
Bazon Brock und Alexander Kluge

Agassi F. Bangura bei Leonhardi Kulturprojekte

eine Bildstrecke von Havva Erdem (Frankfurt a. Main)

 

Nach einer ersten Umsetzung im Rahmen des Städelschulenrundgangs 2010 und einer zweiten Präsentation in Künstlerhaus Mousonturm, hat Bangura – diesmal ohne Cooperation mit dem Künstler Claus Rasmussen – nun schon zum dritten Mal seiner Idee von „African Fitness Studio/Gym“ Gestalt gegeben. Diese basiert auf Fitness-Studios in seiner Heimat, die von der Bevölkerung selbst, ohne finanzielle Mittel und mit Hilfe eigentlich völlig beliebiger Materialien aus dem Nichts geschaffen werden, freizugänglich – und kostenlos sind und von den erfahreneren Nutzern, ja, wie solll man sagen, technisch angeleitet werden.

 

 
Agassi F. Bangura
„African Fitness Gym“
Eröffnung: Samstag, 22. September 2012, 19 Uhr
Dauer: 23. September – 29. September 2012
Training und Besichtigung, täglich von 18-21 Uhr
Seilerstr. 36, 60313 Frankfurt am Main
Pavillon der ehem. Friedrich-Stoltze-Schule
http://www.leonhardikulturprojekte.org/index.php?id=821

 

Books and Blankets – Netzkunst und Decken

Gemeinsam mit dem Düsseldorfer Macher und Gestalter Thomas Artur Spallek arbeiten wir derzeit an einem Projekt mit dem Titel ‚Books and blankets‚. Das unter seiner Federführung entwickelte Konzept trägt den Titel ‚Books and Blankets‚. „Books and Blankets is a selection based on internet art. Books help us introduce and distribute work containing images and words. Blankets help us increase the value of art.“
Und so werden wir in den kommenden Monaten eine kleine Reihe von Publikationen herausbringen deren Schwerpunkt im Bereich der Netzkunst liegt.

Die Idee von Books and Blankets ist einfach, jede Ausgabe besteht aus einem gedruckten Heft und einer speziell gestalteten Wolldecke. Im Heft wird ein Interview mit einem ausgewählten Künstler zu lesen sein, darüber hinaus werden wir in limitierter Auflage eine Decke mit einem Motiv von ihm produzieren.

Für die Produktion des Hefts werden wir mit dem Düsseldorfer independent Publisher TFGC Publishing zusammen arbeiten. Die Decken werden nach vorgabe des jeweiligen Künstlers über einen externen Dienstleister produziert. Beides wird man sowohl über die regulären Vertriebswege als auch direkt bei uns ordern können. Die erste Auflage wird mit dem in Mexiko City lebenden Künstler Theo Michael produziert.

‚Somalia‘ by Thomas Spallek

Weitere erste Infos zum Projekt gibt es hier und hier und hier http://www.booksandblankets.org/about/

Im Gespräch mit Bülent Gündüz vom 360 Grad Blog

Auch wenn es manchmal den Anschein hat, Kunst und neue Medien finden im deutschsprachigen Raum derzeit nicht nur in Berlin statt. Obwohl die Konzentration von Blogs, Plattformen, Communities und anderen Onlineprojekten mit Kunst und Kulturbezug dort derzeit wohl unbestritten am höchsten ist. Aber – und das ist der Punkt – auch an anderer Stelle entwickeln sich innovative Projekte mit Pioniergeist und dem Anspruch neue Wege zu gehen. Die ehemalige Bundeshauptstadt Bonn und das beschauliche Friedrichsthal sind solche Orte, denn dort entstehen die Ideen für den 360-grad-blog.de des Journalisten, Kunstkritikers, Beraters, Kurators und Bloggers Bülent Gündüz.

Und weil man das Rad nicht immer wieder neu Erfinden muss, und das Kopieren und Zitieren eine uralte Kulturtechnik ist die im Netz zu ungeahnter Blüte reift, greife ich an dieser Stelle kurzerhand auf Wikipedia zurück um den Mann kurz vorzustellen.

Gündüz ist der Sohn eines Türken und einer Deutschen. Er wurde in Saarbrücken geboren und wuchs in Friedrichsthal (Saar) auf. Nach dem Besuch des Gymnasiums und der Ableistung des Zivildiensts studierte er Rechtswissenschaften. Nach Abschluss des Studiums begann Gündüz als freier Journalist für Zeitungen. Gündüz volontierte beim Kunstmagazin Artsjournal, war dort Redakteur und Ressortleiter und ist seit einigen Jahren freiberuflich für Magazine und Tageszeitungen tätig. Gündüz gilt als Experte für die Kunst des 20. Jahrhunderts, insbesondere für den Abstrakten Expressionismus. Seit 2009 ist Gündüz auch als freier Kurator und Ausstellungsberater tätig.

Hinzuzufügen wäre noch, dass der von ihm geführte 360-Grad-Blog seit 2006 existiert, damit zu den ältesten deutschsprachigen Kunstblogs gehört und der Autor selber, da 1971 geboren, noch ein Paar Jahre mehr auf dem Buckel hat. Aktuell arbeitet Bülent Gündüz an seinem ersten Buch, einer Biografie über den Maler Jackson Pollock.
Wir freuen und bedanken uns dafür, dass er sich dennoch die Zeit genommen hat die Fragen so ausführlich zu beantworten.

Continue reading „Im Gespräch mit Bülent Gündüz vom 360 Grad Blog“

Guten Morgen Düsseldorf, guten Morgen Welt!

Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern einen guten Start in die neue Woche, sowie uns allen weiterhin so wunderbares Herbstwetter. Kommen Sie gut rein, arbeiten Sie nicht zu viel, bleiben Sie so gesund wie es eben geht und halten Sie Augen, Nase und Ohren immer offen.

(via mbutz@twitter)

Weitere Infos zu Britta Thie gibt es übrigens hier http://brittathie.tv/. Und als kleiner Tip noch der Hinweis auf die Linkliste unter Infos auf ihrer Webseit, das sind ein Haufen guter Leute die man dringend mal nach Düsseldorf holen müsste.
Also Irgendwann mal.
… wenn mal Zeit ist …

Drei künstlerische Handlungsfelder in Hamburg

Stefan B. Adorno von Thing Frankfurt war in Hamburg auf der Suche nach alternativen Kunstpraktiken unterwegs. Auf seiner Suche interessierten ihn dabei weniger die Adaptionen der klassischen Whitecube-Modelle sondern viel mehr Praktiken und Verfahren ‚die nach dem Begriff von Birte Kleine-Benne (BKB), als Handlungsfelder zu begreifen wären‚. Er ist dabei auf drei solcher Handlungsfelder gestoßen, das urban gardening Projekt Gartendeck, das Hotel OpenRoom, sowie Birgit Dunkels Bi’s Cruising Tours.

Einen Bericht über seine Untersuchungen sowie seine Wahrnehmung der Projekte gibt es bei Thing Frankfurt.

Das Fotos zeigt das Künstlerhotel Hamburg. Weitere Fotos vom HH-Trip im Flickr-Set von Stefan Beck.
(via Facebook – Danke Stefan!)

 

Gambiarra, Youserart und die Aneignung im MKBlog

Warum der folgende Blog nicht schon längst bei uns in der Blogroll gelandet ist vermag ich nicht zu sagen. Einzig alleine wäre eventuell anzumerken, auch wir sind nicht unfehlbar, das Versäumnis soll aber nun hiermit korrigiert werden.
Unsere Blog-Empfehlung der Woche ist also der MKBlog von Martin Butz, der dort Beobachtungen und Kommentare zu Themenbereichen notiert die vielleicht nicht immer direkt, aber eben doch meist im weitesten Sinne zu dem gehören was auch uns umtreibt.

Und so geht es in seinem aktuellen Post „Was ist ein Gambiarra?“ im die Fragen der Aneignung, um improvisierte Lösungen für Alltagsproblem, Ad-hoc-Reparaturen und schlichtweg die kreative Befriedung von Bedürfnissen. Alles Fragestellungen die für Do-It-Yourself,  Selbstorganisation und die damit verbundene Utopie der Autonomie von Bedeutung sind. Denn natürlich gilt auch für uns, was für jeden ambitionierten Autonomen gilt, und zwar das 1. Pipi-Langstrumpf-Gesetzes, welches da lautet: “Ich mach’ mir die Welt, wie sie mir gefällt.”

Amit Goffer im RAUM

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

 

Die erste Überraschung der Ausstellung ist unübersehbar: Der Raum ist an einer Seite zum Innenhof hin geöffnet worden. Da wo sich zuvor eine fest abgeriegelte Tür befand, ist nun ein verwinkelter und enger Einschnitt. Er erinnert am Bühnenbilddetail eines expressionistischen Films und ist nicht mal breit genug, um einen Mensch durchgehen zu lassen. Aber das spärliche, von den silbernen Wänden gefilterten Licht, bestimmt die gesamte Raumstimmung. Von Innen aus betrachtet, verwandelt sich der graue Innenhof, der durch den langen Schlitz nur partiell sichtbar ist, in ein merkwürdiges Bild. Das Innere und das Äußere verlieren ihr antagonistisches Verhältnis; die Passage entzieht sich ihrem transitorischen Charakter und wird zum plastischen Objekt – Reminiszenzen an Etant donné…, der letzten Arbeit von Marcel Duchamp, drängen sich spontan auf. Komisch. Eine ähnliche Assoziation hatte sich bereits an diesem Ort mit einer ganz anderen Arbeit eingestellt…

Das kammerartige Zimmer von Matthias Erntges hat es in sich. Der Raum ist in seiner Grundstruktur so bestimmend, dass man sich hier autonome Malerei und droped sculpture schlecht vorstellen kann – auch wenn diese Gattungen nicht grundsätzlich ausgeschlossen sind. Der israelische Künstler Amit Goffer, seit einigen Jahren in Düsseldorf lebend, hat mit seinen maßgeschneiderten Arbeiten einen adäquaten Umgang mit dem Raum gefunden. Beeinflusst von Theorien der modernen Architektur (insbesondere von der Modulor-Vorstellung von Le Corbusier, die, wie kaum eine andere, den normierten Körper zur Regel architektonischer Gestaltung erhoben hat) und interessiert an den möglichen Wechselverhältnissen zwischen Architektur und Körper, Objekt und Modell, Skulptur und Architektur, ist es Goffer gelungen, den kleinen Raum mit seinen in-situ-Interventionen und seinen organisch-skulpturalen Objekten in ein dichtes und atmosphärisch stimmiges Ensemble zu verwandeln.

Das Äußere (die Fassade, die Wand, die Hülle) umschließt das Innere. Der Körper umfasst das Herz. Er schützt es, behütet es, sperrt es aber gleichzeitig ein. Er schränkt es ein und begräbt es. Der Raum der Zuflucht und der Geborgenheit ist auch immer ein Kerker. Dann und wann, wenn das Innere nicht hermetisch vom Äußeren abgeriegelt ist, findet eine Kommunikation zwischen den zwei Räumen statt. Durchbrüche, Öffnungen oder Fenster sind Zwischenorten, heterogene Raumtypen verbindend, die Goffer regelrecht faszinieren – nicht nur weil sie eine Vermittlungsfunktion erfüllen, sondern vor allem weil sie eine hybride Natur besitzen. Wenn man sie nicht mehr als Orte der Passage und des Durchgangs betrachtet, sondern als autonome Räume (wenn auch mit ungeklärter Funktionalität), gewinnen sie eine neue und unheimliche Spannung. Die plastische Qualität dieser Spannung untersucht Goffer.

Und dies sowohl in den Rauminstallationen, die deutlich auf die Thematik Außen/Innen eingeht, als auch in den Objekten. Diese weisen auch eine ungeklärte, ambivalente Natur auf. Sie erinnern an Architekturmodelle, an Körperteile oder an kleine Landschaften. Ihre Oberflächen sind mal matt, mal reflektierend, grob verarbeitet, z. T. leicht abstoßend. Assoziationen an Bunker, Bomben und dergleichen können auftreten; die Narrativität ist jedoch nie von großer Bedeutung. Diese Gegenstände lassen winzige Lichtsignale oder auch merkwürdige Klänge durch – immaterielle, lineare Zeichen, die vom Körperinneren durchsickern und den Raum durchdringen. Ein wirklicher Durchblick ist jedoch nicht möglich. Es sind unruhige Objekte, schwankend zwischen Auf- und Ausgeschlossenheit, in eine diffuse Zwischenzone oszillierend. Sie haben zwar wenig zu erzählen, übersetzen jedoch komplexe Raumverhältnisse.

Es liegt nahe, die Arbeit des Israelis auf der Folie eines allgemeinen politischen Kommentars abzulesen. Sein Land, offen zur Welt und zugleich fest abgeriegelt, von einem regen wirtschaftlichen Austausch abhängig und bedacht auf die Bewahrung der inneren Sicherheit durch eisernen Kontrollen der Grenzen, ist ein gespaltenes Land, das die Spannung zwischen Außen und Innen, Kern und Hülle, schützender Matrix und hermetischen Sarg wie kein anderer Staat dieser Erde verinnerlicht hat. Letztendlich ist Goffer auch ein Produkt der eigenartigen Porosität Israels…

 

 

Amit Goffer
Facing In To Out the Void
RAUM
Sonderburgstr. 2
40545 Düsseldorf
Ausstellung bis zum 6.10.2012
Öffnungszeiten: Fr. + Sa. 14-18 Uhr und nach Vereinbarung

Guten Morgen Düsseldorf, guten Morgen Welt!

Es gibt keinen besonderen Anlass, warum wie ausgerechnet heute den Pop-Auftritt von Joseph Beuys wieder aus der Schublade hervorkramen. Aber gerade an einem verregneten Montag, wenn die Wolken tief hängen und die Weltlage genauso trüb aussieht, gibt es nichts Besseres als eine gute, alte Weltverbesserungschanson mit fechem Chor und spritzigen Gitarren um gute Laune zu bekommen.
Einen schönen Start in die Woche aus der perisphere!

 

MOFF-Magazin jetzt auch für Düsseldorf

Aus gegebenem Anlass hier der Hinweis zur aktuell erschienenen 6. Ausgabe des MOFF-Magazins, einem Projekt von Stefanie Klingemann und Dr. Anne Schloen. Neben zahlreichen, von uns hoch geschätzten Künstlerinnen und Künstlern, sind auch wir, die Perisphere-Doppelspitze an der Ausgabe beteiligt. Emmanuel Mir führt das Gastgespräch, ich bin mit einem Interview vertreten und habe darüber hinaus die jeweils beiliegende Sonderedition beisteuern dürfen. Die Gestaltung der Düsseldorfer Ausgabe stammt von Rieke Schillmöller, die u.a. auch für das Design unseres Blogs verantwortlich ist.

MOFF ist ein Magazin aus der Kölner Kunst-Szene. Im Mittelpunkt stehen acht bis zehn Gespräche mit Künstlern, die durch ein weiteres Gespräch mit einem Galeristen, Kurator, Kunstwissenschaftler oder Sammler ergänzt werden. Jede Ausgabe ist vollkommen anders und unterscheidet sich von der vorherigen: Das MOFF-Magazin verzichtet auf ein Branding, ein Logo oder eine Corporate Identity. Das Format, das Layout, der Umfang und die Specials des Magazins unterliegen einem stetigen Wandel und Entwicklung. MOFF ist kostenlos in Köln und Umgebung erhältlich z.B. auf der Art Cologne, in Galerien, Off-Spaces, Museen, Archiven, Bibliotheken, Bars und Cafés.

MOFF-Magazin Ausgabe Nr 6

MOFF erscheint zweimal im Jahr: im Frühjahr zur Art Cologne sowie im Herbst zum Saisonstart und DC Open. In der 6. Ausgabe mit dabei sind Markus Ambach, Anja Ciupka, Dreihausfrauen, Florian Kuhlmann, Ulrike Möschel, Elke Nebel, Peter Schloss, Thomas Schütte, Pepper + Woll und Alexander Wissel.

Die Edition gibt es übrigens hier im Original zum freien Download.

Das Magazin ist ab sofort erhältlich in vielen Galerien, Off-Spaces und Ausstellungshäusern in Köln und Düsseldorf!
MOFF im Netz:
www.facebook.com/MOFFmagazin
www.moff-magazin.de

MOFF e.V.
Nägelistraße 16
50733 Köln

Telefon: 0176 – 95 55 44 35
Kontakt: mail at moff-magazin de

fstop im kokpit (Prag)

News aus der perisphere: Die junge Kollegin Lena aus dem Kunstblog Kunstgeflüster hat eine Off-Initiative in Prag auffindig gemacht und ein paar atmosphärische Aufnahmen realisiert. Der Artikel ist für unser Geschmack ein wenig kurz geraten (die bonbonrosane Seite versteht sich ja nicht als Organ der Kunstkritik); wir sind jedoch unheimlich dankbar, einen Blick in die nicht-offizielle, ziemlich trashige (s.u.) Kunstszene der tschechischen Hauptstadt erhalten zu dürfen.

Also, ab nach Prag!

Kunst im Hafen zeigt: „So machen wir das.“

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

 

Die Malerei ist so reich, so kraftvoll, dass sie mit ihren eigenen Mitteln wunderbar auskommt. Die Malerei ist sich selbst Thema genug. Und zwar so sehr, dass sie – eigentlich – auf extrinsischen Genrediskussionen und verquasten Theoretisierungen gut verzichten kann. Die Farbe, die Geste, die Arbeit am Träger und das Spiel mit materiellen Grundeigenschaften bieten schon eine unendliche Vielfalt an Bildmöglichkeiten. Gerade in der Malerei klingen Begriffe wie „Aktualität“, „Erneuerung“ und „Innovation“ meistens furchtbar oberflächlich und überheblich. Fragen, die vor fünfzig Jahren gestellt wurden, sind noch nicht ausreichend beantwortet worden. Herangehensweise, die ein Jahrhundert alt sind, haben nicht an Dringlichkeit verloren.

Das beweisen vier Männer im besten Alter, deren malerischen Ansätze nicht erst seit gestern vertieft und ausgereift wurden. Wulf Aschenborn, Ioan Iacob, Markus Kottmann und Matthias G. Winter kennen und, wenn den Anschein nicht täuscht, schätzen sich seit vielen Jahren. Mitten im alten südlichen Industriegebiet der Stadt, da wo Immobilienmakler noch nicht zugeschlagen haben und wo einen Rest Freiraum noch vorhanden ist (aber die Lage ist heikel!), haben sie ihre Arbeiten ausgebreitet und eine zusammenhängende Ausstellung mit dem Titel „So machen wir das“ organisiert. In einer dem Verein „Kunst im Hafen“ angeschlossene Halle – ein sehr großes, wunderbar proportioniertes und übrigens mietbares Objekt (im Verein anrufen) – kommen die vier Freunde zusammen und präsentieren die Ergebnisse ihrer jeweiligen Untersuchung an dem Objekt „Malerei“.

Die Gemälde von Matthias G. Winter suchen die Spannung zwischen Gegenständlichkeit und Nicht-Gegenständlichkeit, Spontanität und Kalkül, Präzision und Laisser-Faire. Reminiszenzen an Landschaften werden in den mittelgroßen Formaten deutlich, gelegentliche Anlehnungen an der Malerei des Surrealismus – vor allem an Max Ernst – können identifiziert werden. Komplexe Überlagerungen von pastosen Farben ergeben Räume, die sich öffnen oder schließen, sich überlappen und sich durchdringen. Nicht selten baut der Maler trompe-l’oeil-artige Irritationen ein, lässt die materielle Tiefe der Farbe von ihrer visuellen Tiefe widersprechen. Die Logik des Bildes folgt nicht die der Natur, sondern entfaltet eigenartigen Gesetzmäßigkeiten. Für Winter ist das Bild ein Feld, in welchem bildinhärente Probleme gelöst werden. Schicht über Schicht, Farblage über Farblage, stellt sich der Maler neue Fragen, die er allein zu lösen sucht. Es ist ein langsamer Prozess; eine (beinah) unendliche Annäherung. Und, wenn nach fünf, sechs, manchmal sieben Jahren, das Bild abgeschlossen wird, gilt es, das Nächste anzugehen. Der Malvorgang als eine Junggesellentätigkeit; der Künstler als Anachoret.

Wie Marcel Duchamp hält der nächste Junggeselle – im Duchampschen Sinne –nichts von dem reinen Retinareiz der Malerei. Markus Kottmann ist sehr skeptisch dem potenziell spektakulären Charakter seines Faches gegenüber und distanziert sich auf leise und ironische Weise von manchen marktschreierischen und oberflächlich-exhibitionistischen Zügen der zeitgenössischen Malerei. Seit Jahren malt Kottmann beharrlich Doppelbilder. Kleine Formate, die die Pathosformel der gestisch-abstrakten Malerei aufs Korn nehmen. Auf 40 x 30 cm bringt er elanvollen, pseudo-expressionistischen Eklats fertig, mit einer Palette, die alles andere als heftig wirkt – es herrschen hier weiche, blau-lila Pastelltöne, die eine mutige und sarkastische Nähe zum dekorativen, Zahnarztpraxis-tauglichen All-Over suchen. Seine durchdachten Miniaturen sind die Surrogaten eines unbändigen und authentischen Ausdruck und lassen den zum Monument strebenden lyrischen Expressionismus zum Zwerg schrumpfen. Reduzieren ist nicht alles – die nächste Dekonstruktion der genialen, abstrakten Malerei erfolgt bei Kottmann durch Wiederholung. Denn jedes Bild wird – in einer kleineren Dublette – „nachgemalt“. Spontane Einfälle und plötzliche Erregungen werden mehr oder weniger akribisch rekonstruiert; der entscheidende Augenblick in der Retorte rekonstituiert. Steht man davor, sucht man in diesen Bildern Anfang und Ende, Original und Fälschung. Aber genau das Dazwischen interessiert Markus Kottmann – das unsichtbare Bild, das der Rezipient aus Erinnerungen und Projektionen selbst malt.

Ioan Iacob bildet die einzige explizite gegenständliche Position der Gruppenausstellung. In seinen meist großen Formaten hat sich der gebürtige Rumäne und ehemalige Graubner-Schüler ganz der Komplexität der Farbe gewidmet. Er bedient sich zwar klassischen Gattungen, wie Landschaften, Stillleben, Porträt, etc. – diese bilden aber (ohne als Alibi abgetan zu werden) gewissermaßen das notwendige Gerüst, worauf die körperlichen und psychologischen Eigenschaften der Farbe „untersucht“ werden. Dieses Gerüst wird in einem langen Prozess der Bildfindung von Farbablagerungen „aufgefüllt“. Iacob geht zunächst von einem dunklen Grün aus, bedeckt es in einem späteren Arbeitsschritt von einem dunklen Rot und entwickelt von da aus seine Motive. Trotz der 30 bis 40 in sehr feiner Lasurtechnik aufgetragenen Farbschichten, setzen sich am Ende die untersten Lagen durch und tragen zur komplexen Erscheinung bei. Es sind lakonische Sujets, die eine wunderbare Stille ausstrahlen und zu einer aufmerksamen Farbwahrnehmung einladen. Denn Iacob will das Wesen der Farbe verstehen. In unserem Gespräch bewies er ein beeindruckendes Wissen und eine außerordentliche Sensibilität für dieses Phänomen. Seine Bilder sind Begegnungen mit der Farbe, die ein genaues, differenziertes und scharfes Schauen verlangen.

Er setzt auch zahlreiche Farbschichten ein. Er spielt auch mit Überlagerungen. Er malt auch geduldig und langsam. Wulf Aschenborn, der vierte Künstler im Bunde, ist der einzige, der sich in den Raum wagt und eine – im wahrsten Sinne des Wortes – Plastik vor seinen gemalten Werken ausstellt. Dieses Knäuel bildet den Überbleibsel eines ganzen Arbeitsjahres. Es sind die vielen Klebestreifen (ein Import aus den USA), die Aschenborn auf seine Leinwände in verschiedenen Mustern geklebt hat. Hier auch ist das Prinzip der Farbablagerungen dominierend: Der Künstler überträgt eine Farbe auf die Bildoberfläche, verdeckt dann Teile von dieser mit Band, übermalt sie dann mit einer anderen Farbe, verdeckt es, usw. – durchgeführt nach einem bestimmten, auf der Rückseite des Bildes notierten Plan, überlappen sich so bis zu 16 Farben in dicken, einheitlichen Schichten. Dann werden einzelne Klebestreifen losgelöst und die Komposition nimmt langsam Form an. Aschenborn legt teils zufällig teils bestimmt und präzis ganze Bereiche seines Bildes frei, definiert Schwerpunkte im Bildaufbau und sucht in den Untiefen der Bildgeschichte bestimmte Farben und Nuancen die er, wie ein Eichhörnchen, dort eingebuddelt hat. Abschließen und aufschließen. Zudecken und freilegen. Verbergen und hervorholen – das sind die Modi einer spielerischen Malerei, die sich Regeln fixiert, um dagegen zu verstoßen.

Aus den vorausgegangenen Bemerkungen sollte es klar geworden sein: „So machen wir das“ ist eine Malerausstellung. Den Herren geht es ausschließlich um malereiimmanente Fragen; Farbe, Leinwand, Komposition, etc. Und, naja, Maler interessieren sich in erste Linie für Wände. Das führt dazu, dass der Raum der Halle so gut wie unbeachtet wird, was angesichts seines Potenzials wahrlich Schade ist. Dies schmälert ein wenig den positiven Eindruck des gesamten Unternehmens. Immerhin bezeichneten die vier Künstler ihre Kooperation, die mit einem deftigen Grillabend am Rhein endete, als „eine runde Sache“. Dem hätte ich nichts hinzuzufügen.

 

„So machen wir das.“
Matthias G. Winter, Markus Kottman, Ioan Iacob, Wulf Aschenborn
Ausstellung v. 318-9.9.2012
geöffnet Sa 14-20 Uhr und So. 14-18 Uhr
Werft 77. Kunst im Hafen
Reisholzer Werftstr. 77
40589 Düsseldorf

Stefan Balkenhol, die Documenta 13 und die OCCUPY-Bewegung

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

 

Sie sind wie Starbucks-, McDonalds- oder Nordsee-Filialen – wenn man in eine fremde deutsche Stadt kommt, kann man versichert sein, sie irgendwo zu finden. Die Rede ist von den Occupy-Camps, die sich mittlerweile in den urbanen Landschaften der Republik etabliert haben und, trotz gelegentlichen Räumungen, nicht mehr weg zu denken sind. Was ist aus diesen Herden des Widerstandes geworden? Während sie in Großstädten wie Berlin oder Frankfurt teilweise zur Artikulierung eines relevanten politischen Diskurses geführt haben und den enormen Beitrag geleistet haben, Plattformen des Austausches und der Protestkoordination zu werden, wirken sie in Provinzstädten wie ruhige Aussteigertreffpunkte, die ausnahmsweise vom Ordnungsamt toleriert werden.

(Damit wir nicht missverstanden werden: perisphere begrüßt die Occupy-Initiative unbedingt. Dieser Kampf ist richtig, genau so richtig wie seine Ziele. Vorliegender Artikel ist lediglich Ausdruck einer tiefen Desillusionierung über den Weg zu diesen Zielen. Wir hoffen, dass die Bewegung einen neuen Aufschwung finden wird; und wenn wir auf manche Fehlentwicklungen hinweisen, dann nur, weil wir von dem dringenden Wunsch einer kohärenten, kräftigen und differenzierten Kapitalismus- und Neoliberalismuskritik bewegt werden.) Continue reading „Stefan Balkenhol, die Documenta 13 und die OCCUPY-Bewegung“

Guten Morgen Düsseldorf, guten Morgen Welt!

Jacques Rigaut (1898-1929), Arthur Cravan (1887-1919) oder Jacques Vaché (1895-1919) waren drei Helden des französischen Dadaismus und gelten – obwohl sie Zeit ihres Lebens keine einzige künstlerische oder literarische Arbeit im herkömmlichen Sinne veröffentlicht haben – als wichtige Impulsgeber der Avantgarden um 1920-1930. Diese drei  Männer (auf dem stark devaluierten Begriff „Lebenskünstler“ möchten wir hier verzichten), die ihre Existenz zu einem radikalen Kunstwerk gemacht haben und demnach sich nie als Künstler verstanden haben, haben spätere Größen wie Marcel Duchamp, André Breton oder Jorge Luis Borges entscheidend beeinflusst.

An diesen drei mythischen (wenn auch unsichtbaren) Figuren der Moderne müsste ich denken, als ich letzte Woche, zum Abschluss der Kunstpunkte in Düsseldorf, auf Hubert Körner stieß. Hubert wurde von Mark Pepper in dessen Atelier „Verdichtung des Realen“ eingeladen, das neben seiner Funktion als Produktionsstandort auch der Vermittlung von Performances oder Konzerte dient.

Mark Pepper

Körners kurzer und fulminanter Auftritt in der Stadt wird nicht so schnell vergessen. Der ehemalige Gärtner und letzter waschechter Sozialist dieser Republik wohnt seit 20 Jahren im Kreis Warendorf und darf nun das Leben eines Rentners genießen.  In seinen surrealistischen und trashigen Texten sowie in seinen an Art Brut erinnernden Collagen prangert er die kleinbürgerliche Korruption auf dem deutschen Lande und der tägliche, von allen Behörden abgesegnete Faschismus an. „Das Sexmonster von Warendorf“ war nur ein kleiner Auszug seines Talentes – und wer mehr erfahren und erleben will, kann auf YouTube einiges finden.

 

Für das wackelige Video und für die Einladung bedanken wir uns bei Mark Pepper.

Philip Hardy & Future of the Left

Dass die Videogattungen sich spätestens seit dem goldenen Zeitalter von MTV (1981-1986) durchdringen und dass Musikclips gelegentlich zu Kunstwerken werden, muss nicht mehr bewiesen werden. Wir haben auf Nerdcore eine hübsche Arbeit des Briten Philip Hardy gefunden, die durchaus in einem White Cube hätte präsentiert werden können. Und vielleicht wird es eines Tages dazu kommen. Die einfache, beinah minimalistische, dabei aber höchst heterogene Bildsprache von Hardy erinnert an eine situationistische Collage („Another cute Bug Film“ ist hier besonders zu empfehlen) und demontiert manche neoliberale Entwicklungen. So auch die neueste Produktion für Future of the Left, die Bezug auf die Londoner Olympic Games nimmt – und deren Schattenseite kommentiert.

Danke nerdcore; wir wären nicht so schnell darauf gekommen…

Flaming Creatures in der Julia Stoschek Collection

Eine Fotostrecke von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

 

Versprochen: Wir werden auf diese Ausstellung zurück kommen. Die sechste Präsentation der Julia Stoschek Collection ist viel zu bedeutend, um mit ein paar läpischen Schnappschüssen abgehandelt zu werden. Denn, abgesehen von manchen verspielten und spektakulären Positionen, die in gefährlicher Nähe der gefälligen Selbstinszenierung und der Effekthascherei kommen, hat Flaming Creatures unheimlich viel zu erzählen. Gerade im Hinblick auf Forme der Subkulturen und auf ihrer Theoretisierung bietet die Ausstellung eine zugleich abwechslungsreiche und zusammenhängende Reise durch ausgewählte Territorien der ästhetischen Devianzen und der antibürgerlichen Abnormitäten.

Bevor wir also Flaming Creatures gebührend dokumentieren und besprechen (das Filmteam von perisphere bräunt sich ja gegenwärtig in Portugal oder in Sizilien), hier ein erster, ziemlich exklusiver Vorab-Blick darauf. I’ve got friday on my mind…

 

Ed Ruscha – Sin-Without
Lizzie Fitch, Ryan Trecartin mit Rhett LaRue und Adam Trecartin – Aventura
Bruce Nauman – Artmakeup (Bild: JSC)
Ryan Trecartin
Ryan Trecartin
Ryan Trecartin

Ryan Trecartin

Ryan Trecartin
Ryan Trecartin
Ryan Trecartin
John Bock – Videokistenhaufen
John Bock – Videokistenhaufen
John Bock – Videokistenhaufen
John Bock

John Bock

John Bock
John Bock

Mike Kelley
Jack Smith
Jack Smith – Flaming Creatures (Bild: JSC)
Gwenn Thomas – Doku der Performance von Jack Smith „Fear Ritual of Shark Museum“ im Kölner Zoo

Gwenn Thomas (Bild: JSC)
Gwenn Thomas – Fotozyklus
Birgit Hein – Kino 74 – Jack Smith BRD
Jack Smith
Jack Smith: Untitled
Jack Smith: Untitled
Jack Smith: Untitled

 

 

Flaming Creatures
in der Julia Stoschek Collection
8.9.2012 – Frühjahr 2013
Eröffnung am 7.9.2012 um 19 Uhr
Schanzenstr. 54
40549 Düsseldorf

 

 

 

 

Sommerausstellung in der Basis

von Havva Erdem (Frankfurt a. Main)

Nur wenige hundert Meter vom blau-gelben Riesen-Euro mit Sternchen  entfernt, liegt die BASIS. Der Gemeinnützige Verein und Vermittler von Atelierräumen vermietet seine Räume sowohl an freie als auch angewandte Kreative der Stadt. Die Arbeits- und Produktionsstätten der Geförderten verteilen sich auf zwei BASIS-Standorte: während die Elbestraße zusätzlich mit kleineren Projekt- oder Präsentationsräumen und einer Holz- und Siebdruckwerkstatt aufwarten kann, wird hier, auf der Gutleutstraße im beginnenden Frankfurter Bahnhofsviertel, der gesamte Erdgeschoßbereich des Gebäudes als 350qm-Ausstellungsfläche für junge, internationale Künstlerpositionen genutzt.

Stefanie Pretnar
Stefanie Pretnar

Es ist Sonntag-Abend, die BASIS hat zur Finissage der aktuellen Ausstellung geladen. Es ist anfangs nur dürftig besucht – zur etwas später stattfindenden Performance werden es ein paar Gäste mehr sein. Bei einem ersten, kurzen Streifzug gelange ich durch eine kleine Holztreppe zum Abschluss der Präsentation, zwei dunklen Räumen, aus denen das Licht bewegter Bilder flackert, und beginne – nun in umgekehrter Richtung – mit meiner Foto-Dokumentation.

Björn Drenkwitz

Schon im zweiten Raum zieht mich ein gerade anlaufender Kurzfilm von Björn Drenkwitz augenblicklich in seinen Bann. Es ist eine hypnotische Szene, grobkörnig und untermalt vom Rauschen der brandenden Wellen. An einem Strand tanzen zwei in die Jahre gekommene Frauen Arm in Arm und drehen sich etwas linkisch, aber allem Anschein nach ziemlich glückselig um sich selbst. Ich frage mich, warum das so beruhigend anzuschauen ist. Und als mir gerade klar wird, dass die Frauen sich zwar in Zeitlupe bewegen, die Wellen aber im – zwar ebenfalls gemächlichem – jedoch altbekannten Takt heranzurauschen scheinen, ist der Film schon zu Ende.

Dirk Krecker

Es ist übrigens die alljährlich stattfindende Sommerausstellung der BASIS, mit einer verhältnismäßig immer nur kleinen Auswahl aus den 135 in den angehängten Ateliers arbeitenden Künstlern. Der diesjährige Kurator Markus Lepper, zur Zeit Leiter des Kunstvereins in Gießen, hat sich für fünf Künstlerinnen und sieben Künstler entschieden. In seinem ausführlichen Begleittext erklärt er, dass der Titel der Ausstellung einer Arbeit des teilnehmenden Künstlers Dirk Krecker entlehnt ist, und arbeitet sich dann Raum für Raum mit Hintergrundinformationen zu den Protagonisten durch sein „Südliches Ackerland“. Kreckers titelgebendes Werk ist selbst bei der Ausstellung nicht vertreten, dafür hat man aber gleich an zwei Orten die Möglichkeit, seine – ausschließlich mit Schreibmaschine bearbeiteten – DIN-A4-Bögen kennenzulernen. Bei näherer Betrachtung der Arbeiten erscheint es plausibel, dass er umständlich die Schreibmaschine bemüht und nicht den Computer nutzt. Dieser ist mittlerweile zum Werkzeug für so vieles geworden, während es bei der Schreibmaschine immer allein um Worte ging. Um viele Worte. Um alle möglichen Worte. Worte, die Krecker wieder und wieder als Satzteile, z.B. „stressbedingte Selbstmordwelle“, auf ansonsten leerem und zerknittertem Papier vorbeiziehen lässt. Worte, die er zu sich wiederholenden Zeichenmustern umwandelt und zersetzt. Einzelne Buchstaben, die er durch beständiges Übertippen zu unkenntlichen, dunklen Blöcken verklebt. Worte, die zu Zeichen, und Zeichen die zu Strukturen von Bildern werden,- nebeligen Bildern, die von umherirrenden Menschen, Krieg und angelockten Vögeln erzählen.

Dirk Krecker

Darauf angesprochen erklärt Krecker, dass Vögel ja gleichzeitig „sowohl als Heilsbringer als auch Boten des Bösen verstanden werden können“. Der Absolvent der HFG-Offenbach, der zwischenzeitlich zwei Jahre in der Städelschule bei Thomas Bayrle studiert und dort innerhalb dieser kurzen Zeit die Meisterschülerweihe erlangt hat, entschied sich schon vor Längerem gegen die Malerei. Stattdessen arbeitet er auch im installativen Bereich.

Vorne= Flo Maak; Mitte = Wiebke Grösch + Frank Metzger; Hinten = Dirk Krecker
Vorne = Wiebke Grösch + Frank Metzger; Hinten = Dirk Krecker
Wiebke Grösch + Frank Metzger

Die einzelnen Räume der BASIS wirken abwechslungsreich, was sowohl an ihren zum Teil großzügigen, aber auch nischenartigen Raumeinteilungen liegt, als auch an ihren Fenstern, die mal dominant, mal fast verdeckt oder gar nicht erst vorhanden sind. In der linken Halle luken sie nur noch unter der Decke hinter nachträglich angebrachten, dicken Wandverkleidungen hervor, so dass man den Eindruck bekommt, dass es sich bei diesem Raum um einen unterirdischen handeln könnte – wie einem Bunker oder einer Forschungsstation.

 

Nicolaj Dudek

Hier wird das Thema Kosmos aufgegriffen. Nicolaj Dudeks Wandarbeit – ein nächtliches Firmament, das auf den ersten Blick zu eindeutig scheint – erweist sich als Sternenhimmel durch aufgeklebte Kaugummireste. Wenn der anfängliche Charme dieses Witzes jedoch verflogen ist, bleibt wenig zurück; so auch bei näherer Betrachtung seiner beiden kleineren Bilder. Denn während diese von Weitem noch interessant wirken, bleiben sie nach Aufdeckung des auch hier angewendeten Kaugummi-Jokes doch arg an der Oberfläche.

Christiane Feser

Christiane Feser, mit schwarz-weissen Fotoarbeiten vertreten, führt die kontrastreiche Dokumentation einer nicht näher spezifizierbaren Kraterlandschaft weiter, indem sie nachträglich alle darauf abgebildeten Erhöhungen kreuzförmig aufgeschnitten und von der Rückseite durchgedrückt hat. Die nun geöffneten Ausbuchtungen des Fotos haben die Form von Blütenrelikten, ganz ähnlich wie bei reifen Granatäpfeln. Diese ausgestülpten Einschnitte lassen die länglichen Schlagschatten im Bild nun zu Schatten einer Gegenwart werden, die aber nicht mehr nachträglich zur Realität der Fotografie werden kann – ein Paradox mit dem Feser spielt.

Valentin Beinroth

Valentin Beinroth verweigert sich der einheitlichen Vereinnahmung des Raumes. Schelmisch hat er das Kapitell der einzigen Raumsäule mit einem bunten Bananenkarton umschlossen. Diese Aktion wirkt zuerst einfach nur lustig, dann aber wie eine bissige Rückbesinnung auf den eigentlichen Bedeutungsinhalt des Ausstellungstitels und dessen Zusammenhang mit Land Grabbing in Schwellenländern und der Verwicklung westlicher Kreditinstitute in Nahrungsmittelspekulationen. Gleich einem neckischen Affen nimmt seine Arbeit die gesamte Ausstellungssituation aus dieser erhöht-distanzierten Position aufs Korn – wobei Affen das natürlich auch aus Angst machen, oder wenn sie nicht so genau wissen, was sie von einer Sache halten sollen.

Viola Bittl
Viola Bittl

Der Kurator Markus Lepper sieht die Bedeutungsebene des Titels eher in der Möglichkeit und Aufgabe der Künstler Themenkomplexe und Fragestellungen zu bearbeiten und vergleicht die Ausstellung mit einem Garten, der ganz unterschiedliche Felder besitzt und z.B. durch eine in ihm verwirklichte Ordnungsstruktur zusätzliche inhaltliche Tiefe erhalten kann. So hat er, während der Vorbereitungsphase, der einzigen klassischen Malerin, Viola Bittl, einen der kleinsten Räume der BASIS mit der Bitte ans Herz gelegt, mit diesem wie mit einer „Schatzkiste für Malerei“ umzugehen, was sich im Nachhinein als vorausschauend und feinfühlig erweist, denn tatsächlich strahlt der Raum nun genau das aus. Das mag wohl zu gleichen Anteilen am Zusammenspiel der schlichten Hängung, den robust-dicken, holzgrundartigen Leinwänden, deren kalkigem und zurückgenommenem Charakter und nicht zuletzt an dem kammerartigen Raum liegen.

Jin-Kyoung Huh

Und vielleicht auch an der noch dezenteren Arbeit einer zweiten Frau, Jin-Kyoung Huh, die neben dem bestehenden Ein- und Ausgang den Akzent einer dritten – wenn auch nur vermeindlichen – Öffnung an der Wand angebracht hat,- die Erinnerung an einen Durchgang, der nie existiert hat. Huh ist im letzten und eigentlich ersten Raum der BASIS, dessen eine Breitseite Abschnitte mit Sprossenfenstern durchziehen, ebenfalls mit einer zweiten Arbeit vertreten. Alle hier ausgestellten Werke stellen Bezüge zu den Fenstern her, sei es durch durchsichtige Materialien, reflektierende Oberflächen, gitterartige Strukturen oder entsprechende Aufreihungen. Huh schafft auch hier eine ruhige Projektionsfläche, indem sie auf drei schlichten Papierbögen einen schwarzen Edding-Stift Linie um Linie seine Kräfte aushauchen liess. Drei Abschnitte, drei Lebensalter. Der Klassiker.

Flo Maak
Flo Maak

Eine engagierte kuratorische Arbeit kann schlussendlich also auch aus der Jahresausstellung einer Ateliergemeinschaft – falls man den gemeinsamen Nenner der präsentierten Künstler so bezeichnen darf – eine durchaus sehenswerte Ausstellung machen. Gänzlich eigeninitiativ war bei „Südliches Ackerland“ aber die abschließende Performance von Dirk Krecker, der sich noch einen disziplinenübergreifenden Gast dazu einlud: Anne Jung, von der Hilfsorganisation Medico International. Der gemeinsame Auftritt war in je zwei, sich abwechselnde Text- und Soundblöcke unterteilt. Jung trug sehr ernst ihre Interpretation von „Südliches Ackerland“ mit Beschreibungen der wichtigsten Mißstände dieser Welt vor, während Krecker kurze Abschnitte aus YouTube-Interviews (politisch-wirtschaftlichen Inhaltes) mit eindringlichen und schallenden Tönen zu Rhythmen vermischte und durch extreme Wiederholung zerfetzend parodierte,- so als würde man sich durch den gesamten Frequenzbereich eines Radios durcharbeiten und jeder klare Empfang nur leere Worthülsen an die Oberfläche bringen… Während die Fakten und Zahlen von Jung und ihr etwas bemüht wirkender Zynismus beim Aufdecken der desolaten Weltsituation, mich nicht wirklich berührten, löste Kreckers Sound am Mischpult genau das fehlende Gefühl aus. Dass dies seine erste Performance war, hat man dem Künstler nicht angemerkt. Die Veranstaltung endete mit einer Diskussionsrunde, in der sich ein Gespräch um die Möglichkeiten und Auswirkungen der Zusammenarbeit von Künstlern mit karitativen Unternehmen entspann.

Anne Jung und Dirk Krecker

 

Sommerausstellung 2012
Kuratiert von Markus Lepper
Eröffnung 9.August 2012 19:00 Uhr
10.-26. August 2012
Di-Fr 11:00-19:00 Uhr
Sa/So 12:00-18:00 Uhr
 
BASIS
Gutleutstrasse 8-12
60329 Frankfurt am Main
 
www.basis-frankfurt.de
www.soundcloud.com/ume-pop
 

Extinguish Me im reinraum

von Saskia Zeller (Düsseldorf)

 

Langsam wird das Wasser trüb. Der Seifenkopf schmilzt im Aquarium, das Gelatine-Gesicht zersetzt sich. Vor kurzem hatte sich Schimmel gebildet. Daneben bewegt sich Papier im Wind, die Farbe vereint sich mit dem Regen. Vergänglichkeit ist das Thema, das Marco Biermann, Ruben Smulczynski , Alessa Joosten und Alexandra Kahl interessiert. Ihre Kunstwerke sind Experimente, die sie in die Unkontrollierbarkeit entlassen wollen. Nichts Gefährliches dabei, aber Spannendes.

Biermann / Smulczynski
Smulczynski
Biermann / Smulczynski
Biermann

Den Platz oberhalb des unterirdischen reinraums nutzen die Akademie-Künstler als Ausstellungsfläche und lassen die Dinge sich selbst entwickeln. Es regnet gerade auf die Fotocollagen von Ruben Smulczynski, die sich durch das Wasser schon wellen und winden. Auch im sternförmigen Glas verteilt sich mit den Tropfen von oben die rote Restfarbe in die Zacken. Die Gelatine- und Seifen-Installationen bleiben unter solchen Bedingungen nicht lange stabil. Die Gelatine zersetzt sich nach wenigen Tagen ähnlich wie Quecksilber, wissen Marco und Ruben aus Erfahrung. Die Seifenlauge würde sich ausbreiten wie ein Schleier und die Form des Gesichts im Wasser versenken. Zur Finissage vor zwei Tagen war es soweit. Jetzt hatten die Künstler wieder alles neu errichtet und warteten gespannt auf eine  Entwicklung. Nach der Finissage geht es für sie nun weiter mit den Kunstpunkten.

Joosten

Einige Passanten bleiben stehen und betrachten die „Laborversuche“ mitten in der Stadt. Alles vermischt sich – auch die Genres. Neben den Wind- und Wetter-Gemeinschaftsarbeiten von Marco und Ruben gibt es auch ein Video von Alessa Joosten zu sehen. Die Stromkabel liegen offen. Geschützt ist das Gerät nur mit einem Regenschirm. Darunter werden verletzte Beine gezeigt, die zunächst unter einem Strickstrumpf verborgen liegen. Dieser wird langsam aufgeribbelt. Die Umhüllung fällt. Übrig bleiben wohl ein langer Faden und für den Betrachter der Blick auf die Wunde am Oberschenkel. Bewegung, Prozesshaftigkeit, Auflösung ist das Thema: Extinguish me.

Biermann / Smulczynski

Biermann / Smulczynski

Unten in den Ausstellungsräumen wird gerade der Sitzende aus Seife von Wassertropfen zersetzt. Noch ist er menschengroß und fast vollständig erhalten. Wie lange wird er durchhalten? Der Wachskopf daneben hat sich nach einer Feuerprobe schon halb in das ehemalige Pissior ergossen. Er hat jetzt eine neue „Frisur“ aus sich selbst heraus transformiert.

Kahl

Biermann

Im anderen Ausstellungsraum knallt es unterdessen. Alexandra Kahl zeigt in ihrem Video eine Frau, die Luftballons um den Hals trägt. Sie sind gefüllt mit roten Farbpigmenten und werden zum Platzen gebracht. Peng mit wirbelndem Staub. Die Frau wirkt weiter unberührt davon. Auf das Video schaut der Betrachter herab. Es wird oberhalb der Fußleisten projiziert. Die Videos der beiden Frauen passen zu ihren Arbeiten, meinen Marco und Ruben. Die Studenten der Professorin Katharina Grosse haben die Ausstellung im reinraum auch kuratiert. Alle Werke sind ungewöhnlich platziert und erhalten dadurch etwas Improvisiertes. So hängt die Zeichnung „Fliegenfänger“ von Marco tatsächlich an der Wand wie gerade zufällig aufgefangen. Jeder Windhauch könnte sie davon wehen, wie es scheint.

Smulczynski
Smulczynski

Unberechenbar ist auch das Ergebnis der Collagen von Marco Biermann. Kontrollierter Zufall. Er hat Fotos so oft manuell und am Computer bearbeitet bis sie abstrakt wirken. Ein Motiv hat er durch Kratzen komplett unkenntlich gemacht. „Ich finde es interessant, wie unterschiedlich meine Bilder wahrgenommen werden“, sagt er. „Was genau gesehen wird.“ Die „Wahrheit“ dahinter, also das ursprüngliche Motiv, sei für viele enttäuschend, wenn sie es erfahren würden. Er erschafft Geheimnisse.

Biermann
Biermann

Die Künstler im reinraum spielen mit Wahrnehmung. So zeigt das Bullauge zwischen zwei Räumen dasselbe Bild von verschiedenen Seiten und mit unterschiedlicher Aussage. Einmal schaut ein Mensch auf Fische im Aquarium. Auf der anderen Seite ist es umgekehrt. Die Fische glotzen diesmal den Menschen im Becken an. Ein bisschen klaustrophobisch fühlt es sich es in den ehemaligen Toilettenräumen jetzt doch an. Am besten gleich mal schnell nach oben schwimmen…

Biermann
 
Extinguish Me 
3.8.-29.8.2012
reinraum
Aderstr. 30 a
40215 Düsseldorf
(auf / unter dem Platz)

Susan Collis im Honigbrot

Das HONIGBROT lädt herzlich ein zu:
SEPTEMBER HONIGBROT:
Susan Collis – Rein
Freitag 7. Sept – Sonntag 7. Okt 2012
Eröffnung / Opening Reception: Fr 7. Sept 19 Uhr
Fr 07. Sept 19 h: Ausstellungseröffnung
Sa 08.- So 09. Sept jeweils 14-16h: Cupcakes&Tea
Mi 19. Sept 20h: Der Glanz des Materials, eine Lesung zu Gernot Böhmes Atmosphäre (1995)
Do 27. Sept 20h: Screening: The Straight Story – David Lynch (1999), Popcorn&Bier
Sa 6. Okt 19h: Finissage, Musik&Drinks

The space was closed. Then we left. – von Calori & Maillard

by Calori & Maillard

 

 

Human knowledge is based on stories and the human brain consists of cognitive machinery necessary to understand, remember and tell stories. Humans are storytelling organisms that both individually and socially, lead stories live. Stories mirror human thought as humans think in narrative structures and most often remember facts in story form. Facts can be understood as smaller versions of a larger story thus storytelling can supplement analytical thinking.

from Wikipedia, http://en.wikipedia.org/wiki/Storytelling, Monday, August 20th 2012

 

 

Thursday August 16th, during the Bahnhofsviertel night in Frankfurt am Main, we heard about an art exhibition taking place in the district. While getting there we started collecting expectations and anecdotes about this exhibition from several artists.

None of these improvised storytellers had actually seen the exhibition, but they just imagined the event,  creating at each time a new image.

The stories we have been told and the hue of interpretation seemed to us fascinating and able to describe the undefinable strength to create situations out of nothing.

Later we tried to get to the exhibition, but it was closed.

The fact of having missed the exhibition is to consider as a calculation error (in time). Nevertheless plenty of possibilities arose from this error, creating an ephemeral happening.

The outcome stories are from artists who have not seen the exhibition, but imagined it following the flow of  their expectations.

 

 

 

 

“Interesting. I wish it would have been more about subculture and youth. That is what the artists are doing. And then, thanks, thanks, thanks a lot.

It was about photography, photoshop, it was about the digitized century: pixel mistakes, images that are destroyed, destroyed pixels; stupid images of how the digital world become too fast and annoying.

People staring rather bored on the photos, reflecting themselves on the glass frame.

They concentrated on the reflection of the glass, than they touched the glass and they thought „what a wonderful glass!“

Too many kids, everyone had babies: that annoys me.

Not enough alcohol.

One picture fell down because I was clumsy,

a glass broke

but it was not discovered that it was me.

Then I left.”

(Charlotte Simon)

 

 

“A white cube. Plinth. One single tortilla on the plinth. You smell Britney Spears perfume after a Mexico tour (crispy-toasted corn).”

(Russell Watson)

 

 

“She walked in, she tried to concentrate, but there was a bad lightning, she could not see, anyway, she did not want to see. A guy in the corner was chewing a piece of wood and that was disgusting. She could  not watch it anymore. She went away.”

(Luzie Meyer)

 

“Pretty dark

disco balls hanging

no music

no light on the disco balls

(you see them just when cars are passing by)

there is one exemplar of a magazine

it is floating in the room as in levitation 10 cm

on a pedestal made of stone”

(Aurélia Defrance)

 

 

“ Two laser-cutted architecture model, made with stripes that go up.

One architecture plan on a wall. Lot of sketches. Definitely a Must See art-chitecture”

(Laura Langer)

 

 

“There were no chewing gums, no karaoke and no misconceptions. It sounded of expectations, the temperature was dry with a forecast of strong winds from the north. Period. Ouroboros. 43 AA”

(Jol Thomson)

 

 

„Interviews. Projection of the magazine. The space is inside of a mall, a big one, and it is surrounded by brand name stores, escalators, elevators, and an emergency exit. Next to it there is a bank, with a person sitting in front waiting for someone to drop a coin. The exhibition space seemingly has white walls and plinths but they are empty. There is no food, just some beer to drink, which you have to pay for. There is a bunch of people, watching each other. No one is looking around at the artworks. The artworks are watching themselves.”

(Mahsa Saloor)

 

 

“The space was closed.

Then I left.”

(Yuki Kishino)

tvifari – doppelgänger im plan.d

von Saskia Zeller (Düsseldorf)

 

Was kann in dieser Welt verbindender sein als Magma? Es kommt direkt aus der Mitte der Erdkugel. Heiß und flüssig ergießt es sich auf die Oberfläche. Es erkaltet und entwickelt eine individuelle Form. Die Ausprägung von Lava ist für den Künstler Halldór Ásgeirsson eine universelle Sprache. Für seine Kunst ist es das Material, aus dem alles entsteht. Das verbindende Moment zwischen allen Völkern dieser Erde.

Ásgeirsson weiß, wovon er spricht. Er kommt ja schließlich von der vulkanreichen Insel Island. Als Seemann hat er die Welt gesehen und eine seltsame Sammelleidenschaft entwickelt. Seit 20 Jahren bringt er von seinen Reisen aus Japan, China, Frankreich und Italien Vulkangestein mit. Zuhause erhitzt er es mit heimischem Lava. Alles verschmilzt. Es entstehen bizarre Formen aus Lavakristall, die alle aus der gleichen Wurzel stammen, aber eine andere Ausprägung haben. „Wie Menschen“, sagt Ásgeirsson. Keine Form gleicht der anderen. Feine Härchen aus Glas, insektenartige Gebilde, Tropfen, angedeutete Frauenkörper, Hände mit sieben Fingern – seine Skulpturen sind der Assoziationsmaschine des Betrachters vollständig freigegeben.

Halldór Ásgeirsson
Halldór Ásgeirsson
Halldór Ásgeirsson

Ásgeirsson selbst transformiert seine kleinen Werke weiter. So dienen ihm die Kristalle als Vorbild für kalligraphische Tuschezeichnungen. Standard-Portraitfotos irritiert er mit Kristallschwärmen auf der Haut. Gruseliges Insektenzeug auf dem Gesicht und doch harmlos.

Halldór Ásgeirsson

Unter dem Titel „tvifari – doppelgänger“ zeigen in der Produzentengalerie plan.d.  fünf Isländer ihre Werke. Wie Halldór Ásgeirsson mussten zumindest auch die in Düsseldorf ausstellenden Künstler Sara Björnsdóttir, Kristinn Már Pálmason, Erla Þórarinsdóttir und Arthur Ragnarsson ihre „kleine, isolierte Insel“ verlassen und in die weite Welt hinaus. Um ihre „Identität zu erweitern“, wie sie sagen. Geprägt habe die Isländer die Kolonialisierung durch die Dänen, aber auch britische und amerikanische Einflüsse seien stark. Später, in 2008, habe die Finanzkrise das Land ordentlich durchgeschüttelt und verarmen lassen. „Heute sind wir eine postmoderne Gesellschaft“, behaupten die Künstler.

Kristinn Már Pálmason

„tvifari – doppelgänger“: Der Titel der Ausstellung ist gut gewählt. Tatsächlich passen die fünf Künstler mit den zum Teil unaussprechlichen Namen sehr gut zusammen. Das finden auch die Kuratoren Sonja Tintelnot und Peter Clouth. Nicht nur Ásgeirsson sucht das alles Verbindende, das Universelle, das Gleiche im Ungleichen. Erla Þórarinsdóttir ist ebenfalls viel gereist, wenn auch nicht mit dem Schiff. Nach ihrem Kunststudium in Stockholm hat sie viele Monate in China, Indien oder den USA verbracht. Immer auf der Suche nach DEM Kern und DER allgemeingültigen Sprache. Die Malerin und Bildhauerin zeigt bei plan.d. Fotos, die eben genau dieses Universelle aufgreifen: Auf den Zug Wartende in Indien, Gänse auf den Straßen von Reykjavík oder Symbole für Damen- und Herren-Toiletten irgendwo auf der Welt. Zum Teil exotische Momente und doch so vertraut. Es wirkt.

Erla Þórarinsdóttir
Erla Þórarinsdóttir

Sara Björnsdóttir kreiert den „Doppelgänger“ mit Textcollagen: „I the great fake center your twins“. Die englische Sprache als universelle Sprache, die Inhalte: Liebe, Zukunft, der Planet. Es sind Gedankenfetzen, die an der Wand hängen. Worte aus Zeitungen oder Illustrierten ausgeschnitten. Wie ein anonymer Brief serviert. Im Flur, im Vorbeigehen zu lesen. Poetisch, leidenschaftlich, geheimnisvoll.

Sara Björnsdóttir
Sara Björnsdóttir
Sara Björnsdóttir

Im letzten Raum steht Arthur Ragnarsson im Nebel. Er hat ihn sich selbst gebaut aus alubeschichteten Pappen mit Grafitzeichnungen. Ragnarsson ist das verbindende Glied zwischen der plan.d.-Galerie, in der er schon einmal ausgestellt hatte, und der isländischen Gruppe. Auch er war früher Seemann in internationalen Gewässern. Heimweh ist sein verbindendes Element. Zwischen der Welt und Island. Heimweh hat er immer mit im Gepäck. Ein universelles Gefühl, das es überall gibt, sich aber auf unterschiedliche Orte bezieht. Auf die Wurzeln eben. Und Nebel? Den hat er schon oft erlebt, auf hoher See, aber auch metaphorisch. Zum Beispiel bei der Finanzkrise 2008. „Es war wie eine Explosion“, sagt er. „Dann kam die Dunkelheit, Orientierungslosigkeit und Isolation“.

Arthur Ragnarsson
Arthur Ragnarsson
Arthur Ragnarsson
Arthur Ragnarsson

Sein Nebel-Reflektor im plan.d. zeigt die verzerrte Spiegelung des Betrachters und des Raums. Die Zeichnung mit Graffiti Bleistift ist „das einzig Reale“, sagt er. Das Silbergrau verändert sich nicht mit der Perspektive des Betrachters. Es ist etwas, das fest steht. Ein isländisches Höhlengleichnis? Diese spontane Interpretation gefällt Ragnarsson ungemein – er nimmt sie mit einem Wikingerlachen dankend an.

 

tvífari – doppelgänger
bei plan.d.
Dorotheenstr. 59
40235 Düsseldorf
Ausstellung vom 18.8-9.9.2012
geöffnet Sa. und Son. von 15-18 Uhr

Das Berliner Künstlernetzwerk ArtConnectBerlin feierte den ersten Geburtstag

Keine andere deutsche, eventuell auch europäische Stadt, übt derzeit eine größere Anziehungskraft auf Kreative, Künstler, Hipster und andere Bohemians aus als Berlin. Und so ist auch die hohe Dichte an Onlineprojekten mit Kunst- und Designbezug die in der Hauptstadt verwurzelt sind nicht weiter erstaunlich. An wenig anderen Orten vermischt sich digitale Avantgarde so stark mit der Kunstszene und keine andere deutsche Stadt hat mehr Kunstblogs oder Kreativeprojekte am Start.
Eines dieser Projekte ist die von Julia Mari Bernaus ins Leben gerufene Plattform ArtConnectBerlin, dort hat man es es sich zur Aufgabe gemacht die Berliner Kreativen ähnliche wie bei Facebook auf digitalem Weg miteinander zu vernetzen. Das Projekt ist am 10. August 2012 ein Jahr alt geworden und das wurde ein Wochenende lang gefeiert. Anna Lena Werner vom artfridge-Blog war vor Ort und hat sich die Sache angesehen.

der erste Geburtstag von artconnect Berlin – Foto by artfridge

Weitere Bilder vom Wochenende gibt es bei facebook.
Und natürlich gratulieren auch wir zum Einjährigen und wünschen weiterhin viel Erfolg!

artconnectberlin.com/
www.facebook.com/artconnectberlin

ARTCONNECT BERLIN HQ
Boddinstraße 62‬
‪12053 Berlin‬

Bendzulla, Harrison und Osterried bei Benzulli

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

 

Benzulli ist Bendzulla. Und Bendzulla betreibt den Benzulli. Seit wenigen Monaten öffnet Johannes Bendzulla sein Atelier der Öffentlichkeit und präsentiert dort Arbeiten seiner Künstlerkollegen und ehemaligen Kommilitonen aus der Kunstakademie. Die kleine Halle, die sonst als Atelier genutzt wird, wird für ein Wochenende leer geräumt (ein Teil der Produktion wird sogar im Innenhof kurzfristig ausgelagert), und es entsteht dort eine Ausstellungsplattform, die, parallel zum etablierten Kunstbetrieb, Platz für Experimente gewährt.

Ein kleines Experiment ist die aktuelle Schau. Sie zeigt die Ergebnisse der Zusammenarbeit von Johannes Bendzulla, Adam Harrison und Dominic Osterried. Die drei Künstler haben bei Christopher Williams studiert (Harrison ist wohl noch eingeschrieben) und haben im letzten Sommer eine ungezwungene, kurzfristig angelegte Kooperationsarbeit durchgeführt. In einer Art Jam-Session haben sie einen  vernachlässigten und halb-defekten Drucker der Kunstakademie reaktiviert und Motive über Motive produziert. Die entstandenen Überlagerungen von Textteilen aus älteren Büchern und Bildelementen (die sich in der Ausstellung meistens auf den Kunstbetrieb beziehen und Plakate von Museen zitieren) sind größtenteils zufällig entstanden.

Bild: Benzulli
Bild: Benzulli

Ein Jahr nach dieser dreitägigen Produktionsphase wurde eine Sichtung der Ergebnisse organisiert, die selbst in der aktuellen Ausstellung mündete. Die Quintessenz dieser wilden Druckaktion fällt allerdings mager aus. Es sind lediglich vier Arbeiten ausgewählt worden, die im Doppelatelierraum sehr viel Platz erhalten. Vom fieberhaften Prozess ist hier nichts mehr zu spüren, die denkbare Freude an einer Kooperation und die auktoriale Unruhe, die mit jeder gemeinschaftlichen Arbeit einhergeht, haben sich in der sauberen und beinah museumskonformen Präsentation vollständig aufgelöst.

Bild: Benzulli
Bild: Benzulli
Bild: Benzulli
Bild: Benzulli

 

Benzulli zeigt:
Die Ergebnisse der Zusammenarbeit von Johannes Bendzulla, Adam Harrison und Dominic Osterried
Eröffnung: Freitag, 17.08. 19.00 bis 24.00 Uhr
Geöffnet am Samstag den 18.08. und Sonntag den 19.08. von 14.00 bis 18.00 Uhr
Ausstellungsraum Benzulli,
Worringer Straße 103 (Hinterhof),
40210 Düsseldorf

 

Ein Tischgespräch als Instagram Sprachmemo

Wir führen unsere kurze Reihe der Noninterviews an dieser Stelle fort. Und natürlich geht es auch dieses mal wieder um die Fragen nach der Metamoderne. Gewohnt Reflektiert und auf hohem analytischen Niveau wird zwar Anfangs etwas scheu, dafür dann aber ohne Hemmungen öffentlich und laut zu den Fragen der Zeit gedacht.
Das Gespräch wurde auch dieses mal von Gonzomode auf einem I-Phone der ersten Generation aufgezeichnet.

Aber schnell wird klar, dass jede Person absolut belanglos ist!

Wir empfehlen den Download der Datei und das Abspeichern auf Ihrem mp3-Abspielgerät zur Verwendung beim Joggen oder einer vergleichbaren Freizeitaktivität. Bitte aber unbedingt im Loop hören!

[audio:http://www.perisphere.de/wp-content/sounds/Metamoderne_2.mp3] (04:21)

Wenn Sie diese Aufnahme nicht über unsere Webseite hören wollen, können Sie diese selbstverständlich gerne herunter laden. Das mp3-file steht unter der Creative Commons License CC BY-NC 2.0 zum Download bereit.

Metamoderne_2.mp3

Claus Richter über Bernd Krauß – Das grafische Werk

Claus Richter schreibt beim artblogcologne über die aktuelle Ausstellung im Kölnischen Kunsterverein. Ob die vollzogene Abgrenzung zum Surrealisten Neo Rauch für den Kontext der Arbeit von Bernd Krauß notwendig ist weiß ich nicht, genauso wie ich persönlich nicht der Meinung bin, dass es mir jemals ’seltsam angenehm‘ war wenn ich als Kind beim Spielen in Hundekot getreten bin. Gleichwohl ich mich da an eine lustige Szene erinnere in der ein Freund von mir beim Hinunterrennen einer abschüssigen Wiese … aber lassen wir das.

Das Lesen des Artikels lohnt alle mal und bei der Frage „Was kann ich tun, als der, der ich bin und mit dem, was mir gegeben wird?“ bin ich nach den anfänglichen kleinen Irritationen zum Ende hin auch wieder bei Claus Richter und Bernd Krauß gewesen.
Von daher klick ab zum artblogcologne.

 

PLATINE Festival in Ehrenfeld

von Maria Wildeis (Köln)

 

Bei dem Kölner PLATINE Festival werden rund 20 Werke in 6 verdunkelten Clubs und Kultureinrichtungen präsentiert, deren Ausstellungssituationen ein wenig an Rundgänge an Designhochschulen erinnern. Erklärung dafür könnten die Kooperationen mit der Utrecht School of the Arts, dem GameLab der HfG Karsruhe und der KHM sein.

Monkey Business von Ralph Kistler, Jan M. Sieber und Susann Maria Hempel, Photo: PLATINE)

Die PLATINE vermittelt einen Eindruck von einem wirklich unterhaltsamen Studienfeld der Medienkunst und den neusten Entwicklungen im Bereich der Augmented Reality („erweiterete Realität“). Unter Augmented Reality versteht man die computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung. Durch diese Technik können sich herkömmliche Tische in Spielfelder verwandeln und Smartphones mittlerweile als neuartige Brillen eingesetzt werden, indem sie einen mithilfe von eingeblendeten Karten und historischen Informationen durch die nicht virtuelle Realität leiten.

[RE]ALITY von bildundtonfabrik, undefined development und putschkrakul

Die angehenden und ausgebildeten Entwickler, die auf dem Festival präsentiert werden, spielen mit den neuen komplexen Möglichkeiten der Einsen und Nullen der Softwareindustrie. Präsentiert werden Licht- und Soundarbeiten, die interaktiv auf den Benutzer reagieren, vielerorts durch Projection-Mapping, bei welchem 3D-Modelle auf reale Objekte projiziert werden und so die Nutzbarkeit des realen Objekts oder Sichtfeldes virtuell erweitert wird.

ROTOMAP, von GROSSE 8
ROTOMAP, von GROSSE 8

Der Rotomap 3000 ist ein audiovisuelles „DJ-Spiel“, bei dem mit einem Joystick unterschiedliche Klangspuren angespielt werden können. Vorher muss man die einzelnen Spuren erst frei spielen, indem man die jeweiligen Flächen mit einem kleinen Starfighter abschießt. Die Kombination aus Project-Mapping (die passgenaue Projektion auf 3-dimensionale Objekte) mit Bewegung und Sound in Echtzeit macht wirklich Spaß. Der Prototyp von 2012 wurde von GROSSE 8 entwickelt, den innovatien Grafikdesignern, die auch unter dem Namen Lichtfront als VJs tätig sind.

Der Regen hatte heute so seine Vorteile. So konnten wir zwischen den Schauern ausgiebig die teilweise raffinierten Projekte „ausprobieren“. Sie begreifen sich vielmals als Prototypen einer neuen Denkrichtung in der Spiele-Industrie. Dennoch, die meisten Arbeiten tangieren die Schnittstellen zur Kunst noch nicht ganz, die Werke begreifen sich vielmals eher als Prototypen und Modelle richtiger, sprich fertiger Kunst.

Boxes von JeongHo Park, Photo: PLATINE

Ausgereifte Gegenbeispiele dafür waren die Arbeit „Boxes“ von JeongHo Park und eine Lichtinstallation in der DQE-Halle von den RaumZeitPiraten, die der Kindheitsvorstellung eines richtigen Labors mit einer komplexen Konstruktion aus Lichtprojektionen, Lasern, blubbernden Glaskolben, Zahnrädern und Bewegungsmeldern visualisieren.

RaumZeitPiraten
RaumZeitPiraten

 

Platine Festival in Ehrenfeld
Locations: artheater / Club Bahnhof Ehrenfeld /Design Quartier Ehrenfeld / Zoo Schänke / Schreinerei auf der Heliosstraße
Bis Donnerstag täglich von 19:00 bis 23:00, Eintritt frei
www.platine-cologne.de

 

Fotos (wenn nicht anders ausgeschrieben): Michael Schaab

The Uncertainty Principle – von Calori & Maillard

by Calori & Maillard (Frankfurt am Main)

 

 

ERRORS ERRORS ERRORS MAKE ERRORS

TO UNDERSTAND OR TO HAVE YOUR OWN POINT

MAKE ERRORS TO SEE THE DIFFERENCE

MAKE ERRORS TO GET TO THE POINT

MEASURES MAKES YOU MAKE ERRORS

 

 

at Soft Romance event  by Vytautas Jurevicius

Saturday, August 4th 2012

Plank, Frankfurt am Main

 

A measurement is arbitrary and full of errors: it depends on the system, on the instrument, on the observer and on a series of unpredictable events that could happen. Considering the possibility that making errors could move people and spaces we decided to measure the event Soft Romance at Plank on Saturday, August 4th. With a sketchbook and a tape measure we carefully checked the whole place including some ephemeral elements.

The outcome measures include a margin of error, an undefined space enable to keep a degree of freedom for imagination.

 

 

 

 

 

Plank is a bar located in the main station district of Frankfurt am Main. It was opened in 2010 by the dj Ata and it take his name from Conny Plank, german record producer and pioneer of electronic music. It is one of the best spot of Frankfurt life.
 
Vytautas Jurevicius is a lithuanian artist and dj who lives in Frankfurt. He has held numerous shows in Germany and around Europe. He uses to organize events where he creates fascinating atmosphere, mixing performance, music and installation.
 
Calori & Maillard is a french-italian duo based in Frankfurt am Main. Their research plays with the thin boundary between art and life through an ironic, poetic and visionary way. They work together since 2009.

Jana Schröder und Matthias Grotevent im Gagarin

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

 

Zwei ehemalige Lüpertz-Schüler entscheiden sich, aus dem Elfenbeinturm ihrer Ateliers auszusteigen und ebenerdig tätig zu werden. Ted Green und Kai Müller wollen den lokalen Kunstbetrieb mit einer Initiative bereichern und eine Präsentationsplattform für junge Künstler schaffen. Das klingt nach dem üblichen kunstvermittlerischen Idealismus, der in der selbstorganisierten Kunstszene herrscht. Dabei ist die Initiative – wie für beinah alle andere Projekte dieser Art – nicht ganz selbstlos. Wie Green bewusst und scharfsichtig erläutert, geht nämlich mit dem Betrieb eines Off-Raums immer auch das Interesse an einer Verstärkung der eigenen Vernetzung einher. Schließlich wollen die zwei Künstler-Initiatoren ihre Präsenz und Sichtbarkeit ausbauen. Die Gründung von Gagarin findet zwar seinen Ursprung in diesem schwer beschreibbaren Impuls „etwas-tun-wollen“ und „es-selbst-in-die-Hand-nehmen-wollen“; eine reine uneigennützige Mildtätigkeit ist sie aber nicht.

Bild: K. Müller

Kai Müllers Werkstatt befindet sich in einer Ateliergemeinschaft auf der Kirchstraße. Angekoppelt daran ist ein kleines Ladenlokal, das immer wieder von den dortigen Künstlern in Anspruch genommen wird. In der Vergangenheit hat das Projekt Expeze (das übrigens lange nichts mehr von sich gezeigt hat) in dem verwinkelten und schwer bespielbaren Laden bereits ausgestellt; für Müller und Green lag es nah, auf diese räumliche Möglichkeit zurückzugreifen. Mit Rücksicht auf die Bedürfnisse der Ateliergemeinschaft wird also Gagarin ein regelmäßiges Programm an diesem Ort durchführen. Vorgesehen sind anderthalb-wöchigen Ausstellungen mit jungen, meist lokalen Positionen, ohne thematischen oder medialen Schwerpunkt – wobei der Raum keine allzu großen Bodeninstallationen oder Videoscreening (schlechte Akustik) ermöglicht. Gesucht wird nach den Worten von Green eine „dezente Vielfalt“.

Bild: K. Müller

Wie Ted Green weiterhin berichtet, ist die Initiative auch eine große Gelegenheit für deren Macher, anderen Künstlern über die Schulter zu schauen und einen ausgeprägten Austausch zu ermöglichen. Die Vernetzung ist eine Sache, der intellektuelle Dialog eine andere. Und beide Aspekte – altruistisch und weniger altruistisch – lassen sich gerade in einem artist-run-space perfekt kombinieren. Im Sinne dieser gesuchten Reibung, haben Müller und Green für die erste Ausstellung zwei sehr unterschiedliche Positionen aufeinander prallen lassen.

Jana Schröder

Für die Projekteröffnung ist Gagarin von einem  fortgeschrittenen Kunstakademiker und einer jungen Akademie-Absolventin okkupiert, jeweils mit einer einzigen großen Arbeit. Jana Schröder, die bis 2009 bei Albert Oehlen studierte, präsentiert eine abstrakte Komposition aus Acryl und Kugelschreiber-Tinte. Die übliche grafische Prägung des letzteren Mediums löst sich hier in dünnen und transparenten Schichten auf, die an Aquarelltechnik erinnern. Diese sanften, dunkelblauen Schleier, die die Leinwand in verschiedenen Intensitäten bedecken, werden von Zeichen unterbrochen, die an Sprachsymbole oder kodierte Motive erinnern und eine weitere Ebene in die Raumtiefe bilden.

Matthias Grotevent

Matthias Grotevent, seinerseits bei Richard Deacon studierend, hat die Einladung genutzt, um seinen bisherigen dreidimensionalen Experimenten mit Keramik zu entkommen und einen Exkurs in die Fläche zu wagen. Sein „Tafelbild“, das sich in die hintere Wand der Galerie gut einfügt, besteht aus einem Motiv, das durch die Verschiebung der Holzplatte unlesbar – oder zumindest verfremdet – wird. Ist das ein Logo? Ein Wappen? Schwer zu bestimmen – genauso wie es schwer erscheint, Grundsätzliches über zwei Künstler zu schreiben, die hier lediglich mit einer Arbeit präsentiert werden.

Eine regelrechte Reibung zwischen Schröder und Grotevent will sich übrigens nicht so wirklich einstellen, denn beide Künstler halten sich auf Distanz und verweigern den Dialog – sicherlich aufgrund der komplizierten Räumlichkeit, die eher trennt als sie verbinden könnte.

Der Name „Gagarin“ wurde übrigens aufgrund seines interessanten Klangs gewählt und ist keineswegs als Hommage an den ersten Mann im All zu verstehen. Dass Assoziationen an Durchbruch, Raumeroberung und männlichen Potenztraum (s. Einladungskarte) mit in den Name schwebt, erscheint jedoch unvermeidbar…

Ted Green vor dem Gagarin
Jana Schröder und Matthias Grotevent  im
Gagarin
Kirchstr. 41, 40227 Düsseldorf
Ausstellung v. 2-12.8.2012
Besichtigung nach Vereinbarung
0171/1231596 oder 0151/11500277

 

Christoph Lukas im Kunstraum Schwalbe 54

von Havva Erdem (Frankfurt)

Mein letzter Bericht aus Frankfurt liegt ganze drei Monate zurück. Ich stehe also unter Lieferdruck. DIE Chance für einen Raum wie SCHWALBE 54. Ein Ausstellungsraum der gänzlich in den Kinderschuhen steckt. Der sich erst noch beweisen muss. Nach der Eröffnungsausstellung mit einer Absolventin der HFG-Offenbach wurde nun, im zweiten Zug, Christoph Lukas eingeladen, ein Künstler, den man eigentlich noch gar nicht als solchen schimpfen darf. Ohne künstlerische Ausbildung, ohne Ausstellungsverzeichnis. Mit einer Website, die von einer kreativen Initialzündung von vor sechs Jahren berichtet: einem zufällig entstandenen Foto mit Hilfe einer schon damals alten Handykamera. Ausgangspunkt für die daraufhin einsetzende Suche. Und hier nun das vorläufige Ergebnis. Eine klare Ansage. Ich wage nicht, den Blick noch einmal schweifen zu lassen und wende meine Aufmerksamkeit wieder Anna zu.

Anna, die Urlaubsvertretung, die mir zwar gestanden hat, keine zusätzlichen Informationen zu der Ausstellung zu haben, sich aber dennoch aufgeschlossen und gesprächsfreudig zeigt. Sie erzählt mir was über das Viertel, welches die vier Backsteinwände des länglichen Raumes umschließt. Das Gallus, eine Migrantenstadtteil in dem künstlerisch nicht viel los sei, der sich aber bestimmt noch machen würde. Sie lacht und beschreibt mir scherzhaft ihre Idee, die Reaktionen der Passanten aus dem Innenraum heraus filmisch zu dokumentieren. „Schau, da vorne ist ein Fitness-Studio, dort drüben ein Grieche, bei dem war ich mal..,- solche Läden halt… Die Leute glotzen bei uns oft total verdattert ins Fenster rein, die rechnen hier einfach nicht mit Kunst!“

Ich drehe mich nun doch um. Kunst. Sie hängt festmontiert an den Wänden. Steht wohldrappiert auf dem Schaufensterpodest. Mein Blick ist dennoch, oder gerade deshalb, in eine nicht vorhandene Ferne gerichtet. Müsste in dieser Richtung nicht irgendwo der Main liegen? Und dahinter die Städelschule. Eine Schule, in der der künstlerische Nachwuchs in stundenlangen Diskussionen mit den Professoren und Kommilitonen sicher nicht nur seine Arbeiten, sondern immer auch die gedachte/gewählte Präsentationsform derselben begründen lernt. So lange, bis die anfänglich vielleicht nur halbgare Erkenntnis zur inneren Gewissheit wird, dass beides – Werk und Präsentation – untrennbar miteinander verbunden sind und sich daher immer auch inhaltlich stimmig bedingen sollten… Eine Schule, durch die Christoph Lukas nie gegangen ist. Sonst hätte er sicher nicht derart unbedarft, fast erschreckend einsatzfreudig und auf eine sehr konservativ anmutende, überernste Art die Idee seiner ursprünglich sphärisch-ätherischen digitalen Fotoarbeiten, auf dem Weg in ihre Materialisierung für diese Ausstellung in den Sand gesetzt.

Mit dünnen LED-Leuchkästen, deren mattgraue Metallrahmenästhetik man eher in einer unterkühlten Firmen-Lobby als in einem kleinen, unabhängigen Ausstellungsraum befürchten würde. Und fürs Fenster noch handtellergroße Leuchtobjekte mit Bildchen, denen man – wenn es sich hierbei um eine kommerzielle Ausstellung handeln würde – unterstellen könnte, nette Kunst zum kleinen Preis anzubieten. Hinter allem scheint der unbändige Wille zu stehen, schlussendlich dann doch noch „Werke“ zu erschaffen. Seinen Bildern hat Lukas dadurch jedenfalls regelrecht Gewalt angetan und das traurigerweise mit den scheinbar besten Absichten und einer völlig fehlgeleiteten Energie.

Er lässt den Lichterscheinungen seiner Motive keinen Raum mehr zum Atmen, erschlägt sie mit einer völlig unflexiblen Zweckgebundenheit, so dass sie nichts mehr von der Leichtigkeit der ehemals digitalen Dokumentationen haben. Dokumentationen, die paradoxerweise unter sehr freien Bedingungen entstanden sind. Immer nur halbvorhersehbar, mindestens halbzufällig und am Computer auch nur halbnachbearbeitet. Für diese manchmal sogar bedrohlich außer- und überirdisch anmutenden Augenblicke, Situationen und Portraits hat er ein gutes Auge entwickelt. Und gleich einem Privatdedektiv im Undercover-Selbstauftrag verfolgt er deren Aufdeckung in unserer realen Welt konsequent. In einem noch recht überschaubaren Werkszyklus,- der zudem im klassischen Sinne keiner ist, sondern vielmehr die fokussierte Konzentration auf eine Idee.

Was sich auf seiner Website schlüssig nachvollziehen lässt, da hier noch keine Schwere zu finden ist,- keine Bedeutungsschwere, kein Übereinsatz hin zum Produktstiftenden. Die Un(be)schwer(t))heit findet sich nicht nur in den darin abgebildeten Werken, sondern auch in der von ihm gewählten Einteilung der Bilder, den Gruppierungen. „Innenenwelten“, „Zwischenwelten“, „Außenwelten“ werden heraufbeschworen. Münden sollen diese doch tatsächlich in der „4ten Dimension bis Unendlich“. Das steht abgekürzt wirklich so da! Entbehrt sicher nicht einer gewissen Selbstironie – oder einer gewissen Naivität.

Zugegeben: Diese Naivität ist nicht ohne Qualität. Eine Qualität, die Joseph Joubert einmal mit wenigen Worten an die Oberfläche geholt hat, und für die jedweder Zyniker nicht mehr das Herz besitzen wird, um ihr diese zuzugestehen. „Jede Naivität läuft Gefahr, lächerlich zu werden, verdient es aber nicht, denn es liegt in jeder Naivität ein unreflektiertes Vertrauen und ein Zeichen von Unschuld.“

 

Christoph Lukas
„Körper/Geist, Geist/Körper“
5. Juli bis 2. September 2012
Schwalbe 54 – Raum für Kunst
geöffnet donnerstags von 14-19 Uhr 
Tel: 069 9586 7735
Schwalbacher Straße 54
60326 Frankfurt am Main – Gallus
 http://www.schwalbe54.de/

Guten Morgen Düsseldorf, guten Morgen Welt!

Auch wir müssen unseren Obolus zum Wohle der obersten Zehntausend an die Allgemeinheit abführen und da es nach wie vor keine wirklich tragfähigen Finanzierungsmodelle für Onlineangebote gibt, greifen auch wir auf das Mittel zurück, dass das Web am Laufen hält.
Aber es nicht das was Sie jetzt denken.
Denn mit Porn beschäftigen wir uns hier natürlich nur auf der politischen, ästhetischen Ebene, also allerhöchstens als Beobachter der Beobachter in der X-ten Instanz.

Nein, wir sind da ganz spießig und konservativ und greifen auf klassische Werbung zurück.
Um Ihre Nerven aber nicht zu sehr zu beanspruchen packen wir drei Spots in einen Clip. Zu sehen gibt es Verbraucherinformationen von chocolates Lanving, Alka-Seltzer, Veterano – aber wenigstens ist Dali dabei.

(via openculture)

Wir wünschen Ihnen eine angenehme Woche, einen erholsamen Sommer und wenn beim Lesen der täglichen Zeitungslektüre das Sodbrennen wieder zu stark wird, einfach mal anmalen lassen!

Anika Meier und Bruce La Bruce über Internetporn und Zärtlichkeit

Agit-Porn-Film, Polit-Porno-Satire, Post-Pornografie – diese und andere Wortneuschöpfungen wurden gebildet, um die Filme von Bruce LaBruce in ein Korsett zu stecken.

Bruce LaBruce, Untitled Hardcore Zombie Project, peresprojects Berlin

Die Kulturwissenschaftlerin Anika Meier hat den kanadischen Filmemacher, Autor, Regisseur, Fotograf und Künstler Bruce LaBruce getroffen und sich mit ihm über Moral und Ethik in Porno-Produktionen, Internetpornografie, Porn Studies und über Zärtlichkeit in einer fetischisierten Welt unterhalten. Das Gespräch zwischen den Beiden ist in der Berliner Gazette zu lesen.

Onlineinfos über Bruce LaBruce
http://www.brucelabruce.com
http://www.peresprojects.com

Auf den Spuren der Metamoderne – mit 8000PS

Der Begriff der Metamoderne ist virulent, dient als dynamische Metapher und Container oder einfach nur als letzter Haltegriff für uns Heute, die wir über das nachdenken was um uns herum geschieht.
Dabei ist die eigentliche Bedeutung der Metamoderne derzeit noch gar nicht von Bedeutung. Zuerst einmal klingt der Begriff einfach gut, weil optimistisch, nach Mehr und nach dem, was Dahinter liegt. Metamoderne klingt nach etwas was für unsere Kultur aktuell nur schwer Vorstellbar ist. Metamoderne klingt nach der Zukunft.
Angesichts der täglich reaktionärer und – das ist ja der wahre Skandal – immer fantasieloser werdenden Entscheidungen einer Politik die sich den Namen nicht mehr recht verdienen will, gibt es nur wenig was wir derzeit so gut gebrauchen können wie diese.


Johannes Thies, Autor aus Köln, gehört zu denen die der Metamoderne bereits jetzt aktiv nachstellen. Er greift dabei auf das vom ihm und Kai Erdmann (Powergallery Hamburg) entwickelte Format des Non-Interviews zurück.
Das Non-Interview ist eine spezielle Form des Interviews, welches er am 31.07.2010 um 17:14:05 mit den Worten „sprachmemo instagram gratislover lederhose“ umschreibt – natürlich per E-Mail.
Als exemplarisches Interviewformat einer Metamoderne unterliegt diese Definition aber, wie alles andere auch, dem Wandel. Und so gilt nur wenige Minuten zuvor, am 31. Juli 2012 17:06:52 „Das Non-Interview ist der gleichermassen verzweifelte wie extrem selbstbewusste Versuch, die Ahnungen zur Metamoderne in einen wie auch immer gearteten Æther zu bringen. Die einzigen, vaguen Bestimmungen sind: das Non-Invterview ist (wie auch die gesamte Metamoderne) völlig ohne Richtung, brutal sachlich, total im Jetzt und jederzeit global.

Und wer nun einen Eindruck davon bekommen möchte wie sich das anfühlt, klickt nachfolgend das 4:50 Min lange Non-Interview zur Metamoderne, aufgenommen am 21.07.2012 etwa um die Mittagszeit bei voller Fahrt auf einem 8000PS starken Speedboat zwischen Wien und Bratislava. Durch das Gespräch führt Johannes Thies, in weiteren ergänzenden Rollen zu hören sind Götz Gramlich, Kai Erdmann und ich.

[audio:http://www.perisphere.de/wp-content/sounds/metamoderne_1-21_07_2012-speedboat_wien_bratislava.mp3]

Wenn Sie diese Aufnahme nicht über unsere Webseite hören wollen, können Sie diese selbstverständlich gerne herunter laden. Das mp3-file steht unter der Creative Commons License CC BY-NC 2.0 zum Download bereit.

metamoderne_1-21_07_2012-speedboat_wien_bratislava.mp3

 

Gul Ramani im K4

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

 

Für die neue Generation der jungen Düsseldorfer Videokünstler wird der Name Gul Ramani möglicherweise kein Begriff sein. Dabei bildete der ehemalige Paik-Student eine Ausnahmeposition in der hiesigen experimentellen Videoszene der 80er und frühen 90er Jahre. Seine humorvolle, narrativ angelegten und surrealistisch angehauchten Animationsfilme besitzen eine Leichtigkeit und eine Frische, die im besagten historischen Kontext Seltenheitswert haben. Mit schlichter und unprätentiöser Stop-Motion-Technik erzählte er heitere und grausame Geschichten, absurd, bunt, schelmisch und  melodiös wie manche Gedichten von Raymond Queneau. Trotz der verspielten, ja naiven Form, handeln die gebastelten Zeichentrickfilme von existentiellen Themen – Leben, Tod und immer wieder Liebe.

Die chronologische Mini-Retrospektive von Samstag machte deutlich, wie Ramani, der in seinem Frühwerk universell wirkende Kurzfilme produzierte, sich später seinen indischen Wurzeln wieder annäherte. In den späten 80er Jahren realisierte er animierte, auf indische Mythen zurückgehende Schattenpuppenspielen. Noch später schuf er dokumentarische Arbeiten die, ganz im Geiste seines Meisters Nam June Paik, das Auseinanderprahlen von indischer Tradition und Technologie fest hielten. Seine „Tierfilme“, die  von dem unverkrampften bis instrumentalisierenden Umgang asiatischer Völker mit Tieren handeln, bildeten den Abschluss der Präsentation. Einige dieser unkommentierten Filme sind jedoch so konventionell und klassisch, dass sie in einem Kunstfilm-Screening durchaus als verzichtbar gelten dürfen.

Die Rückschau hörte leider Mitte der 1990er Jahren auf, so dass Ramanis neuere Filmanimationen und sog. „Flash-Sketches“ – solche, die in erster Linie am Computer entstanden sind –, nicht präsentiert wurden. Der warmherzige Applaus und die zum Teil begeisterte Reaktion des Publikums zeigte jedenfalls, dass Gul Ramani kein bisschen vergessen worden ist – zumindest von der älteren Generation.

 
Gul Ramani im K4 am 28.7.2012
K4 – Kulturbureau Kiefernstr.
Kiefernstrasse 4
40233 Düsseldorf
Telefon: +49-211-7300256

Im Gespräch mit Anna-Lena Werner von artfridge

Die in Berlin lebende Anna-Lena Werner ist die zweite Gesprächspartnerin in unserer Interviewreihe mit deutschen Kunstbloggern, und bildet auch direkt eine Ausnahme. Denn der von ihr, mit Unterstützung von Amy Sherlock, geführte Blog Artfridge ist zwar stark in Berlin verortert, publiziert aber überwiegend in englischer Sprache. Der Themenschwerpunkt der Berichterstattung liegt auf dem Rheinland, Berlin und London.
Die Entscheidung für den internationalen Auftritt ist allerdings nicht nur strategisch bedingt, sondern hat durchaus persönliche historische Gründe. Anna-Lena hat selber lange Zeit in London gelebt und gearbeitet. Eine ihrer Redakteurinnen, Amy Sherlock ist nach wie vor dort. Ursprünglich stammt die leidenschaftliche Bloggerin aber aus Köln, also ganz aus unserer Nähe. Dem Rheinland ist sie dadurch immer noch verbunden und hat deshalb die Kunstszene hier nach wie vor gut im Blick.

Im Frühjahr diesen Jahres wechselte Sie aus der Rolle der Beschreibenden in die Rolle der Organistorin und Kuratorin, unter dem Titel “Untitled (Absence)” realisierte sie bei Savvy Contemporary eine Ausstellung mit Lela Ahmadzai aus Afghanistan und dem gebürtigen Dänen Lars Bjerre. Trotz ihrer Aktivitäten und Projekte hatte Sie freundlicherweise Zeit uns ein paar Fragen zu beantworten.

Anna-Lena Werner | artfridge.de

FK: Welche Ausstellung war für Dich besonders wichtig und warum?

ALW: Im Frühling 2005 habe ich im Hamburger Bahnhof in Berlin die Präsentation von Friedrich Christian Flicks Sammlung gesehen. Das war so mit das erste Mal, dass ich so viele gute zeitgenössische Kunstwerke geballt in einem Museum betrachten konnte. Ich war völlig fasziniert von Paul McCarthys Videoinstallation ‚Saloon Theatre‘. Seine Arbeiten haben mich noch Jahre später beschäftigt – ich habe auch viel über ihn geschrieben. Für mich war diese Ausstellung wie eine Tür zur Kunstwelt, die sich ganz plötzlich öffnete. Alle hingen sie da: Cindy Shermans Fotografien, Bruce Naumans Installationen, Arbeiten von Nam June Paik, Peter Fischl und David Weiss, Martin Kippenberger, Pipilotti Rist und vielen anderen. Seitdem ist der Hamburger Bahnhof mein Lieblingsmuseum – die Räume dort haben eine ganz eigene Mystik.
Auch fasziniert hat mich „The Killing Machine and Other Stories“ im MACBA in Barcelona. Das war 2007. Diese Sonderausstellung von dem Sound-Installations-Künstler-Duo Janet Cardiff und George Bures Miller war so schockierend wie radikal. Man versinkt in eine völlig abstrus-anti-utopische Welt. Ohne tatsächliche Gewalt zu zeigen, ruft die durchchoreografierte Installation „The Killing Machine“ die tiefsten Ängste und Phobien hervor. Alle Sinne sind für diese Zeit vollständig auf das Werk konzentriert.
Mit der Bewertung von wichtigen und unwichtigen Schauen halte ich es also wirklich simpel: Wenn ich mich nach Jahren noch so scharf an Ausstellungen erinnern kann, wie an diese beiden, dann haben sie zumindest einen großen Eindruck hinterlassen.

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Guten Morgen Düsseldorf, guten Morgen Welt!

Die Künstlerin Rebecca La Marre hat, so berichtet sie in einem Video auf ihrer Webseite, 2011 die Künstlerfigur jaakkopallasvuo.com erschaffen. Bei näherer Betrachtung kommt allerdings der Verdacht auf, es könnte auch exakt anders herum gewesen sein. Man weiß es nicht. Überprüfen lässt sich das von hier aus auf jeden Fall nicht so einfach und es ist für uns an dieser Stelle eigentlich auch nicht weiter von Bedeutung. Denn uns interessiert hier und heute das Video ‚How To / Internet‚ aus der Serie ‚Howto‚ in dem er bzw sie beschreibt was man tun muss um als Netartist im jahr 2012 erfolgreich zu sein.

Rebecca La Marre / Jaakko Pallasvuo – ‚How To / Internet‘

Branding Becomes Key

Rebecca La Marre / Jaakko Pallasvuo
How To / Internet‘
http://www.jaakkopallasvuo.com/howto.html

Gallery Fist in Hamburg

Die aus dem Umfeld der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig stammende Künstlergruppe Gallery Fist hat in Hamburg eine ziemlich rotzige Ausstellung kuratiert. Neben der Fist-Clique waren auch so illustre Gestalten wie Andy Kania, die Gruppe Porschismus und Ronny Szillo mit an Bord.

Die Kollegen vom Donnerstag Blog haben einen Blick auf das Projekt geworfen und sich in Ihrer Rezension zu dem für dortige Verhältnisse nur als höchstes Lob zu verstehenden Satz „Die Ausstellung der Gallery Fist, die in Hamburg trotz allem zu den bemerkenswertesten Off-Ausstellungen des Jahres gehört…“ hinreißen lassen.
Wenn das kein Grund zum Klicken ist, weiß ich auch nicht mehr.
Wer also mehr lesen will folge bitte diesem Link.

Cineorama im Malkasten

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

 

Die Idee ist zwei Jahre alt. Weil ihre Umsetzung aber doch nicht ganz simpel war, brauchte sie ein wenig Zeit um konkret zu werden. Diese Idee war, selten gezeigte Kunstfilme in einer eigens konzipierten Architektur mitten im Malkasten-Park zu präsentieren und, abseits des üblichen, düsteren Vorführungsraums, ein Filmfestival mit bukolischem Charakter und diskursiver Struktur zu kreieren. Initiatorin und hauptsächliche Antriebskraft des Projektes ist die Bildhauerin Erika Hock, über deren Arbeit wir hier bereits berichtet haben. Hock, die in ihren letzten Arbeiten dem Design und der Architektur immer näher kam – zunächst als Zitat und nun als autonome Eigenkreation – hat für das Cineorama ein hölzernes Modul konzipiert, das Raum für 30 bis 40 Personen bietet. Die offene aber bedachte Struktur, überzogen von einer elegant-rustikalen Bastoberfläche, artikuliert sich in zwei Momente: die Zuschauertribüne einerseits und ein Unterschlupf hinter der Projektionsfläche – der sich bei der gewitterigen Premiere am 22. Juni als besonders heilbringend erwies.

 

Trotz seiner schlichten, linearen Erscheinung war der Bau des Pavillons eine wahre Herausforderung für die Bildhauerin, die sie nicht ohne die kompetente Hilfe von Jürgen Findeisen hätte meistern können. Die begehbare Skulptur ist ein schönes Objekt geworden und integriert sich im Malkasten-Park perfekt. Aus praktischer Sicht könnte man einwenden, dass ein etwas größerer Entwurf durchaus angebracht gewesen wäre (viele Zuschauer müssen stehen und können die Projektionsfläche nur mäßig wahrnehmen); allerdings würde ein großes Objekt nur noch funktional wirken und, in diesem besonderen Fall, an skulpturaler Qualität einbüßen.

 

Hocks Metareflexion über die angewandte oder zweckfreie Funktion von Kunst, über den Status des künstlerischen Objektes und dessen Verhältnisse mit dem umgebenden Raum scheint sich auf neuen Komplexen geöffnet zu haben. Nun rückt sie die Beziehung Künstler-Kurator in den Mittelpunkt und, den Spieß umdrehend, lädt den Filmwissenschaftler und Kunsthistoriker Philipp Fürnkäs zur Gestaltung des Filmprogramms ein – die Kooperation als Arbeitsmodus bildet eine Konstante Hocks Ansatzes. Fürnkäs, derweil wissenschaftlicher Mitarbeiter von Julia Stoschek, hat zusammen mit der Künstlerin eine Reihe konzipiert, in der sich klassische Filmformate mit Lecture-Performances oder Arbeitspräsentationen abwechseln sollen. Das  Programm dreht sich dabei hauptsächlich um die Wahrnehmung von Architektur, bzw. von Urbanität.

Es ist in der Tat erstaunlich, wie viele junge bis mittelreife Künstler sich gegenwärtig mit dem Bild und der Funktion unserer Städte auseinandersetzen oder aber ihre Faszination für Bauwerke der Moderne (mehr oder minder) kritisch reflektieren. So fließen – in welcher Form auch immer – avantgardistische Architekturikonen und utopische Stadtentwürfe in das Forschungs- und Überlegungsfeld zahlreicher bildender Künstler, die, je nach Temperament und Ansatz, das Haus als künstlerisches Statement oder die Stadt als politisches Proposal verstehen.

 

Soweit wir es bisher urteilen können, erwies sich Fürnkäs und Hocks Wahl als präzise und konsequent. Die Fixierung auf Architekturthemen ist geradlinig; der Rahmen angemessen. Das Format der Veranstaltung ist klassisch (und richtig), die Filme werden von den Künstlern und von dem Veranstalterpaar selbst präsentiert und später vom Publikum kommentiert. Prinzipiell ist diese Saison-Veranstaltung eine unheimliche Bereicherung der Düsseldorfer Filmszene, worüber wir (wir Düsseldorfer) nur dankbar sein können. Was bei der Premiere ein wenig fehlte war der Geist der Unbekümmertheit, der an diesem Ort so deutlich berufen wurde. Die Anstrengungen der letzten Aufbautage waren bei den Organisatoren deutlich zu sehen, und trotz der charmanten Umgebung und der Ungezwungenheit des Gesamtkonzeptes, war ein Hauch von Anspannung zu spüren. Dies legte sich jedoch bei den folgenden Vorführungen.

 

Cineorama
jeden Donnerstag ab 20 Uhr
Jacobistr. 6, 40211 Düsseldorf
 
Kommende Programmpunkte sind geplant:
 
02.08 Filme von / Films by HEINZ EMIGHOLZ (Berlin) *1948
Maillarts Brücken (D 2001) 24‘
Zwei Projekte von Friedrich Kiesler (A/D 2006) 16‘
Einführung von / introduced by Philipp Fürnkäs

 

09.08 TOBIAS PUTRIH (Ljubljana/New York) *1972
Vortrag / Lecture: Cinema Projects 2007 – 2011
Im Gespräch mit / in conversation with Erika Hock
gefolgt von der Vorführung von / followed by the screening of
Golem, Paul Wegener (D 1920) 87‘

 

16.08 CORINNA SCHNITT (Braunschweig) *1964 zeigt / showing:
Das schlafende Mädchen (NL 2001) 8‘
Das nächste Mal (D 2003) 6‘
Living a Beautiful Live (USA 2003) 13‘
Tee trinken (D 2012) 15‘
Im Gespräch mit / in conversation with Philipp Fürnkäs

Ein Interview mit Trevor Paglen über die Politik des Sehens

Kollege Alain Bieber vom rebel:art-Blog hat kurz vor der Sommerpause noch ein wirklich lesenswertes Interview mit Trevor Paglen online gestellt.
Der in den USA lebende Trevor Paglen ist Autor, Experimentalgeograph und Künstler. Im Rahmen seiner Arbeit fotografiert er Orte und Objekte, die nicht gesehen werden sollen und die offiziell nicht existieren – etwa Spionagesatelliten, Luftwaffenstützpunkte, oder so mythische Orte wie die Area  51. Meist nutzt er dazu selber Technologie die aus dem Spionagebereich stammt, seine Bilder entstehen unter Zuhilfenahme von aufwändigen Foto-Technologien.

The Tonopah Test Range distance = ~17 miles, The Expeditions - Trevor Paglen

Bekannt wurde er mit seiner Publikation „Torture Taxi“, einer Recherche über die „extraordinary rendition“ genannten Flüge, mit denen Gefangene außerhalb des rechtlichen Rahmens nach Guantanamo transportiert wurden. Im Interview berichtet er von seinen Expeditionen zu geheimen Militäranlagen und erläutert seine Aktionen im Kontext einer Politik des Sehens.

“Der Enthüllungskünstler”: Alain Bieber im Interview mit Trevor Paglen

 

Karat: Interventionen am Straßenrand

von Maria Wildeis (Köln)

Leerstände implizieren Wandel: Etwas ist vorbei, eine Nutzung obsolet geworden und das Erschöpfen manifestiert sich in meist wahllos zurück gelassenen Einrichtungsgegenständen, verblassten Farben und dem Staub, der über den Oberflächen liegt. Der Staub dämpft die einfallenden Lichtreflexe, so verdunkelt sich der verlassene Raum und tritt aus dem Stadtbild zurück in ein Schattendasein. Er entzieht sich mehr und mehr einer öffentlichen Wahrnehmung und beginnt zu schweigen.

Bei Google-Maps werden die Vitrinen noch als Werbetafeln genutzt

Es ist ein beliebtes Mittel der Kunstschaffenden und ihren engagierten Förderern, diesen vergessenen Räumen neues Leben einzuhauchen, sie im verfallenden und immer wieder neu entstehenden Stadtgebiet zurück zu erobern und erneut zum Sprechen zu bringen. Sobald sich alte, verschlafene Räume auffinden lassen und die Möglichkeit es zulässt, wird der Ort unter frischer Regie wieder aufgeweckt und seiner Architektur eine neue Bedeutung verliehen.

So wurden auch in Köln alte Schaufensterkästen im Schatten eines oberhalb auskragenden, mit Wellblech verkleideten Parkhauses in der Innenstadt, unter jener frischen Regie der jungen Künstler und Off-Raum Betreiber Yvonne Klasen (hoi offraum), Malo (Hug me, Heimlich) und Paul Leo im April ganz beiläufig wieder zurück ins Licht gerückt. In der Nähe des Friesenplatzes befinden sich 14 alte Werbeschaukästen an einer viel befahrenen Straße, die längere Zeit nicht mehr als Anzeigenfläche vermietet wurden, wahrscheinlich wegen ihrer durch Parkplätze ungünstig gelegenen Position. Im Frühjahr erhielt das Karat-Team von den Parkhausbetreibern die freundliche Genehmigung für die neue Nutzung der Werbeflächen. Seitdem wurden die Vitrinen schon das dritte Mal bespielt.

Die aktuelle Ausstellung zeigt seit dem 16. Juni Arbeiten eines der Raumbetreiber, Malo (noch bis zum 8. Juli). Der Künstler präsentiert in den Kästen ungerahmte und sporadisch befestigte Malereien auf Papier, die in ihrer Farbigkeit und der gegenstandslosen Bildsprache hinter den alten Glasvitirinen das Stadtgefüge unauffällig in eine Ausstellungsfläche verwandeln. Die Intervention verfolgt nicht wie in einer Werbevitrine für gewöhnlich erwartet marktorientierte Absichten, ist nicht laut und bunt, reizt mit nackter Haut, sondern sie schenkt dem gewöhnlichen Moment des Vorbeigehens, des Auf-dem-Weg-seins, einen kleinen Augenblick der Entrückung.

Vergangene Ausstellungen zeigten eine Gruppenausstellung im April mit 14 Beteiligten aus der ganzen Welt (Amanda Midori (Sao Paulo, Brasilien), Benjamin Tillig (München), Frank Wunderlich (Leipzig), Johannes Amorosa (Köln), Katja Donnerstag (Köln), Linda Baumsteiger (Gent, Belgien), Lukas Goersmeyer (Köln), Lyoudmila Milanova (Köln), Matthew Randle (London, UK), Mercedes Mangrané (Barcelona, Spanien), Pavel Příkaský (Prag, Tschechien), Stefanie Klingemann (Köln), Tobias Becker (Köln)) und eine Ausstellung des zweiten Betreibers vom Projekt, Paul Leo, im Mai und Juni des Jahres. Da dürfen wir uns wohl bald auch auf eine Ausstellung von der dritten Karat-Organisatorin, Yvonne Klasen, freuen. Die leitete bis vor kurzem den mittlerweile wieder leer stehenden Hoi Offraum im Kölner Süden und wird als Künstlerin von der Galerie Mülhaupt vertreten.

Der Wandel steckt in jeder Architektur. Temporäre Eingriffe und Veränderungen zieren das Stadtgefüge und tauchen immer dort auf, wenn etwas vergeht, seine Strahlkraft verliert und Neuem weichen muss. Die architektonische Hülle bleibt bestehen, wird neu gestrichen, anders dekoriert und ausgeschmückt. Wir können gespannt sein, was in den Schaukästen, Off-Räumen und auf öffentlichen Plätzen der verschiedenen Innenstädte noch zu finden sein wird, wenn sie in unbestimmter Zeit wieder einer Umstrukturierung erliegen werden.

 

Infos zum Projekt: karat-ist-draussen.com

Und dafür zahlen wir steuern – Rundgang der Weißensee Kunsthochschule Berlin

eine Fotostrecke von:
Stefanie Ippendorf

„Und dafür zahlen wir steuern“ lautete der Titel des diesjährige Rundgangs / Tage der offenen Tür der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, der parallel zum Akademierundgang der Universität der Künste vom 14.-15.07.2012 stattfand. Gezeigt wurden die Diplom- und Studienarbeiten des Studienjahres 2011/2012 aus den Fachgebieten Bildhauerei, Bühnen- und Kostümbild, Künstlerische Grundlagen, Kunsttherapie, Malerei, Mode-Design, Produkt-Design, Raumstrategien, Textil-/Flächen-Design, Visuelle Kommunikation.

Hier ein paar Eindrücke vom Rundgang der äußerst vielseitigen und lebhaften Kunsthochschule im Osten Berlins:

Mähne Birkholz Kasper
Zora Jankovic
Zoe Kahlert
vier Arbeiten von Martin Maeller
Theresa Baumgartner und Marlene Burz
Textil und Flaechendesign
Soft-Interfaces, Helena Rott
Zeichnungen von Romy Troxler
Raumarbeit von Ana Lilia Konishchev
K. Durgeloh
Jan Friedrich
Irena Koscheleva
Installation von Sebastian Teubner
Hannah Hansel
Gruppenausstellung Studierende Malerei
Gruppenausstellung Bildhauer
Gipswerkstatt
Blick in den Gang der Maler
Blick in den Gang der Fotografen
Eva Baeumler
Dressage, Bianca Benenti und Charlotte Duale
Amelie Kemmerzehl

Rundgang vom 14.-15.07.2012

Weißensee Kunsthochschule Berlin
Bühringstraße 20
13086 Berlin
Telefon: +49 30 47705-0
www.kh-berlin.de

Guten Morgen Düsseldorf, guten Morgen Welt!

Fetter Sound, fette Karre, fette Kohle. Chevrolet hat bei der Kooperation mit dem Streetartist Jeff Soto im nachfolgenden Clip definitiv nicht gekleckert, sondern richtig hingeklotzt (so wie übrigens schon bei diesem Musikvideo mit OKGo).
Das kann man gut finden, das kann man schlecht finden.
Spaß macht der Clip aber alle mal, und mal ehrlich, wer hätte nicht auch gerne so einen geschmeidigen Roboterarm am Wagen?

Sound nicht vergessen!

Streetartcar mit Farbkanone

weiß man es? Martin Wöhrl und Andreas Neumeister in der Einheit 834

ein Bildbeitrag von Julia Wirxel

Der Architekt Peter Ottmann hat in Berlin im Corbusierhaus in der Einheit 834 seit anderthalb Jahren einen Ausstellungsraum. Aktuell sind lakonische Arbeiten von Martin Wöhrl und Andreas Neumeister aus München zu sehen. Neumeister beeindruckte mit einer Lesung zur Eröffnung.

Rechts im Bild Martin Wöhrl

weiß man es?
Martin Wöhrl und Andreas Neumeister

10.06.–21.08.2012
Corbusierhaus Einheit 834
Flatowallee 16
14055 Berlin
http://www.c834.de/
Besuch nach Vereinbarung.

Der Single Club in der Raketenstation Insel Hombroich

Wenn Single Club und Raketenstation Hombroich mit sommerlichen Temperaturen und Sonnenschein zusammen fällt, gibt es für die digitale Bohème Düsseldorfs natürlich kein Halten mehr. Sack und Pack werden mit Kind und Kegel in den Wagen verbracht und schon gehts ab aufs Land.

Und was soll ich Ihnen sagen? Es war ein wunderbarer Ausflug, mit allem was dazu gehört. Zumindest dann, wenn der ultimative Rausch und der zugehörige Exzess nicht mehr Mittelpunkt, sondern gut geplanter Akzent des Daseins ist, wenn man sich also dem bürgerlichen Leben sukzessive annähert.
Das sei hier im Vorfeld erwähnt, denn wir sprechen hier schließlich von einem Ausflug zum legendären Single Club und unsere Bildstrecke bricht eben an der Stelle ab, an der dieser eigentlich beginnt, nämlich bei einsetzender Dämmerung.
Aber was soll es, Partys soll man sowieso lieber feiern als anschauen …

Unser Trip durch Kunst, Architektur und Natur begann dafür schon am Nachmittag, in etwa hier, auf dem schmalen Weg vor der Langen Foundation. Natürlich reisten wir aber nicht mit dem Shuttlebus, sondern wie es sich gehört standesgemäß sportlich mit dem Wagen an.

Der stilechte Kunstblogger sollte immer von mindestens einer, im besten Falle, sogar von zwei schönen Damen begleitet werden.

… denen er mit etwas Abstand dezent folgt.

Vor der Langen Foundation traf sich das Kunstestablishment, es gab Currywurst mit Pommes und dazu eine Ausstellung.

Am Erdwall gegenüber vom bürgerlichen Lager treffen wir wie geplant auf Freunde, mit denen wir unseren Weg gemeinsam in Richtung der Raketenstation fortsetzen.

Wie nähern uns dem Ausstellungsort, die Assoziation des Ufos liegt nahe und gefällt. Wir kannten das Gebäude vorher nicht und waren natürlich von dem rätselhaft unfertigen Bau beeindruckt.

Der Bau wirkt wie die Kulisse eines Science-Fiction-Films und erinnert daran, im Jahr 2012, also in der Zukunft zu leben. Und je weiter wir gehen, desto mehr bewegen wir uns in einem Modell einer anderen, angenehmen Zukunft und vergessen für einen Moment die realen Dystopien um uns herum. Die Kunst beginnt zu wirken und es deutet sich an, dass alles eigentlich auch immer ganz anders sein könnte.

Der Blick auf den Eingang und in das Halbrund des Betonufos hinein, sorgt für mehr Irritationen. Wir fragen uns nach wie vor, was das für ein eigenartiges Gebäude ist und welche Bedeutung die aus der Ferne bereits erkennbare Holzkonstruktion hat. Die Dachlatten-Plastik im Eingangsbereich verstärkt den Eindruck des Unfertigen und steigert auf angenehme Weise die Verwirrung. Wir fühlen uns schnell wohl.

Um den Betonrund herum sitzen Gruppen von Besuchern auf Weg und Wiesen, trinken, rauchen, genießen den Sommertag und harren der Dinge.

Wir gehen rein.

Am Eingang gibt es Kraft durch Suppe. Wir sind uns nicht ganz sicher, ist es kalauernde Provokation zur Vergangenheit oder der Versuch des reflektierten Umgangs mit der Gegenwart? Wahrscheinlich beides und damit fast schon ein Schritt in Richtung Metamoderne. Das Schild wirkt trotzdem etwas prollig und unbeholfen, sorgt später auch für Unmut, woraufhin die SS-Rune entfernt wird. Als wir zum Bestellen kommen gibt es nur noch Uppe, die dennoch lecker schmeckt.

Beim Betreten des Innenhofs werden wir von den bereits anwesenden Gästen beobachtet.

Wir lassen uns davon aber nicht stören, sondern begutachten die erste großformatige Arbeit gegenüber des Uppenstands.

Die Lichtinstallation von Christoph Knecht arbeitet ebenfalls mit klaren Bezügen zu deutscher Vergangenheit und globalisierter Gegenwart, kommt dabei aber sehr viel weniger platt daher, als der Text am Eingang.

Die großformatigen Holzarbeiten von Stephan Engelke fügen sich gut in die Bauruine ein und geben einen ersten Hinweis auf die gelungene Komposition der Ausstellung. Im Whitecube würden die Objekte neutralisiert werden und mich schnell langweilen, hier entwickeln sie ein Eigenleben und wirken wie überdimensionale, zurückgelassene Baugerätschaften oder unfertige Möbelstücke.

Im Inneren des Gebäudes wird der Dialog zwischen Kunst und Gebäude fortgeführt. Zeichnungen, die wie Baupläne wirken, oder eventuell sogar welche sind, hängen gerahmt an den Wänden. Eine Videoprojektion zeigt ein Kameraeinstellungen einer Bauruine, wie die, in der wir uns befinden. Der Gesamteindruck ist allerdings stärker als die einzelnen Elemente. Das ist gut für die Komposition und das Arrangement der Ausstellung und des Settings vor Ort, aber weniger gut für die Wahrnehmung der einzelnen Arbeiten.

Die zahlreichen Räume des Gebäudes sind voll mit Kunst. Wir gehen durch die Gänge, lassen den Blick umherstreifem, schauen auf die Arbeiten, schauen auf die Architektur, schauen wenn möglich durch Nischen auf die Natur und schauen auf die Gäste. Der Blick auf die Kunst öffnet und verändert naturgemäß die Wahrnehmung, die Arbeiten bilden somit Fixpunkt und Kontrast zum Umfeld des Rohbaus, wirken wie surreale Schlüssel, die uns diesen inszenierten Ort eröffnen.
Und mir wird klar, eine gebührende Rezeption und Kritik der einzelnen gezeigten Arbeiten wird es nicht geben, man möge das bitte verzeihen. Die Kompetenz dafür liegt beim geschätzten Kollegen Mir und der weilt aktuell weit weg in Südfrankreich. Darüber hinaus sprengt der Umfang der Ausstellung den Rahmen unserer Möglichkeiten.

So beschränke ich mich auf das Flanieren, lasse den Blick weiter schweifen, und erreiche schließlich die Bar auf dem Dach, hole mir den Weißwein und beobachte nun selber die Gäste unten im Hof.

Unschwer zu erkennen ist das hier die Liste der teilnehmenden Künstler der Ausstellung the reality of the unbuilt.

Wir verlassen das Obergeschoß und begeben uns in den Keller.

Auch dort hängt Kunst, und der Kontrast zwischen Rohbau und ausgestellten Arbeiten wirkt stimmig. Assoziationen zu modernen Schatz- und Wunderkammern kommen auf.

Wir fotografieren.

Wir schauen.

Und schauen.

Und gehen.

Und machen in diesem Raum eine Pause, die Skulptur war beim ersten Blick von Oben bereits aufgefallen.

Dann gelangen wir in das Zentrum des Untergeschosses, wohnen für einen kurzen Moment dem 24h Sound-Performance-Programm bei und stellen fest, dass wir angekommen sind, es handelt sich offensichtlich um das Herz der temporären Gesamtkonfiguration.
Es ist des Singlecub.
Wir sind zufrieden, wir haben unser Ziel erreicht, haben es oder besser ihn gesehen, stellen uns kurz den Rausch, das Glück, den Wahnsinn und die Extase vor, die hier später vorherrschen wird, denken dann an die Übelkeit und die Kopfschmerzen des nächsten Tages, trinken schnell das Glas Weißwein leer und machen uns auf den Rückweg.

Rundherum war Kuchen bereit gestellt. Laut Facebook-Eintrag wurden die zu später Stunde noch als Waffen der Kritik eingesetzt werden. Bands die den Geschmack des Publikums nicht trafen, wurden damit beworfen. Für die Gäste der Party eventuell ärgerlich, für Außenstehende aber durchaus unterhaltsam und zweifelsohne eine tolle Geschichte, die nachhaltig zur Legendenbildung beitragen wird.

Wir glauben alles gesehen zu haben und verlassen den Keller lange bevor die Kritiker aktiv werden.

Oben versammeln sich immer mehr Leute.

Noch wird überwiegend ab- und rumgehangen, aber langsam kommt eine Ahnung von Partystimmung auf.

Wir werfen einen letzten Blick zurück und machen uns entspannt auf den Heimweg.

Stiftung Insel Hombroich
Raketenstation / Haus für Musiker
41472 Neuss

http://www.therealityoftheunbuilt.com
http://www.single-club.in

Auf der Bühne:

Stabil Elite (Italic)
Chiqueria (Single)
Felix Kubin (Gagarin Rec. / A-Musik)
Fragil (Single)
POPNONAME (Kompakt, Magazine)
Jan Schulte (Themes for Great Cities)
Sarah Feulner
TV ME
Horst Gläsker & Fabian Schulz
Wolfgang Betke
Radio Latte: Silent Disco

Mit Arbeiten von:
Johannes Bendzulla, Felix Burger, Nicolai Crestianinov, Frauke Dannert, Rußlan Daskalov, Stephan Engelke, Sabrina Fritsch, Sven Fritz, Ramon Graefenstein, Erika Hock, Clemens Hollerer, Oscar Hugal, Ko Ichikawa, Christoph Knecht, Timo Kube, Peter Miller, Anna Mirbach, Olga Pfeffer, Christoph Schellberg, Lukas Schmenger, Andreas Schmitten, Emil Schult, Koen Sels, Fari Shams, Jens Ullrich, Ben Van den Berghe, Rinus Van de Velde, Alexander Ernst Voigt, Moritz Wegwerth, Joachim Weischer, Sebastian Wickeroth, Edi Winarni, Alexander Wissel, Matthias Wollgast

I love Pubertät im Kunstverein Schwerin

Wer uns und unseren Blog etwas länger kennt der weiß, dass wir nicht nur online und digital aktiv sind, sondern immer wieder gerne den Platz hinter dem Schreibtisch verlassen um Projekte draußen, in der analogen Welt zu realisieren. Ein solches Projekt aus dem Umfeld der perisphere ist die aktuelle Ausstellung im Kunstverein Schwerin.

Julia Wirxel, die Organisatorin, ist nicht nur Berliner Korrespondentin unseres feinen Blogmagazins, sondern darüber hinaus auch noch Leiterin des Kunstvereins in Schwerin. Dort läuft bereits seit dem 21.06. eine Ausstellung über ein Thema, welches bei den allermeisten Leserinnen und Lesern bewegende Erinnerungen hevorrufen dürfte, die im Rückblick zwar durchaus belustigende Seiten entwickeln, im erlebten Moment selber aber oft alles andere als komisch, dafür aber hinreichend peinlich waren.

Kunstverein Schwerin - I Love Pupertät

Unter dem Titel ‚I ♥ Pubertät‚ präsentiert der Kunstverein Schwerin künstlerische Positionen von Heike Kati Barath und Joachim Weischer zu einer Zeit der Ersten-Male, der knallroten Köpfe und der abenteuerlichen Experimente mit sich, der Familie und den Anderen. Im Fokus der Ausstellung stehen aber weniger die konkreten Probleme junger, mit sich und der Welt ringender Heranwachsender, vielmehr geht es um allgemeingültige Fragen zum sozialen Kontext dieser wildschrägen Phase des Lebens.

Wie kann man die Pubertät lieben? Liebt man nicht eher New York? Und wer liebt sie, die Pubertät? Die Pubertierenden? Oder ihre Eltern? Oder die stets Junggebliebenen? Drückt man aufgrund der emotionalen Unvorhersehbarkeiten doch den Dislike-Button? Wie ist der Geschmack von Adoleszenz? Oder denken wir an Martin Kippenbergers Ausstellung „Durch die Pubertät zum Erfolg“?

Neue medizinische Entwicklungen versprechen Medikamente, die nach Lust und Laune eingesetzt werden könnten, um die Pubertät bei Kindern auszulösen, zu stoppen oder zu beschleunigen. Noch muten diese Möglichkeiten bizarr an. Bei Mädchen, die zu groß werden, wird die Pubertät bereits früher ausgelöst, um ihr Wachstum zu reduzieren (siehe den Film Tall Girls, 2012).

Und was ist mit der sozialen Pubertät? Diese verlängert sich, genau wie die körperliche stetig früher beginnt. Da ein jeder sich an die Wirrungen der eigenen Pubertät erinnern kann und Kunst per se einen Freiraum bereithält „anders“ zu sein, bietet sich eine Verschränkung von Kunst und Pubertät geradezu an. So sind die Positionen von Heike Kati Barath (*1966) und Joachim Weischer (*1971) als exemplarische zu begreifen. In ihrer Ausstellung kann man sich auf die Suche nach dem Pubertären begeben und in ihren Gemälden Verwandlungen vorfinden, die hormonell, mythologisch oder dämonisch bedingt sein können. Auch (Puber-)Tiere sind von den Transformationen nicht ausgenommen. Auf den Bildern der Künstler tummeln sich Teenager, die mit außergewöhnlichen Materialien versehen sind oder aus ihnen entstehen. Lange Silikonfäden werden bei Barath plastisch zu einzelnen Haaren. Ebenso unterstützt das Material Bauschaum verschiedene Metamorphosen. Joachim Weischer bearbeitet  vorgefundene Fotografien mit Knetmasse, fotografiert diese „Reliefs“ dann wieder und erzielt damit erstaunliche Ergebnisse. Die Haptik des Dreidimensionalen fügt sich bei ihm –  im Gegensatz zu Barath – wieder ins Zweidimensionale.

In beiden Werken sind kunsthistorische Referenzen zu finden, neben der Moderne wird die Pop Art thematisiert, als eine Referenz ist Philip Guston zu nennen, dessen Arbeiten zwischen Figuration und Abstraktion changieren. Interessanterweise haben fast alle Arbeiten der beiden Künstler keinen Titel, um eine größtmögliche Offenheit zu der in den Werken angelegten Erzählung, wie beispielsweise von Märchen, zu behaupten.

Generell wird eine Haltung spürbar, die Menschliches und Existentielles thematisiert und auch vor Abgründen nicht Halt macht. Übergangsphasen von der Kindheit in das Erwachsenendasein werden auf poetische Weise sichtbar, die die Pubertät als Metapher für das Leben und seine Herausforderungen schlechthin bereithält.

Joachim Weischer, Ohne Titel, 2008, Digitaler-C-Print
Heike Kati Barath, o.T., 2011, Acryl Fugendichter auf Leinwand

Programm

Freitag 29.06., 20 Uhr
Girls, Boys & Teenwolves. Monstrous Gender im Werwolffilm, ein Vortrag von Dr. Julie Miess, Literaturwissenschaftlerin, Berlin

Mittwoch 04.07., 20 Uhr
Führung und Filmabend, Chihiros Reise ins Zauberland, JP, 2001, Regie: Hayao Miyazaki

Freitag 13.07., 20 Uhr
Ein Kurzfilmabend zum Thema Pubertät von Nicole Rebmann, u.a. Kurzfilmtage Oberhausen

Mittwoch 18.07., 20 Uhr
Führung und Filmabend, So finster die Nacht, SE, 2008, Regie: Tomas Alfredson

Sonntag 29.07., 17 Uhr
Künstlergespräch mit Heike Kati Barath

Kunstverein Schwerin
Spieltordamm 5
19055 Schwerin
0049 (0)385 521 3166
www.kunstverein-schwerin.de

Zitronenschaschlik meets Holzpalettenlabyrinth – der Rundgang der HFBK Hamburg

von Nicole Büsing & Heiko Klaas (Hamburg)

Von der kuratierten Klassenschau bis zum eng getakteten Performanceprogramm: Die diesjährige Jahresausstellung an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg lockte wieder einmal ein großes, überwiegend junges Publikum. Geschätzte 14 Spontan-Bars machten am Mittwochabend die Hochschule zur Party-Meile.

Eigentlich war dieses Labyrinth aus 320 Holzpaletten für eine Freifläche im Hamburger Hafen geplant. Jetzt steht es vor dem Eingang der HFBK und sollte all die Gäste der partyseligen Eröffnung in die Irre führen. Eine integrierte Bar aus dem flexiblen, modulartigen Material, das für Transport und schnelles Auf- und Abbauen steht, wurde am Mittwochabend zum sommerlichen Outdoor-Treffpunkt der Jahresausstellung

Konstanze Essmann, Enzo Mittelberger, Jakob Taranowski | Klasse Ralph Sommer (Design, Studio)
Der Weg ist das Ziel

Kuriose Verbindung: Zwei Dosen mit Milchpulver gehen durch zwei miteinander verschmolzene, rote abknickbare Trinkhalme eine absurde Allianz ein. Ein kleiner ironischer Eingriff markiert auf subtile Art und Weise die Widersprüchlichkeit eines handelsüblichen Alltagsprodukts.

Künstlergruppe Fort (Alberta Niemann): Dry Cans
Klasse Andreas Slominski (Bildhauerei)

Die Bodenarbeit von Jenny Feldmann aus 6000 Einzelteilen besteht aus billigem Laminat. Darin liegt auch der Bruch: Auch wenn die formal ästhetische Arbeit in ihrer Struktur an historische Kirchenböden und wertvolle Intarsienarbeiten erinnert, irritiert sie durch die Verwendung eines Materials, das günstig in jedem Baumarkt zu erwerben ist.

Jenny Feldmann – Klasse Andreas Slominski (Bildhauerei)
Ornament aus armem Material

Wo kommt der Baum denn her? Zwei Studierende der Klasse Slominski haben ihn kurzerhand in den Ausstellungsraum transferiert und so die Brücke zwischen Innen und Außen geschlagen. Bei genauerem Hinsehen entdeckt man am Stamm des jungen Gewächses den Ausstellungsplan für den Klassenraum. Das transferierte Objekt wird so zum beiläufigen Träger für eine wichtige Botschaft – ganz ähnlich den Laternen- und Ampelmasten im Stadtraum.

Gerrit Frohne-Brinkmann und Philip Pichler | Klasse Andreas Slominski (Bildhauerei)

Kugeln in verschiedener Größe, aus verschiedenen Materialien und verschiedener Volumina gruppiert Katja Aufleger zu einer skulpturalen Anordnung auf dem Boden. Eine in Hamburg nicht ganz unbekannte Boje markiert den Mittelpunkt dieser von unterschiedlichen Größenverhältnissen bestimmten Arbeit.

Katja Aufleger | Klasse Andreas Slominski (Bildhauerei)
Die Boje als Fixpunkt

Ausgangspunkt der Arbeiten von Tobias Öchsle sind Handwerkerarbeiten aus dem 19. Jahrhundert in den USA. Öchsle interessiert sich für den dekorativen Aspekt bei der Verzierung von Dachgiebeln und dem Herstellen von Schindeln. Diesen liebevollen Gestaltungswillen aus vergangenen Tagen nimmt Tobias Öchsle zum Anlass für eigene Arbeiten mit ironischem Unterton.

Tobias Öchsle | Klasse Andreas Slominski (Bildhauerei)

Konzeptuelle Nasen: Die Master-Studentin Katharina von Bockum-Dollfs hat mit ihrem hintersinnigen Bild aus Keramiknasen auf blauem Grund eine feine Hommage an den kalifornischen Konzeptkunstguru John Baldessari geschaffen

Katharina von Bockum-Dollfs | Klasse Andreas Slominski (Bildhauerei)

Studierende suchen einen Kurator: Die Studierenden der Klasse Jeanne Faust sind einen ungewöhnlichen Weg gegangen. Die Hamburger wagten den Blick über den Tellerrand und casteten angehende Kuratoren beim Studiengang für Curatorial and Critical Studies an der Städelschule in Frankfurt. Ihre Wahl fiel auf Maike Banaski und Anna Eschbach. Die Frankfurterinnen besuchten während des Semesters mehrmals die Klasse und diskutierten mit den angehenden Künstlern über Ausstellungspraxis und das Rollenverhältnis Künstler – Kurator. Für die Jahresausstellung haben sie jetzt vier Räume mit studentischen Arbeiten der Klasse eingerichtet. Die kuratierten Räume sollen gleichzeitig Plattform für Diskussionsformate und weiteren inhaltlichen und selbstreflexiven Austausch sein. Man wird sehen, ob dieses Modell denn auch zukunftstauglich ist. Erfahrung im Ausstellungsmachen in Zusammenarbeit mit einer Person, die von außen kommt, wird so allemal gesammelt.

Klasse Jeanne Faust (Zeitbezogene Medien) und Adnan Softic

Eine Skulptur aus Trash-Materialien: Rebecca Zedow verwendet für ihr bizarres Gebilde Materialien, die man auf jeder Baustelle oder eben in jedem Klassenzimmer der HFBK finden kann: Holzlatten, Klebeband, Scharniere, Gips, Stäbe und Farbe. Ein fragiles Gerüst, das einen fast schon organischen Körper formt.

Rebecca Zedow | Klasse Anselm Reyle (Malerei/Zeichnen)

Die Möglichkeit einer Insel: Der Vielreisende J.E. Oldendorf zeigt Gemälde von Trauminseln. Das Exotismusmotiv packt er in massive Holzrahmen, wie sie Kunsthandwerker in südlichen Gefilden gerne für Touristen herstellen. Reise-Kitsch oder Ironie-Falle: Der Reyle-Schüler sucht sich seine eigene Nische im künstlichen Paradies.

J.E. Oldendorf | Klasse Anselm Reyle (Malerei/Zeichnung)

Hol mich mal rüber: Das Motiv des Fährmanns durchzieht die Literatur- und Kulturgeschichte. Sebastian Wiegand nähert sich dem Sujet malerisch: Figuren und Tiere in realistischer Darstellung mit einem Hang zur Abstraktion.

Sebastian Wiegand | Klasse Werner Büttner (Malerei/Zeichnen)

Eine Mischung zwischen Half Pipe und Einstürzenden Neubauten: Lukas Furs hat die Fensterfront eines kleinen Raumes mit Latten zugeschichtet. Zwischen den Spalten scheint das Sonnenlicht durch – fast wie bei einer Kathedrale. Lukasz Furs stört sich nicht an dem sakralen Vergleich, auch wenn er sich in der Hip Hop-Kultur verortet und eher auf das Kaputte, das Krachende und das Potenzial der Zerstörung abzielt.

Lukasz Furs | Klasse Anselm Reyle (Malerei/Zeichnen)

Der Maler Daniel Thurgau gibt grundsätzlich keine Auskunft über seine Kunst. Seine Verweigerungshaltung erklärt er so: „Wenn ich alles erkläre, warum soll ich mir das noch angucken?“ Immerhin – am Eröffnungsabend der Jahresausstellung bot er sich den Besuchern an, in der Rolle der Kunstfigur Dan von Anhalt schnelle Porträts gegen kleines Endgeld anzufertigen.

Daniel Thurau  | Klasse Werner Büttner (Malerei/Zeichnen)

Poetik des Raums: Inszenierte Design-Gegenstände in der Klasse Ralph Sommer

Klasse Ralph Sommer (Design, Studio)

An Bars herrschte kein Mangel. Ob Nektarinen-Ananas-Weißwein-Bowle, Wodka, Club Mate oder einfach nur ein schnödes Bier: Geschätzte 14 Spontan-Bars sorgten am Mittwochabend für Party-Stimmung.

Marke Individuell: Verschiedene Künstler, die als Gäste in der jeden Dienstag stattfindenden Reihe „Folgendes“ ausgestellt haben, gestalteten Briefmarken als Sonderedition. Echte Einsteigerpreise: Für nur vier Euro sind die künstlerisch aufgewerteten Sondermarken der Deutschen Post in Mini-Auflage zu erwerben.

Klasse Heike Mutter (Grundlagen Grafik/Typografie/Fotografie)

Aufbau als Konzept: Zweimal exakt zwölf Stunden nahm sich die Klasse Jutta Koether Zeit, ihre Klassenräume für die Jahresausstellung fit zu machen. Das Ganze wurde auch gefilmt.

Klasse Jutta Koether (Malen/Zeichnen)

Play cool: Noise-Musik am Eröffnungsabend in der Klasse Jutta Koether

Klasse Jutta Koether (Malen/Zeichnen)

Party-Laune in einer lauen Sommernacht: Relaxte Stimmung an der HFBK am Mittwochabend.

Prinzip Stellwand: Die Klasse Thomas Demand überrascht mit einem selbstgebauten Display aus Tischplatten, auf dem auf beiden Seiten die studentischen Arbeiten präsentiert werden.

Klasse Thomas Demand (Bildhauerei)

Ein Skulpurenensemble aus verschiedenen Materialien: Jonas Brandts farbenfrohe Skulpturenfamilie mit integrierten Sockeln spielt mit Formen, Zitaten und Materialien. Von Aluminium, Holz, Alabasterstein bis zu Gips. Der Clou ist ein Stab, auf dem Brandt veritable Zitronen gespießt hat – inklusive Duft und Vergänglichkeit des organischen Rohstoffes.

Jonas Brandt | Klasse Anselm Reyle (Malerei/Zeichnung)
Zitronenschaschlik als unendliche Säule à la Brancusi

The Medium is the Message: Plakate im Stadtraum bilden den Ausgangspunkt der Arbeit von Vladimir Schneider. Er überführt die Werbebotschaften in den Kunstkontext und kommentiert sie durch gestische Übermalungen.

Vladimir Schneider | Klasse Anselm Reyle (Malerei/Zeichnen)

Alle Fotos © Heiko Klaas

Jahresausstellung an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg
Mittwoch, 4. bis  Sonntag, 8. Juli 2012, täglich 14 – 20 Uhr
www.hfbk-hamburg.de

Kunst meets Open Source Festival

Das Open Source Festival in Düsseldorf unterscheidet sich in einem zentralen Punkt von zahlreichen anderen Festivals: Es geht kein ganzes Wochenende, sondern nur einen Tag und eine Nacht. Von daher steht der Exzess, also das kollektive Ausrasten inklusive Dixieklo-Umwerfen und Schlammbaden, die Bierrutsche zum Frühstück sowie der klebrige Geruch von Schweiß vermengt mit Grillwurst, nicht ganz so im Vordergrund wie andern Orts. Das Open Source auf der Pferderennbahn im Grafenberger Wald, wirkt in dieser Hinsicht vergleichsweise brav und gesittet – Düsseldorf eben.
Man fährt Mittags mit Fahrrad, Bus oder Taxi vor, man trinkt, man hört gute Musik, trifft Freunde und Bekannte und nicht all zu spät am Abend macht man sich wieder auf den Heimweg. Wer richtig Feierwütig ist zieht eventuell noch weiter, dieses Jahr ins Stahlwerk zur Nachtschicht.
Aber Gleichgültig ob nur am Tag oder am Tag und in der Nacht gefeiert wurde, die Besucher wachen am nächsten Tag mit hoher Wahrscheinlichkeit im heimischen Bett, ziemlich sicher aber nicht im Zelt auf.

Diese Qualität macht das Festival zu einer Art großen Klassentreffen, an dem man all die Menschen wieder trifft, die man zwar kennt und mag, aber die man schon wieder ein jahr nicht mehr getroffen hatte. Es ist damit auch ein Treffen des Szenen, und diese Idee des lokalen Szenetreffs findet sich im Rahmenprogramm des Festivals wieder.

Zur lebendigen Kultur des Open Source Festival gehört neben der Musik ebenso die bildende und darstellende Kunst, Design und Mode. Alle Genres haben auf dem Open Source Festival eine Plattform gefunden, denn Musik ist längst eng verwoben mit weiteren Kultursparten.  Gemeinsam mit dem Amt für Wirtschaftsförderung kuratiert das Open Source Festival seit drei Jahren eine Auswahl von zwölf regionalen kreativwirtschaftlichen Konzepten, die ihre Ideen auf dem Festival vorstellen. Kaum in einer anderen Stadt ist die Verflechtung von Musik und bildender Kunst so stark wie in Düsseldorf und kaum eine andere Stadt brachte bisher so viele namenhafte Künstler hervor, wie u.a. Kraftwerk, Neu!, Kreidler, Mouse on Mars, Stabile Elite…. Zwei von ihnen – Mouse on Mars und Stabile Elite – sind mit neuen Klängen erneut auf dem diesjährigen Open Source Festival vertreten.

Der Kunstblog Eures Vetrauens hat sich diese Verflechtungen von Party, Kunst, Musik und Kreativwirtschaft angesehen und Bilder mitgebracht.

Toykio | Cafe, Designertoys, Urban Vinyl, Kunst und Szenemagazine
www.toykio.com

Mentor – Die Leselernhelfer Düsseldorf
www.mentor-duesseldorf.de

S/ash
de-de.facebook.com/slash.hhu

Kiosk zum röhrenden Hirsch
teilmoebliert.com

Gallery Slowboy
www.slowboy.de

Boehm Kobayashi
www.boehmkobayashi.de

el rizo
elrizo.com

Nina Sagt
ninasagt.de

Filmfest Düsseldorf
www.filmfest-duesseldorf.de

New Fall Festival
www.new-fall-festival.de

Roooms Project
www.roooms-project.com

garArt
www.garart-vivarte.de

Unique Records
www.unique-rec.com

Open Source Festival 2012
30.06.2102 in Düsseldorf
www.open-source-festival.de

A Retrospective of Tomorrow’s Artists im Schillerpalais

Ein Fotobeitrag von Stefanie Ippendorf (Berlin)

 

Für >A Retrospective of Tomorrow’s Artists< haben sich die beiden Kuratorinnen Karin Anzivino und Ferial Karrasch buchstäblich auf Spurensuche begeben. Mit dem Thema „Spur“ im Gepäck, haben sie die Gerrit Rietveld Academie Amsterdam, die Kunsthochschule Weißensee, die Akademie der Künste Berlin, die Akademie für Bildende Künste Karlsruhe und die Hochschule für Gestaltung Karlsruhe nach jungen Talenten durchforstet und haben Kunststudenten gebeten, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Wohlwissenderweise, dass eine Retrospektive mit gerade am Beginn ihres künstlerischen Schaffens stehenden Künstlern zunächst paradox erscheinen mag, haben Anzivino und Karrasch sich für die Arbeiten von Maximilian Arnold, Claire Bamplekou, Anja Braun, Jan Erbelding,  Annika Kappner, Johanna Kotlaris, Susanne Lanckowsky,  EunHee Lee, Sarah Martín, Pedro Matias, Wataru Murakami, Kris Olbricht, Lisa Peters, Hanna Schaich und Claudia de la Torre entschieden und eine abwechslungsreiche Schau zusammengetragen, die nicht nur einen Blick auf die Kunst von morgen verspricht, sondern auch die vielseitigen Bedeutungsebenen des Begriffs „Spur“ analysiert.

wataru murakami, garten und berg
sarah martin, parasitic traces
pedro matias, i'm the drawing you're the reality
maximilian arnold, ohne titel
maximilian arnold, ohne titel, detail
lisa peters, membrana es mihi die haut an mir
johanna kotlaris, silence is not a feeling
jan erbelding, foto von glas
hannah schaich, 166mal1 schleifpapier
EunHee Lee, collection of worss searched by google
claudia de la torre, take one leave one
annika kappner, superflous I
anja braun, strich auf papier auf wand

 

A Retrospective of Tomorrow’s Artists
23. 6. 2012 – 2. 7. 2012
Schillerpalais e.V.
Lageplan_Schillerpalais
Kunst- und Aktionsraum
Schillerpromenade 4
12049 Berlin

 

Montag bis Freitag: 10:00 – 18:00 h
Telefon: 030 / 62 72 46 -70 / -73
info {ad} schillerpalais de
www.schillerpalais.de

 

Im Gespräch mit Matthias Planitzer vom Kunstblog Castor und Pollux

Das nachfolgende Gespräch bildet den Auftakt einer neuen Reihe bei perisphere, in welcher wir in loser Abfolge die Kunstbloggerszene im deutschsprachigen Raum beleuchten werden. Den Anfang machen wir mit einem Interview mit dem Berliner Matthias Planitzer vom Castor & Pollux-Blog.

Matthias startete mit seinem Projekt im Januar 2009 und gehört damit nicht mehr ganz zu den Pionieren, aber mittlerweile immerhin doch zu den fest Etablierten unter den deutschsprachigen Kunstblogs, sein Schwerpunkt liegt von Beginn an auf dem Kunstgeschehen in der Hauptstadt Berlin. Mitte diesen Monats wurde die kontinuierliche Arbeit offiziell gewürdigt, Castor & Pollux wurde in Hamburg mit einem Lead-Award ausgezeichnet. Die Auszeichung wird übrigens heute Abend in Berlin in der Kim Bar gefeiert.

Matthias Planitzer ist vielseitig interessiert und äußerst umtriebig. Er studiert Medizin, ein Studium welches laut eigener Aussage mit kurzen Lücken von Kleinauf sein Berufs- und späterer Studienwunsch war, gründete aber parallel dazu gemeinsam mit Sol­veig Maria Ebbing­haus die Kommunikationsberatungsagentur Ebbing­haus Pla­nit­zer — Art Con­sul­tancy. Zusätzlich zu den Texten und Rezensionen in seinem eigenen Blog schreibt er einmal im Monat für das Kunst-Magazin und unterhält noch ein eher experimentelles Online-Projekt unter dem Titel Ganymed, in dem es ihn um die Verbindung von bildender Kunst und Literatur geht.

Matthias Planitzer | Castor & Pollux

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brink – Ereignis zwischen Kunst und Wissenschaft

brink ist ein Hybrid aus Magazin und Ereignis zwischen Kunst und Wissenschaft. Das ambitionierte Projekt kommt aus dem Umfeld der Universitäten, ist aber über den Status eines studentischen Experiments hinaus. Das Laoyut ist professionell und der formulierte Anspruch hoch.
Thema und Titel von brink #2 ist Sprung. Ein Thema in vielen Beiträgen von jungen und renommierten Künstler_innen, Studierenden, Nachwuchswissenschaftler_innen und etablierten Professor_innen aus allen Wissenschaften und Persönlichkeiten aus Medien und Kultur. Kunst und Wissenschaft sollen sich bei brink in lebendiger Form begegnen und einen dichten und angeregten Austausch ermöglichen.

Und weil die Pressemitteilung von brink so schön ist, übernehmen wir diese hier einfach.

brink hat seine Wurzeln im Schweigen an den Universitäten, der Unmöglichkeit selbst sehen und sprechen zu dürfen und den fehlenden oder gescheiterten Dialogen zwischen Kunst und Wissenschaft. Es ist ein Projekt von Studierenden, die einen neuen Ort der Rede und der Sichtbarkeit erschaffen wollten und mit brink ein Magazin zwischen Kunst und Wissenschaft eröffnet haben.

Modularisierte Studiengänge, straffe Stundenpläne und durchstrukturierte Lehrveranstaltungen, die weniger Interesse als pure Anwesenheit fordern, lassen den Studierenden nur wenig Raum für die Beschäftigung mit selbst gewählten Forschungsfeldern. Das Bestreben, neue Diskurse zu öffnen und bestehende Diskurse zu erweitern unterliegt Zeitdruck und Effizienzdenken.

brink will hier Alternativen schaffen, in denen sich ein Miteinander und Nebeneinander in der Differenz zeigt. Zwischen Kunst und Wissenschaft – das heißt, neue Räume zu öffnen, Randgänge, Schwellenerfahrungen, Grenzsetzungen und Grenzüberschreitungen in der Begegnung mit dem Anderen. Die Begegnung nicht nur der wissenschaftlichen Disziplinen, sondern auch von Bild und Text als gleichwertige Positionen. Zudem vollzieht sich eine Öffnung zu Leser_innen, Betrachter_innen, und Besucher_innen: brink ist immer in der Bewegung zum Anderen – im ›anderen sehen‹ und im ›Sprung‹.

Am 22. Juni 2012 ging das Projekt mit der zweiten Ausgabe und dem zugehörigem Ausstellungsparcours in Wuppertal in die nächste Runde. Wir waren mit dem Fotoapparat vor Ort und haben das Projekt dokumentiert.

Projektraum Hebebühne
Ruth Weigand - Hinter einigen Tannengipfeln
Projekt UTOPIASTADT
Projekt UTOPIASTADT Innen
Jennis Li Cheng Tien - Counterforce bei UTOPIASTADT
Kunst und, oder Kunst vs Fussball? - UTOPIASTADT
Altes Tanzstudio
Bernd Härpfer & Pascal Fendrich im Alten Tanzstudio
Jan Verbeek im Alten Tanzstudio
Tom-Oliver Schneider im Alten Tanzstudio
Ana und Henrique Pereira da Silva
Julius Schmiedel und Michael Schmitt im Alten Tanzstudio
Raumzeitpiraten in der Postkutscherei
Kunstblogger mit Baby am Mann beim Erklimmen einer Arbeit von Anton Studer & Balz Isler in der Postkutscherei
Videoinstallation von Judith Rautenberg in der Postkutscherei

Weitere Informationen im Netz unter
www.brinkmagazin.de
twitter.com/brinkmagazin

facebook.com/pages/brink-Magazin-zwischen-Kunst-und-Wissenschaft/

Boehm/Kobayashi präsentiert Ant!Foto 2012 im Kunstraum Düsseldorf

Oliver Sieber und Katja Stuke alias Boehm/Kobayashi haben auch dieses Jahr zu Ant!Foto in den Kunstraum Düsseldorf eingeladen. Dem Aufruf gefolgt sind Laura Bielau, Rene Bonsink, Olivier Cablat, Jason Evans, Ulrike Heydenreich, Ted Partin, Pia Stadtbäumer,  80*81(Georg Diez & Christopher Roth) & Christoph Dettmeier »Country Karaoke«.

Franz Schuier vom Düsseldorfer Kreativstudio beansandbacon.com hatte sich zu unserer großen Freude vor einiger Zeit auf unseren Call-for-papers gemeldet und sich dann auch noch freundlicherweise bereit erklärt für unsere Leser mit der Kamera in der Ausstellung vorbeizuschauen. Zurück kam er mit einem gelungenem Minidokumentarfilm (01:51 min), in dem er einen schnellen und präzisen Einblick in die Ausstellung gibt. Wir finden das Super und sagen an dieser Stelle schon einmal Danke für den ersten Einsatz!

Und sie, liebe Leserinnen und Leser, drücken uns bitte die Daumen, dass uns der Mann erhalten bleibt!

Wie bei uns auch sonst üblich, verzichten wir bei Videoeinbindungen auf lange Texte und lassen den Film, die Ausstellung sowie natürlich Oliver Sieber und Katja Stuke sprechen.

Wer Ant!Foto 2012 persönlich in Augenschein nehmen will, der muß sich etwas beeilen, denn die Ausstellung läuft nur noch bis zum 01.07.2012.
Weitere Infos gibt es auf der Projektwebseite unter http://www.antifoto.de.

Ant!Foto 2012
24.5.–1.7.2012

Kunstraum Düsseldorf
Himmelgeister Straße 107e
40225 Düsseldorf
Tel. 0211.330237

Guten Tag Düsseldorf, guten Tag Welt!

Diesmal geht es definitiv etwas härter zur Sache, ein Picasso muss dran glauben. Das Bild „Frau im roten Sessel“ wird von einem wütenden Besucher mit dem Wort „Conquista“ (deutsch: Eroberung) beschriftet. Zufällig(?) wurde das geschehen von einem anderen Besucher gefilmt und auf Youtube veröffentlicht.

Dieser Mann mag keine Bilder von Picasso oder möchte selber eines haben und kann es eventuell einfach nicht bezahlen?

Marc Sparfel in der Galerie t in Düsseldorf Flingern

Verlassene Möbel, die keinen Zweck mehr erfüllen oder einfach nicht mehr modern sind, bilden einen ‚urbanen Wald‘, der aus dem Asphalt erwächst.“ mit diesem Satz umschreibt Mark Sparfel kurz und knapp seine Arbeit. Vom 14.06. bis zum 20.07.2012 ist der Künstler in der relativ jungen Galerie t in Düsseldorf Flingern zu Gast. Freund und Kollege Klostermann war mit der Kamera vor Ort und hat ein Paar Impressionen der Ausstellung mitgebracht.

Galerie t
Hermannstraße 24
40233 Düsseldorf

http://www.galerie-t.de

Öffnungszeiten:
Montag bis Donnerstag nach Vereinbarung
Freitags 17-19 Uhr
Samstags 11-15 Uhr
Sonntags geschlossen

Mischpoke: 22 Fachgeschäfte in Mönchengladbach

Ein Bildbeitrag von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

Als die Stadt Mönchengladbach 1949 eine brandneue Einkaufspassage erhielt, in der sich über 20 Fachgeschäfte einsiedelten, schrieb man in der jungen Bundesrepublik noch die ersten Seiten einer schönen Geschichte – eine Geschichte namens „Wirtschaftswunder“. Mehr als 60 Jahre später ist diese Geschichte eben Geschichte geworden und die mehr oder weniger charmanten Läden, seit vielen Jahren in Familienhänden, müssen weichen. Der Großinvestor MFI, der in Düsseldorf-Bilk bereits eine gesichtslose und uninspirierte (aber wohl populäre) Mall gebaut hat, wird hier die „Mönchengladbach Arcaden“ errichten – und erhofft sicherlich, dass die extrem klamme Stadt plötzlich dem Konsumrausch verfällt.

Durch diesen Ansatz von Strukturwandel steht jedenfalls jede Menge Leerstand in kompakter Form und zentraler Lage zur Verfügung. Und die Gelegenheit für die Verantwortlichen von Mischpoke war zu schön um ausgeschlagen zu werden. Es kam ein Deal mit dem MFI (der sich gerne als Mäzen stilisiert) zu Stande und, bevor die Passage endgültig abgerissen wird (und mit ihr die charakteristische Dachstruktur der späten 80er Jahre), dürfen 33 Künstler die 22 ehemaligen Geschäfte okkupieren. Die meisten nutzen den Raum unreflektiert, beziehen sich höchstens auf dem evidenten Verfall des architektonischen Ensembles oder verpflanzen ihre Drop-Sculptures in diesen besonderen vier Wänden. Ortsspezifik sieht anders aus; jedoch kann Ortsspezifik auch mitunter nerven – und die Unbefangenheit des Unterfangens hat hier seine erfrischende Seite.

Diesmal wurden übrigens Nicht-Mischpoke-Künstler eingeladen, also ausschließlich Damen und Herren, die nicht zum Verein gehören und aus Köln, Düsseldorf und Gladbach stammen. Die Eindrücke haben wir gesammelt.

 

 

 

OLIVER GATHER

 

GEREON KREBBER

 

DAN DRYER

 

THOMAS RUCH

 

KATHARINA MADERTHANER

GEREON KREBBER

 

TERRY BUCHHOLZ

 

GEREON KREBBER

 

EDITH BORIES

MARTIN ROOS

 

JEANETTE STÜTTGEN

 

PHILIPP ACKERMANN / KATE MACKESON

 

JOHANNA VON MONKIEWITSCH / CHRISTIAN BERG

JEAN-LUC DANG / MARIJA LINCIUTE

 

ALEX POLLARD / CLARE STEPHENSON

 

UTTA HAGEN

 

MARKUS MUSSINGHOFF

RICARDO ALZATI

 

 

UWE ESSER

 

 

 

Katrin Herzner zeltet in Berlin in der Abteilung für alles Andere

1200 km Luftlinie ist Katrin Herzner für ihr Kunstwerk OST mindestens gewandert. Sie versucht so gerade wie möglich zu laufen – per Kompass nach Osten – um zu sehen, was passiert und herauszufinden, wie weit man kommt. Begonnen hat sie die erste Etappe in Freiburg im Breisgau im Herbst 2010. Vor wenigen Wochen endete die fünfte Etappe in den ukrainischen Karpaten. Die Fortsetzung folgt in Teil VI voraussichtlich im Herbst 2012.
Während den Wanderungen lässt sich das Geschehen jeweils ausschließlich per Audio-Live-Übertragung per Telefon mit verfolgen.

In diesem Sommer sucht Katrin Herzner unterdessen Plätze zum Zelten im Innen- oder Außenraum, in Deutschland und seinen Nachbarländern. Sie zahlt dafür mit einer Arbeitsstunde pro Tag für Tätigkeiten aller Art. Vom 11. bis zum 19. Juni hat, oder vielmehr hatte, Katrin Herzer ihr Zelt in der Abteilung für Alles Andere aufgebaut.

Abteilung für alles Andere, Berlin
Katrin Herzner zeltet in der Abteilung für alles Andere in Berlin

Katrin Herzner schreibt dazu „Ich zelte diesen Sommer, weil es mir momentan widerstrebt, einen Mietvertrag abzuschließen. Zu sehen gibt es in der Abteilung also mein Lager, neue Videos und mich selbst.
Die POSTOST-MONOLOGE,
(ein Programmpunkt der Aktion – Anm. d. Red. ) beschäftigen sich größtenteils mit unterschiedlichen Aspekten von OST – der Wanderung zum Live-Hörbuch von Katrin Herzner. Hier erkläre ich alles, wonach ich üblicher Weise nicht gefragt werde.“

Zelten in Berlin | Abteilung für alles Andere
Zelten in Bremen
Zelten in Aachen

Wir haben Katrin einen Minifragenkatalog geschickt, den sie uns freundlicherweise beantwortet hat.

FK: Welches war das größte und schwierigste Hinderniss welches du auf Deiner Wanderung 1200km überwunden hast?

KH: Es sind 1200 km luftlinie – gelaufen bin ich vermutlich an die 2000 km, weil ich nicht fliegen kann. Dann … Groß und Schwierig sind zwei paar Schuhe. Der höchste Punkt war gerade erst in den Karpaten: ca. 1420 Meter. Das schwierigste bin ich selber und ich bin immer da.

FK: Dir wiederstrebt es einen Mietvrtrag abzu schliessen. Als moderner Mensch ist man auf vielfältige Weise vertraglich gebunden. Wie hälst Du es mit anderen Verträgen, wie KV, Handy, Altersvorsorge?

KH: Ich finde Verträge gut, weil deswegen alles schriftlich geklärt ist. Man sollte bei Bedarf halt prüfen, was man da unterschreibt. Macht im besten Fall Sinn für beide Seiten. Ich will halt nur keinen Mietvertrag unterschreiben. Denn das bedeutet, Miete zu zahlen und diesen Klotz von Zimmer oder Wohnung am Bein zu haben, der die Bewegungsfreiheit einschränkt. Aber man kann sich ja glücklicher Weise aussuchen, ob man einen Vertrag unterschreibt oder nicht.

FK: Was hälst du vom Konzept des Grundbesitz?

KH: Grundbesitz ist Eigentum von Landflächen? Er legt sich wie ein Bild über den Planeten Erde und verändert die Oberfläche – manchmal sehr großflächig, manchmal ganz klein parzelliert. Das ist ganz interessant, da quer durch zu gehen – sich manchmal durch zu mogeln und manchmal aus Respekt oder Schüchternheit einen Bogen zu machen. Ich würde gerne auch Land besitzen. Ich denke allerdings, wenn jemand kommt und eine Linie darüber gehen will, würde ich ihn auf jeden Fall lassen und einen Kaffee kochen.

FK: Cowboy oder Indianer?

KH: Einzelbison.

FK: Das Zelt ist im Rahmen der Occupy-Aktionen zum Symbol einer globalen Protestbewegung geworden, hat das für Dich Bedeutung?

KH: Nein. Für mich ist es mein Haus, und ich kann ganz so mit 1,4 kg meinen Raum erzeugen. Ich frage immer, ob ich an einem Ort zelten darf und bin kein Besetzer. Zelte sind auch Flüchtlingslager, Notlazarette, Rock am Ring, Nomadenhäuser und vieles mehr – das zweite nach der Höhle, schätze ich. Occupy natürlich auch, klar – aber im Verhältnis zum Zelt an sich ist das meiner Meinung nach nur ein kurzer Moment.

FK: Beim aktuellen Projekte tauschst Du Dich eine Arbeitsstunde gegen die Möglichkeit Dein Zelt aufzuschlagen. Warum der Rückgriff auf den Tauschhandel?

KH: Weil ich gerade nicht viel Geld habe und trotzdem nicht schmarotzen will. Das sind auch schöne Jobs … Ich mache da Sachen, die schon lange mal hätten erledigt werden sollen.

FISIMATENT – Katrin Herzner zeltet in der Abteilung für Alles Andere
Ausstellung vom 11. – 19. Juni 2012
Ackerstraße 18, Berlin Mitte
http://www.a-a-a.cc/

http://www.katrin-herzner.de

 

Christian Keinstar zu Gast bei Teapot in Köln

Der in Köln lebende Künstler Christistian Keinstar war vom 18.04. bis zum 19.05.2012 unter dem Titel „THE DARK AGE OF LOVE“ mit einer Soloshow und einigen neuen Arbeiten in der Teapot-Galerie in Köln zu sehen. Von dem Projekt gibt es eine ausführliche Videodokumentation, die wir hier einfach mal weitest gehend kommentarlos einbinden – einzige subjektive: Mein persönlicher Favorit ist Kanon 03.
Ich klicke Gefällt mir!

Und alle Düsseldorfer, die die Arbeiten von Keinstar mal live sehen wollen und es nicht nach Köln geschafft haben, freuen sich auf seine Show mit Susanne Giring, im kommenden Jahr im Parkhaus im Malkasten.

THE DARK AGE OF LOVE
18.04. – 19.05.2012

Teapot Galerie
Herwarthstrasse 3
50672 Köln
www.weareteapot.com

www.keinstar.de

 

Dyssomnia in der Hans Peter Zimmer-Stiftung

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

 

„Genius loci: (Schutz)-Geist, geistiges Klima eines Ortes“, definiert der Duden. Den Geist eines Ortes wahrzunehmen, zu verstehen und in die Transformation des Ortes einzubeziehen ist (im besten und leider seltenen Fall) die vordergründige Aufgabe des Architekten – sowie des Künstlers, wenn dieser seine Arbeit in atmosphärisch dichten Räumen zu platzieren hat. Es wäre töricht und deplatziert, eine Ausstellung in den ehemaligen Produktions- und Lagerhallen der HPZ-Stiftung zu inszenieren, ohne dessen postindustrielle Wucht zu berücksichtigen; es wäre eine verpasste Chance und eine kuratorische Dummheit, Kunst an diesem Standort zu zeigen, ohne auf den teilweise düsteren und unheimlichen, teilweise stilvollen und charakterstarken Geist des Ortes einzugehen.

Lars Rosenbohm
Lars Rosenbohm (Foto: W. Schäfer)
Lars Rosenbohm (Still: L. Klostermann)

Diese Chance haben die zwei Kuratoren von Dyssomnia nicht verpasst. Zusammen mit Maria Wildeis ist es Wolfgang Schäfer gelungen, eine adäquate Präsentation von Installationskunst und Bildhauerei in diesen sehr unterschiedlichen Räumen zu verwirklichen. Im Großen und Ganzen haben alle acht Künstler das prekäre Gleichgewicht zwischen Ortsbezogenheit und Werkautonomie bewahrt; eine Herausforderung angesichts der schwierigen, geschichtsträchtigen Räumen.

Katharina Maderthaner
Katharina Maderthaner
Katharina Maderthaner (Still: L. Klostermann)

Wildeis und Schäfer setzen dabei auf einen Mix aus jungen Absolventen oder Studenten der hiesigen Kunstakademie und Künstlern, die sich im mittleren Karriereabschnitt befinden und bereits über eine gewisse Ausstellungserfahrung verfügen. Dazu gehören Positionen wie die von Susanne Themlitz, Gereon Krebber oder Lars Rosenbohm. Trotz der Unterschiede ihrer Ansätze dienen übrigens die zwei letztgenannten Künstler als „Ausgangspunkt“ der Ausstellung; sie waren die Grundsteine, worauf die Kuratoren aufbauten.

Claudia Mann
Claudia Mann
Claudia Mann

Der regionale Bezug ist also prädominant; eine ausdrückliche Thematik ist aber in der Ausstellung nirgendwo zu finden. Wozu denn auch? Wer braucht ein Motto wenn solche großartigen Raumbedingungen vorgegeben sind? Ausgenommen Claudia Mann, die zwar zehn Tage lang gebraucht hat, um ihre zwei Piscines vor Ort aufzubauen, diese aber in jedem anderen besseren white cube hätte präsentieren können – die Auseinandersetzung der Künstler mit ihrer Umgebung ist hier Thema genug.

Claudia Mann (Foto: W. Schäfer)

Ich möchte diesmal nicht zu präzis auf die Arbeiten eingehen und, wie es sonst auf diesen Seiten gepflegt wird, die Rezension in eine akkurate Werkbeschreibung ausarten zu lassen – besonders gelungen erscheint jedenfalls die Arbeit von Gereon Krebber. Seine Schlauchgebilde hängen praktisch zwischen zwei Wänden und besitzen eine ungeheure Materialdynamik. Hier verschmilzt das Organische mit dem Industriellen, wuchert das Chaotische wie ein Geschwür in den Raum und glitzert wie ein kranker Schmuck in seiner schmuddeligen Schatulle.

Gereon Krebber
Gereon Krebber
Gereon Krebber

Erwähnenswert ist ebenso das skurrile Raumarrangement von Susanne Themlitz. Heterogene Fundstücke, deren industrielle Vergangenheit teilweise ablesbar bleibt, sind zu einer Art Indoor-Skulpturenpark zusammengetragen und verhindern eine flüssige Erkundung des Raumes. Die Objekte zitieren zwar die moderne Bildhauerei; ihr prekäres Gleichgewicht, ihre Parcours-ähnliche Anordnung sowie die vielen räumlichen Bezüge erscheinen hier jedoch wichtiger, als die Zitiererei an sich.

Susanne Themlitz
Susanne Themlitz
Susanne Themlitz (Foto: W. Schäfer)
Susanne Themlitz (Still: L. Klostermann)

Auch die fantastisch-schwülstigen Strukturen von Andreas Gehlen haben unsere Aufmerksamkeit gewonnen. Die flügelartigen Gegenstände aus Papier, worauf verschiedenes Abbildungsmaterial projiziert wird, ragen aus den Wänden heraus und breiten sich in dem kahlen Speicherraum aus. Sie sind zwar reichlich spektakulär angelegt und ihre Steampunk-Ästhetik kann sie nicht vollständig vor dem Vorwurf einer Effekthascherei retten; ihre visuelle Anziehungskraft, ihr vordergründiger surrealer Charakter sowie Gehlens adäquate Umgang mit dem Raum überwiegen trotzdem in der positiven Bewertung.

Andreas Gehlen
Andreas Gehlen
Andreas Gehlen
Andreas Gehlen (Still: L. Klostermann)

Der verdunkelte Raum von Katharina Wackermann kommt mit weniger special effects aus, ist aber ein Highlight (nein, hier wird nicht versucht, witzig zu sein) der Ausstellung. Wackermann hat ihre zugleich massiven und kristallinen Holzkonstrukten vor künstlichen und natürlichen Lichtquellen platziert und moduliert dadurch den Raum auf faszinierendste Weise.

Katharina Wackermann
Katharina Wackermann (Foto: W. Schäfer)

Dyssomnia – eine Worterfindung, die Unruhe und Störung signalisieren will und auf eine – so Wolfgang Schäfer – unangepasste Ausstellung hinweist. Ob die Kunst, die in diesen Hallen gezeigt wird, sich wirklich zu einem Störfaktor entwickelt sei dahin gestellt. Interessant bis hochwertig ist sie auf jeden Fall.

Oliver Blumek
Oliver Blumek
Oliver Blumek bei der Eröffnung
Oliver Blumek und Wolfgang Schäfer
Dyssomnia- Rauminterventionen
mit Oliver Blumek, Andreas Gehlen, Gereon Krebber, Katharina Maderthaner, Claudia Mann, Lars Rosenbohm, Susanne Themlitz und Katharina Wackermann
HPZ-Stiftung
Ronsdorfer Str. 77a
Ausstellung vom 1.6.2012-29.6.2012
geöffnet Do. bis So. von 14-18 Uhr

Sven Piayda – ‚The Promise Of Absence’ in der Galerie143 in Dortmund

Seit dem 12. Mai zeigt die Galerie143 in der Rheinischen Straße in Dortmund Arbeiten des Medienkünstlers Sven Piayda. Die Einzelausstellung, welche primär schwarzweiße Fotografien und Videoinstallationen präsentiert, ist voll digitaler Manipulation und komplexer Versweise. Was auf den ersten Blick banal anmutet, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als doppelbödiges Verwirrspiel.

Die Galeristin Simone Czech beschreibt die Arbeit mit folgenden Worten “Sven Piayda verspricht in der Ausstellung „The Promise of Absence“ wortwörtlich, dass etwas nicht vorhanden ist. So verzichtet er z.B. auch auf Farbe, die er den Fotografien nachträglich entzogen hat. […] Piayda beeindruckt durch seinen professionellen Umgang mit der Technik, aber vor allem auch durch die Fähigkeit, ein Auge für besondere Situationen oder skurrile Gegebenheiten zu haben. Obwohl Bildelemente regelrecht instrumentalisiert werden, drücken seine Bilder und Videos eine unverkennbare Leichtigkeit aus, denen es an Humor nicht fehlt.“

Die Journalistin Melanie Schäfer fügte in ihrem Artikel hinzu:
“Man kann sich zwar sicher sein, dass Piaydas Bilder immer in irgendeiner Form nachträglich bearbeitet sind, aber in welchem Ausmaß dies geschehen ist, schwankt von einer Arbeit zur nächsten und ist ein Punkt, über den der Betrachter selbst sinnieren muss. Denn auf den ersten Blick wirken die Motive oft nicht manipuliert oder neu zusammengesetzt.

(Bilder via mail, Danke!)

Einer von drei Videomonitoren zeigt u.a. „Again“ und „Equinox“. Insgesamt sind neun Videoarbeiten in der Ausstellung zu sehen.

Begleitend zur Ausstellung hat die Galerie143 einen 40-seitigen Katalog herausgegeben, welcher neben Abbildungen von Stills aller Videos und vertretenden Fotoarbeiten, sowie weitere schwarzweiß gehaltenen Fotografien und begleitende Texte beinhaltet. Die Ausstellung ist noch bis zum 28.07. zu besuchen, ein Artist Talk mit Führung durch die Ausstellung ist für den 07.07.12 geplant.

Sven Piayda – The Promise Of Absence
12.05. – 28.07.2012

Vernissage: 12.05.2012 ab 14 Uhr
Künstlerführung: 07.07.2012 um 16 Uhr und um 20 Uhr
Öffnungszeiten:
Freitag & Samstag: 16 – 18 Uhr und nach Vereinbarung

www.galerie143.de
www.svenpiayda.com

 

 

Evangelos Papadopoulos im Honigbrot

Die raumgreifende Plastik des Bildhauers Evangelos Papadopoulos erscheint durch ihre Ausmaße von über 7 m x 4 m x 4 m und durch seine kristalline und expandierende Gestalt wie eine rauschhafte Schöpfung, die sich rational motivierten, verbalen Deutungsversuchen entsagt. Bei ihrem Entstehungsprozess konnte man zusehen, wie Tag für Tag, Stunde um Stunde, der Raum transformiert wurde uns schließlich selbst zu einem Teil der Kunst wurde. Es wurde hinzugefügt, angeschraubt, abgebrochen, abgesägt und wieder entfernt, wieder aufgetragen.

Papadopoulos kreiste um die Arbeit und betrachtete das entstehende Werk aus den unterschiedlichen Blickachsen und unter jeweils anderen Licht- und Perspektivverhältnissen. Dabei dienten die verschiedenen Beobachtungsposten als feste Bidlauscchnitte, die immer aufgesucht wurden um abgelichtet zu werden, um ein visuelles Gleichgewicht herzustellen und vor dem Auge schließlich das zu erschaffen, worauf es zu warten schien.

Mit der Ausstellung MANIA ist ein plastischer Eingriff entstanden, durch dessen Dominanz in der Erscheinung die Funktionalität des Raumes entkoppelt wird. Die Umgebung wurde vereinnahmt: die geometrischen Strukturen im Raum, der dunkle Betonestrich, die Fenstergliederung, die Farb- und Lichtverhältnisse, aber auch die vielen körperlichen Bewegungen um die Arbeit herum – all diese Raumelemente verweisen im Schattend es Kunstwerks auf ihre bildhaften Qualitäten und die Sicht auf den Raum verlagert sich mehr und mehr von seiner Funktionalität auf die Formsprache.

So treten die malerischen Merkmale des Kunstwerks gemeinsam mit dem Raum und seinem inhärenten Lebensalltag als visuelle Erscheinung hervor und verwandeln sich nahezu in eine dreidimensionale Collage.

Text: Maria Wildeis

Oliver Blumek

Rahmenprogramm:
8.6 um 19 Uhr: Eröffnung mit einer Performance von Oliver Blumek
15.6 um 20 UHr: Screening: Medea von Pasolini, Popcorn und Bier
30.6 um 16 UHr: Lesung aus Platons Phaidros
4.7 um 20 Uhr: Vortrag in Gedichten von Frank Schablewski

 

Evangelos Papadopoulos: Mania
Honigbrot
8.6-8.7.2012
An der Schanz 1a, 50735 Köln-Riehl
geöffnet von Do-Sa, 12-18 Uhr, Fr 12-22 Uhr und nach Vereinbarung

 

 

Guten Morgen Düsseldorf, guten Morgen Welt!

What’s My Line? war bei CBS von 1950 bis 1967 auf Sendung, und ist damit die am längsten laufende Gameshow in der amerikanischen TV-Geschichte. Bei uns kennt man das Showkonzept unter dem Titel Was bin ich?, moderiert vom unvergesslichen Robert Lembke.
In der US-Show waren neben vielen anderen Prominenten auch Alfred Hitchcock, Frank Lloyd Wright, Eleanor Roosevelt, Groucho Marx und Carl Sandburg zu Gast.
1950, also recht zu Anfang, trat der Surrealist Salvador Dali unter der Berufsbezeichung Künstler dort auf.

Franz Schuier im Pretty Portal

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

 

Die Bilder und Videoanimationen von Franz Schuier kommen zunächst schön bunt und freundlich daher. Die gleichgroßen Motive seiner Diasec-Serien werden von einfachen geometrischen Formen in symmetrischen Mustern gebildet, deren grelle Farben besonders stark auf dem schwarzen Hintergrund leuchten. Beim ersten Blick wirken sie wie die austauschbaren dekorativen Elemente einer flippigen Tapete oder wie ein visuelles Alphabet, das auf seine Entschlüsselung warten würde. Manche Videos lassen solche Motive in unterschiedlichen Geschwindigkeiten laufen; in anderen animierten Arbeiten mutieren die geometrischen Muster zu beinah psychedelischen Oszillationen, die in den Raum moduliert werden und ihre geometrische Struktur sowie ihre Farbigkeit stets wandeln.

Wenn man an der Oberfläche bleibt, entdeckt man nichts anderes als eine willkürlich zusammengesetzte Reihe von quietschbunten Zeichen mit einem verhängnisvollen Hang zum Ornament. Aber eine genauere und längere Betrachtung lässt etwas wie ein Schema erkennen und, auch wenn hier keine verborgene Struktur zu entdecken wäre, vermutet man eine zugrundeliegende Logik, die die zunächst angenommene Willkür in Zufall transformiert.

 

Schuier kommt aus der Musikszene, war in den 90er Jahren DJ, komponiert aber nur noch auf der Basis von Algorithmen. Der Internetsüchtiger und Informationsfresser (so die Eigenbeschreibung) zitiert in Gespräche Vilém Flusser, webt die Thesen der technologischen Singularität, lässt immer mehr Phänomenen der KI und der Chaostheorie in seine Arbeit einfließen und spürt in unserer Welt die zunehmende Beherrschung des Rauschens in dem sog. signal-to-noise ratio. Die Manipulation des Rauschens und dessen Aneignung mithilfe greifbarer visueller Artefakten – auch wenn diese noch zweidimensional sind (an einer Ausdehnung in den Raum will Schuier übrigens künftig arbeiten).

Die kreierten Motive sind das Ergebnis einer Programmierungsarbeit, in der Zufall und Kontingenz gleichermaßen berücksichtigt werden. Zunächst schreibt Schuier ein Programm, das mit speziellen Parametern gefüttert wird. Diese Parameter bestimmen die Grundeigenschaften der späteren Motive, sowie Form, Farbe und Bewegung, und bilden praktisch eine Art vordefinierte Black Box. In diese Box werden im nächsten Schritt Datensätze eingespeist, die umgewandelt werden und eine erste Gestalt erhalten. Schuier schraubt dann so lange an den Parametern, bis er mit dem Erscheinungsbild der herausgespuckten Datei zufrieden ist. Dabei verwendet er Techniken aus der Musik, setzt Modularsynthesizer ein, reguliert dank Oszilloskopen die Geschwindigkeit der Phasen,  bestimmt den Rhythmus der Überblendungen, etc.

Es ist die Schönheit des Chaos, die Schuier herausfordern möchte. Es ist die Sinnhaftigkeit der Information und die Spielmöglichkeiten des Rauschens, die er in seinen Mustern und Zeichen zum Vorschein kommen lässt. Bei der Hervorrufung dieser künstlichen Welten, spürt er gewiss auch ein wenig das Kitzel der demiurgischen Schöpferkraft: „ Letztendlich arbeite ich wie ein genetischer Ingenieur, sagt er über seine Herangehensweise. Es sind Wesen, die ich schaffe. Diese Wesen bekommen Pinsel und Tools, um sich selbst zu gestalten. Ich programmiere sie, damit sie selbstständig werden; dann entlasse ich sie und lasse mich überraschen“.

 

Diese Haltung ist gewiss nicht neu und wirkt gar als Reminiszenz einer technologisch faszinierten „Fraktal- und Chaoskunst“, die in den frühen 1990er Jahren sich (kurzfristig) anschickte, eine neue Avantgarde zu bilden und die Kunst aus seiner postmodernen, redundanten Sackgasse zu befreien. Die Strategie einer Schöpfung der Natur parallel zur Natur ist also keine Revolution im Kontext einer Annäherung zwischen Kunst und Wissenschaft; sie ist jedoch inb der rheinischen Kunstszene originell und konsequent genug, um hier eine gebührende Anerkennung verdient zu haben.

 

Franz Schuier: Haphazard
Pretty Portal
Brunnenstr. 12
40223 Düsseldorf
01.06. – 29.06.2012

Zeitguised zeigt Hyper Trophies in der Stink Temporary Gallery

Ok, ok, ok. Videos gibt es eigentlich nur Montags und vom Kontext gehört das was hier jetzt kommt auch nicht so ganz hierher, die Arbeit ist etwas zu slick und visuell eigentlich viel zu lecker für diesen Blog.
Denn von Eyecandys, mögen sie noch so imposant daherkommen, lassen wir uns bei Perisphere ja normalerweise nicht beeindrucken. Hier zählt knallharte konzeptuelle Stärke, gedankliche Stringenz und eine radikale Haltung gegenüber dem was hinter den Bildern geschieht.
Wir sind verkopft bis in die Haarspitzen und verlangen das auch von der Kunst! – so deutsch sind wir dann schon.

Scheißdrauf sag ich heute!

Auch wir werden mal schwach und hier in unserem Blog dürfen wir sowieso tun und lassen was wir wollen, wenigstens hier sind wir freie Männer. Und deshalb gibt es heute ausnahmsweise auch schonmal Sonntagabends wirklich spektakulären Hochglanzbilderzauber im Videoformat.

Die Leute die das folgende Video bzw. das Videotryptichon gemacht haben, hatte ich schon am Freitag Abend bei Kollegen Rene von nerdcore entdeckt. Ich war nachhaltig beeindruckt. So oft kommt es ja dann doch nicht vor, dass man beim Surfen auf einer Seite richtig hängen bleibt und sich manche Sachen sogar mehrmals anschaut.
Zeitguised heißt die Truppe, die sich mit Ihren Arbeiten auf den Spuren der Surrealisten bewegt und diesen mit Hilfe von allerfeinster Bildbearbeitung in Kombination mit 3D-Rendering auf allerhöchstem Niveau ins 21. Jahrhundert transportiert.

Als Moving still portrait sculptures bezeichnen Sie das Projekt „Hyper Trophies“ welches in Kooperation mit dem Berliner Modelabel Franzius and ProdCo Stink Berlin entstanden ist.
Die Premiere war in der Stink Temporary Gallery während dem Gallery Weekend Berlin 2012 – wie gesagt eigentlich nicht unser Feld, aber … naja … schaut einfach selbst. Und wer dann noch nicht genug hat, schaut sich unbedingt das hier noch an.

Hyper Trophier by zeitguised

Hyper Trophies, 2012
Moving still portrait sculptures.
1080p portrait screen exhibit: endless loop

http://zeitguised.com/61786/556975/work/hyper-trophies

Leon Manoloudakis im Black Chamber

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

 

Den eigenen privaten Raum öffentlich zu machen und mit Kunst und unbekannten Menschen zu füllen ist an sich ein Wagnis. Gefragt nach ihren Motivationen antwortet Tanja Goethe, dass sie die Atmosphäre der Kolloquien sowie die intensive Auseinandersetzung mit fremden Arbeiten seit ihrem Abgang aus der Kunstakademie vermisst. Die ehemalige Trockel-Schülerin, die ihren Abschluss bei Marcel Odenbach machte und selbst an der Schnittstelle zwischen Videokunst und Installation arbeitet, entschied sich also nach Beendigung ihres Studiums, den intellektuellen Austausch in ihren eigenen vier Wänden aufleben zu lassen.

Foto: Tanja Goethe

Seitdem präsentiert sie junge Künstler aus Düsseldorf, Berlin oder Karlsruhe, die in der Regel ihr Studium gerade absolviert haben und noch nicht institutionell vertreten sind. Die Dimensionen des zur Verfügung gestellten Raumes erlauben keine ausufernden Monumentalwerke; von daher hat man hier beinah ausschließlich mit ein-Kanal-Videoinstallationen zu tun. Das Format des Off-Spaces ist privat, reduziert und sehr konzentriert. Es entspricht der Vorstellung einer Nische, in der ein spezielles Medium gehegt und gepflegt wird. Black Chamber steht damit in der Linie jener Liebhaber-Projekte mit gattungsspezifischen Schwerpunkt (zu dieser Kategorie gehört Sebastian Riemers Grafisches Kabinett, das übrigens eine Etage tiefer gelegen ist).

Foto: Tanja Goethe

Für die achte Ausgabe von Black Chamber, hat Goethe Leon Manoloudakis eingeladen. Der Berliner, der zeitweise in Düsseldorf studierte und hauptsächlich skulptural arbeitet, hat immer eine gewisse Affinität zur Welt des Theaters unterhalten. Seine Objekte und Installationen besitzen einen ausgeprägten Bühnencharakter und so werden auch in Gestures das Performative und Schauspielerische in den Vordergrund gebracht. Ursprünglich als Videotriptychon konzipiert, werden in Düsseldorf nur zwei der drei Sequenzen gezeigt – um Überlängen zu vermeiden.

Foto: Tanja Goethe

In einer dieser Sequenz ist eine schwarz gekleidete Frau vor schwarzen Hintergrund zu sehen. Sie lacht und lacht und lacht. Mit variierenden Intensitäten, in unterschiedlichen Tönen und changierenden Stimmungen. Die lange Sequenz erinnert an eine Schauspielübung, in der die Fähigkeiten des Darstellers geprüft werden. Abseits jeder authentischer Expressivität wird hier der Mensch und seine Stimme zum neutralen Träger einer fremdbestimmten und artifiziellen Emotion. Ohne ins Hysterische oder Groteske zu kippen, schafft der forciert künstliche Charakter des penetranten Lachers ein Unbehagen und erinnert ein wenig an der Clow Torture-Piece von Bruce Nauman.

Bild: Leon Manoloudakis

Bei der nächsten Sequenz wiederholt die gleiche Protagonistin den Satz „It’s just a game“ mit derselben Beharrlichkeit (das Video dauert eine halbe Stunde) und schauspielerischen Bandbreite wie bei der Lachperformance. Trotz – oder gerade: wegen – der reduzierten visuellen Präsenz der gesamten Vorrichtung, bekommt diese Stimme eine ganz besondere Bedeutung und füllt das Raumvolumen auf skulpturale Art und Weise. Manoloudakis hat die Schauspielerin bei allen drei Performances präzise dirigiert. Bedacht, die Spannung aufrecht zu erhalten und jede Wiederholung zu unterbinden, hat er die physische Dimension der Stimme unterstrichen und diese in ihren unterschiedlichsten Graduierungen herausgearbeitet – ja, beinah geformt. Wenn ein Bildhauer sich das Medium Video aneignet und eine Verbindung zur Darstellenden Kunst herstellt, kann man sich auf Spannendes gefasst machen. Ein Glück, dass diese Art von Experimenten eine adäquate Raumpräsentation erhält.

 

Leon Manoloudakis: Gestures
Black Chamber
Ackerstr. 39
Die Ausstellung ist auf Anfrage zu besichtigen

Mit krimineller Energie in der Halle 14, Leipzig

von Stefanie Ippendorf (Berlin)

 

Anything goes – in der zeitgenössischen Kunst scheint prinzipiell alles möglich. Die Freiheit der Kunst wird hierzulande gar durch den Artikel 5, Absatz 3 des Grundgesetzes garantiert. Dass dies leider keineswegs selbstverständlich ist, zeigen die Verhaftungen von Künstlern wie Ai Weiwei in China oder die Festnahmen von Mitgliedern der Voina-Gruppe in Russland sowie von den als Femen bekannten, feministischen Aktivistinnen in der Ukraine. Doch auch in Ländern, in denen die Kunstfreiheit als Grundrecht betrachtet wird, ist die Kunst kein rechtsfreier Raum. Werden die Grenzen des rechtlich Erlaubten überschritten, können auch als künstlerische Aktionen gemeinte Handlungen geahndet werden. Genau diese Schnittstelle von Kriminalität und Kunst möchte die Ausstellung Mit krimineller Energie. Kunst und Verbrechen im 21. Jahrhundert in der Leipziger Halle 14 thematisieren.

Ulla Kartunen: Donna Criminale

„Was bewirken Künstler, wenn sie Tabus brechen, wenn sie repressive Gewalt in reale Aggression verwandeln oder verrückt spielen?“ lautet eine der Fragestellungen des Kurators Frank Motz. In seiner Ausstellung müssen sich nun die Installationen, Objekte, Performances, Videos, Fotografien und Dokumente  von siebzehn internationalen Künstlern auf ihre kriminelle Energie hin abklopfen lassen. Dabei ist diese Ausstellung politisch orientierter Kunst ähnlich wie die diesjährige Berlin Biennale von dem Wunsch nach und dem Glauben an das gesellschaftliche Veränderungspotential der Kunst geprägt: Eine gewisse „verrückte Kreativität“ sowohl bei Verbrechern, als auch bei Künstlern vermutend, möchte Motz mit der Ausstellung erkunden, ob „kriminelle Künstler und künstlerische Kriminelle unser Sein „nutzbringend“ verändern, ihre unkonventionelle Haltung Freiräume öffnen und Überkommenes unterwandern“ können. Kunst mit Anspruch also – aber inwiefern haben sich die in der Ausstellung vertretenen Künstler wirklich  in die Illegalität begeben?

Brock Enright Kidnapping Service

Zwar führt der Amerikaner Brock Enright mit seiner 2002 gegründeten Agentur Videogames Adventure Services sogenannte „Ordeals“, d.h. in diesem Kontext Auftragsentführungen durch, doch werden diese „Designer-Kidnappings“ stets auf den ausdrücklichen Wunsch der Kunden hin veranlasst.  Bei inzwischen über 100 gebuchten Entführungen konnten sich die sensationslüsternen Sammler dem Künstler ausliefern und sich nach Belieben fesseln, knebeln und foltern lassen. >Fightamin´s Records<, eine der aktuellsten von Enrights Aktionen, wurde am 28.4.2012 in Brooklyn umgesetzt und live nach Leipzig übertragen.

Ulla Kartunen: Donna Criminale
Ulla Kartunen: Donna Criminale

Die raumgreifenden Installation Donna Criminale: Capitalism as Religion – Market Criticism as Crime der finnische Künstlerin Ulla Karttunnen soll als Reaktion auf den Skandal, den ihre auf erotischen Internetbildern basierende Installation Virgin Whore Church 2008 in Finnland ausgelöst hatte, verstanden werden. Nicht nur musste die als Kapitalismuskritik gemeinte Installation von 2002 abgebaut werden, auch wurde Karttunnen der Kinderpornographie beschuldigt und vor Gericht verklagt. Donna Criminale besteht aus verschiedenen Komponenten wie z.B. einem von der Decke baumelnden Hochzeitskleid welches zum Boden hin in ausgerollte Toilettenpapierrollen mündet, einer mit blutrot angesprühten Hygienehandschuhen bestückten Wäscheleine, auf dem Boden ausgelegten schwarzen Müllbeuteln, in die kleine Gemälde eingebettet sind sowie einer großformatigen Plakatreihe. Mit dem Werktitel bezieht sich die Künstlerin auf den italienischen Arzt, Psychologen und Gerichtsmediziner  Cesare Lombroso, der Ende der 1870er Jahre mit seiner mehr als zweifelhaften Theorie vom „geborenen Verbrecher“ und der Behauptung, dass Verbrecher anhand körperlicher Merkmale zu erkennen seien, die Tätertypenlehre begründete. Nicht ganz schlüssig ist Karttunnens Anliegen, durch die Verwendung von Putzmaterialien auf das Elend der Putzfrauen aufmerksam zu machen, die ihr als „Prototyp eines sprachlosen, sozial niedrig gestellten und in den Augen der Gesellschaft fehlgeschlagenen Bürgers“ erscheint.

Ulla Kartunen: Donna Criminale

Dorota Alicja Nieznalska: Jewellery

Auch wenn Dorota Alicja Nieznalska ebenfalls in einen Kunstskandal verwickelt und 2002 wegen ihrer Arbeit Pasja in Polen wegen der Verletzung religiöser Gefühle angeklagt (und 2010 freigesprochen) wurde, begibt sie sich mit ihrer glamourös glitzernden Dornenkrone oder dem platt provokativem, aus Swarovskisteinchen zusammengesetzten Hakenkreuz aus ihrer Reihe der Jewellery Arbeiten nicht auf gefährliches Terrain.  Ebenso harmlos ist Florian Göttkes Fotocollage Me and Saddam, bei der Menschen zu sehen sind, die neben einer Madam Tussauds Wachsfigur Saddam Husseins posieren.

Florian Göttke: Me and Saddam

Unter die Haut gehen allerdings Anna Odells Videoarbeiten Unbekannt, Frau 2009-3409701(Die Brücke) und  Unbekannt, Frau 2009-3409701(Das Geständnis). Sie dokumentieren, wie die Künstlerin scheinbar verwirrt und suizidgefährdet, mitten im Winter nur leicht bekleidet auf einer Stockholmer Brücke herumläuft und durch den Anruf von Passanten in die Psychiatrische Notaufnahme der St. Göran Nervenheilanstalt eingeliefert, mit Medikamenten versorgt und am Bett fixiert wird. Mit ihrer Aktion wollte Odell wohl im Sinne Michel Foucaults das Konzept der Psychiatrie hinterfragen. Dass der sie behandelnde Arzt Odell jedoch anzeigte als er erfuhr, dass es sich um eine Kunstaktion handelte, ist ihm, der täglich Verantwortung für seine Patienten übernehmen muss, nicht zu verübeln.

 

Der mexikanische Künstler Antonio Vega Macotela arbeitete für das >Time Exchange<-Projekt mit echten Kriminellen zusammen und machte Tauschgeschäfte mit Gefängnisinsassen. Zwischen 2006 und 2011 nahm er Kontakt zu 350 Häftlingen auf, die Aufgaben für ihn ausführen sollten. Im Gegenzug dazu ging Macotela zum Beispiel mit der Mutter eines Insassen tanzen oder bat Familienmitglieder im Auftrag der Häftlinge um Vergebung.

Adolfo Kaminsky

Zwar waren die wenigsten der in der Ausstellung vertretenen Künstler mit tatsächlich krimineller Energie am Werk, doch ist es spannend, dass mit einem dokumentarischen Verweis auf Adolfo Kaminsky einer der bekanntesten Dokumentenfälscher des 20. Jahrhunderts Eingang in die Schau gefunden hat. So werden in der Ausstellung Fotos und Bücher zum Lebenswerk des Mannes gezeigt, der über 25 Jahre lang im Untergrund gelebt und der sowohl Papiere für während der NS-Zeit verfolgte  Juden, den spanischen Widerstand gegen die Franco-Diktatur oder den Freiheitskampf der Schwarzen in Südafrika gefälscht hat und der über seine Vita sagt: „Es ist ein Leben außerhalb des Gesetzes, aus einem einfachen Grund: um Menschenleben zu retten. Aus Notwendigkeit.“

 

Mit Arbeiten von:

Lourival Cuquinha (BR), Nathalie van Doxell (FR), Brock Enright (US), Florian Göttke (DE), Adolfo Kaminsky (FR), Ulla Karttunen (FI), Oleg Kulik (RU), Antonio Vega Macotela (MX), Teresa Margolles (MX), Ivan Moudov (BG), Dorota Alicja Nieznalska (PL), Anna Odell (SE), Christian Gottlieb Priber (DE), Nedko Solakov (BG), Adam Tellmeister (CH), Avdei Ter-Oganian (RU), Trummerkind (US)

 

HALLE 14
Mit krimineller Energie – Kunst und Verbrechen im 21. Jahrhundert
 28. April bis 29. Juli 2012
Leipziger Baumwollspinnerei
Spinnereistr. 7
04179 Leipzig
office@halle14.org
fon +49 341 492 42 02
fax +49 341 492 47 29
Öffnungszeiten:
Di-So, 11-18 Uhr

Directors Lounge in der Black Box

Ein Bildbeitrag von Stefanie Pürschler (Düsseldorf)

Draußen wartet die ekstatische Masse darauf, dass die japanische Kulturbehörde mehrere Hundert Tausend Euro in die Luft verpulvert. Unmittelbar am Rheinufer aber, geschützt unter der Hülle des Filmmuseums, drängt sich ein besonnenes Publikum in die Black Box, um das alternative Programm zum Japan-Tag zu erleben. Dieses wurde von der Director Lounge aus Berlin zusammen gestellt, worüber wir hier bereits berichtet haben. Kuratiert von Julia Murakami und André Werner (der auch die Veranstaltung präsentierte), konzentrierte sich die Filmreihe auf kurze japanische oder japanisch-zentrierte Werke. Zum Schluss traten VJ Chuuu an der Turntable-Animation und der Multimedia-Künstler und das Kraftwerk-Gründungsmitglied Eberhard Kranemann zusammen auf. Und ihr Auftritt hatte die Fulminanz und die visuellen Prägnanz eines Feuerwerks…

 

André Werner als Master of Ceremony
Eberhard Kranemann
VJ Chuuu

Inventur im Kunstraum Unten in Bochum

von Florian Kuhlmann (Düsseldorf)

 

Im April haben wir den ersten Blick nach Bochum gewagt. Anlass war der Besuch im Projektraum Rottstr. 5 und ein Gespräch mit dem dortigen Kurator Georg Mallitz. Bei der nachfolgenden Recherche im Netz war uns dann auch schon mal der Kunstraum Unten aufgefallen – der erste Kontakt kam, wenn mich die Erinnerung nicht täuscht, wie mittlerweile so oft über Facebook zu stande.

Vergangenen Freitag (01.06.) Abend waren dort die beiden Düsseldorfer Künstler Daniel Dwyer und Matthias Danberg zu Gast. Matthias Danberg, geboren 1981 in Bochum, begann 2002 das Studium der Kunst und Philosophie an der Universität Dortmund und wechselte 2003 an die Kunstakademie Münster wo er dann 2007 Meisterschüler bei Michael von Ofen wurde.
Der etwas jüngere Daniel Dwyer wurde 1984 in Essen geboren. Ab 2005 studierte er „Freie Kunst“ an der Kunstakademie Münster und wurde 2010 Meisterschüler bei Klaus Merkel. Seit 2011 studiert er an der Kunstakademie Düsseldorf bei Marcel Odenbach.

Unter dem Titel „Inventur“ zeigen die beiden aktuelle Arbeiten, in denen sie nach eigenen Aussagen „in medialer und inhaltlicher Symmetrie, aber künstlerischer Individualität, in Videos und Drucken die Gültigkeit der Mythen einer postmodernen Generation, die mit der digitalen Revolution groß geworden ist“ untersuchen. Anstatt sich dabei ausschliesslich auf die klassischen Medien der Malerei, Skulptur und Graphik zu verlassen, beziehen Dwyer und Danberg die neuen digitalen Medien als Mittel ihres künstlerischen Ausdrucks in ihre Arbeit ein.

Beide nutzen als bildgenerierende Verfahren 3D-Modeling-Software, die üblicherweise von Architekten, Ingenieuren, Designern oder Filmemachern eingesetzt wird. Mit Hilfe dieser Werkzeuge erstellen sie ihre Charakter und Lokationen virtuell am Computer und animieren sie schließlich, um dann aus einigen tausend gerenderten Einzelbildern – vergleichbar einem klassischen Zeichentrickfilm- ihre Kunstfilme entstehen zu lassen.

Die Ästhetik der schwarzweissen, computergenerierten Bilder lässt sowohl Assoziationen zu Fritz Langs Metropolis, als auch zu zeitgenössischen Produktionen wie etwa Walt Disneys Kitschproduktion Tron zu, und stellt somit eine direkte Verlinkung zwischen den bildgewaltigen Hollywoodproduktionen unserer Tage und den Anfängen der Trick-Filmgeschichte her.

Dabei gelingt es durchaus eine Bildsprache zu entwickeln, die eigenständig funktioniert und die sich von der visuellen Dominanz der Computertechnolgie zu emanzipieren weiß. Die Kombination aus Graphikeditionen und ausgewählten Videostills können Überzeugen, der Blick auf die feinen Umrißzeichungen wirkt wie der Blick hinter die Kulissen der naturgemäß antiseptischen, künstlich reinen 3D-Renderings.

Eventuell einziger Wehrmutstropfen der Ausstellung ist der Rückgriff auf das klassische Medium der Fotografie und die finale Präsentation der Bilder als gerahmte Drucke. Auf diese Weise kommt die ganze Ausstellung trotz des avancierten Ansatzes der beiden Künstler, dann doch vergleichsweise klassisch daher. Denn beim Blick auf die Präsentation wird sofort deutlich, diese Arbeit will trotz allem Experimentierens mit den neuen Medien Kunst sein, und vor allem will sie sich als solche klar zu Erkennen geben. Dabei handelt es sich im übrigen um ein durchaus legitimes Anliegen, untersuchen beide Künstler in ihren Videos und Drucken doch eben primär „die Gültigkeit der Mythen einer postmodernen Generation, die mit der digitalen Revolution groß geworden ist“ und nicht die Probleme und Chancen der Künste mit den digitalen Medien.
Dennoch verweist das Projekt als Ganzes eben auch auf das brisante und hochaktuelle Grundproblem der Vermittlung von künstlerischen Projekten, die sich mit den Möglichkeiten der digitalen Werkzeuge auseinander setzen. Denn die latent mitschwingende Frage lautet auch hier, wie sollen nun Künstler und Publikum mit den verlustfrei reproduzierbaren Artefakten des digitalen Zeitalters umgehen?

Alle Bilder Matthias Dannberg & Kunstraum Unten

Matthias Danberg, Daniel P. Dwyer
Inventur – Grafik und Videoanimationen

Ausstellungsdauer
01. Juni – 30. Juni 2012

Öffnungszeiten
Do und Fr  15:00 – 18:00 Uhr
und nach Vereinbarung

Weitere Informationen
www.kunstraum-unten.de

Ian Wallace bei Volker Bradtke

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

 

Dass die Legende der konzeptuellen Fotografie, die die kanadische Kunstszene der 60er und 70er Jahren prägte und Referenzen wie Jeff Wall oder Stan Douglas ausbildete, sich auf eine Ausstellung in dem kleinen Raum auf der Birkenstraße einlässt, mag zunächst erstaunen. Aber nach der Präsentation von (relativen) Größen wie Keren Cytter oder Mark Lewis, muss man sich hier nicht mehr wundern. Adam Harrison, einer der drei Köpfe von Volker Bradtke, hatte wieder seine Finger im Spiel: Wie Wallace stammt Harrison aus Vancouver und hat bei seinem Mitbürger wohl gute Überzeugungsarbeit geleistet.

Der fotografische Ansatz von Ian Wallace ist zwar streng konzeptuell, jedoch nie vollständig von sinnenhaften Komponenten befreit. Das Anekdotische findet hier seinen Platz neben dem medienkritischen und autoreflexiven Diskurs. Zur grundsätzlichen Befragung der Realität, bzw. der Bildrealität, wendet der Künstler diverse Strategien an, wie die Dekontextualisierung von Bildelementen (meistens durch Cut und Paste), das irritierende Wiederaufgreifen von Motiven in verschiedenen narrativen Kontexten und die Sichtbarmachung der technischen und sozialen Bedingungen der Rezeption von Fotografie. Dieser dekonstruierende Impetus kommt jedoch – wie eine vergangene Ausstellung im Kunstverein Düsseldorf gut gezeigt hat – selten trocken und schulmeisterlich daher, sondern entfaltet teilweise eine mitunter schmeichelnde formelle Vielschichtigkeit.

Die Ausstellung bei Volker Bradtke besteht aus zwei Arbeitsblöcken. Ersterer ist schnell erfasst und überrascht nicht besonders, ja, ist in seiner konzeptuellen Arglosigkeit sogar ein wenig enttäuschend. Eine Ausgabe des Sterns wurde auseinander genommen, jedes Blatt an die Wand gehängt und nach Wallaces Anweisungen aneinander gereiht. Diese Ausbreitung der Zeitschrift bewirkt eine Entfaltung des DIN A4-Objektes in der Fläche, kehrt sozusagen die Vertikalität seiner Struktur in eine Horizontalität um und verwandelt die lineare Zeitdimension seiner Wahrnehmung in eine simultane Erfassung. Hier scheint man an die historischen Wurzeln der Concept Art zurück gekehrt zu sein – und in der Tat ist die Arbeit bereits 1970 entstanden.

Im Nebenraum erweist sich der zweite Arbeitsblock deutlich komplexer und spannender. Hier hat Wallace mittelgroße Scans seiner, in den Jahren 1969 bis 1971 realisierten Fotografien nach einer klar vorgegebenen Ordnung hängen lassen. Die Bilder scheinen aus der Hüfte geschossen zu sein; es sind offenbar wahllos entstandene Straßen-Aufnahmen, teilweise vom Beifahrersitz eines Autos aus, oder zufällige und nichts-sagende Schnappschüsse der anonymen Menge eines Kaufhauses. Die Motive sind nicht komponiert, schlecht kontrastiert und, in ihrer erzählerischen Laschheit, irrelevant. Es sind beliebige Auszüge aus einer urbanen, westlichen Realität, die es an sich nicht verdient haben, näher betrachtet zu werden.

Ian Wallace verschiebt die ganze Aufmerksamkeit des Betrachters von den an sich unbedeutenden Motiven auf die Modi ihrer Vervielfältigung. Er überträgt das analoge Material in einer digitalen Fassung und schafft, wie in der Malerei üblich, Wiederholungen der eigenen Oeuvre. Dabei forciert er die Sichtbarkeit der vielfachen Versetzungen und Transformationen, die dieses Prozess begleiten. Weil das gescannte Bild nicht genau auf das Scannerbett passt, wird die Struktur des Papiers sowie die Materialität der Maschine wahrnehmbar. Die Körnung und Knicke des Papiers werden in die Komposition integriert und die im Hintergrund mitgescannte Klappe des Geräts, als besonders leuchtende weiße Fläche hervortretend, wird zum Bildelement gemacht.

Das Prinzip des Remix ist, wie bereits erwähnt, eine Konstante bei Ian Wallace. Und auch hier nutzt er das Selbst-Zitat als Ausgangspunkt einer Reflexion zur Originalität des Kunstwerkes und zur Veränderung seiner Natur im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Nun – Walter Benjamin konnte zwar die digitale Entwicklung der Fotografie nicht vorahnen; möglich ist aber, dass er bei dieser Re-Auratisierung des Bildes ins Grübeln kommen würde. Die Logik der technologischen Übersetzung analog-digital sieht eigentlich vor, eine dinghafte Rohmaterie in eine abstrakte Datei zu verwandeln. Aber Wallaces Arbeit besitzt die paradoxale Eigenschaft, das Original in einer reinen Information zu machen und die materiellen Eigenschaften und sinnlichen Komponente dieses Originals in seiner Wiederholung zu unterstreichen. Das Trompe-l’oeil wird also gleichzeitig produziert und entlarvt. Das vielschichtige Bild, konstruiert nach einem zu entschlüsselnden Matruschka-Prinzip, gewinnt an Tiefe, Komplexität und, last but not least, Faszinationspotenzial.

 

Ian Wallace
Volker Bradtke
Birkenstr. 128
19.5-17.6.2012
geöffnet Samstags

World of Paste-ups in der Brause

Vom 1.6. bis zum 1.7. zeigt die Brause aka Metzgerei Schnitzel unter dem Titel World of Paste-ups internationale Posterkunst. Zu sehen gibt es Paste-ups und Poster von Künstlern aus aller Welt, die eingesendeten Arbeiten hängen Metzgerei-Schnitzel-typisch, wild collagiert und einigermaßen unpretentiös an den Wänden des Kunst- und Kulturverein in Friedrichstadt.
Wir waren auf einen Sprung dort und haben ein paar Bilder der Vernissage mitgebracht.

Die Ausstellung ist offen kuratiert, jeder der es geschafft hat ein Poster zu falten und unter dem Stichwort: World of Paste-ups an die Metzgerei Schnitzel e.V. zu senden war dabei.
Gelungen ist das offensichtlich Amelie van de Kat, Anna Nwaada Weber, B., Bartotainment, Bädboy, Becker Rap, Bird is the word!, bld, Christian Bartelt, CREM´S, CRIN, Decycle, Destroy, Dustin Stupp, ESSEGEE.FRA, i am Gipsy, Inken Heske, JASE 34, Killa Kontrovers, Klappstuhl, kurznachzehn, Leni Chu, L.E.T., Lütze, M. Amarant, Majo Brothers, Max, Mittenimwald, MOH one, Mono Lisa, NOIR, Oldhaus, Printkind, Quint, Reflect, Rofu, Sadam, SOE 05, Tarkinson, Theo P., Tomsk 7, Tona.

World of Paste-ups
vom  1. Juni bis 30. Juni 2012

Brause / Metzgerei Schnitzel Kunstverein e.V.
Bilker Allee 233
40215 Düsseldorf
https://www.facebook.com/brause.metzgereischnitzel

Reichrichter in der Boutique

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

 

Verlust als Antrieb und als System. Am Anfang verlor Marcus Vila Richter die Stimme. 1996 realisierte der Künstler eine Serie von Interviews in Barcelona und befragte Kunden des Cafés „Zürich“ nach ihrer Wahrnehmung des Ortes. Das Café Zürich war so etwas wie eine Institution in der Stadt, ein Synonym des stilvollen Genusses und der gepflegten Tradition, eine kulturelle Landmarke, fest verankert in dem Barcelona Alltag. Es entstand eine Reihe von kurzen Porträts, in denen die Bindung der Gäste zur Gaststätte deutlich wurde. Vielleicht war in diesen Aussagen auch ein wenig Melancholie heraus zu hören. Das Ende des Cafés „Zürich“ war nämlich zum Zeitpunkt der Interviews beschlossene Sache; wenige Tage später wurde es abgerissen.

Dies war nur der erste Verlust. Die Tonspur der Aufnahme ging nämlich auch verloren. Die Sprache, die in diesem Fall als hauptsächliches Medium der Bezeugung und der Informationsvermittlung fungierte, löste sich im digitale Äther auf und beraubte somit dem Film seinen dokumentarischen Charakter. Das stumme Material blieb viele Jahre lang in der Schublade von Richter liegen. 2008 kehrte der Künstler mit seiner Frau Rebekka Reich nach Barcelona zurück und befragte Passanten zu ihren Erinnerungen an das alte „Zürich“. Eingebettet in eine Shopping Mall war zwar am gleichen Standort ein neues Café mit gleichen Namen entstanden, aber die charmante Atmosphäre war für immer gewichen. Manche der eingefangenen Stimmen waren voller Sehnsucht nach dem verstorbenen Café, andere haderten mit der Erinnerung – Gedächtnisschwund als dritte Verlustebene.

Diese Stimmen wurden jedenfalls auf die Gesichter von 1996 montiert; und zwar technisch so perfekt, dass die Lippen sich synchron zu den gesprochenen Wörtern zu bewegen scheinen. Die akribische und kleinteilige Schnittarbeit, die die sieben Minuten Videomaterial benötigten, hat mehrere Monate gedauert und erweist sich als eine obsessive und wahnwitzige Leistung. Der chirurgische Eingriff schafft aber die erstaunliche Illusion einer teilweise perfekten Kongruenz zwischen Bild und Ton – eine Kongruenz, die, selbstverständlich, vom Rezipient selbst produziert wird. Es entsteht ein verwirrendes Kontinuum aus gestrigen Aussagen und heutigen Bildern (oder war es umgekehrt?), die den Fortbestand der Erinnerung im digitalen Zeitalter sowie die angebliche Linearität der wahrgenommenen Zeit infrage stellen.

Neben diesen manipulierten Zeugenaussagen werden immer wieder kurze Sequenzen eingefügt, die die Reflexion über Zeit, erinnerte Vergangenheit und konstruierte Gegenwart um eine poetische Ebene bereichern. Die Choreographie der „Zürich“-Kellner wird eingefroren und erstarrt in einer unwahrscheinlichen Vergangenheit; die Bewegungen und Ausdrücke der Gäste verlangsamen sich und verhallen und am Ende fährt die Rolltreppe zurück. Orte und Worte sind verschwunden, was bleibt sind Bilder. Diese kurzen und sprachlosen Momente sind wertvoll, weil sie mit dem herrschenden konzeptuellen  Rahmen von Zürich brechen und eine intuitive und offene Bildsprache entwickeln, die sich ausgleichend auf das ganze Video auswirkt.

Für ihren Anstand als Künstlerpaar haben Rebekka Reich und Marcus Vila Richter eine tiefsinnige, doppelbödige Arbeit konzipiert, die eine gelungene Synthese aus experimentellen Video, Dokumentarfilm und atmosphärischer Erzählung bildet.

 

Reichrichter: „Zürich“
am 25 und 26.5.2012
Boutique
Ebertplatzpassagen
50668 Köln

Büro für Qualifikation und Vermögen in Berlin

Die Politik jazzt die Berufsgruppe der Kreativen ja gerne mal lässig zur Creative Class hoch, denn arm ist angeblich sexy und zu viel Geld sowieso nur etwas für alte Männer oder die ganz Korrupten unter den Künstlern. Ein Leben nur für die Kunst, dazu am besten sozial verantwortungsbewusst bis zur Selbstaufgabe und ständig engagiert für eine bessere Welt, so vermitteln sich manche gerne mal das Bild des kreativ Schaffenden – inklusive der involvierten Personen selbst.

Und so bleiben die Künste sowie das Arbeiten unter dem Stern der Kreativität auch weiterhin die Falle die mit Freiheit lockt und in die manch junger Mensch begeistert hineintappt. Wer dann aber Teil der Creative Class geworden ist, lernt oft sehr zügig am eigenen Beispiel wie sich der abstrakte Begriff des Prekariats ganz konkret als Lebenswirklichkeit anfühlt – auf Dauer durchaus anstrengend und mitunter auch mal etwas zermürbend.

Früher, in der guten alten Zeit, war ein solches unbestimmtes Dasein eventuell mal cool, No-Future war immerhin Punk und Teil einer Antihaltung, die es einem erlaubte viel Zeit mit Drogen, überwiegend beschissener, dafür aber lauter Musik und wenig Gedanken an die Zukunft zu verbringen.
Wer leerstehende Häuser besetzen wollte, konnte das noch innenstadtnah in aufregenden Städten wie Hamburg oder Berlin tun und musste sich nicht in die ländlichen Brachen Ostdeutschlands oder des Ruhrgebiets zurückziehen.
Und wer auf die Unannehmlichkeiten von Hausbesetzung und Straßenpunk keinen Bock hatte, sich eher zu Glamour und Pop hingezogen fühlte, der ging eben direkt zur SPD und später dann zu Gazprom.
So einfach war das Alles in der guten alten No-Future-Zeit.

Heute, im Jahr 2012 ist No-Future eher ungewollt zum Lebensgefühl einer bürgerlichen Generation geworden, die eigentlich so gar keine Lust auf Keine-Zukunft hatte, weil nämlich eigentlich alles cool war, und auch so hätte bleiben können.
So treten an Stelle von aufregenden, persönlichkeitsbildenden Rauscherfahrungen bei gitarrenverzerrter Musik nun unbezahlte Vollzeitpraktikas in klimatisierten, coolen Lofts mit Latte-Macchiato-Koffein-Flash gratis. Aber auch wenn Mama, Papa oder die Großeltern, den Arbeitsplatz im schicken Altbau brav finanzieren, bleibt es nicht selten trotzem nur beim Danke-du-hast-Dich-super-eingebracht-und-das-Projekt-komplett-eigenverantwortlich-durchgezogen-alles-gute-für-die-Zukunft-I-Pod oder, wenn es ganz optimal läuft, beim Zeitvertrag.
Und mancher von uns redet sich gar ein, die permanente Selbstausbeutung am unteren Ende der Hackordnung wäre ja im Grunde auch so eine Art freies Unternehmertum, man müss doch nur fest genug an Sich und das Projekt glauben.
Tschacka! ruft der Kunstblogger laut.

Irgendwie merken aber doch immer mehr, daß auch unser gemeinsam inszeniertes Selbstbild und die zugehörige Wirklichkeit auseinander fallen, und so macht sich in den Coworkingspaces und Gemeinschaftsbüros Europas ganz langsam eine gewisse Irritation breit.

Aber man ist zu jung um ein wie auch immer geartetes Schicksal einfach zu akzeptieren und es widerstandslos hinzunehmen, denn noch brennt etwas in uns. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt und so werden nun verschiedenste Ansätze ausprobiert um sich und damit vielleicht auch dem Ein oder Anderen aus der Misere zu helfen.
Die Einen gründen dazu die nächste Partei, diesmal nicht in grün, dafür nun in orange. Und es soll geentert werden, was noch eine Generation zuvor, beim langen Marsch durch die Institutionen, erlaufen werden wollte. Weitere Unterscheidungsmerkmale zum bereits Etablierten erarbeitet die Basis nach dem Entern per Twitter oder Liquid-Doodle, verspricht man sich.

Andere wiederum gehen weiter und versuchen die Dinge unter dem Stichwort Do-it-Yourself selber in die Hand zu nehmen.
Wer unseren kleinen, Underground-Blog für das gehobene Prekariat kennt und etwas länger verfolgt, der weiß wahrscheinlich auch welchen Ansatz wir hier bevorzugen. Denn Selbstorganisation ist das Stichwort in einer zunehmend automatisiert verwalteten und rationalisierten Welt, in der Niemand mehr für irgend etwas zuständig, dafür aber Alles und gleichzeitig Nichts mehr geregelt ist.

In Berlin hat nun das Büro für Qualifizierung und Vermögen geöffnet, dort will man sich mit verschiedenen Projekten der Problematik des Kreativ-Prekariats annähern. In Workshops, Performances und Lectures geht es vom 19.5. bis zum 9.6. in der Eberwalswaldersraße 21 um das Thema Hilfe zur Selbsthilfe.

Mitgetragen und organisiert wird das Projekt von den Kollegen der Berliner Gazette, die das Unterfangen wie folgt umschrieben. „Sozialamt, Jobcenter, Gründerberatungsstelle: Orte, so inspirierend wie eine Zahnarztpraxis. Orte, die die in Berlin steigende Anzahl von “Kreativen” meidet – selbst wenn die Ratlosigkeit unter ihnen wächst, wie die eigene Existenz zu finanzieren ist. Doch was, wenn es ein Beratungsbüro gäbe, das von den Betroffenen geleitet wird?
Eine Selbsthilfestelle, in der die Sachbearbeiter keine realitätsfernen Maßnahmenleiter sind, sondern erfolgreiche Künstler und Sozialunternehmer. Ein Ort, an dem nicht der Geruch von Akten die Atmosphäre bestimmt, sondern der Anschein einer geheimen Bar. Willkommen im BQV, dem Büro für Qualifikation und Vermögen!“

Los ging es am 19.5. im pong mit der Lecture „Creatives like us“. Das Performancekollektiv Andcompany&Co. (@Alexander Karschnia, Nicola Nord, sascha sulimma) fragte in seinem Lecture Concert anlässlich der Eröffnung des BQV: Wie könnte ein Kommunismus der Kreativen aussehen? Oder eine Gewerkschaft der prekären kreativindustriellen ArbeiterInnen weltweit?

Und mit glühenden Textfragmenten und Disco-Sounds wurde mit der Installation die roten Fahnen! des Künstlers Johannes Paul Raether (@Jean Paul Ratier) im BQV der kommende Aufstand in den Fabriken der Kulturindustrie beschworen.

Am 26. Mai ging es unter dem Titel „Knirpsschweinchen-Kickstarter“ um das Thema Crowdfunding, im Rahmen der Veranstaltung ging man diesen Fragen gemeinsam mit Tim Pritlove (Podcaster), Anna Theil (Crowdfunding-Coach) und Karsten Wenzlaff (Medienforscher) nach.
Anna Theil, eine der Teilnehmerinnen hat dazu in der Berliner Gazette einen Artikel geschrieben, in dem sie einen Überblick über das Phänomen Crowdfunding und über den damit Verbundenen Hype, sowie über die Potentiale dieser Idee gibt.

Weitere Veranstaltungen sind

  • 02. Juni | „Sound & Dance Space Measurements“ | 18 Uhr
  • 09. Juni | „Volksbegierden Totale Rekonstruktion“ | 18 Uhr
  • 19. Mai | „Prekär/Produktiv“ | 14 Uhr
  • 26. Mai | „Fans finanzieren Kultur“ | 14 Uhr
  • 02. Juni | „Sozialarbeit Reloaded“ | 14 Uhr
  • 09. Juni | „Was wollen wir vom Staat?“ | 14 Uhr

Alle Infos zu den einzelnen Projekten gibt es auf den Seiten der Berliner Gazette unter
http://berlinergazette.de/seminar/projekte/bqv/

Büro für Qualifikation und Vermögen (BQV) in Berlin
19.5. bis zum 9.6.2012
Eberswalderstraße 21 / Prenzlauer Berg

Alle Bilder by Andi Weiland via @ohrenflimmern und fb

Occupy Biennale in den Kunst-Werken Berlin – Teil II

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

 

Haben die Süddeutsche, die Zeit und die FAZ bereits alles (Schlechtes) über die Biennale in Berlin geschrieben? Und muss man wirklich seinen Senf hinzutun? Ja, muss man. Wenn man die bereits formulierten Kritiken nicht wiederholt und sich aus einer klar definierten Perspektive artikuliert, ist das Anliegen durchaus legitim. perisphere hat noch eine Wortmeldung. Und unsere Perspektive ist nicht die einer albernen Debatte um die Grenze zwischen Kunst und Nicht-Kunst (Süddeutsche) und nicht die einer retrograden Disqualifizierung der Handlungsästhetik zugunsten des Objekts oder des Bildes (FAZ); unser Standpunkt ist nicht der einer Wiedereröffnung des Kampfes um die Zweckfreiheit, bzw.  Zweckmäßigkeit der Kunst mit obsoletem Rückgriff auf Kant (Die Zeit) oder aber der einer Infragestellung der intellektuellen Eindimensionalität der Occupy-Akteure (FAZ). Vielmehr wollen wir wissen, warum das notwendige und unbedingt richtige Konzept des Kuratorenteams um Adam Zmijewski so kläglich gescheitert ist.

Um die Stellungnahme nicht ausarten zu lassen und präzise zu operieren, werden wir uns hier auf die Biennale-Station in den Kunst-Werken beschränken. Der Ort gilt als Herz der Veranstaltung und ist mit Sicherheit ihre interessanteste – weil problematischste – Station. Was da zu sehen ist, war schon den letzten Beitrag zu entnehmen: Die ständige Inszenierung einer Revolte.

 

Der Kubus der Kunst-Werke hat sich in ein Theaterfundus verwandelt. Hier liegen oder hängen die Requisiten, die für ein politisches Stück verwendet wurden. Es sind Transparente und Plakate, bemalte Pappkartons und diverse Objekte, die bei vergangenen Demos in die Luft emporgeschwungen wurden. Entladene Kampfwaffen, die in diesem Raum ihre Bestimmung verloren haben. Sprüche wie „Power to the People“ oder „Um Europa keine Mauer“ sind direkt an die Wände gesprüht worden. Info-Material zu den aktuellen Aktionen werden auf kleinen Podesten oder in Leseecken zur Verfügung gestellt. Ganz hinten ist ein militärisches Zelt als Sleeping Stage aufgebaut. Und im Hinterhof ist so etwas wie ein autonomer Garten angelegt worden. Zur Selbstversorgung? Zur Verschönerung?

Ein paar barfüßige, tätowierte und bärtige Aktivisten in schwarzen Streetwears bespielen dieses Stück. Ein linker Nerd frickelt an einem Notebook herum. Zwei schuljunge Franzosen sprayen in einer Ecke Parolen und Aufrufe auf Fahnen. In einem abgetrennten Teil des Raumes hält Jemand einen Vortrag zu den Unterschieden zwischen Realkapital und Finanzkapital. Einige hören zu. Eine Schönheit im Designerkleid betritt die Piano Nobile, zwei hochwertige Einkaufstaschen über der Schulter, gleitet eine Etage tiefer und dreht ein paar Runden wie eine Prinzessin im Affenkäfig. Und dazwischen latscht immer wieder der typische Biennale- und Documenta-Besucher hinein – zu denen ich ja auch gehöre – und beschäftigt sich ernsthaft mit dem dargelegten Stück.

Hier also haust, arbeitet, kommuniziert und diskutiert eine gemischte Einheit der internationalen Occupy-Bewegungen. Die Kunst-Werke sind praktisch zum Think-Tank, Informationsstelle und Werkstatt des dezentralen Widerstandes gegen das Kapital geworden. Dabei ist die formulierte Kritik höchst heterogen – Syrien, der Irak, Griechenland und der Prenzlauer Berg sind dessen geographische Eckpunkte; Spekulanten, Diktatoren und liberale Politiker dessen Zielscheiben; die Lage der Frauen in Russland, der Kinder in Afrika oder der Proletarier aller Länder sind dessen Themen.

Und wie sieht es aus? – weil darum geht es auch, doch, doch… Nicht sehr gut sieht es aus. Die Visualisierung des großen Stücks ist nämlich nicht von Künstlern sondern von linken Autonomen und Globalisierungsgegnern konzipiert worden. Und diese wissen bestimmt, wie eine Handlung erfolgreich durchgeführt wird, aber nicht wie ein Bild dieser Handlung ästhetisch funktioniert. Und, auch wenn das Kuratorenteam der Biennale es naiverweise nicht wahrhaben will, ist das, was in dem Kubus produziert wird, in erster Linie ein Bild – und keine Handlung.

Wenn man die Situation in den Kunst-Werken (ich will nicht von einer Ausstellung sprechen) tatsächlich mit einem Theaterstück vergleichen will, müsste man den Regisseur und den Bühnenbildner feuern. Nicht weil sie den Raum nicht in Griff bekommen hätten – im Gegenteil: die Strategie des Open Spaces mit einzelnen Themeninseln, die mal aktiviert werden, mal ruhen, ist gelungen; und auch die Fülle an Bildern und Textmaterial, die scheinbar ohne großen Sinn für die Gesamtkomposition verstreut wurde, besitzt einen gewissen Reiz. Aber der Umgang mit Requisiten (mit Reliquien?) ist hier höchst problematisch – und auch die Akteure wirken eher peinlich.

In einem Einleitungstext der Biennale-Zeitung, schreibt die Kuratorin Joanna Wasza: „Wir arbeiten mit Mitgliedern von Indignados, Democracia Real YA, Occupy Berlin, Occupy Frankfurt, der Bewegung 15M in Barcelona und mit den Künstlern von Occupy Amsterdam, die ihre Ateliers aufgaben, um ein Zelt im Camp in der Mitte aufzuschlagen… Indem wir Kollektive einladen, die zum jüngsten ideologischen Umbruch beigetragen haben, und ihnen die Ausstellungshalle der KW als Vertretung überlassen, unternehmen wir eine Unterbrechung im business as usual – um uns selbst zu befragen wie auch die gegenwärtige Politik und unsere gemeinsame Rolle in dieser. Wir setzen Performativität als Mittel ein und treten der gängigen Ansicht entgegen, alles, was im Kunstraum stattfindet, sei per Definition fake und ohne Wirkung“.

Und genau da liegt m. E. der Krux der Situation in den Kunst-Werken: Der (von den Kuratoren ungesteuerte) Umgang mit den höher beschriebenen Requisiten, sowie die unwillkürliche Zurschaustellung der Occupy-Akteure machen aus einem relevanten politischem Statement eine lumpige Inszenierung. Was haben eigentlich die Plakate vergangener Demos im Kunstraum zu suchen? Wozu diese pubertären Sprüche an den Wänden? Muss sich der Aktivist wirklich von so viel Krimskrams umgeben? Und hätte eine auf das nötigste reduzierte Kommandozentrale ihren Zweck nicht erfüllt? Die Organisation und die Vermittlung des Widerstandes braucht kein überflüssiges Ornament. Diese Stilisierung einer revolution on progress kippt rasch ins Manierierte, ja ins Kitschige.

Die in dem Raum ausgebreiteten Objekte erhalten ihre Legitimierung auf der Straße. Da sind sie stark, da finden sie ihren richtigen Raum, da entfalten sie ihr ganzes Potenzial. Im urbanen Kontext werden diese Transparente und Plakate zu frechen, humorvollen, vordergründigen, bewegten und bewegenden Kunstwerken. Ausgebreitet in den Kunst-Werken, verkommen sie zu unansehnlichen Reliquien, zur Illustration des rebellischen Geistes. Die gepflegte Sperrmüll-Ästhetik, diese Selbstverliebtheit für das schnelle Zusammengeschusterte ohne Rücksicht auf Materialqualität, wirkt letztendlich nur kontraproduktiv.

Manch einer wird an dieser Stelle vehement behaupten, dass es sich hier nicht um Ästhetik, sondern um Authentizität handelt – was alles deutlich schlimmer macht. Dass die erwähnten Zelte von echten Menschen bewohnt werden, die in Berlin Mitte ihre reale Kommandozentrale errichtet haben und von hier aus reale Aktionen planen oder an weiteren realen Requisiten arbeiten, macht die Sache noch problematischer. Die vom Bund subventionierte Organisation der Revolte ist nicht besonders authentisch. Der Charme der Werkstatt, mit einem Touch von Revolutionärem, wird hier partout herbei beschwört. Wie in touristischen Künstlerateliers in Südfrankreich erlebt der Besucher hautnah echte (Lebens)-Künstler bei der Arbeit. Besser: Sie können zuschauen, wie diese essen, schlafen und miteinander kommunizieren. Nun wären wir im Zoo angekommen. Völlig ungeklärt ist also das Verhältnis zwischen Inszenierung und Anspruch auf Authentizität, Real-Life-Setting und Zurschaustellung der Realität.

Die vage, ungelöste und unreflektierte Spannung zwischen dem Leben und ihrer bühnenreifen Präparierung macht aus einer gutgemeinten Aktion eine exhibitionistische Show, deren gesamter politischer Hintergrund unglaubwürdig geworden ist. Das von Zmijewski angekündigte „Verfahren zur Gestaltung von Politik“ hat nicht stattgefunden.

 

Berlin Biennale
27.4.-1.7.2012
Kunst-Werke
Auguststraße 69
Di – So 12 – 19 Uhr
Do 12 – 21 Uhr

Frank Bölter parkt sein Pappauto in Köln Nippes

Stefanie Klingemann und Diane Müller haben im April diesen Jahres in Köln Nippes das 10qm Projekt ins Leben gerufen. In den folgenden Monaten werden dort Uschi Huber, Anja Kempe, Stefanie Klingemann, Katerina Kuznetcowa und Alexander Edischerow, Diane Müller, Michael Pohl, PUPLIK.ORG, Peter Schloss und Thomas Woll jeweils am letzten Freitag im Monat mit eigenen Beiträgen aktiv und zu sehen sein.

Mit einer, speziell für den Ort entwickelten, Arbeit des in Köln lebenden Künstlers Frank Bölter startete die Projektreihe am Freitag den 27. April 2012. Bölter stellt wunderbar skurile und wirklich sehr große Arbeiten aus Papier her, mit denen er im öffentlichen Raum experimentiert. Ein Blick auf seine Webseite lohnt sich definitiv, mein persönlicher Favorit ist derzeit das Wellpapphaus.

Das Wellpapphaus Savoir vivre

von Frank Bölter „ist die Kopie des Wohn-und Siedlungskonzeptes der Bau- und Siedlungsgenossenschaft für den Kreis Herford e. G. (B & S Bünde) “Haus Alpha” aus Wellpappe. Das Wellpapphaus ist die Erfüllung des allgemeinen Einfamilienhaustraumes ohne die Last der Verschuldung auf Lebenszeit und ermöglicht ein wieder entdecken von Bau- und Wohnkultur innerhalb eines gängigen Einfamilienhaus-architekturkonzepts.“

Und das Auto zum Haus

Im Rahmen des 10qm-Projekts hat Bölter nun das passende Auto dafür gebaut und am 27.4. in Nippes geparkt.

(fotos via mail, danke!)

Weiter geht es übrigens am Freitag den 25. Mai um 18 Uhr mit der Installation „Spiegel für einen Helden“ des in Köln lebenden Künstlerduos Katerina Kuznetcowa & Alexander Edischerow.

10qm
Florastraße/ Ecke Kuenstraße
Köln Nippes

Jeweils am letzten Freitag im Monat um 18 Uhr
www.10qm.de

 

Merle Forchmann bei damenundherren

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

 

Zahlreiche Artikel oder TV-Reportagen haben bereits darüber berichtet, nun findet das Thema eine künstlerische Verarbeitung: Die Umsiedlung eines ganzen Ortes – Otzenrath, bei Jüchen – ist Gegenstand einer Fotoserie von Merle Forchmann. Seit Dekaden weitet sich dort das Abbaugebiet Garzweiler unaufhörlich aus und schluckt stetig neue Landschaftszüg. Dass wertvolle Biotopen, denkmalgeschützte Gebäude oder Menschen sich auf dem begehrten Gelände befinden, spielt keine Rolle. Sie haben zu weichen. Einmal abgesehen von der ökologischen Irrelevanz des gesamten Projektes, lässt der Brennwert der in Garzweiler abgebauten Kohle zu wünschen übrig. Trotzdem scheint sich der Aufwand einer Umsiedlung für den Tagebaubetreiber Rheinbraun und für RWE zu lohnen. Diese Umsiedlung hat Forchmann in Otzenrath begleitet.

Alles fing für sie eher unspektakulär an: Während ihrer Ausbildung zu Fotografin erhielt sie die Aufgabe, Aufnahmen des Ortes zu realisieren. Aus einer Übung wurde ein einjähriges Projekt, das die Grenzen der klassischen Fotoreportage sprengt. Die Künstlerin hat sich regelmäßig mit den Otzenrathern getroffen, hat mit ihnen gesprochen, sich die Geschichten der Enteignung aus verschiedenen Perspektiven angehört. Ist zu verschiedenen Zeitpunkten durch die Straßen gegangen um die Umgebung zu inspizieren. Hat verfolgt, wie aus einem lebendigen Dorf eine gespenstige Kulisse wurde. Daraus ist eine knappe Reihe von ca. 15 Motiven entstanden.

Es sind die letzten Einwohner des Ortes, die hier porträtiert werden. Diejenigen, die sich noch nicht in Neu-Otzenrath eingerichtet haben – und sich nicht mit den neuen Umständen abfinden wollen. Nein-Sager und Widerstandkämpfer in eigener Sache. Diese Menschen stehen in ihren Häusern und warten auf die Abrissbirne. Das Prekäre ihrer Situation ist dabei nicht sofort erkenntlich. Die Porträts könnten etwas Heroisches bewirken; sie könnten aber auch im Gegenteil das Zerbrechliche und Dramatische der Situation unterstreichen. Forchmann entscheidet sich aber für einen dritten Weg; sie nimmt den unaufgeregten, zugleich distanzierten und menschlichen Weg. Ohne viel Pathos behaupten sich diese letzten Bewohner, mal stolz und entschlossen, mal leicht desorientiert und unsicher, in ihrer natürlichen Umgebung. Sie sehen aus wie meine und deine Nachbarn, strahlen auf den ersten Blick Normalität aus. Halten sich an ihrer Welt fest.

Dabei löst sich diese Welt auf. Das auch ist Bestandteil der Serie. Während Einige Wenige vergeblich um einen Status Quo kämpfen, sind die ersten Spuren der Veränderung bereits sichtbar. Ergänzend zu den Menschenporträts hat Merle Forchmann die unheimliche Stille der Fassaden, der verlassenen Häuser und der wieder wild gewordenen Vorgärten festgehalten. Sie hat die Leere portraitiert. Die Flucht. Sie hat das Ergebnis einer empörenden, wirtschaftsbedingten Entscheidung dokumentiert, die eine Gemeinschaft aussterben lässt und Geschichte, Natur und Menschen behandelt, als ob es um Mobiliar ginge.

Aber auch in diesen Ding-Porträts bleibt die Präsenz der Künstlerin unaufdringlich. Forchmann möchte offensichtlich keineswegs in die Fußstapfen der sog. Becher-Schule treten und ihre Bilder sind zu suggestiv und erzählerisch, um das Prädikat „sachlich“ zu erhalten, hält sie ihre Sujets auf Distanz. Eine verhaltene Distanz, die nicht übermäßig kühl, kalkulierend und systematisch wirken möchte. Forchmann ist die unbeteiligte Beobachterin, die uns die Geschichte dieser Menschen und dieses Ortes beschreibt. Und die Geschichte ist wichtiger als eine stringente formale Linie. Daher ist „Otzenrath“ eher in der Kategorie des investigativen Fotojournalismus als in der konzeptuellen Fotografie einzuordnen.

Die Ausstellung schließt die kleine Reihe „Heimat“ bei damenundherren ab, die verschiedene Aspekte dieser verfrachteten Thematik behandelte. Ihrerseits führt Forchmann, die sich in ihren Fotos mit (z.T.) harten menschlichen Schicksalen auseinandersetzt, ihre dokumentarische Arbeit weiter. Ihre aktuelle Serie befasst sich mit minderjährigen Flüchtlingen.

 

Merle Forchmann: „Otzenrath“
damenundherren e.V.
Oberbilker Allee 35
40215 Düsseldorf
Ausstellung v. 10-31.5.2012
Am 30. Mai wird noch eine Gesprächsrunde zum Thema Heimat stattfinden.

Abiogenesis im d-52

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

alle Bilder von Andrei Dureika

 

Ein begehrter Künstler: Erst nach mehreren Einladungen vom d52 ließ sich Aljoscha auf den Vorschlag einer Einzelausstellung in der Projektgalerie ein. Allerdings war der gesellige Ukrainer wenig erpicht, die Räume ganz allein zu bespielen und lud daraufhin sechs Kollegen ein. Die erstaunliche qualitative Homogenität der Ausstellung – bei gleichzeitiger klarer Ausarbeitung der einzelnen Positionen – lässt sich sicherlich auf die Tatsache zurückführen, dass alle Künstler sich schon seit einer Weile kennen. Mehr als die gemeinsame Zeit in der Kunstakademie Düsseldorf oder als die gemeinsame Muttersprache (es handelt sich überwiegend um weißrussische, bzw. ukrainische Künstler), fühlen sich alle durch eine gemeinsame ästhetische Sprache verbunden. Und diese Sprache ist vor allem konzeptuell, minimal, in höchstem Maße referenziell, und trotz allem verschmitzt und verspielt.

„Abiogenesis“ ist das tragende Konzept im Werk von Aljoscha und bezieht sich auf die Entstehung des Lebens aus der toten Materie. Warum gibt es etwas und nicht nichts? Wie kann das Nicht-Lebendige überhaupt Leben gebären? Welche künstlerischen Metaphern sind angesichts dieser Fragen angemessen? Anstatt des pseudo-naturwissenschaftlichen Impetus eines Carsten Höller oder Olafur Eliasson (die alten Schulmeister des Kunstbetriebes), nähert sich Aljoscha diesen universellen Fragen mit einer gewissen Nonchalance und der Neugier und Experimentierlust eines amateur éclairé. Seine Objekte aus diversen Kunststoffen, die mal an post-post-ironische Skulpturen, mal an obsessive Basteleien denken lassen, spüren die grundsätzliche Entstehung von Formen nach und geben dieser Ursachenforschung eine biologische Orientierung – zumindest formell: Moosgebilde, Amöbe oder Pilze grassieren hier.

Aljoscha

Höflich wie er ist, gibt Aljoscha für die Ausstellung im d52 seinen Gästen den Vortritt und lässt sie zunächst die Räume bestücken, bevor er selbst das Vorgefundene kommentiert. Dadurch entsteht eine bezugs- und abwechlungsreiche Kommunikation mit den anderen Künstlern, die ihrerseits nicht besonders dezidiert auf die Idee der Abiogenesis eingehen. Vor allem die Weißrussen sind alle eher mit ihren eigenen künstlerischen Wurzeln in der Moderne als mit irgendeinem teleologischen Ursprung beschäftigt. Die Wurzeln haben Namen: Minimalismus, Kontruktivismus, Suprematismus. Wer in Kiew Kunst studiert hat, scheint wohl den Geist von Malewitsch begegnet und sich mit den toten Dogmen der revolutionären Avantgarde-Kunst mehr als ein Mal geplagt haben zu müssen. Schwer und dunkel wie ein schwarzes Quadrat auf weißem Grund wirken hier die langen Schatten der Vergangenheit auf eine Generation von Dreißigjährigen. Die Austreibung der Geister erfolgt mit den Mitteln der Ironie; und diese ist durchtrieben bei Gleb Choutov, sarkastisch und etwas plump bei Egor Galouzo, fein und penetrant bei Anna Sokolova oder eiskalt und präzise bei Oleg Yushko.

Andrei Dureika
Andrei Dureika

Weniger ironisch erscheint die Arbeit von Andrei Dureika. Im zentralen Raum hat er drei Formen an die Wand gesprüht, die sich geschmeidig in den vorhandenen Volumen integrieren. Die Struktur der Wand weist hier eine feine Körnung auf, die erst durch diese Intervention sichtbar wird und an ein grobes Papier erinnert. Als Kreis oder Ovale, schwören die einfachen Spuren symbolische Welten ein und knüpfen wahlweise an die Mystik, Mathematik, Kosmologie, Magie, Kunst, etc. Die entstandenen schwarzen Löcher, die den Raum in vielerlei Hinsichten öffnen, können sowohl als physische Durchbrüche als auch als spirituelle Toren gedeutet werden und schwanken gewissermaßen zwischen Suprematismus und Op-Art – eine Schnittstelle, die höchst unwahrscheinlich erscheint, sich jedoch mit überraschender Selbstverständlichkeit behauptet.

Jana Grak
Aljoscha und Janna Grak

Als Gegenmaßnahme zu diesen Öffnungen hat Janna Grak eine sperrige Skulptur im gleichen Raum ausgebreitet. Ausgehend von der Vorstellung, dass die Natur nicht modelliert sondern moduliert werden soll, hat die Künstlerin die unzähligen Facetten eines schwarzen Kubus geöffnet, der den Raum auf eindringliche Weise okkupiert und Ansprüche auf Wand und Boden erhebt. Die besondere Spannung des Ortes entsteht aus einem dialektischen Verhältnis zu Dureikas Arbeit; der formale Kontrapunkt (Plastik/Grafik; Quadrat/Kreis) wird nämlich stets von ästhetischen (das Schwarze oder die einfache Geometrie) oder inhaltlichen (die erwähnten spirituellen und/oder konkreten Raumbezüge) Übereinstimmungen bereichert. Mit seiner Kokon- oder Bienenwaben-ähnliche Struktur am Boden, schafft Aljoscha seinerseits ein Verbindungselement zwischen Graks und Dureikas Werken. Das organische Gebilde, das eine natürliche Komponente bringt, leistet das tour de force, gleichzeitig integrierend und autonom zu wirken.

Anna Sokolova

Tamara Sokolova & Aljoscha

Ein Raum weiter begegnen wir der großen, wehenden Flagge von Anna Sokolova. Von einem Ventilator in Bewegung versetzt, füllt der dünne und leichte Stoff einen Großteil des Raumes. Beziehen sich die schwarz-weißen Streifen auf einen fiktiven Staat? Wird hier Anspruch auf einem Territorium erhoben? Oder handelt es sich um ein Gegenstand gewordenes Bild? Die Arbeit, übrigens eine Reminiszenz aus einem vergangenen Video, besitzt selbstverständlich eine politische Konnotation und bildet praktisch das Negativbild der ehemaligen Flagge Weißrusslands (weiß-rot-weiß). Letztere wurde 1995 vom Neosozialisten Lukaschenka durch eine folkloristische und rückständige Flagge ersetzt und gilt seitdem als Symbol der Opposition. Die Korrespondenzen zu Dureilkas Statement, vis-à-vis der Flagge sichtbar , erscheinen an diese Stelle sowohl in formeller als auch in inhaltlicher Hinsicht besonders stimmig – zugleich adäquat und ausdifferenziert. Aljoscha kommentiert hier zwei Mal Sokolvas Objekt: Zunächst mit einer länglichen, giftgrünen und aus der Wand herabhängenden Kunststofffläche, einer Baumrinde evozierend und weiter mit einer kleinen Züchtung von Homunculi, eingefasst in einer Keramikstruktur, die von Annas Mutter hergestellt wurde.

Der nächste Raum wird von der Installation von Kristin Wenzel bespielt (die einzige deutsche Künstlerin im Lot), die, dem Anschein nach, stark unter dem Einfluss von Katharina Fritsch steht. Ihre Arbeit wird – zumindest hier – vom Prinzip der Zusammenführung von gegenseitigen Phänomenen geleitet. Neben der großen fotografischen Wiedergabe von wirren und von Mistel befallenen Ästen, sind vier Naturfarben in akkuraten Streifen ausgebreitet worden. Davor stehen zwei übergroße Seifenblasen-Pusteringe. Die Objekte, die zur Bildung von wunderbar weichen und fragilen Formen dienen, wirken kalt, klinisch, perfekt und tot. Wenzel inszeniert gekonnt das Organische und das Künstliche, das Chaos und die Organisation der Materie; und diese Themen finden eine Antwort in dem kleinen Objekt von Aljoscha; ein Hybrid aus einfacher Elektronik und nachgeahmter Natur.

Egor Galouzo

Egor Galouzo

Im gleichen Raum hat Egor Galouzo einen schwarzen Kubus hingestellt, der, auf einer durchsichtigen, ebenso kubischen Struktur positioniert, zu schweben scheint. Die Hermetik der suprematischen Komposition wird von einer auf dem Kopf hängenden Wodka-Flasche gebrochen, die wie eine Zitze aus der Basis des Kubus heraushängt. Eine Flasche der gleichen Marke (die „grüne“ Marke, eine sehr populäre Marke die, aufgrund ihrer destruktiven Auswirkung auf die Volksgesundheit als „grüne Schlange“ bezeichnet wird) ist in einem anderen Raum in eine Wand verkeilt worden. Die minimalistich-punkige Ironie dieser zwei Arbeiten ist jedoch, gemessen an dem elaborierten Charakter der anderen Werke der Ausstellung, ein wenig eindimensional.

Gleb Choutov
Gleb Choutov

Man springt zum hinteren Raum und wird von der manischen, intelligenten und grotesken Videoarbeit von Glep Choutov begrüßt; eine Arbeit die – zum erneuten Mal in dieser Ausstellung – mit Malewitsch abrechnet. Vor dem Hintergrund von Furcht erregenden Alpengipfeln, rackert sich Choutov ab und kämpft gegen unsichtbare Kräfte und den Dämonen der Vergangenheit. Er rennt wie ein Besessener durch die erhabene Landschaft, wird von Spasmen ergriffen, zittert und bebt mit Blut an den Mundwinkel und wird ab und an von der Vision eines schwarzen Quadrats ergriffen. Die Slapstick-Qualität des Films beruht auf der Performance des Künstlers sowie auf dem surrealen greenbox-Einsatz, der Choutov an die Spitze der Welt projiziert. Diese Avantgarde-Persiflage wird von einer unspektakulären Postkarte aus der Revolutionszeit unterstützt; dort überreicht eine Delegation von fleißigen Kommunisten eine Schildkröte aus Pappkarton an die Postbehörden, als Protest gegen die Langsamkeit des Betriebes. Die Verballhornung der Post wirkt allerdings im Kontext der großen Umwälzung von 1917 spießig und kleinkariert; das Bild wird unwillkürlich zu einer Selbst-Parodie und die Pathos-Formeln der Revolution verkommen zu verkrampften Karnevalsprüchen.

Oleg Youshko

Noch zwei Worte über die Arbeit von Oleg Yushko möchten wir hier verlieren: Der ehemalige Student der Radiotechnik, der relativ spät zur Praxis der Kunst kam, hat ein schönes, kleines Objekt produziert, dessen metaphorische Bedeutung sich erst mit dem Titel erschließt: „Der Geist geistloser Zustände“ – ein Zitat von Marx, der im Kontext der berühmten Analogie der Religion als Opium des Volkes auftaucht. Ein roter Ballon pulsiert langsam in einem Glaskolben, er füllt sich und er leert sich. Wenn man das christliche Bild des Glasbehälters als Metapher für die Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit des menschlichen Körpers kennt und den roten Gummiballon als Seele identifiziert, erhält die unprätentiöse und stringente Arbeit eine zynische abgeklärte Note. Sie schließt eine Ausstellung voller durchdachten Perspektiven und spannenden Gegenüberstellungen.

 

Aljoscha: Abiogenesis
d-52. raum für zeitgenössische kunst
Rather Straße 52
Ausstellung 29.4-13.5.2012
geöffnet Freitags v. 17-19 Uhr und Sonn- und Feiertage v. 15-17 Uhr

 

Guten Morgen Düsseldorf, guten Morgen Welt!

Es ist an der Zeit unsere kleine Video-Serie weiter zu führen.
Diesmal, passend zu den politischen Ereignissen des Wochenendes, etwas Kunst- und Systemkritik by Reverend Billy.

Reverend Billy leads mass exorcism in Tate Modern Turbine Hall over ‚taint‘ of BP sponsorship

Monday (18 July) Reverend Billy and the Church of Earthalujah choir joined with art activists, artists, Tate members and concerned members of the public at 17.30 in the Tate Turbine Hall to lay hands on Tate Modern and cast out the demon of BP’s oil sponsorship of the art institution.

Reverend Billy and the Church of Earthalujah
http://www.revbilly.com

http://www.youtube.com/watch?v=1Lz7ECeOCWQ

„When a Boat Runs Ashore…“ in Flute Douce

von Havva Erdem (Frankfurt am Main)

Würde Playmobil einen Baukasten für eine junge Künstlergalerie herausgeben, so hätte die Frankfurter Studentengallerie Flûte Douce alles was das (Künstler)-Kinderherz begehrt. Einen kleinen, nicht zu adretten Ausstellungsraum mit durch Neonleuchten erhellten schneeweißen Wänden und gemütlicher Interview-Sitzgelegenheit, einer Halterung an der Eingangstür für das vorausschauend international einsetzbare, rein englischsprachige Press-Release und den obligatorischen, gesprächsversunkenen Künstlermob auf dem Bürgersteig der wenig befahrenen Seitenstraße.

Und auch die dort aktuell präsentierten Werke der von Jakov Lloyd Goldstein kuratierten Gruppenausstellung dreier Anfang der 80er geborener KünstlerInnen (von denen eine ausstellt, indem sie nicht ausstellt) würde sich, samt schaurig-schönem Ausstellungstitel, durchaus eignen, um unbedenklich und schadstoffarm in Serie gehen zu können. So mutet also alles an dieser, seit Juli 2011 betriebenen Künstlereinrichtung mit hauseigener Website noch wie ein harmloses, wenn auch präzise und akkurat durchgeführtes Spiel an, bei dem alle Einzelelemente vorerst die gleiche Gewichtung erhalten. Wäre da nicht die aus dem perfekten (Mini-)Rahmen fallende Erschöpfung der Verantwortlichen Olga Pedan, die dort zwei Ausstellungen innerhalb von nur einer Woche organisiert hat. Und da jedes Spiel – wenn man es nur lange genug betreibt – irgendwann einmal Ernst wird, sind wir wiederum gespannt, wie das Programm von FLUTE DOUCE sich zukünftig entwickelt.

 

 „When a boat runs ashore, the sea has spoken“
Forster Krone, (Amy Zingfogl), Phillip Zach
Flute Douce
Oppenheimer Straße 34A
D 60594 Frankfurt am Main
3.05.2012-28.05.2012
 

Occupy Biennale in den Kunst-Werken Berlin

Die Berlin Biennale hat Occupy Museum mit den Kunst-Werken einen nicht unbedeutenden Teile der verfügbaren Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt. Occupy Museum ist im November 2011 aus der Occupy Wallstreet Idee hervor gegangen und startet damals mit einem Marsch in Richtung MOMA und Natural History Museum.

Occupy Moma - New York
Occupy Moma - New York

Nun hat es die Kunst-Werke Berlin erreicht und wird sich dort unter dem Titel Occupy Biennale für die kommenden zwei Monate gegenüber den komplexen Vereinnahmungsmechanismen des Kunstsystems behaupten müssen.
Wir möchten das Projekt im Rahmen unserer bescheidenen Möglichkeiten in dieser Zeit begleiten und den Versuch unternehmen, die daraus erwachsenden Paradoxien mit dem ein oder anderen Beitrag zumindest einmal anzuschneiden.
Glücklicherweise kam bereits vor einiger Zeit über facebook ein Kontakt mit der aktuell in Berlin aktiven Rafaela zustande, die uns nun mit ein Paar ersten Bildern von dort versorgt hat. Wer sich gerne eingehender mit dem Thema beschäftigen möchte, dem seien die folgenden verlinkten Beiträge ans Herz gelegt.

Matthias Planitzer vom Castor-und-Pollux-Blog hat sich bereits im Dezember 2012 in einem längeren Artikel mit Occupy Museum und den damit verbundenen Aktivitäten in New York beschäftig.

Thing Frankfurt begleitet die Thematik seit Oktober 2011 unter dem Titel Occupy Schirn, erste Debatten zum Thema gab es auf der dortigen Mailingliste aber bereits im August 2009 (eine Zusammenfassung der Diskussion gibt es hier).
Für die Leser, die immer noch auf Künstler-Manifeste stehen lohnt sich der Click zu rebel:art (mit Video!) und wer ein Interview mit Noah Fischer dem (Nicht?)-Sprecher der Gruppe lesen möchte, dem sei der direkte Besuch der Webseite der Berlin-Biennale empfohlen.

Und für unsere Leser mit Ohren, die sich einen möglichst authentischen Eindruck wünschen, ist der nachfolgende, von radio99Prozent zur Verfügung gestellte, Audiomitschnitt der Pressekonferenz zu Occupy Biennale eventuell das Richtige. Videos davon gibts übrigens hier.

Und wer der Meinung ist, das politische Kunst Unsinn und sowieso schon lange fürn Arsch ist und eigentlich immer nur wegen der schönen, bunten Bilder hier vorbei surft, für den gibt es jetzt endlich die versprochenen Impressionen aus den Kunst-Werken Berlin.

Aber völlig unabhängig davon, was man denn davon hält und was nun daraus wird, zumindest als Ausstellung, als Happening oder als Performance sieht die Revolution doch eigentlich gar nicht so schlecht aus …

mit bestem Dank an rafaela.

Indignad@s Occupy Biennale
http://occupybb7.org

Kunstwerk Berlin e.V.
Auguststr. 69
10117 Berlin
www.kunst-werke-berlin.de/

Oliver Raths Fleischwaren in der Kunsthalle Heidelberg

Die Kunst/Halle in Heidelberg ist eines der klassischen Beispiele für den Wandel eines erfolgreichen Offprojektes zur etablierten Kunst- oder Kulturinstitution. Vor 9 Jahren startete die zugehörige halle02 als temporäres Projekt für ursprünglich nur zwei Jahre als Ort für zeitgenössische Kunst und Musik.
Seitdem bewegen sich die Betreiber Wolfram Glatz, Valentin Lüdike, Hannes Seibold und Yarid Wachsmuth mit ihrem Projekt laut eigenen Angaben auf dem ‚Schmalen Grad zwischen Anspruch und Kommerz, zwischen Sub- und Hochkultur‘, sind damit aber mittlerweile zum festen Bestandteil der regionalen Kulturszene geworden.

Die Kunst/Halle ist der aktuellste Spin-Off der umtriebigen Truppe, der sich deutlicher als in den Jahren zuvor als Hochkultur-Projekt positioniert und somit auch auf der ästhetischen Ebene die Anschlussfähigkeit an das globale Kunstspektakel beansprucht.
Off- und Subkultur wird sich in Heidelberg zukünftig an anderer Stelle neu definieren müssen.

Die aktuelle Show: Fleischwaren – Fotografien von Oliver Rath

Im April ist nun der Wahlberliner Oliver Rath mit einer Fotoshow an seinen Geburtsort zurückgekehrt. Oliver Raths Fotografien, die er regelmäßig auf seinem Blog rath-photografie.de veröffentlicht, zeigen unterschiedliche Szenen und Milieus – von Prominenten wie Karl Lagerfeld, Tim Raue und Boris Becker, über Musen wie Caro Clash, bis zu weniger bekannten Menschen, die Rath opulent und provokant inszeniert. Was viele der Bilder gemeinsam haben: Die Fotografien wirken wie Stills aus Filmen, mit durchgeplanten Choreographien, Requisiten und Schauspielern.

Der Heidelberger Tausendsassa, Fotograf und Sandkastenfreund des Autors dieser Zeilen Rüdiger Glatz war mit seiner Kamera vor Ort und hat die Vernissage in Bildern festgehalten.

Fotos: BHP

Fleischwaren – Fotografien von Oliver Rath
13.04.2012 – 02.06.2012
KUNST/HALLE HEIDELBERG

www.kunsthalle-heidelberg.de/

Andrea Winkler bei SOX

von Nicole Büsing und Heiko Klaas (Hamburg, Berlin)

Gallery Weekend in Berlin. Drei Tage lang cruisten VIPs aus aller Welt in schwarzen BMW-Limousinen durch die deutsche Hauptstadt: Von Rirkrit Tiravanijas performativer Wurstmanufaktur bei neugeriemschneider zu Robert Longos theatralischen Kohlezeichnungen im XXL-Format bei Capitain Petzel auf der Karl-Marx-Allee, von Jenny Holzers brandneuer Lichtinstallation mit Neonschriftbändern in der Blue Chip-Galerie Sprüth Magers zum neuen Geheimtipp im Kreuzberger Graefe-Kiez, der sympathisch-bodenständigen Hinterhof-Galerie Supportico Lopez, wo im Untergeschoss an das poetisch-konzeptuelle Werk des 1998 verstorbenen Italieners Gino de Domenicis erinnert wurde.

Wer am Sonntagabend nach unzähligen bier- und weinseligen Eröffnungen und dem stark überschätzten “Gala-Dinner” mit Flying Buffet und Wurstbroten noch Energie übrig hatte, war bei der Eröffnung der Ausstellung von Andrea Winkler im Projektspace SOX in der Oranienstraße in Kreuzberg genau richtig. Während türkische Gastronomen und Kreuzberger Aktivisten sich allmählich auf die langen Nächte rund um den 1. Mai eingroovten, versammelten sich die Eröffnungsgäste des nichtkommerziellen Ausstellungsprojektes für zeitgenössische Kunst bei Pilsner Urquell, Weißwein aus Pappbechern und exquisiter Schokoladentorte auf dem Bürgersteig vor dem Kreuzberger Off-Space. SOX besteht eigentlich nur aus einer 225 x 300 cm großen Vitrine.

Die Berliner Konzeptkünstlerin Andrea Winkler, geboren 1975 in Zürich, hat den nicht begehbaren, nur 60 cm tiefen, alternativen Showroom durch einen ebenso simplen wie genialen Eingriff erweitert. In die weiß gestrichene Hinterwand der Schaufensteranlage hat die Schweizerin ein handelsübliches weißes Kunststofffenster einbauen lassen und damit erstmals in der Ausstellungsgeschichte von SOX den Durchblick zum Hinterhof geöffnet. Der Perspektivwechsel funktioniert in beide Richtungen: Von der vielbefahrenen Oranienstraße aus blickt man auf die normalerweise abgeschottete Werkstättenidylle Kreuzberger Alternativer, die sich hinter dem SOX eingerichtet haben. Betritt man den Hinterhof und schaut durch das neue Fenster auf die bei Tag und Nacht belebte Straße, blickt man auf die Heterogenität des Großstadtlebens: vorbeifahrende Doppeldeckerbusse, metropolitane Hipster aus aller Herren Länder, Mütter mit Kinderwagen, Rentner mit Rollator und türkische Autoposer, die mit aufgetunten Oberklasselimousinen voller bassdröhnender Lautsprecherboxen um Aufmerksamkeit buhlen.

Fast beiläufig ergeben sich reale Straßenszenen zwischen Profanität und großer suggestiver Kraft, die streckenweise an die Arbeiten von Fotokünstlern wie Beat Streuli oder Philip Lorca diCorcia erinnern. Das dynamische Kreuzberger Großstadtgewusel spiegelt sich plötzlich auf verschiedenen Ebenen, ermöglicht durch einen simplen künstlerischen Eingriff, der noch einen weiteren Aspekt der Irritation bereithält: Andrea Winklers Fenster ist nicht im korrekten rechten Winkel eingebaut, sondern um einige Grad geneigt. Im geradezu hoffnungslos reizüberfluteten Kreuzberger Kiez klinkt sich das Fenster auf diese Weise mit wohldosierter Raffinesse in die Aufmerksamkeitsökonomie ein und sorgt so für eine fast beiläufige Verschiebung des Perspektive.

In ihre Fensterintervention hat Andrea Winkler noch zwei kleine Papierarbeiten integriert: ein Fotoausdruck mit abstrakten Farbverläufen im DIN A4-Format und ein mit grauer Farbe fast bis zur Unkenntlichkeit besprühtes Werbefaltblatt eines bekannten Elektronikkaufhauses. Andrea Winkler, die an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg unter anderem bei Wolfgang Tillmans und später an der Slade School of Fine Art in London studiert hat, ist bekannt für ihre stets ortsspezifische Vorgehensweise, ihre minimalen Eingriffe und ephemeren Setzungen mit zumeist poveren Materialien wie Sprühfarbe oder Metallfolien. Ihre Arbeit bei SOX trägt den ebenso humorvollen, wie anspielungsreichen Titel “du bist zu klein”.

Mit wechselnden Tageslichtsituationen und dem Übergang vom Tag zur Nacht spielt Winklers Intervention erst ihr ganzes Potenzial aus: Spiegelung und Transparenz, Licht und Schatten, Ein- und Durchblicke, Funktionalität versus Dysfunktionalität, Rahmung des Betrachterblicks und Medium der Selbstreflektion für Flaneure und Passanten. Andrea Winklers sowohl ästhetisch als auch konzeptuell überzeugender Eingriff in den Berliner Stadtraum reflektiert einen künstlerischen Dauerbrenner auf neue erfrischende Art und Weise. Wer, angeregt durch diese Installation, mehr über das Fenster in der modernen und zeitgenössischen Kunst erfahren möchte, der sollte vielleicht der bis Ende August laufenden Düsseldorfer Ausstellung „Fresh Widow. Fenster-Bilder seit Matisse und Duchamp“ im K20 einen Besuch abstatten. Dort wird das offenbar nach wie vor virulente Thema einer umfangreichen kunsthistorischen Untersuchung unterzogen.

 

Andrea Winkler: du bist zu klein
SOX
Oranienstraße 175, Berlin-Kreuzberg
30.4. bis 10.6.2012, 24 Stunden geöffnet


Der MetaAether im Abruch und Demontage

von Florian Kuhlmann (Düsseldorf)

Das Internet ist eine große Schmuddelkiste; es ist Spielplatz für Spanner, Exhibitionisten und Überwachungsfetischsten. In der Show MetaAether werden die zugehörigen Bilder und Geschichten zum Material für die Kunst.
Lukas Breitkreutz, Götz Gramlich und Max Hathaway haben im April bei Abruch und Demontage für eine Woche besagten MetaAether inszeniert. Ich habe mit Götz Gramlich (gggr) per SkypeChat ein Speed-Interview gemacht und mich mit ihm über das Projekt unterhalten.

Im Internet werden wir zu Spannern, zu Zaungästen der Fremden und ihrem fremden Treiben. Im Sitzen vor der heimischen Kiste bleibt alles gemütlich fern – wie aus der Vogelperspektive sehen wir hinab in den Daten-Aether, aus der fernen Sicherheit unserer Home-Cockpits.

fk: Wer oder was ist MetaAether?
gggr: Der aether ist für uns synonym vom netz, von der information die um uns fleucht. meta heisst nicht nur ueber sondern auch mitten insofern ist metaaether, ein bestandsaufnahme des istzustandes des netzes allerdings leuchten wir nur eine sehr kleine, dunkle ecke aus, zumindest im roten part.

fk: Die Show bestand aus drei Arbeiten. Dem Wühltisch, dem Wandfresko und den Leuchtkästen. Richtig?
gggr: … und dem Diaraum.
fk: war das der raum hinter dem wandbild?
gggr: nein, ein extraraum-mit einem alten carousel diaprojektor.
fk: Dann beginnen wir doch einfach mit dem Krabbeltisch, was lag auf da drauf, was gab es da zu wühlen?
gggr: wir haben ueber 1000 bilder aus dem netz geerntet und diese auf fotopapier ausbelichtet. die wurden nummeriert. etikettiert und kamen in den krabbeltisch.
fk: die leute konnten sich die bilder mitnehmen?
gggr: das war so gedacht, ja. wir wollten die anonymen fremden aus dem netz reissen und auf reise gehen lassen.

fk: Ihr arbeitet viel mit recht intimen Bilder von Leuten. Wo habt ihr die Bilder eigentlich her?
gggr: Das ist das kernthema vom metaaether red. der öffentliche zugang zu den intimsten privatsphären. die bilder sind alle von seiten, die öffentlich (ohne einloggen etc) zugänglich sind.
fk: Kannst du ein paar webseiten nennen?
gggr: Zum beispiel submityourex, guesshermuff und wie sie sonst noch alle heissen. Ich denke, die meisten menschen auf all den bildern, wissen gar nicht, dass sie (im netz) öffentlich zur schau gestellt werden. vielen unterstelle ich moralisch einwandfreie absichten hinter ihren selbstschuessen und -posen. sie wollen gefallen, anderen ihre zuneigung beweisen, anziehend wirken. das sie dann später vom gehörnten ex o.ä. in den aether gespeist werden, ahnen wahrscheinlich die wenigsten vorab.

fk: Wissen die Personen auf den Bildern von dem Projekt?
gggr: Natürlich nicht. wir wissen ja nicht, wer sie sind und was sie wollen. es ist aber interessant zu beobachten, was passiert, wenn die bilder in der realität, dem aether entrissen, anrichten. z.b. wenn so ein bild mal im zugabteil liegt. oder auf einem waldweg.
fk: hast du ein beispiel für eine beobachtung?
gggr: beschämt, belustigt, abstossend. andere erzählten mir, es gab aerger mit den eigenen frauen.
fk: warum?
gggr: nun, erklär mal deiner frau, die bilder anderer frauen in deiner tasche. oder auf deinem schreibtisch.
fk: 🙂
gggr: sie greifen so in unser leben ein. naja, das ist ein schöner nebeneffekt vom grabbeltisch.
gggr: letzten endes ging es aber darum: dem tisch zu widerstehen. was niemand konnte.
gggr: da kamen echte wsv-gefuehle auf. in 2 reihen gedraenge und gewuehle. senioren die sich stapelweise pix einstecken. junge maedchen die sich ueber errigierte glieder amuesieren und sie ganz schamlos mit nehmen „fuer meine freundin“ hoert man.

fk: würdest du sagen der spannerblick ist im netz normaler als im alltäglich umfeld?
gggr: dachte ich immer. letzten endes ist dieses grabbeln ja nichts anderes als bilder klicken im netz.
fk: ja. das netz hat schon irgendwie was billiges, wie ein wühltisch…
gggr: ein endloser wuehltisch. wir haben einfach mal ein stueck abgeknapst und realisiert.

fk: um was gehts bei dem großen wandbild?
gggr: das wandbild ist eine doppelwand. vorne ein riesenbild mit typischer pose: bild mit digicam durch den spiegel auf sich selbst
fk: Was sieht man durch das Guckloch?
gggr: dahinter, die gleiche person. nackt. in tausendfacher ausgabe. repetiert. ins unendliche. der blick geht wohlbemerkt durch den sucher der cam.
fk: invertiert. in den kopf der frau?
gggr: nun, sobald sie den auslöser drückt, und sich selbst uploaded, schiesst sie ihr selbst in den aether, frei unendlich oft kopiert und verlinkt zu werden. eine art unsterblichkeit. fluch und segen. viele fragen.

fk: Was für Bilder sind auf den Leuchtkästen zu sehen?
gggr: Das sind jeweils bilder der gleichen person. in verschiedenen „zuständen“. brav, privat angezogen und nackt, wohllustig, offen fuer alles. fuer uns war auch das jeweilige setting des bildes interessant-in den kaesten wie im wuehltisch. oft erhascht man einen blick auf das interieur, elemente des lebens. buecher, toiletten, plfegemittel usw. und sofort faengt man an, geschichten um die menschen zu stricken. sind sie europaer? was lesen sie? was ist das in der ecke? warum ist die frau auf allen vieren vor der toilette? wir versuchen vertrauter mit ihnen zu werden, indem wir versuchen mehr ueber sie zu erfahren. aber wollen wir das?


gggr: Bei der menge der bilder ist es auch klar, das oft ungewollte, sehr kunstvolle kompositionen entstehen. auch die galt es zu entdecken. fast eine art spiel. viele details der bilder haben wir nochmal extrahiert, die gab es auf dias zu sehen.
zusammen mit kommentaren von den jeweilgen sites-zu bildern. die auch sehr viel ueber die rezipienten erzählen. diese gepaart mit den bildern und eigener prosa, waren die inhalte der dias im diaraum. mit einem gewissen abstand zueinander, was eine schoene raeumliche wirkung ergibt.

fk: ist das abbruch und demontage eine feste location in mannheim oder war das temporär?
gggr: seit längerem temporär. keine ahnung wie lange noch?

fk: Wer war jetzt beim dem Projekt eigentlich dabei? Seid ihr eine feste Gruppe oder hat sich das so zusammen gefunden?
gggr: das hat sich so ergeben. die beiden jungs, lukas breitkreutz und max hathaway sind in einer grupe aktiv: einkollektiv.de. mir haben ihre arbeiten immer sehr gut gefallen. meine ihnen wohl auch, ein dritter hat uns dann mal zusammengebracht. hat sauviel spass gemacht.

fk: Habt ihr ein nächstes Projekt in der Planung?
gggr: Wir wollen noch einen aether green und blue machen, damit sich der kreis schliesst.
fk: RGB…
gggr: green wird evtl volldigital, worauf wir bei red absichtlich verzichtet haben. aber mal schauen, erstmal durchatmen.
fk: Jetzt mal durchatmen ist nur euer gutes recht. wir sind auf jeden fall gespannt wie es weiter geht, wünschen euch alles gute und bedanken uns für das gespräch.
gggr: freu mich auf deinen beitrag, danke dir fuers interesse.

Fotos: Götz Gramlich

METAÆTHER RED
Lukas Breitkreutz, Götz Gramlich und Max Hathaway
14.04.2012 – 21.04.2012
Abbruch und Demontage
Luisenring 16 / Mannheim
http://abbruchunddemontage.wordpress.com/

Burchhard Garlichs und Michalis Nicolaides im Institut für Skulpturelle Peripherie

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

 

Was bisher geschah: Ursprünglich betrieben von Petra Albrand und Friederike Schardt, entwickelte sich das Institut für Skulpturelle Peripherie in den letzten Jahren zu einem experimentellen Labor, das die Ränder und Grenzen der traditionellen Skulptur erprobte. Mit der Ausstellungsreihe „Brizzel“ ließen die zwei Frauen zwei Künstler in dem kleinen Speicherraum aufeinanderprallen und provozierten damit die systematische Konfrontation von nicht immer kompatiblen Positionen. Diese Dynamik der Gegenüberstellung endete im letzten Jahr aufgrund einer Baby-Pause von Schardt.

Mit dem Einstieg von Eva Weiner in das Projekt ist nun der Raum reaktiviert. Zusammen mit Albrand hat sie eine neue Ausstellungsreihe konzipiert, dessen Spielregeln eine leichte Abwandlung von Brizzel darstellen. Das Prinzip der Konfrontation bleibt beibehalten; man verschärft allerdings die Bedingungen einer möglichen Kooperation zwischen Künstlern und verengt das Zeitfenster des Zusammenkommens. Nachdem ein erster Künstler seine Arbeit installiert hat, bekommt der zweite Künstler 24 Stunden um auf die vorhandene Situation zu reagieren und einzugreifen. Der erste Künstler hat keine Mitsprache und muss passiv zusehen, wie sein proposal modifiziert wird. Das Ganze heißt treffenderweise Push und könnte prinzipiell für Reibungen sorgen. Allerdings ist in der aktuellen Show von Burchhard Garlichs und Michalis Nicolaides leider wenig von dieser potenziellen Spannung zu sehen.

Garlichs, der mit Sonja Meyer das Projekt Speicher U75 animiert und als Off-Raum-Betreiber eine sichere Hand aufweist, hat nun als Künstler drei Arbeiten in dem Institut ausgebreitet. Eine erste Wandarbeit besteht aus bunten Papierbahnen, die in einfachen geometrischen Formen geschnitten und getapet wurden – eine bewusst lapidare Geste, die den prekären Charakter der Intervention unterstreicht und mit ein wenig gutem Wille als Ironisierung der dekorativen Funktion von Kunst überhaupt interpretiert werden kann. Die zweite Arbeit kreuzt die erste und überlagert sie partiell. Da läuft ein Rautenmuster aus blauem Faden durch den gesamten Raum und verbindet Fenster, Wand, Holzpfeiler und Decke – alle wichtigen Raumelemente des Institutes. Diese – da auch – sehr dekorative (wobei weder verspielte noch kitschige) Verzierung besteht aus einem halbierten Sechseck, also aus einer Form, die als Zwischending zwischen Kreis und Viereck gilt. Gerade dieser gemischte Charakter des Motivs interessiert Garlichs, berichtete Albrand.

Die dritte Arbeit besteht schließlich aus einer Ansammlung von vorgefundenen Bildern, in denen sowohl eckige als auch runde Formen vorkommen. Dieses  Material hat Garlichs eingescannt und an eine Wand projiziert. In diesen Skizzenbuch-artigen Mini-Atlas greift Nicolaides ein: wie ein Trojaner fügt er seine eigenen Motive in die Reihe des Kollegen und mischt sich in dessen Ordnung ein. Aber weil Garlichs Reihe ohnehin nicht besonders stringent wirkt, lassen sich die zwei distinkten Arbeiten nicht auseinander halten. Wird von einem Trojaner erwartet, dass er sich an die fremde Umgebung anpasst? Soll der Virus mit dem Wirt verschmelzen?

Trotz der offensichtlichen Bemühung, eine ortsspezifische Arbeit zu realisieren, auf die Konfiguration des Raumes einzugehen und den spröden Arbeitsspeicher mit fremden, ornamentalen Elementen anzureichern, bleibt diese für mich erste Ausgabe von Push (die eigentlich die zweite der Reihe ist) enttäuschend. Das Format setzt eine Konfrontationsbereitschaft voraus, die von den Künstlern nicht eingelöst wurde. Nicolaides, dessen Arbeit mir bisher schon besser gefallen hat,  erwies sich diesmal als nicht bissig genug. Und Garlichs Interventionen hätten, in dem freien und unbeschwerten Rahmen des Instituts, ein wenig markierter und unkonventioneller werden können. Aber vielleicht wird die nächste Künstlerlosung mehr Spannung schaffen – wir bleiben dran.

Institut für Skulpturelle Peripherie
Gladbacher Strasse 56 (im Hof)
40219 Düsseldorf
Die Eröffnungen sind jeweils um 19.00 Uhr und die Arbeiten können an dem Eröffnungswochenende (Samstag und Sonntag) zwischen 11.00 und 16.00 Uhr noch angeschaut werden.Die kommende Ausstellung zeigt Wanda Sebastian am 18.05.12, mit Eingriff von Burchhard Garlichs.

 

MYSPACE im Kunstraum Kreuzberg

von Stefanie Ippendorf (Berlin)

 

Bunte bemalte Planen, Baumaterialien, ein durch Motoren auseinandergezogenes Gummiband, Aluminiumstreifen auf dem Boden sowie sorgsam lackiertes Holz – alleine diese Aufzählung einiger in der Ausstellung verwendeten Materialien verweist auf die Spannbreite der künstlerischen Arbeiten, die in >Myspace< vertreten sind. Die Erfahrung des Raumes als einen wesentlichen Aspekt der Wahrnehmung verstehend, haben die beiden Künstlerinnen Franziska Hünig und Alexandra Schlund eine Ausstellung kuratiert, die den künstlerischen Umgang mit räumlichen Erfahrung bzw. deren Transformation in ein bildliches Vokabular thematisieren soll. Für die Ausstellungsdauer von nur 8 Tagen haben nun 11 KünstlerInnen den Ausstellungstitel >Myspace< wörtlich genommen und haben den in mehrere kleinerer Räume unterteilten Projektraum im Kunstraum Kreuzberg / Bethanien “in Beschlag“ genommen.

Alexandra Schlund
Nicola Stäglich

Viele der in >Myspace< gezeigten Arbeiten sind jeweils für den konkreten Ausstellungsraum konzipiert. So hat Alexandra Schlund mit >Cluster< eine Wandarbeit geschaffen, die aus großkopierten, photographischen Versatzstücken von Architekturmodellen und verschiedenen Klebebändern besteht und die aus der Ferne wie eine vereinfachte, nah herangezoomte Straßenkarte wirkt. Ursprünglich als Malerin ausgebildet, bezieht sich Schlund in ihrem Werk immer wieder auf Architekturen und urbane Landschaften, ohne jedoch reale Stadträume abzubilden. Wie an der Farbwahl unschwer zu erkennen, ist >Cluster< auch aus einem künstlerischen Dialog mit den drei abstrakten Werken von Nicola Stänglich, die im selben Raum präsentiert werden, hervorgegangen.

 

Franziska Hünig

Ähnlich inspirierend dürfte es auch beim Aufbau der gemeinsam in einem Raum gezeigten Werke von Franziska Hünig, Geka Heinke, Anke Mila Menck und Rebecca Michaelis zugegangen sein. So sind zum Beispiel Hünig und Heinke mit einem vorbereiteten Materialfundus angereist und haben den Raum im Bethanien als erweitertes Atelier genutzt. In einem mehr oder weniger parallel stattfindendem künstlerischen Prozess sind die Wandarbeiten >Ohne Titel< (Hünig) und >Kreise aufsteigend< (Heinke)  entstanden, die beide auf die Kraft der Farbe im Raum setzen. Wunderbar, dass Rebecca Michaelis ihre Bodenstücke >Bendpainting 1< und >Bendpainting 2< genau in diesem Raum platziert hat! Die auf Rädern angebrachten, länglichen Aluminiumstreifen spiegeln jeweils kleine Ausschnitte des ephemeren Geschehens im Raum wider.

Rebecca Michaelis und Geka Heinke

 

Christl Mudrak

Einen ganz anderen Ansatz wählte Christl Mudrak: Sie hat zwar einen ganzen Ausstellungsraum für sich, doch ist dieser auf den ersten Blick leer. Dass die Künstlerin hier gesaugt, die Fenster geputzt, die Luft durch einen Riesenkaktus gereinigt, mit Kerzenlicht erhellt und mit Gebeten und Wünschen bereichert hat, ist nur den ausgiebigen Materialangaben von >Clearing and Cleansing, Raumüberschreibung< zu entnehmen. Mudraks Verweigerungshaltung ist vielleicht durch die Tatsache zu erklären, dass die Künstlerin 2007 in eben jenem Raum schon einmal ausgestellt hatte (>Überhitzt<, Meisterschülerausstellung) und sie dem Vorangegangenen etwas gänzlich anderes entgegensetzen wollte.

Martin Schepers

Martin Schepers hat an der Düsseldorfer Kunstakademie bei Siegfried Anzinger Malerei studiert, wagt sich aber inzwischen auch auf das Terrain der Plastik vor. >Verwerfungen< ist eine Materialschlacht aus Holz, Gips, Draht, Fensterscheiben, Pressspanresten und anderen typischen Baumaterialien, die aus fünf kastenartigen Modulen zusammengesetzt ist. Dazu zeigt er die großformatige Zeichnung >Großer Querschnitt<. Mit den aus der Geologie stammenden Werktiteln ist ein vager Hinweis auf den Kontext der Arbeiten gegeben. Konkret basieren Schepers Werke auf den Kenntnissen, die er bei “Forschungsreisen“ zum Braunkohletagebaugebiet in der Lausitz gewonnen hat.

Ilona Kálnoky

>strrr…< wiederum ist eine wunderbar verspielte, kinetische Arbeit von Ilona Kálnoky. Ein raumhohes Gummiband ist hier zwischen Boden und Decke aufgespannt. Über eine Angelschnur sind die beiden Seiten des Gummibandes mit zwei kleinen Seilwinden verbunden, die dafür sorgen, dass sich das Band verzieht und dabei Vierecke oder dreieckige Formen im Raum erzeugt.

Ina Geißler

… in your room, in >Myspace<.

 

MYSPACE – RAUMINTERVENTIONEN
Ina Geißler//Geka Heinke//Franziska Hünig//Ilona Kalnoky//Anke Mila Menck//Rebecca
Michaelis//Christl Mudrak//Martin Schepers//Nicola Stäglich//Alexandra Schlund//Benedikt Terwiel
Kunstraum Kreuzberg / Bethanien ( Projektraum 1)
21.04.- 29.04.2012
Öffnungszeiten: täglich von 12 – 19 Uhr
Mariannenplatz 2
10997 Berlin
U-Bahn Kottbusser Tor
www.kunstraumkreuzberg.de

Projektraum Rottstr. 5 in Bochum

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

 

 

Mit ihren herunter gekommenen Gebäuden, ihren Sex-Shops und ihren zwielichtigen Kneipen ist die Rottstraße für die bürgerliche Bevölkerung von Bochum das Synonym des Anrüchigen schlechthin. Für die Akteure der hiesigen Kulturszene ist dieselbe Straße jedoch ein wichtiger Treffpunkt geworden, wo, jenseits aller Halbwelt-Romantik, ein unabhängiger Raum des Austauschs und der Vermittlung entsteht. Gerade auf der Nummer 5 verdichtet sich die Off-Szene. Angetrieben von einigen initiativreichen Produzenten und Vermittlern, organisiert sich hier der Widerstand gegen eine zentrale Lenkung des kulturellen Angebots. Nach den bitteren Erfahrungen von 2010, als Essen und das Ruhrgebiet zur Kulturhauptstadt Europa erklärt wurden und spektakulären Mainstream-Großprojekten die Arbeit der altansässigen Kulturproduzenten in den Schatten stellten (in Bochum wäre der Platz des Europäischen Versprechens von Jochen Gerz zu nennen), will man sich auf seine Stärke zurückbesinnen: lokale Relevanz.

 

Eine lokale Relevanz findet man allemal auf der Rottstraße 5. Auf halben Weg zwischen Innenstadt und Jahrhunderthalle, mitten im Bochumer Westend, entwickelt sich etwas, was manche Medien gerne als „Kreativviertel“ bezeichnen. Die unter einer S-Bahn-Brücke gewonnenen Resträume, die lange als Produktionsstätte eines Fensterherstellers dienten, beherbergen seit ein paar Jahren ein kleines Theater, dessen unorthodoxes Programm von der Kritik gefeiert wird. Nebenan wurde 2005 eine Projektgalerie für Experimente aller Arten geöffnet. Federführend für einen Großteil des Programms ist nun Georg Mallitz, ein diplomierter Geologe, Philosoph und langjähriger Kunstvermittler, der, zusammen mit Christiane Conradt und im Auftrag des Hauptmieters des Ortes, Manfred Duch, den Raum animiert. Anstatt auf hippe Internationalität zu setzen, aktiviert Mallitz die lokale, bzw. regionale Szene und verstärkt damit ein lebhaftes Bochumer Künstler-Netzwerk.

 

Gewiss ist der Raum an sich nicht gerade einfach zu bespielen. Die dominanten Tonnengewölbe verbieten eine gescheite Präsentation von Malerei oder Grafikarbeiten; der Schwerpunkt liegt demnach auf Bildhauerei, Installation oder Performance. Die gute Akustik inspiriert auch Klangkünstler; bis vor kurzem war eine Klanginstallation von Robert Rosshoff in dem leeren Halbzylinder zu erleben. Die Galerie ist ziemlich das Gegenteil eines White Cube und bleibt eine Herausforderung: In ihrer Auseinandersetzung mit dem ungewöhnlichen Volumen des Raumes, sind die Künstler gezwungen, die üblichen Inszenierungsmodi ihrer Arbeit zu revidieren und auf neue Lösungen zu kommen.

Ansicht der Ausstellung Angst vor Licht

Auch wenn sie sich in einem Innenhof versteckt, ist die Rottstraße 5 keineswegs als kulturelle Enklave aufzufassen. Punktuelle Projekte, die die hiesige Bevölkerung einbeziehen und die umliegenden Läden als Präsentationsplattform nutzen, werden immer wieder realisiert – wie für das Großprojekt Angst vor Licht, das am Ende letzten Jahres stattfand. Demnächst soll eine riesig lange Wand in der Verlängerung der S-Bahn-Brücke als Ausstellungsfläche benutzt werden, so dass  der öffentliche Raum stärker bespielt wird.

Georg Mallitz, Kurator

Apropos Brücke: Auch wenn die Bochumer Szene einen besonders starken Zusammenhalt aufweist und Mallitz an weiteren Projekten mit lokalen Produzenten tüftelt, werden Brücken zu Münster, Essen und Düsseldorf geschlagen. Der redselige und Ruhr-verliebte Kurator sucht die Verbindung zu den dortigen Kunstakademien, bzw. Kunstschulen und hat eine kühne Vision entwickelt: Er will seine Heimatstadt als Auffangbecken verschiedener Strömungen in der Rhein-Ruhr-Münsterland-Region profilieren und gerade auf der Rottstraße eine Konvergenz der Medien bewirken. Es ist ambitioniert und leicht größenwahnsinnig – und deshalb gefällt es uns besonders.

 

Eine sehr gute Nachricht haben wir noch: Trotz seines gut gefüllten Terminkalenders wird Georg Mallitz künftig für perisphere schreiben und aus dem Ruhrgebiet berichten. Größenwahnsinnige Typen – wenn sie gut sind – sind bei uns immer gut aufgehoben. Schließlich wollen wir die Welt mit diesem Blog erobern.

Katrin Laade und Charlie Citron im plan.d.

ein Bildbeitrag von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

 

Rauminstallation von Charlie Citron

 

an der Wand: Katrin Laade

 

Charlie Citron

 

Charlie Citron

 

Charlie Citron

 

Charlie Citron

 

Katrin Laade

 

Katrin Laade
Katrin Laade
Katrin Laade

 

Katrin Laade

 

Katrin Laade und Charlie Citron
im plan.d.
Dorotheenstr. 59
40235 Düsseldorf
Ausstellung vom 31.3-22.4.2012
geöffnet Samstags und Sonntags v. 15-18 Uhr
und nach Vereinbarung: 0179 59 000 62

Henrik Vibskov feiert sein Zehnjähriges bei Ruttkowski68

von Florian Kuhlmann (Düsseldorf)

 

Das Schreiben über die Kunst und die Künstler ist nicht meine, sondern nach wie vor die Domäne vom Kollegen Mir. Und so soll es auch bleiben, denn hier macht jeder das was er am besten kann. Ich habe allerdings nach wie vor die bessere Kamera und bin dank jahrelangem Training auch (noch) besser mit Photoshop. Von daher ist die Aufgabenverteilung klar: Beim Herrn Mir geht es ans Eingemachte, während ich die schönen Bilder für Zwischendurch liefere. Damit unsere Leser vor dem Schauen aber zumindest ein paar kurze Infos zum Geschauten bekommen, habe ich das wichtigste aus der Pressemeldung herauskopiert – Strg-C und strg-V sind auch hier wie so oft meine Freunde.

Henrik Vibskov, der vor allem für sein nach ihm benanntes Modelabel bekannt ist macht neben der Kunst auch Musik: er ist der Drummer der Elektro-Band Trentemøller und stellt weltweit in Museen und Galerien aus. Jetzt hat er Station in Köln gemacht, dort feiert er unter dem Titel Ruttkowski;68 – Vibskovski;72 das erste Jahrzehnt seiner Karriere. Auf seine typisch verspielte Art hat Vibskov 30 hölzerne Objekte angefertigt, die an die Vorstellungskraft appellieren sollen. Was auf den ersten Blick kindlich, spontan und zufällig wirkt, ist vom Künstler durchdacht.

Wir waren vor Ort, haben uns die Arbeiten angesehen und Bilder mit gebracht.

Einsames Bild an weißer Wand

Viele Bilder im kleinen Raum

Lustige Objekte in Holz hinter Glas

 

Ruttkowski68 – Vibskovski;72
13. April – 20. Mai 2012

www.ruttkowski68.com/
Bismarckstrasse 68
50672 Köln

Das Freie Kunst Territorium in Bochum

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

Wenn es prinzipiell stimmt, dass eine unabhängige Kunstszene sich vor allem in großen, reichen Städten entfalten kann und von einem vorhandenen Angebot an kommerziellen Galerien, Kunsthochschulen oder Museen besonders profitiert, gibt es jedoch genug Ausnahmen, die diese Regel bestätigen. Bochum ist beispielsweise nicht gerade prädestiniert, ein solche Kunstszene zu beherbergen. Aber die Stadt besitzt eine wichtige Voraussetzung um Kunstschaffenden anzulocken: Preiswerte bis sehr preiswerte Mieträume in zentraler Lage.

Diese Tatsache hat Uwe Siemens dazu bewegt, die besser gestellte Stadt Essen zu verlassen und sich in ein verwaistes Gebäude von Thyssen-Krupp im Zentrum von Bochum anzusiedeln. Zusammen mit Christoph Gruse, Cristóbal Márquez, Dorothee Schäfer, Gabi Moll und Joanna Zadora-Gruse hat Siemens 2009 das Freie Kunst Territorium (FKT) gegründet, eine Ateliergemeinschaft, die die fantastischen räumlichen Möglichkeiten ihres Standortes ausschöpfen möchte.

En Teil der FKT-Truppe: Uwe Siemens, Christof Gruse, Gabi Moll, Dorothee Schäfer und Zorro

Die Zentrale des FKT befindet sich einem langgestreckten, bungalowartigen Gebäude, in dem lungenkranke oder verletzte Angestellte von Thyssen-Krupp sich bis vor ein paar Jahren behandeln ließen. Mit der strukturellen Umwandlung der Firma hätte das in den 1950er Jahren errichtete Mini-Sanatorium eigentlich abgerissen werden müssen. Aber während die umliegenden Hallen verschwanden, wurde das Haus aufgrund seiner industriekulturellen Relevanz – sowie mancher interessanten architektonischen Details – unter Denkmalschutz gestellt und blieb erhalten.

Bild: T. Bocian
Bild: T. Bocian

Ein Glücksfall  für Künstler und Kreative: Hier gibt es extrem preiswerte Quadratmeter und jede Menge Raum. Thyssen-Krupp kann sich übrigens glücklich schätzen: Das FKT, sowie die anderen Nutzer des Hauses, pflegen und hüten das Objekt und garantieren es vor einem sicheren Verfall. Der Schwerpunkt des FKT an diesem Standort liegt auf die Atelierarbeit. Die Künstler haben sich in den relativ niedrigen Räumen eingerichtet und, neben der Fortführung ihrer eigenen Produktion, veranstalten immer wieder Workshops und Kurse in Malerei, Bildhauerei oder Aktzeichen für ein Laienpublikum.

Christof Gruse im Atelier

Atelier Gabi Moll
Atelier Dorothee Schäfer

Diese Öffnung der Gemeinschaft zur Öffentlichkeit wird noch deutlich verstärkt durch die zahlreichen Ausstellungen, die in den Kellern des Hauses stattfinden. Dort sind keine riesigen Hallen zu erwarten, aber es ist immerhin genug Platz, um kompakte Präsentationen in guten Bedingungen zu ermöglichen. In unregelmäßigen Abständen werden hier lokale bis regionale Künstler präsentiert; monumentale Projekte sind eher ausgeschlossen.

Zu dieser Ausstellungstätigkeit kommen noch diverse interdisziplinäre Projekte, die die Schnittstelle zu Literatur, Theater und Musik suchen. Die passend betitelte Masala-Reihe bringt beispielsweise Künstler aller Sparten in dem Haus zusammen und, mit diversen Programmpunkten, schafft eine Festivalstimmung auf kleinstem Raum.

Sibylle Pieper - Performance während Masala 2011. Bild: © Cristóbal Márquez
Anja Schreiber - Performance während Masala 2011. Bild: © Cristóbal Márquez
Mia Sellmann - Performance während Masala 2011. Bild: © Cristóbal Márquez
Lesung von Witek Danielczok während Masala 2011. Bild: © Cristóbal Márquez

Apropos Raum: Das Gelände um die FKT-Zentrale steht der Gruppe auch zur Verfügung und wirkt zunächst unendlich groß. Die denkmalgeschützte Lage hält Investoren fern und, außer den üblichen halbwilden Tieren, haben die Künstler keine Nachbarn, die sich über Lärm beschweren können. Von solchen räumlichen Zuständen träumt die Künstlerschaft der großen Städte. Der Bochumer postindustrielle Garten wird immer wieder in Anspruch genommen, um Kunst im Freien auszustellen oder außergewöhnliche Aktionen zu realisieren. Im Mai startet eine poetische Performance-Nacht, in der Gedichte beim Vollmond und an unterschiedlichen Stellen des Gelände vorgelesen werden. Auch bei dem kommenden Natur-Festival wird eine Brachfläche bespielt.

Diese besondere räumliche Großzügigkeit, gepaart mit der Erreichbarkeit des Ortes, führen zu regelmäßigen externen Anfragen – die Lage ist für Konzerte, Partys und größere Freiluft-Events so toll, dass es eigentlich nicht überrascht. Die Gemeinschaft lässt aber nicht jeden zu und überlegt sich genau, wer rein kommt und wer draussen bleibt. Nicht-kommerzielle Projekte, die eine gewisse Geistesverwandtschaft zu den Grundsätzen des FKT aufweisen und trotzdem ein anderes Publikum generieren können, bekommen meistens den Zuschlag. Demnächst wird hier z.B. das Forum Freies Theater aus Düsseldorf eine Produktion realisieren.

Selten genug um unterstrichen zu werden: Das FKT ist übrigens kein e.V. und hat auch keine Ambition, ein solcher zu werden. Trotz des möglichen finanziellen Vorteils dieser Rechtsform, hat keiner Künstler wirklich Lust, Vereinsarbeit zu leisten und Zeit an administrativen Angelegenheiten zu verlieren. Das „Freie“ des Freien Kunst Territoriums ist wohl ernst gemeint…

Guten Morgen Düsseldorf, guten Morgen Welt.

Normalerweise immer Montags, wegen Ostern diesmal Dienstags: Unser Video zum Start in die Woche.

Wir hoffen, auch Sie hatten ein erholsames Osterwochenende im Kreise von Freunden und Familie. Für alle die auch nach dem großen Familienfest immer noch nicht genug von den eigenen Geschwistern, Kindern, Enkeln oder Neffen haben, ist das folgende Video – für alle anderen aber auch.

Kommen Sie gut in die Woche, arbeiten Sie nicht zu viel und lassen Sie sich den Spaß an der Kunst nicht verderben.

Die Klasse Katharina Grosse bei Transmission e.V.

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

Der Worringer Platz gilt immer noch als laute und stinkige Verkehrsdrehscheibe in der Stadt. Mit der Verpflanzung der sog. „grünen Insel“, mitsamt Dönerbude, verbesserter Beleuchtung und neuem Pissoir (das war übrigens ein toller Wurf…), hat sich die Kommune vor ein paar Jahren darum bemüht, die dortige „Aufenthaltsqualität“ zu erhöhen. Trotz dieser halbgaren Maßnahme entspricht der unwirtliche Fleck immer noch nicht der Grunddefinition eines öffentlichen Platzes und taugt als Ort der Begegnung, des Austausches oder des Verweilens wenig.

Bis auf die Präsenz des unverwüstlichen Künstlervereins WP8 (ein Pionier an dieser Stelle) und des Glashauses, war der Worringer Platz nicht gerade der Treffpunkt der Intellektuellen und der Avantgarde. Einmalige Projekte wie die Ausstellungen in der Bauhaus-Filiale oder relativ kurzlebige Initiativen wie das Hobbypop-Museum in der alten Posthalle kamen und gingen. Und nun rollt die nächste Welle – und diese wirkt massiver, als alles, was bisher an dem Standort erlebt wurde. Daniel Fritschi hat seinen gehypten Foyer mittlerweile etabliert; ob die Kunst-Komponente allerdings immer noch eine so große Rolle spielt, ist uns nicht klar. Der Galerist Max Meyer hat sich unweit des Platzes niedergelassen und sorgt für ein konzeptuelles und minimales Gegengewicht zur Döner-Meile. Julia Stoschek, wie wir berichteten, ist zur neuen Nachbarin des WP8 geworden und macht demnächst Programm dort. Regelmäßige und intime Ausstellungen in seinem Grafik-Kabinett veranstaltet seinerseits Sebastian Riemer. Und nun das: Ein Verein namens Transmission richtet sich auf der Worringer Straße ein und bespielt eine ehemalige Halle im Hinterhof der Meyer-Galerie.

Es sind immerhin um die 20 Mitglieder, die den Verein animieren. Seine Front-Frau, Anna Czerlitzki, hat Kunstgeschichte an der Uni Düsseldorf studiert und verspürte den Drang, sich für die hiesige Kunstszene einzusetzen – eine für junge Kunsthistoriker seltene Angelegenheit. Sie trat in Kontakt mit der Klasse von Katharina Grosse aus der Kunstakademie Düsseldorf, die ihrerseits auf der Suche nach einer neuen Spielstätte war. Die vier Wände der ehrwürdigen Institution an der Eiskellerstraße waren den Studenten zu eng geworden; Möglichkeiten, mit dem Raum zu experimentieren und den akademischen Rahmen zu brechen waren da nicht vorhanden. Grosse, deren Lehre sich auf die Wahrnehmung der besonderen Eigenschaften eines Raumes und auf die Entwicklung einer adäquaten künstlerischen Reaktion konzentriert, betrachtete die vorhandenen Ateliers der Akademie als ausgeschöpft und wollte den Spielraum ihrer Schüler ausweiten. Es musste ein Ort gefunden werden, der einen eigenständigen Charakter besitzt und den junge Künstler mit neuen Problemen konfrontiert.

Die Lagerhalle auf der Worringer Straße 57 bietet eine solche Herausforderung. Zufälligerweise kamen Verein und Klasse auf diese schöne Räumlichkeit im Hinterhof der Galerie Max Meyer und waren ziemlich schnell vom Ort begeistert. Neben der großen, zentralen Halle, die von einer langen Empore bekrönt ist, befinden sich in dem Keller weitere Räume zum bespielen, die, selbstverständlich, einen ausgeprägten Charakter besitzen und nicht für jede Arbeit tauglich sind.

Nun sollen sich die Studenten mit dem genius loci auseinandersetzen. Im Rotationsprinzip  werden die Räume von Mai bis Juli besetzt; die Ergebnisse dieser ortsbezogenen Arbeit werden dann in einer Ausstellung präsentiert. Trotz einer Förderung der Kunstakademie reicht das Geld nicht ganz für die Miete. Der Verkauf kleinerer Papierarbeiten und Editionen, der am vergangenen Wochenende stattfand, sollte diese Lücke schließen – und nach Aussagen der Organisatorin verlief die Veranstaltung sogar besser als erwartet. Live-Musik, Performances und Happenings rundeten das Programm ab. Wir haben aber nur den Kuchenstand und einen Haufen sich selbst zelebrierender Bohemienanfänger erlebt – selber schuld.

Und was passiert denn, wenn Grosse und ihre Studenten wieder nach Hause einkehren? Da tritt Transmission stärker in den Vordergrund und veranstaltet seine erste Ausstellung. Angekündigt sind junge Künstler aus Warschau. Weiterhin soll der Ort als Plattform eines verstärkten Austauschs zwischen Kunstakademie und kunsthistorischem Institut der Uni Düsseldorf dienen – eine Maßnahme, die in der Stadt längst fällig war. Darauf sind wir sind besonders gespannt.

 

Guten Morgen Düsseldorf, guten Morgen Welt.

Alkohol und Drip Painting: Wir haben die Söhne von Jackson Pollock auffindig gemacht. Farbe und die Malerei sind nach wie vor wichtige Bestandteile der Kunst. Immer wieder finden Künstler neue Möglichkeiten des Umgangs damit, so wie etwa diese Freunde des Headbangings.

Viel Vergnügen und eine gute Woche!


Demential! Cum varuiesc rockerii din Regie: cu parul!!

Rundgang der fadbk in Essen

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

Seit über 10 Jahren gibt es sie, die freie Akademie der bildenden Künste in Essen Kupferdreh. Die kleine, überschaubare Einrichtung mit der idyllischen Lage an dem Baldeneysee unterscheidet sich in vieler Hinsichten von anderen Kunsthochschulen im Lande: Jeder Student kann gleichzeitig bei mehreren Professoren oder Dozenten studieren und steht deshalb nicht in einem so engen Verhältnis zu seinem Mentor wie in den sonstigen, klassischen Kunstakademien. Anstatt des üblichen esprit de corps und der starren Klassenmentalität, die in den deutschen Kunstakademien herrschen, ist die Struktur der Lehre in der fadbk offen und durchlässig. Ein wenig nach dem britischen Modell erleben die Studenten dort eine große Freiheit.

 

Die gut ausgestattete Schule ist übrigens zum großen Teil berufsbegleitend orientiert. Diese Tatsache schraubt das Durchschnittsalter deutlich in der Höhe; nicht selten sind die Dozenten und Professoren jünger als ihre Studierenden – und Letztere lassen sich vor allem am Wochenende blicken.

 

Wenn der Rundgang einer Kunsthochschule tatsächlich als Spiegelbild der Qualität ihrer Lehre gelten soll, lässt sich, kurz und bündig, Folgendes über das Niveau der fadbk sagen:

Die Bereiche der Bildhauerei sind deutlich unterrepräsentiert. Der (erdrückende, beinah einseitige) Schwerpunkt der Lehre liegt hier auf Grafik und Malerei. Dass andere Medien möglich und willkommen sind, ist deutlich an den gut eingerichteten Werkstätten für Skulptur oder an den High-End (aber verwaisten) Videoschnittplätze zu erkennen – allerdings wird das Angebot nicht richtig angenommen.

Andrea Wyskott-Blauschek (Klasse Köpp)

Die relative Reife der Studierenden führt zu einer sofort erkennbaren Ernsthaftigkeit ihrer Auseinadersetzung mit Kunst. Dies ist noch längst kein Kriterium für Qualität, aber zumindest eine Grundbedingung für Qualität. Wer sich mit 40 oder 50 Jahren in den Kopf setzt, Kunst zu studieren, und sich auf die Gebühren der Privatschule einlässt, meint es in der Regel ernst – und ist dabei selten ein absoluter Anfänger. Wenn man hingegen die Absprungsrate von jungen Studenten in den herkömmlichen Kunstakademien betrachtet und die chronische Unentschlossenheit der Künstler-Aspiranten, versteht man auch das (teilweise) bestürzende Niveau der dortigen Rundgängen.

Uwe Siemens (Klasse Schneider / Schrudde)
Uwe Siemens (Klasse Schneider / Schrudde)

 

Konkret heißt dies: Exit die pathetische und expressive Schmiererei und die post-wilden Akzente; die Malerei wirkt in Essen selten so pubertär, ungeschlachtet und willkürlich wie in Düsseldorf. Abgesehen von ihrer jeweiligen Relevanz sind dort die Fragestellungen deutlicher formuliert und konsequenter verfolgt. Auch im Bereich  des Unzulänglichen sind die Unterschiede beider Institutionen vielsagend: Da wo die schwächsten Arbeiten im letzten Rundgang der Düsseldorfer Kunstakademie einfach belanglos und aufgeblasen wirken, sind die schwächsten Arbeiten in Essen konventionell, blaß, angepasst und akademisch.

C. Katja Veiser (Klasse Schrudde / Mechler / Köpp)

 

Grazyna Burek (Klasse Hantzsch)
Nicole Krinn (Klasse Mechler / Köpp)

 

Andrea Wyskott-Blauschek (Klasse Köpp)

 

 

Kristine Tusiashvili (Klasse Hantzsche)
Kristine Tusiashvili (Klasse Hantzsche)
Denise Ogan (Klasse Hantzsche)

 

Christian Schüler (Klasse Schneider)
Christian Schüler (Klasse Schneider)
Pit Molling (Klasse Schneider)
Pit Molling (Klasse Schneider)

 

Nicole Krinn (Klasse Mechler / Köpp)

 

Anna Schneider (Klasse Parlow / Schrudde)

 

 

Ralf Altreuther (Klasse Schneider)

Marlies Langenhorst (Klasse Schneider)

 

Claudia Knuth (Klasse Mechler / Köpp)

 

Christine Fischer (Klasse Ruch)

 

Der einzige Rundgang der Bundesrepublik mit freiem Büffet

 

ENTHUSIASM II im Düsseldorfer Schauspielhaus

Ein Bildbeitrag von Sirin Simsek (Köln und Düsseldorf)

Text: John Copy und Bob Paste

Die Enthusiasm-Reihe ist ein Echoraum für künstlerische und politische Avantgarden. Enthusiasm ist das Theater oder nicht.

1962 fand in Düsseldorf eine Revolution statt. Im Schulterschluss und Streit mit seinen Freunden Paik, Constant, Cage, Novalis und anderen entwickelte Carlheinz Caspari seine Denkarchitektur LABYR: ein Utopia, das jede Vorgabe ablehnt – und in radikaler Gegenwärtigkeit Kunst, Architektur, Politik, Philosophie als untrennbare Einheit denkt. LABYR ist Labor (Tätigkeit, Produktion) und Labyrinth (Unübersichtlichkeit, Zufall, Anarchie), in dem jeder Akteur und Zuschauer ist.


Enthusiasm II ist eine Labyrbegehung oder auch nicht. 17 Künstler, Performer, Artisten suchen nach der Labyrgesellschaft 50 Jahre nach Fluxus und 200 Jahre vor New Babylon. Es geht um nichts oder um die Veränderung der Welt. Der aktuelle Labyrbedarf ist gewaltig: Anfang der Sechzigerjahre fand in Düsseldorf keine Revolution statt.

Mit: Mary Bauermeister, Ellen Caspari, Wilfried Dörstel, Ludwig Haugk, Markus Herse, Christian Jendreiko, Andreas Korte,Marie Milbacher, Thorsten Nolting, Christian Posthofen, Kevin Rittberger, Celine Schäfer, Elena Schmidt, Stefan Schneider, Julia Stoschek, Stefan Werni, Volker Zander

Venus und Apoll – Ortsbegehung

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

Auch an Mut fehlt ihr nicht. Julia Stoschek hat sich mit ihrer auf Film- und Videokunst fokussierten Sammlung binnen weniger Jahre einen Namen in dem internationalen Kunstbetrieb gemacht. Ihr junger und hochkarätiger Kunstbesitz, der seit 2007 in einem burgähnlichen White Cube (eigentlich einer Black Box) auf der Schanzen- straße zu bewundern ist, sowie die regelmäßigen Screenings, Performances und Events, die dort stattfinden oder stattgefunden haben, haben die Düsseldorfer Kunstlandschaft unheimlich bereichert. Die Frau hätte sich mit diesen Errungenschaften begnügen und weiterhin ihre Zeit zwischen Kunstmessen, Galerien, VIP-Empfängen und der eigenen Sammlung verbringen können.

Aber nun dass die Maschinerie der Sammlungspräsentation perfekt läuft und dass sich etwas wie der Anfang einer Routine einstellt, sucht die Umtriebige eine neue Herausforderung. Und diese musste natürlich weit weg von dem Glamour und von der Perfektion ihrer natürlichen Umgebung gefunden werden. Der Worringer Platz schien dabei ein geeignetes Terrain, um mit neuen Formaten zu experimentieren und die (ohnehin einiger- maßen vorhandene) Bindung an die junge, unabhängige lokalen Kunstszene zu verstärken.

Nach zähen Verhandlungen gelang es Stoschek, die Räume eines ehemaligen russischen Kosmetikstudios (das eher als Kulturzentrum der anderen Art zu bezeichnen wäre) zu mieten. In der in Venus und Apoll unbe- nannten Lokalität sollen ein Jahr lang Konzerte, Performances, Gesprächsrunden und Filmscreenings präsentiert werden. Anders als die bisherigen aufwendigen Events der Julia Stoschek Collection sollen die Projekte hier relativ schlicht bleiben und unvermittelt über die Bühne gehen.

Die Idee stand von Anfang an fest: Man übernimmt die Räume wie sie sind, renoviert nichts und macht einfach Programm. Nichts gestalten, nichts anrichten, nur machen – eine angenehme Herangehensweise. Daher gab es bei der Ortsbegehung am vergangenen Samstag einiges zu erkunden. Die ehemalige Ladenbesitzerin hatte dort im Laufe der Jahre einen verwinkelten Beauty-Palast mit Ost-Block-Touch aufgebaut und dieser war noch in seinem ursprünglichen Charme zu erleben. Vor allem der Gang in das Untergeschoss erwies sich als eine Reise in eine andere Dimension des Geschmacks. Auf einem mit Mickey-Mouse-Masken gezierten Massage- raum folgten einen Nagelstudio mit kitschigen Harlekin-Posters oder eine Friseur-Abteilung, aufgehübscht mit karnevalesken Überbleibseln und den abgerissenen Doppelseiten erotischer Magazine.

Zwischendurch eine rot bemalte Kammer mit schrägen Dächern, eine merkwürdige Wasserstelle am Ende eines langen Korridors oder ein grell beleuchteter, befleckter, verließartiger Raum, dessen Funktion schleierhaft blieb. Daneben ist Guantanamo ein Holiday-Inn; Gregor Schneider kann wieder einpacken.

Das Erdgeschoss bietet seinerseits eine sehr große Fläche, bestens für Konzerte, Lesungen oder Partys geeignet. Eine Bar wurde improvisiert und die vorhandene Bühne benutzt. Eine Party wollte die Eröffnungsfeier allerdings nicht wirklich werden. Nach einer nicht besonders originellen Darstellung der postpubertären Band Beefy Arms Spring Break (Zusammenfassung: Schall und Rauch), legte Andreas Korte auf; aber anstatt zu tanzen wollte das Kunstvolk lieber draußen rauchen und klönen. Das funktionierte sehr gut – wenn Venus und Apoll die Geselligkeitsfunktion übernimmt, die wg3zikb nun nicht mehr erfüllen kann, dann ist die hiesige Künstlerschaft gerettet.

Allerdings zeigte Düsseldorf an diesem Abend früh genug sein wahres Gesicht: Um Punkt 22:40 Uhr (es war Samstag!) kam die Polizei und bat darum, die Bässe runter zu drehen. Diese Stadt hat ihre Künstler nicht verdient.

Es soll trotzdem weiter gehen: Der nächste Termin ist der 13. April, zum Screening von Filmen des britischen Filmemachers John Smith. Im Mai gibt es die Katalogpräsentation der aktuellen Ausstellung, zu der begleitend einen Film von Ben River gezeigt wird. Wir werden mit Sicherheit dabei sein und berichten.

 

 

Ein Facebook Interview mit Philipp Meier – 96 Jahre Dada

Das Cabaret Voltaire in Zürich ist ein legendärer Ort. Von Hugo Ball und Emmy Hennings am 5. Februar 1916, also heute vor 96 Jahren gegründet, ging von dort einer der einflussreichsten künstlerischen Impulse des 20. Jahrhunderts aus. Im Umfeld des Cabaret Voltaire entwickelte sich DADA und verbreitete sich dann rasend schnell über den Globus. New York, Paris, Berlin und Köln wurden im Zuge dieser revolutionären Entwicklung zu weiteren wichtigen Zentren dieser Idee.
„Im Wesentlichen war es eine Revolte gegen die Kunst von Seiten der Künstler selbst, die die Gesellschaft ihrer Zeit und deren Wertesystem ablehnten. (Wikipedia) „.
Für all die Leser, die die damit verbundenen Ent- und Verwicklungen noch mal kurz auffrischen möchten, bietet der verlinkte Wikipedia-Artikel einen brauchbaren Einstieg in die kurze Geschichte des DADA.

2004 besetzte die Künstlergruppe Kroesus erneut das Gebäude in der Spiegelgasse 1 in Zürich und knüpfte damit an die Geschehnisse zu Beginn des letzten Jahrhunderts an. Mittlerweile wird das Cabaret Voltaire durch die beiden Co-Direktoren Adrian Notz und Philipp Meier geführt und durch die Stadt Zürich und private Förderer unterstützt. In letzter Zeit gab es im Cabaret Voltaire mehrere Projekte und Veranstaltungen mit dem Ziel die Idee DADA weiter zu denken und sich mit der Frage zu beschäftigen was DADA heute sein könnte.
Wir haben uns mit dem Co-Direktor Philipp Meier über die vergangenen und aktuellen Projekte per Facebook-Timeline unterhalten. Das Gespräch ist so weit möglich in der Originalfassung belassen worden. Die Einschübe einiger, Ihnen eventuell unbekannter, Autoren sind Facebook-Freunde des Cabaret Voltaire, die sich so an dem Gespräch beteiligten.
Wir wünschen viel vergnügen beim Lesen.
Kurz lebe ADAD!

96 JAHRE DADA – A COFFEEBREAK OF A REVOLUTION

voina und philipp meierdie russische kunstaktivistengruppe voina und philipp meier im cabaret voltaire

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Guten Morgen Düsseldorf, guten Morgen Welt.

Zack! oder besser zoooooschhhh! Denn schon wieder ist eine Woche vergangen, wir alle einmal mehr 7 Tage älter und auch die Erde hat sich ein kleines Stückchen weiter um die Sonne gedreht.
Und trotz eines so galaktischen Starts in diesen Artikel, will mir heute Morgen keine vernünftige Über- bzw Einleitung zum Clip in die Wochen einfallen.

Deshalb jetzt einfach kurz und schmerzlos, heute gib es was für unsere Film- und Alphabetfreunde: Ein Kurzfilm von Evan Seitz mit dem treffenden Titel ‚ABCinema‚.

Wieviele Filmtitel erkennen Sie?
Ist nicht so wichtig. Kommen Sie gut in die neue Woche.

Evan Seitz
ABCinema‚, 2012

(via)

Kunst im Knast – Ausstellung in der Ulmer Höh

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

Demokratie bizarr: Freiwillig und gut gelaunt scharen sich die Menschen vor dem Portal, um in die JVA eintretten zu dürfen. Die Warteschlange war am vergangenen Samstag Nachmittag über Hundert Meter lang. Vorausgegangen war anscheinend eine gute PR-Arbeit, die den natürlichen Voyeurismus unserer Gattung geschickt kitzelte. Wann werden wir die nächste Gelegenheit bekommen, einen solchen Ort zu betreten? fragte ein Organisator die Besucher, die von der langen Wartezeit entmutigt waren.

 

Zu den Entmutigten gehörte ich übrigens. Die Vorstellung, unendlich lange warten zu müssen, um ein reales Gruselkabinett von Innen zu erleben fand ich etwas pervers und absurd. Ausserdem bin ich kein Freund von Sneak-Previews. Unwissend über die Qualität der Ausstellung und nicht gerade bereit, ein Nachmittag  für schlechte Kunst zu opfern, machte ich kehrt.

Am nächsten Tag war ich in der Früh wieder da. Es war kurz nach 10, fantastisches Wetter, kein Mensch auf der Straße. Ideale Bedingungen, könnte man meinen. Doch die Schlange war immer noch da. Ob Sie vor Ort gezeltet hätten?, fragte ich dem Mann vor mir. Nein; und er würde nur seit 30 Minuten warten, es wären aber bereits 200 Personen im Haus und mehr dürften momentan nicht eintreten.

Das war mir erneut zu doof. Ich gab endgültig auf. Ich hätte gerne für die Leser unseres Magazins berichtet, aber der Preis war zu hoch.

Deshalb den Aufruf:

WER WAR IN DER AUSSTELLUNG UND WER MÖCHTE SEINE EINDRÜCKE UND EIN PAAR BILDER AUF PERISPHERE TEILEN? Beiträge, klein oder groß, sind willkommen: redaktion (at) perisphere.de

wg-Auflösung

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

Markus Ambach und Birgit Jensen (Foto: Jörg Weule)

Es wurde kein pathetischer Abschied; es gab keine rückblickende Rede mit Tremolo-Stimme, keine Lebewohl-Gesänge mit hoch gehaltenen Feuerzeugen und keine Tränen in den Augen von Birgit Jensen und Markus Ambach. Aber alle waren sich einig: die wg hinterlässt eine Lücke. Ein Mal pro Monat trafen sich in dem Malkasten Künstler, Wissenschaftler, Galeristen und andere kreative Geister auf der Suche nach einer anregenden Kultur der Gastlichkeit und des Austauschs. Aus der gesamten Bundesrepublik und aus dem Ausland kamen die eingeladenen Gäste, um über ihre Arbeit zu sprechen, um Musik aufzulegen, Performances durchzuführen, Vorträge zu halten, Truthähne zu backen und Wein auszuschenken. Mit der Tradition der wg3zikb verschwindet ein lokales Kulturgut, das in Düsseldorf keine Äquivalenz kennt.

Feldforschung Abendbrot (Foto: Birgit Jensen)

Dabei sind weder Birgit Jensen noch Markus Ambach die Kräfte ausgegangen. Vielmehr merkten die zwei Künstler, dass neun Jahre genug waren. Geboren wurde das Projekt aus einer Notwendigkeit. Die Notwendigkeit, den in die Jahre gekommenen Malkasten-Verein durch eine energische Zellenkur zu erneuern, jüngere Künstler zu aktivieren und die hervorragenden Räume im Jacobihaus zu nutzen. Mit der großen Unterstützung des Vereins entstand ein Ort der Geselligkeit und der Kommunikation; und das Veranstaltungsformat, das sich im Laufe der Zeit etablierte, hat nicht an Frische verloren.

Ingke Günther (Foto: Birgit Jensen)

 

Feldforschung Abendbrot (Foto: Birgit Jensen)

Für die Dernière wurden vier Gäste eingeladen. Wie Jensen schelmisch bemerkte, berichtete der eine über das, was er gemacht hat, der andere über das, was er nicht gemacht hat und der dritte über das, was zu machen ist. Die vierte Partei bildeten Jörg Wagner und Ingke Günther, die mit ihrer Feldforschung Abendbrot ein deutsches Phänomen untersuchen, das vom Aussterben bedroht ist – eben: das Abendbrot – und die individuellen Gestaltungsmöglichkeiten dieser Gattung präzise analysieren. Die Künstler schmierten an diesem Abend Domino-Brote und wiedersprachen damit dem guten, alten deutschen Spruch, wonach man nicht mit dem Essen spielen darf.

(Foto: Birgit Jensen)

 

Fritz Balthaus (Foto: Birgit Jensen)

Aus Berlin war Fritz Balthaus angereist und präsentierte in seinem Vortrag „Lassenmüssen“, eine Kompilation seiner Projekte im öffentlichen Raum, die aus welchem Grund auch immer nie durchgeführt wurden. Eine schöne Form des Recyclings für gescheiterte oder totgeborene Projekte.

Volker Lang (Foto: Birgit Jensen)

Der Hamburger Volker Lang präsentierte im Gegenteil seine Realisierungen und erörterte also, was er aktuell macht. Der Bildhauer bezieht Literatur in seine Arbeit ein und verwandelt das gesprochene Wort zu einem plastischen Bestandteil seiner skulpturalen Praxis.

Stefan Saffer (rechts hinter dem Apfel) (Foto: Birgit Jensen)

Stefan Saffer schließlich erläuterte was zu tun ist und präsentierte dem gutgelaunten Publikum seine ästhetisch-philosophische Betrachtungen „Aus Schirnaidel“.

(Foto: Birgit Jensen)

Trotz der relativ emotionalen Zurückhaltung der letzten Feierlichkeiten, soll es noch ein Abschiedsfest geben. Voraussichtlich am Ende des Jahres wird eine Publikation zu den vielfältigen Tätigkeiten des wg3zikb erscheinen – ein Anlass, um auf die schönen Jahre anzustoßen. Und vielleicht haben sich bis dahin unternehmungsfreudige und ideenreiche Nachfolger gefunden. Wer die wg3zikb in dieser oder einer anderen Form wieder aufleben lassen möchte, soll sich nun erheben…

Wie Birgit Jensen sagte: „Wir hoffen, dass wir etwas gesät haben und das bald etwas entstehen wird“

Franziska von Stenglin in der Treppenhausgalerie

Das Presse- und Informationsamt in Frankfurt verfügt über ein Treppenhaus, das sich mittlerweile zu einer Galerie der besonderen Art etabliert hat. Seit 19 Jahren nehmen dort Künstler der Stadt die Herausforderung an und zeigen ihre Arbeit in einem Ort, der nicht gerade einfach zu bespielen ist. Die aktuelle Präsentation von Franziska von Stenglin heißt Himmel und Abgrund so nah und geht sowohl auf die spezielle räumliche Situation als auch auf die Frankfurter Hochhaus-Landschaft ein.

von Havva Erdem (Frankfurt / Main)

 

(der an der Eingangstür beigefügte Text der Künstlerin)

„Sie blieb einen Moment stehen, bevor sie die glänzende Lobby betrat.

Sie war kaum einen Kilometer weit gelaufen, aber es fühlte sich an wie eine ganz andere Welt. Sicher würde es Leuten, die hier arbeiten, nicht anders gehen, wenn sie den Fluss überqueren würden.

Die Lobby war sehr großzügig, hell und sauber, dass sie sich auf einmal ihrer eigenen Erscheinung bewusst wurde. Sie trat an die Rezeption, stellte sich vor und fragte nach der Person, deren Namen man ihr genannt hatte. Der Rezeptionist wählte eine Nummer und gab ihr ein plastikumhülltes Namensschild.

Sie setzte sich in einen, wie sie feststellte, Le Corbusier-Sessel und schaute sich um. Überall Dreiecke. Die Deckenplatten waren dreieckig, die Fliesen auf dem Boden, selbst der Aschenbecher stand da wie eine Pyramide.

Männer und Frauen eilten an ihr vorbei. Nach einer Weile erschien ein junger Mann. Er trug einen schwarzen Anzug, der aus einem leicht glänzenden Material gemacht war, und spitz zulaufende schwarze Schuhe. Er musste etwa in ihrem Alter sein. Gemeinsam gingen sie durch die Barrieren, die ihr Gastgeber mit einer Chipkarte öffnete.

Sie waren allein, der Fahrstuhl war nur für Gäste reserviert. Sie schossen hoch in das 43.Stockwerk. Eine Seite des Fahrstuhls war aus Glas. Die Stadt verschwand fast lautlos unter ihr, man hörte nur die Luft, die ihren Druck veränderte.

Der Fahrstuhl öffnete sich. Drei Sicherheitsmänner standen an der gegenüber liegenden Wand der Halle, die vor ihnen lag. Sie lief hinter dem jungen Mann her, die drei Sicherheitsmänner folgten ihr. Sie durchquerten verschieden kleine Konferenzzimmer, alle nach Opern benannt: Aida, Lohengrin, Don Giovanni. Sie fragte sich, ob einer wohl „Cosi fan Tutte“ hieß (So machen sie es alle).

 

In jedem Zimmer stand ein Konferenztisch und weitere Corbusierstühle. Die Wände den Türen gegenüber bestanden immer komplett aus Glas, so dass sie weit in die Ferne blicken konnte. Sie trat an das Fenster hean bis sie fast am Abgrund stand, nur das dicke Glas trennte sie. An den Wänden zur rechten und zur linken hingen großformatige Farbfotographien und oder großformatige, bunte Gemälde.

Sie gingen weiter. Der junge Mann führte sie in einen Raum, der wohl das Hauptkonferenzzimmer sein musste. Er war fünfmal so groß wie die anderen und hatte runde Wände. Der riesige Tisch hatte ein Loch in seiner Mitte. An der Wand hing eine große Weltkarte. Sie fand, dass es wie das Natohauptquartier aussah.

Die Männer blieben an der Türe stehen, während sie sich umsah. Nach einer Weile suchte sie sich einen Punkt am Fenster aus. Sie stellte ihr Stativ auf die Fensterbank, montierte ihre Kamera darauf und richtete sie gen Himmel. Sie zog ihren Belichtungsmesser hervor und hielt ihn ans Fenster, änderte die Einstellungen ihrer Kamera und drückte auf den Auflöser.

Auf dem Weg zurück hinunter war der Fahrstuhl etwas voller, die Sicherheitsmänner begleiteten sie. Dieses Mal bemerkte sie, dass sich auf jedem zweiten Stockwerk ein kleines Schild befand, dass auf eine Eiswürfelmaschine hinwies. Der Klang des Luftdrucks hatte sich umgekehrt.

Die Stadt eilte ihr entgegen.“

 

Franziska von Stenglin wurde 1984 in München geboren, wuchs in Afrika, Indien und Deutschland auf und studierte Fotografie in London. Zur Zeit absolviert sie die Städelschule in der Klasse von  Simon Starling.

 
Franziska von Stenglin
„Himmel und Abgrund so nah“
8.11.2011-31.03.2012
Mo-Fr 8.00-18.00 Uhr
Treppenhausgalerie im
Presse- und Informationsamt
Römerberg 32
60311 Frankfurt am Main

An den Rändern der Kunst im MAP

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

Ein Heimspiel für Markus Ambach

Markus Ambach öffnet seinen Raumtriptychon zur nächsten großen Show und widmet sich sieben unabhängigen, langfristig angelegten Künstlerprojekten. An den Rändern der Kunst ist so etwas wie eine Liebeserklärung an die autonomen Kunsträume und an die freie Kunstszene. Wie ein Entomologe auf der Suche nach seltenen und fragilen Spezies, hat Ambach im Laufe seiner zahlreichen Reisen artists run spaces und Off-Räume besucht und z.T. in seine eigene Projekte einbezogen. Diese Bekannt- und Freundschaften aus Berlin, Sydney, Tokyo, Stuttgart (und natürlich aus Düsseldorf) präsentiert er nun im MAP.

SITEmagazine
SITEmagazine

Dabei operiert Ambach weder kommentierend noch wertend. Er schenkt jedem Projekt ein bisschen Raum und Aufmerksamkeit und schafft dadurch eine hervorragende Informationsstation zu einigen ausgewählten Off-Projekten. Aus der Düsseldorfer Umgebung sind alte Bekannte wie das SITEmagazine dabei. Die zwei Herausgeber Ralf Brög und Petra Rinck (letztere konzentriert sich seit 2010 um ihre Galerie auf der Ackerstraße) haben elegante Raumteiler geschaffen um ihre Künstlerzeitschrift in die Dreidimensionalität wirken zu lassen. An den Rändern… war für sie auch die Gelegenheit, das neue Format Site XF zu präsentieren, das als Hybridform zwischen Magazin, Katalog, Multiple und Ausstellung oszilliert.

singleclub
singleclub
singleclub

In seiner Bemühung, die junge Generation der Düsseldorfer Off-Szene an sein Haus zu binden, hat Ambach den Mann hinter dem bereits legendären singleclub eingeladen. Alexander Wissel, der hier nicht mehr vorgestellt werden muss, stellt einige Reliquien seines Langzeitprojektes singleclub aus: mehr oder weniger gut erhaltene Elemente der vergangenen Veranstaltungen, allesamt von befreundeten Künstlern hergestellt. Die Dekorationsstücke und Ausstattungsobjekte unterhalten interessanterweise auch im ramponierten oder bruchstückhaften Zustand ihre Ambiguität zwischen autonomen Kunstwerk und angewandter Gebrauchskunst. Diejenigen, die den singleclub nur als ausgelassene arty-party kennen, werden sich hier mit der nächsten Phase Wissels vielschichtigen Konzeptes beschäftigen können.

Sammlung Karl Heinz Rummeny

Wenn man unbedingt auf Stringenz setzt, kann man die Präsentation der Sammlung Karl Heinz Rummeny als kleine konzeptuelle Entgleisung auffassen. Der Düsseldorfer Rummeny, der vor fünfzehn Jahren mit Gregor Russ und Jost Wischnewski das Parkhaus gründete – und nun seit vier Jahren das Projekt allein weiter führt – hat mittlerweile den Ruf eines erstrangigen Entdeckers und Ermöglichers erlangt. Wie viel junge Talente, kurz vor dem Sprung in den kommerzielle Kunstbetrieb stehend, hat er schon in dem kleinen, dunklen und feuchten – aber atmosphärisch starken – Raum im Malkasten-Garten präsentiert? Ambach hat ihn allerdings nicht als Parkhaus-Verantwortlicher und wichtiger Akteur der hiesigen Off-Szene eingeladen, sondern als Kunstsammler. Rummeny steht nämlich seit 25 Jahren in Kontakt mit internationalen Künstlern, manche namhaft, andere weniger, und hat eine feine Sammlung von meist leichten und fragilen Papierwerken angelegt. Es sind Briefe, Postkarten, schnell durchgeführte Skizzen oder illustrierte Widmungen, die vom Freundschaftsverhältnis des Ausstellungsmachers mit Leuten wie Gilbert & George bezeugen. Die Dokumente sind wertvoll, z. T. sogar aufschlussreich (und es ist eine große Chance, sie überhaupt wahrnehmen zu dürfen); hier aber verschwindet das Projekt Parkhaus hinter seinem Betreiber.

Bezeichnenderweise wurde die Wahl der nicht-Düsseldorfer Off-Spaces auf Projekte gelegt, die sich spezifisch mit urbanistischen Fragen auseinandersetzen und auf Probleme der Privatisierung, bzw. der Gentrifizierung oder der Wiederaneignung des öffentlichen Raums eingehen – und sich damit genau mit Ambachs eigenen Themenschwerpunkten decken. Das Stuttgarter Büro für transdisziplinäre Forschung und Kulturproduktion, das derzeit von Yvonne P. Doderer geführt wird, hinterfragt beispielsweise die Relevanz und Wirksamkeit der Zivilgesellschaft in urbanistischen Entscheidungsprozessen – mit dem Fall Stuttgart 21 als brisanter Hintergrund.

Abseits eines reinen analytischen Ansatzes, greift das in Berlin basierte Projekt KUNSTrePUBLIK frech und direkt in das Geschehen ein und eignet sich den zur Verfügung stehenden Stadtraum wieder an. Die Gruppe hat einen „Skulpturenpark“ auf einer Brache eingerichtet und dort, ohne Absprache mit dem Besitzer, verschiedene Aktionen durchgeführt. Das situationistisch angehauchte Projekt stellt den spekulativen Umgang mit Lebensraum in Frage und demontiert gleichzeitig die Vorstellung einer „demokratischen“, allen zugänglichen Kunst.

Bill + George

Bill + George ist ein von elf australischen Künstler betriebener Off-Raum in Redfern, einem Stadtteil von Sydney, der hauptsächlich von Aborigenes bewohnt ist. Der Ort, einst als heruntergekommener Umschlagplatz für Drogen und Treffpunkt der Kriminellen verrucht, wird nun von den lokalen Kreativen und Hipstern kolonisiert. Bill + George geht auf diese Situation ein und organisiert diverse Aktionen im öffentlichen Raum, schafft Kommunikationsräume, setzt in agitatorischen Performances starke Zeichen und geht bis zur Besetzung repräsentativer Gebäude, um auf die Gentrifizierung aufmerksam zu machen.

M. Ichimura und T. Ogawa

Eine ähnliche Dynamik finden wir beim Projekt Enoaru Cafe wieder. Im großen Tokyoer Yoyogi Park hat sich eine Siedlung von Obdachlosen niedergelassen und lebt seit längerer Zeit unter blauen Zelten. Mitten in diesem „blauen Dorf“ haben die Künstler Misako Ichimura und Tetsuo Ogawa eine Bar der anderen Art gegründet. Dort bekommt man gegen einer Lebensmittel- oder Sachspende einen Tee und kommt in direkte Berührung mit Künstler, Spaziergänger und Obdachlosen. Vertreter aller Bevölkerungsschichten treffen sich hier zum Zeichnen und Verweilen; es entsteht einen Raum des Austauschs und der Kommunikation, der in der wenig porösen japanischen Gesellschaft selten zu finden ist.

Weil sie nie als Gruppenausstellung durchzugehen versucht, erweist sich An den Rändern der Kunst als angenehm unaufdringlich und informativ. Das Format ist zwar nicht sonderlich überraschend, aber die Abfolge von Projektpräsentationen, die zum Teil mit den Modi der dokumentarischen Ausstellung kokettieren, wirkt solid und angemessen. Und eine klare Vermittlung der Inhalte ist in diesem Fall allemal besser als eine verspielte räumliche Inszenierung. Wie die letzten Shows an diesem Standort bestätigt haben, taugen es die schwierigen Räume für Gruppenausstellungen eh nur bedingt. Von daher ist die konzeptuelle und formelle Zurückhaltung der aktuellen Präsentation eine wahre Wonne.

An den Rändern der Kunst
im MAP – Markus Ambach Projekte
vom 36.3-5.5.2012
Bachstr. 139-143
40217 Düsseldorf
Tel. (0049) 0211-15927623

 

Guten Morgen Düsseldorf, guten Morgen Welt!

Vergangene Woche waren wir auf Achterbahnfahrt im sonnigen Buenos Aires, diese Woche geht es im Kurhaus Weissbad ein klein wenig statischer, aber kein bißchen weniger vergnüglich zur Sache.

Roman Signer hatte dort 1992 die im nachfolgenden Video zu sehende Maschinerie installiert.
Wir wünschen auch dieses mal viel Vergnügen beim Anschauen und Ihnen einen guten Start in die Woche. Genießen Sie den Frühling, ärgern Sie sich nicht zu viel und bleiben Sie gesund.

Roman Signer, Aktion Kurhaus, 1992
Kurhaus Weissbad, Kanton Appenzell

Weitere Infos zu Signer und seinen Arbeiten gibt es auf seiner Webseite.
Noch mehr wunderbare Videos finden Sie auf youtube.

Yasutake Iwana im reinraum

Die rötlichen, fantastisch-naiven Bilder des Yasutake Iwana waren uns letzte Woche bereits bei der Eröffnung der sog. Gästezimmer in der Hans Peter Zimmer-Stiftung  aufgefallen. Arbeiten aus der gleichen Serie sind zum gleichen Zeitpunkt im reinraum zu sehen. Das onirische Universum des Künstlers findet in dem ehemaligen öffentlichen Klo einen bizarren Konterpart. Nach einer sehr kurzen Ausstellung sind die verträumten Gemälde zum letzten Mal am Mittwoch zu erleben.

 

 

 
Yasutake Iwana im reinraum
Ausstellung am 2., 7., 14 und 21.3. jeweils v. 19.30-22 Uhr
am 21.3.2012 Finissage mit Künstlergespräch
reinraum
Aderstraße 30a
40215 Düsselodrf

Maurizio Cattelan goes Off

Bekanntlich verkündete Maurizio Cattelan kurz nach seiner Ausstellung im Guggenheim Museum im vergangenen Jahr, dass er seine Künstlerkarriere nun endgültig an den Nagel hängen werde. Sein Werk müsse in Zukunft ohne ihn klar kommen, ganz so als sei er bereits verstorben.
Egal was nun aus dieser Ankündigung wird, völlig wird unsere kleine, feine Branche aber wohl doch nicht auf ihn verzichten müssen. Im Januar 2012 eröffnet er gemeinsam mit dem italienischen Kurator Massimiliano Gioni die nicht kommerziell und experimentell ausgerichtete Gallerie family business in New York. Das Projekt ist nicht das erste gemeinsame Ausstellungsprojekt der Beiden, bereits 2002 startete das Künstler-Kuratoren-Duo  – ebenfalls in Chelsea – die Wrong Gallery.

family business – die Tür

Photo © Micah Schmidt

Außenansicht familiy business– Vorbereitung zur ersten Show, Photo: Micah Schmidt

Die neue Galerie family business öffnete ihre Pforten am 16. Februar 2012 mit der Ausstellung ‚Virgin‚. Die Ausstellung wurde von Marilyn Minter kuratiert, die dort ihr Kuratorendebut hatte, es wurden nur Künstler gezeigt, die zuvor noch nie in New York zu sehen waren und zusätzlich spielte die Band ‚the virgins‘ – so langsam dürfte dann auch klar sein woher der Ausstellungstitel rührt.

familiy business – virgins – Ausstellungsansicht

familiy business – virgins

Am 3. April geht es nun mit der Show „ITSA SMALL, SMALL WORLD“ weiter. Diese wird  von unserem Bekannten, dem Künstler Hennessy Youngman, kuratiert. Das besondere an seinem Ausstellungskonzept ist, jeder darf mitmachen. Einzige Voraussetzung zur Teilnahme ist, dass die Arbeit zwischen dem 30.03. und 01.04.2012 in die Galerie gebracht wird.

Hennessy schreibt dazu auf seiner Youtube-Seite:

„THIS GROUP EXHIBITION I’M PUTTING ON IS CALLED „ITSA SMALL, SMALL WORLD“ AND BASICALLY, IF YOU CAN GET YOUR ARTWORK DOWN TO FAMILY BUSINESS AT 520 W. 21ST ST. IN CHELSEA NYC, DURING THE ALLOTTED DROP OFF DATES, YOU’RE IN THE SHOW. SIMPLE ASS SHIT. NO ONE IS TURNED AWAY. I DON’T CARE WHERE YOU LIVE, IF YOU CAN GET YOUR ARTWORK DOWN TO FAMILY BUSINESS, THEN YOU’RE IN THIS EXHIBITION. IT’S MY WAY OF GIVING BACK TO/ AND THANKING THE INTERNET FOR SUPPORTING AND WATCHING MY SHIT.“

Alles weitere im Video.

Weitere, ausführliche Infos, zu den Formalitäten und Daten stehen unter seinem Video auf Youtube.

Wir sehen und in New York!

 

(via artinfo, artobserved & vulture.com)

Back from Japan in der HPZ-Stiftung

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

Mit der Eröffnung der Ausstellung „Back from Japan“ scheint Con-Sum endgültig gestorben zu sein – auch wenn es noch eine Weile dauern wird, bis die Düsseldorfer sich an den neuen Namen gewöhnen. Die Lokalität an der Ronsdorferstraße, die einige legendäre künstlerische Aktionen und Projekte beherbergte, ist vielen in der Stadt noch bekannt. Auf Initiative ihres Inhabers Hans Peter Zimmer wurde  dort in den 80er  Jahren eine ehemalige Backfabrik in ein pulsierendes Zentrum für Kultur umgebaut. Unter dem Namen Con-Sum wurden ca. 70 Musikstudios sowie zahlreiche Künstlerateliers und Arbeitsräume für Architekten, Modemacher und Fotografen eingerichtet. Nach dem Tod von Zimmer (der die Gefahr der Gentrifizierung an diesem Standort vorausgesehen hatte und die geschichtsträchtige Substanz  sowie die kulturelle Vielfalt des Hofes aufrecht erhalten wollte), wurde auf seinen Wunsch hin die Hans Peter Zimmer-Stiftung gegründet.

Seit wenigen Monaten hat die Institution ihre offizielle Arbeit  aufgenommen und konzentriert sich zunächst auf die Sparten Bildende und Darstellende Kunst. Mit dem Künstler Wolfgang Schäfer an ihrer Spitze wurden bereits manche Weichen gestellt. So wird anstatt eines Zweckes (wie bei jeder Stiftung üblich) eine „Mission“ kommuniziert, und diese liegt in der „Gewissheit eines uns alle verbindenden universellen geistigen Potentials“ – eine in der gegenwärtigen Kunstwelt unübliche Selbstdefinierung. Wer übrigens bei dem Begriff „Mission“ an den wenig glorreichen Ausweitungsdrang des Christentums denkt, wird möglicherweise an dem benannten „universellen geistigen Potential“ zweifeln. Mit dieser Einstellung sticht jedenfalls die HPZ-Stiftung aus der dichten Düsseldorfer Kunstszene heraus und behauptet so etwas wie ein Alleinstellungsmerkmal.

Katja Stuke
Katja Stuke

Weil die Stiftung noch nicht vollständig gewachsen und in erster Linie von der Persönlichkeit von Wolfgang Schäfer geprägt ist, steht sie unter dem Einfluss des Künstlers. Letzterer macht ein Programm aus seinen persönlichen Vorlieben und drückt seinen Stempel auf  die Institution. Genauso verhält sich übrigens jeder künstlerische Leiter eines kleinen bis mittelgroßen Hauses; daran ist nichts auszusetzen. Die starke subjektive Bindung der HPZ-Stiftung an Schäfer (und vice-versa) erklärt jedenfalls die Themenwahl von Back from Japan: Da kehrt der Japan-begeisterte Schäfer aus dem Land der aufgehenden Sonne zurück und, noch unter dem Eindruck der dortigen Kultur, bringt in Düsseldorf einige japanische und deutsche (deutsche, aber japanophile) Künstler zusammen.

Yasutake Iwana
Yasutake Iwana
Im Zimmer von Yasutake Iwana

Dabei ist diese sehr persönliche deutsch-japanische Brücke längst nicht alles: Mit der Veranstaltung wurde vor allem ein wichtiger Bestandteil der Stiftung eingeweiht. Nach einer lange Phase des Umbaus wurden nämlich sieben Gästezimmer offiziell eröffnet. Diese stehen künftig für eingeladene Künstler zur Verfügung, die ihre Arbeit in der HPZ-Stiftung realisieren sollen. Der intelligente und nüchterne Umgang des Architekten – Jochen Weyer – mit dem Raum wurde an dem Abend genauso goutiert wie die Kunst selbst.

Die Präsentation der Wohn- und Arbeitsräume wurde dabei geschickt inszeniert. Anstatt einer platten Wohnungsbesichtigung, transferierte Schäfer die Ausstellung (die er gut in einem der geräumigen Säle des Komplexes hätte unterbringen können) in die Gästestudios. So ergaben sich sieben heterogene Zellen, die zwar in keinen Dialog traten (die unbedingte Dialogsuche kann auch lästig werden), dafür aber wie geschlossene, dichte Einheiten wirkten. Der Korridor wurde von einer Porträtgalerie von Oliver Sieber bespielt. Jenseits aller Klischees zur uniformierten japanischen Gesellschaft, fing er das Gesicht der japanischen Alternative ein und und verewigte seriell Rockabillies, Punks, Hardcore, Emos, etc, vor einem neutralen Hintergrund. Menschen, die keineswegs „japanisch-typisch“ wirken und eher an westlich geprägten Subkultur-Stile orientiert sind.

Oliver Sieber

In seinem Zimmer tobte Hiroyuki Murase mit seinen Freunden aus Osaka. Bei Letzteren handelt es sich um die Performancegruppe Shinaikankei, die übrigens nicht leibhaftig anwesend war, sondern  als riesiges lärmproduzierendes Bild im Hintergrund agierte – per Skype-Übertragung. Interkontinentaler Rausch, elektronische Ekstase und schön-schmerzhafte Verzerrungen. An der Decke drehte sich zwar eine Schlaufe aus kleinen Spiegeln wie eine Discokugel, getanzt wurde nicht – gehangen aber auch nicht.

Hiroyuki Murase im Skype-Kontakt mit Shinaikankei; oben: Taka Kagitomi

Der Strang war übrigens eine Arbeit von Taka Kagitomi, der ein paar Zimmer weiter sein wunderbares Bett-Klavier installiert hatte. Der Künstler hatte in einem eigenartigen Montage Bestandteile eines Bettes und eines Klaviers verkoppelt und damit eine Liegefläche kreiert, die Klangvibrationen körperlich spürbar machte. Die Demonstration seines Objektes wurde zu einem Mini-Fluxus-Event.

Taka Kagitomi

Das Zimmer von Thomas Neumann wurde als Gästezimmer des Gasten verwendet. Neumann war kurz vor Ausstellungsbeginn nach Japan gereist und hatte vier Beiträge von Künstlern, die er vor Ort kennen gelernt hatte in seinen Koffern mitgebracht. Neumann präsentierte selbst eine während seinem Aufenthalt enstandene Arbeit.

Im Zimmer von Thomas Neumann
Thomas Neumann

Mit ihren gestrickten Objekten an en Wänden, dem auf dem Boden liegenden Leuchtkörper und den vielen, kleinen Ton-Kugeln, die sie an einer Wand und in einem Regal des Zimmers angebracht hatte, ging Isabella Fürnkäs am ehsten auf die heimelige und private Raumsituation ein. Auch wenn die Gursky-Schülerin in Düsseldorf wohnt und nur einen mäßigen Gebrauch des Zimmers gemacht hat, gaben ihre intimen und sehr persönlichen Stücke den Eindruck, vor Ort entstanden zu sein und in Gespräch mit den räumlichen Beschaffenheiten zu treten.

Isabella Fürnkäs
Isabella Fürnkäs
Isabella Fürnkäs

Dass die japan-fixierte Ausstellung am 10.3. eröffnet wurde – ein Tag vor dem ersten traurigen Jubiläumstag des großen Erdbebens und der Tsunami-Flut – ist natürlich kein Zufall. In Gedenken an die Opfer der vielfachen Katastrophe, eröffneten Wolfgang Schäfer, Tomoko Tezuka und Yuki den Abend mit einer kurzen und konzentrierten Performance. Barfüssig und kopfbedeckt erschienen sie aus dem Hof in dem abgedunkelten Treppenhaus und Korridor des Gästetrakts. Langsam tanzend, bedächtig, die Augen geschlossen und eine Rose in der Hand, die sie vor sich trugen, als ob es sich um eine Gabe handeln würde, schritten die drei Performer vom Außenbereich bis zum Herz („zum Kern“ wäre hier unangebracht) der Gästestudios, eine Welle des respektvollen Schweigens auflösend. Ein Auftakt voller demütiger und poetischer Zurückhaltung, ohne unnötigen Pathos und Theatralität.

Back from Japan
in der Hans Peter Zimmer-Stiftung
Ronsdorferstr. 77a
Ausstellung v. 11. – 30. März
Öffnungszeiten Do-So 14-18 Uhr

 

Guten Morgen Düsseldorf, guten Morgen Welt.

Mit dem nachfolgenden Video Inception Park von Fernando Livschitz wünschen wir allen Lesern einen angenehmenen Start in die Woche. Halten sie die Ohren steif und den Kopf gerade, der Frühling naht und dann werden auch die Städte in unseren Breiten wieder so schön wie das sonnige Buenos Aires in diesem Video – auch ohne Achterbahn.


Inception Park – Fernando Livschitz

Buenos Aires – Inception Park from Black Sheep Films on Vimeo.

(via)

BURNING BEASTS von Claudia Bosse

Die Rhein-Main-Linie ist in der Perisphere noch nicht nahtlos und der Informationsfluss manchmal zäh. Es ist schon zwei Wochen her, als die Regisseurin und Künstlerin Claudia Bosse ihre langatmige Performance Burning Beasts vor dem Frankfurter Kunstverein veranstaltete. Die Ingredienten der lauten und zerstörerischen Aktion: 10 Autowracks, 40 Lautsprecher, eine Handvoll schreienden und gestikulierenden Performers in Astronauten-Pyjamas und der beschauliche Fußgängerweg zwischen dem Rathaus Römer und dem Kaiserdom. Unsere Frau vor Ort hat sich der Gefahr ausgesetzt.

Ein Bildbeitrag von Havva Erdem (Frankfurt a. Main)

Burning Beasts erkundet im öffentlichen Raum die Grenzen und Ikonen der Überschreitung öffentlicher Ordnung. Was ist zu tun angesichts der weltweiten Unsicherheiten über die politische und gesellschaftliche Zukunft? Die Stimme erheben? Kollektiv das Sprechen verweigern? Oder brennende Biester sprechen lassen? Burning Beasts ist eine temporäre performative Installation im öffentlichen Raum Frankfurts.

Während eines Aktionszeitraums (13. – 18. Februar 2012) entsteht im öffentlichen Raum zwischen Dom und Römer eine performative Installation bestehend aus 10 Autokörpern und 40 Lautsprechern. Die Autos werden bearbeitet, verändert, verformt. Über die auf den Autos installierten Lautsprecher sind Interviews über Demokratie und Freiheit sowie Musik zu hören.

“Die für das Ausstellungsprojekt ‘Demonstrationen. Vom Werden normativer Ordnungen’ entwickelte performative Installation ‘Burning Beasts’ tritt in einen Dialog mit dem öffentlichen Raum und verhandelt dort Vorstellungen von Demokratie, Besitz und Freiheit. Anhand des Bildes zerstörter Autos, das sich als Symbol für den Angriff auf die Sicherheit, Mobilität und Selbstbestimmtheit des Einzelnen in unser kollektives Gedächtnis eingeprägt hat, untersucht Bosse die Grenzen und Ikonen der Störung öffentlicher Ordnung. Die Wracks schreiben sich in die städtische Struktur ein, stören die bestehende Stadtlandschaft und befragen die Bedingungen der öffentlicher Ordnung: Was ist zu tun angesichts der weltweiten Unsicherheiten über die politische und gesellschaftliche Zukunft? Die Stimme erheben? Kollektiv das Sprechen verweigern? Oder ‘brennende Biester’ sprechen lassen?” (Frankfurter Kunstverein).

Motion Pics from da US: Hennessy Youngman – ‚ART THOUGHTZ: Curators‘

Hennessy Youngman und seine Art Thoughtz wollte ich schon länger mal bei uns bringen. Eine Kurznachricht der @neonleuchte heute Nacht war jetzt der passende Anlass dafür. Denn dieser macht sich in seinem Weblog aktuell Gedanken zu Sinn, Unsinn, Ironie und Blödelei. Er Unterscheidet dort zwischen trivialem Unsinn, der dann als Blödelei – oder Neusprech: Commedy – langweilt und elegegantem Unsinn, dessen erfolgreiche Inszenierung das Gegenteil von Trivial, nämlich Kunst ist.
In welchen Bereichen sich nun Hennessy Youngman bewegt, mögen Sie, werte Leserinnen und Leser, bitte wie immer selber entscheiden.

Wer mehr über den Mann wissen möchte, wagt den Sprung über den großen Teich zu den Kollegen von der Huffington Post, denn die haben ein Interview mit ihm gemacht oder folgt dem Mann unter https://twitter.com/therealhennessy.

ART THOUGHTZ: Curators
Hennessy Youngman
Quelle: youtube.com

single-club: Die Februar-Session

Vom Keller einer albanischen Kneipe am Worringer Platz zur ersten Hausnummer auf der Kö: Der Sprung, den Alexander Wissel mit seiner Single-Club gewagt hat, hätte kaum größer sein können. Nach dem Verdruss mit dem Ordnungsamt im letzten Jahr, hat sich das skulpturale Konzept in einem Wanderprojekt verwandelt und okkupierte am vergangenen Samstag die Attic, jene von den craaazy Party-People bekannte Adresse mitten in der Stadt. Dort stammte Wissel zusammen mit Frauke Dannert, Lukas Goersmeyer, Gesine Grundmann, Tomas Koester, Martin Pfeifle, Jan Vedder, Jan Wagner und Matthias Wollgast die exotische  Austattung im Schlaraffenland-Stil und ließ es von 20 bis 8 Uhr krachen. Ein Teil der produzierten Ausstattungsobjekte werden übrigens ab nächste Woche im MAP zu sehen sein, wo das Single-Museum in der Ausstellung „Am Rande der Kunst“ präsentiert wird – Eröffnung ist am 3.3.  (keine Panik; wir werden schon berichten).

ein Bildbeitrag von Sirin Simsek

 

Andrea Knobloch und Ute Vorkoeper im Nachtfoyer – zum nachhören

Am vergangenen Donnerstag fand in der Kunsthalle Düsseldorf die Präsentation des Buchs Kunst einer anderen Stadt von Andrea Knobloch und Ute Vorkoeper statt. Erstere ist Künstlerin, die zweite Autorin und Kuratorin und beide führten zwischen 2009 und 2011 ein groß angelegtes Projekt im Rahmen der IBA in Hamburg durch.

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

Die IBA hat sich vorgenommen, die Stadtentwicklung voran zu bringen und die südlichen Gebieten mit neuen, ökologisch und sozial sinnvollen Konzepten zu erschließen (der Erweiterungsplan läuft unter dem medialen Codename „Sprung über die Elbe“ und klingt für einige kritische Geister ein wenig wie die Überschreitung des Rubikon). Dabei sollen bisher verwaiste Stadtteile wie Wilhelmsburg und Veddel gründlich rehabilitiert und in die sich profilierende Metropole integriert werden.

Während die übrigen Akteure der IBA sich in unzähligen Ausstellungen und Podiumsdiskussionen über das Hamburg der Zukunft unterhielten, realisierten Knobloch und Vorkoeper eine Kunstplattform, die die gesamte Veranstaltung begleitete und den Blick des Rezipienten auf Felder lenkte, die von der IBA-Maschinerie nicht berücksichtigt wurden. Jenseits von reinen hanseatischen Ausweitungsansprüchen wurde zudem eine grundsätzliche Reflexion zur Rolle der Kunst in der Stadt angestachelt und damit eine Meta-Perspektive geöffnet.

„Kunst einer anderen Stadt fokussiert deshalb auch weniger auf Kunst und Stadtentwicklung, ohne das Feld auszuklammern, dafür mehr auf den gesamten Handlungsraum bzw. das Handlungsgefüge Kunst in der sich wandelnden Stadt, das dank der IBA über mehrere Jahre beobachtet, erprobt und reflektiert werden konnte. Der Band zeichnet die Bedingungen und die sozialen wie kulturellen Bedeutungen nach, die bildende Kunst und Bildung durch Kunst im benachteiligten Randgebiet ebenso wie in wie in der ganzen, sich vielfach verändernden Stadt, mithin in einer sich verändernden demokratischen Gesellschaft zu übernehmen vermag.“ (Knobloch / Vorkoeper aus dem Vorwort der Publikation).

Im Vorfeld hatten wir auf die Veranstaltung aufmerksam gemacht. Nun ist – dank der freundlichen Mitwirkung von Frauke Berg –  die Buchpräsentation in voller Länge zu hören.

Nachtfoyer am 14.02.2012 in der Kunsthalle Düsseldorf

[audio:http://www.perisphere.de/wp-content/sounds/nachtfoyer-14_02_2012-kunst_einer_anderen_stadt.mp3]

Wenn Sie diese Aufnahme nicht über unsere Webseite hören wollen, können sie diese gerne herunter laden. Das mp3-file steht unter der Creative Commons License CC BY-NC 2.0 zum Download bereit.

nachtfoyer – kunst einer anderen stadt.mp3

.wav – We are visual in der Galerie im Gängeviertel

Das Hamburger Trio .wav stellte im Oktober 2011 in der Galerie im Herzen des Gängeviertels aus.
Aus der Galerie auf die Straße

We are visual, abgekürzt .wav, ist ein in Hamburg ansässiges Künstlertrio, das vor allem Arbeiten im öffentlichen Raum realisiert. Brent Dahl, Felix Jung und Marc Einsiedel arbeiten dabei gerne mit vorgefundenem Material oder intervenieren ungefragt im Stadtraum.

Im Unterschied zu vielen ihrer Kollegen aus dem Streetart und Graffitibereich arbeiten die Drei nicht im Schutz der Nacht, sondern sind fast immer tagsüber aktiv. Anstelle der Strategie der Tarnung bevorzugen Sie die Täuschung, so sperren Sie ihr Arbeitsgebiet mit Hilfe von Pylonen fachgerecht ab und arbeiten in der knallorangefarbenen Schutzkleidung von Straßenarbeitern für jeden gut sichtbar – und bleiben damit in ihren Absichten doch (meistens) unbemerkt.
Auf diese Weise entstehen einfache und witzige Eingriffe wie surREAL, am Alten Rindermarkt in Hamburg oder Touristosaurus in der Hamburger Hafencity, die dann zum Glück für all diejenigen, die nicht zufällig dabei sind, als Video dokumentiert werden.

surREAL am Alten Rindermakt

Ausstellung in der Galerie im Gängeviertel

Neben ihrem Enagagement im öffentlichen Stadtraum betreiben sie seit einiger Zeit eine Galerie im Gängeviertel, in dem sie vorzugsweise junge Hamburger Künstler zeigen. Im Oktober 2011 haben die Drei dann den Ort genutzt um dort zum ersten Mal Ihre eigenen Arbeiten zu präsentieren. Unter dem Titel Materialstudien waren dort Werkstudien zu sehen, welche dann später als skulpturale Eingriffe final auf der Straße installiert wurden. Der Weg geht hier also nicht von der Straße in den Ausstellungsraum, wie so oft in der aktuellen Streetart zu beobachten, sondern zur Abwechslung einmal in die umgekehrte Richtung.

Teil der Ausstellung waren unter anderem eine aus Absperrmaterialien gefertigte Bank sowie eine Skulptur mit dem Titel der Baum. Beide Arbeiten wurden mittlerweile in Hamburg ausgesetzt.

Die Bank als Studie in der Ausstellung
Die Bank als Exponat ausgesetzt in Hamburg
Der Baum - die Studie


Der Baum wir ausgesetzt

Weitere Bilder und Infos gibt es bei den Kollegen von rebel:art und urbanshit.
Mehr Informationen zu .WAV und Videos ihrer Aktionen unter www.wearevisual.org.

Format:C in Wort und Bild

Unter dem Label Format:C haben Benny Höhne, Jan Kaps und Nils Emmerichs seit Janur 2011 drei unterschiedliche Austellungsformate in den Orten Meerbusch, Düsseldorf und Köln realisiert. Zuletzt waren sie mit der Gruppenausstellung „Vor Gott Ist Alle Kunst Scheisse II“ in der ursprünglich einmal von Timothy Shearer und Benjamin Tillig zur Artcologne 2011 projektierten Boutique am Kölner Ebertplatz zu Gast – Bilder davon gibts auf Facebook.

Anna-Lena Werner von artfridge hat mit den drei Dandys ein Interview gemacht und sie zu ihrem Projekt befragt. Das Interview gibt es in voller länge auf englisch und deutsch in Anna-Lena Werners Blog. Wir erlauben uns an dieser Stelle lediglich eine der einleitenden Fragen zu übernehmen um so einen kurzen Eindruck davon zu vermitteln was Format:C ist und sein soll.

Continue reading „Format:C in Wort und Bild“

Kunst, ACTA und das Netz – Alexander Kluge wird 80

Selbst wer die Nachrichten der letzten Tage nur am Rande verfolgt hat, sollte von den Diskussionen um ACTA gehört haben. ACTA ist ein Abkommen bei dem der Umgang mit dem was man landläufig als geistiges Eigentum bezeichnet, international geregelt werden soll.
Eine ziemlich trockene Angelegenheit, politisch aufgeladen noch dazu und von daher eigentlich nicht Thema dieses Blogs. Da aber regelmäßig der Schutz von Kunst, Künstlern und künstlerischen Arbeiten als Anlass für die ACTA-Verträge vorgeschoben werden, wir uns mit unserem Blog mitten im Medium des Streits befinden und noch dazu ein so kluger Mann wie Alexander Kluge an seinem 80. Geburtstag etwas dazu sagt, wollen wir das Thema ACTA zumindest einmal kurz streifen.

Unter dem Titel „Transkription ist ein Ursprung der Kultur“ hat der SWR ein kurzes Interview mit dem Filmemacher, Autor und Schriftsteller veröffentlicht, das hier zu lesen und zu hören ist.

Da ich nicht weiß wie lange der SWR Audiodateien im Netz behält, haben wir das mp3-File bei uns noch mal abgespeichert und hoffe dass wir damit nicht gegen ACTA oder ähnliches verstoßen. Der Download der Datei wird zwar offiziell angeboten, leider gibt es keine Informationen zu den Nutzungsrechten.

Letztes Wochenende waren übrigens deutschlandweite Demos, unter anderem auch in Düsseldorf. Wer hätte gedacht dass Menschen einmal wegen dem Copyright und Patentrechten auf die Straßen gehen?


Wer weitere Informationen zu ACTA sucht wird eventuell hier fündig:

 

Cage-Performance in der Kunstakademie Düsseldorf

Im September 2012 wäre John Cage 100 Jahre alt geworden. Der Komponist, der eine Schlüsselrolle in der Entwicklung der Neuen Musik gespielt hat, wirkte im Kreis der Fluxus-Bewegung und war eng befreundet mit Joseph Beuys und Nam June Paik, beide Professoren der Kunstakademie. Einige seiner Stücke wurden Zeit seines Lebens in Düsseldorf aufgeführt und so ist es nur konsequent, dass im Rahmen dieses Jubiläums eine verstärkte Beschäftigung mit seinem Werk in dieser Stadt stattfindet.

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)
Fotos: Sirin Simsek


Vor den drei Konzert-Performances, die im November dieses Jahres noch aufgeführt werden, gab es während des Rundgangs der Düsseldorfer Kunstakademie ein kleines Vorspiel, dirigiert von Roland Techet, Kapellmeister an der hiesigen Oper, und gespielt von ca. 10 Akademie-Studenten. Das Stück wurde am 12.2. in der Aula präsentiert und hat manche Nostalgiker an die glorreichen Stunden des Hauses in den 1970er Jahren erinnert, als Paik, Beuys oder Vostell auf der Bühne standen…


Wie Herbert Willems, Assistent von Tony Cragg in der Kunstakademie und aktiver Performance-Teilnehmer, erzählte, begann die Aufführung mit einer Aktion, in der alle Solisten Steine auf dem Fußboden rieben. Zehn Minuten lang. Nach dieser Einleitung hatte bereits eine natürliche Auslese stattgefunden; die Hälfte des Publikums hatte den Saal verlassen und suchte eine seichtere Unterhaltung woanders. In der Folge wurden unterschiedliche Bewegungsabläufe nach einem bestimmten, für den Zuschauer nicht nachvollziehbaren Takt, gespielt. Mehr oder minder kurze, immer abgeschlossene Gesten wurden von den Solisten „vorgetragen“; eine Bohrmaschine, ein Trommelfell und diverse Utensilien kamen dabei ins Spiel. Nach der Anweisung von Roland Techet sollte aus dem Gesamtstück weder Harmonie noch repetitive Struktur zu erkennen sein.


Zwischen den jeweiligen Solisten- oder Gruppenauftritten wurde noch Wassermusik (also: die Aufnahme von Wassergeräuschen) aufgeführt und Techet spielte noch vier Klavierstücke, begleitet von Videos der Studenten. Zum Schluss der 50-minutigen Performance wurden Öl und Wasser als Klangerzeuger eingesetzt und das Publikum beim Geräusch von geriebenen Steinen auf dem Boden entlassen.


Dieser Performance vorausgegangen war ein Workshop, bei dem Techet die Teilnehmer in die Kunst der Komposition kurz einführte und dabei die besondere Herangehensweise von John Cage verdeutlichte. Das Stück, das aus dem Songbook entnommen ist, besteht nämlich aus einer Zahlenreihe, die zwar einen Rhythmus vorgibt, aber den Inhalt der Aufführung vollständig frei lässt. Die während des Stücks variierten Gesten und Bewegungen sowie die Instrumentenwahl wurden von den jeweiligen Solisten selbst festgelegt. Diese kontrollierte Freiheit (wie gesagt: der Takt war vorgegeben) konfrontierte sowohl Publikum als auch Performer mit der plastischen Qualität von Gesten, mit der Interdependenz von Bestimmung und Zufall und mit dem Konzept der Leere oder der Stille, das in den Kompositionen von John Cage eine so große Bedeutung bekam.

RUNDGANG 2012 der STÄDELSCHULE in Frankfurt a. Main

Wir spinnen weiter an unserem Kunstnetz. Und blicken nach dem ausgedehnten Gang durch die Düsseldorfer Kunstakademie auf eine weitere,  ehrwürdige Bildunsganstalt der Kunst: die Städelschule in Frankfurt. Die deutlich kleinere Schule (in Düsseldorf dürfen sich fast vier Mal mehr Protokünstler als in Frankfurt tummeln) macht kein Spektakel aus ihrer Studentenpräsentation und geht sachlicher mit dem Ereignis um – das spricht für die Mainmetropole. Vor Ort war die Künstlerin Havva Erdem, eine Bekannte dieses Blogmagazins.

 

Ein Bildbeitrag von Havva Erdem (Frankfurt a. Main)

 

Simon Speiser
Amr Al Janadi
Seth Pick

Othmar Farré
Giovanni Sortino
Giovanni Sortino
Joakim Martinussen
Eloise Hauser
Letizia Calori & Violette Maillard
Letizia Calori & Violette Maillard
vorne: Eloise Hauser; hinten: Hanna-Maria Hammari
Martin Wenzel
Moritz Grimm
Othmar Farré

Florian Auer
Benedikte Bjerre

Filippa Pettersson

Filippa Pettersson
Benedikte Bjerre
Christin Berg
Christin Berg
Ian Edmonds
Jonas Weichsel
Moritz Grimm
Florian Auer
Florian Auer
Mark Walker
Eloise Hauser
Eloise Hauser
Florian Auer
Florian Auer

Lennart Constant
Leda Bourgogne
Luzie Hanna & Karolina Meyer
Luzie Hanna & Karolina Meyer
Luzie Hanna & Karolina Meyer

Anna-Lisa Theisen
Ana Vogelfang

a href=“http://www.perisphere.de/wp-content/uploads/2012/02/DSC_8449.jpg“>

Marcello Spada

Rahel Flink
Bianca Baldi
Lina Katan
Rasmus Sondergaard Johannsen

Hannes Michanek
Hannes Michanek

Rundgang, die letzte: Flurflaneure.

Zugegeben, so langsam ist es nun wirklich genug mit dem Rundgang der Düsseldorfer Kunstakademie, aber einen haben wir noch.
Zum Abschluss jetzt also noch der Verweis auf ein Akademieprojekt das ausnahmsweise mal irgendwas mit Internet macht und alleine (aber nicht nur) deswegen hier Erwähnung findet.
Flurflanueur ist ein Blogprojekt, das den Rundgang aus einem etwas anderen Blickwinkel betrachtet. Der Modeblog zum Rundgang der Kunstakademie Düsseldorf dokumentiert Stil und Mode der Besucher und bricht so ein wenig aus dem ansonsten doch sehr hermetischen, stark auf Form-, Farb- und Materialforschung reduzierten Ausstellungskonzept des Rundgangs aus.

Julia Zinnbauer hatte die Besucher und ihr Outfit sieben Tage lang im Blick, die Ergebnisse ihrer Arbeit gibt es hier zu sehen http://flurflaneur.blogspot.com/

http://flurflaneur.blogspot.com/
ein Projekt von Julia Zinnbauer
Februar 2012, Düsseldorf und im Netz

„Kunst einer anderen Stadt“ – Buchpräsentation im Nachtfoyer (Kunsthalle Düsseldorf)

Kunst im öffentlichen Raum ist angesagt. Für die einen ist sie Marketingartikel und Integrationswerkzeug, für die anderen Gegenkultur und Interventionsmittel.  Die Akademie einer anderen Stadt, Kunstplattform der IBA Hamburg von 2009 bis 2011, hat sich mit den Veränderungen der urbanen Gesellschaft auseinandergesetzt und  Kunstprozesse quer durch Stadträume und Institutionen initiiert, die einfache Oppositionen und Verwertungserwartungen unterlaufen. In der Publikation „Kunst einer anderen Stadt“ können sie nacherlebt und reflektiert werden.
Buchvorstellung, Screening und Gespräch zwischen Katja Aßmann (Essen), Ute Vorkoeper (Hamburg) und Andrea Knobloch (Düsseldorf), moderiert von Gregor Jansen (Kunsthalle Düsseldorf)
Dienstag, 14.02.2012, 20 – 23 Uhr
Kunsthalle Düsseldorf | Grabbeplatz 4 | D-40213 Düsseldorf
Eintritt und Räucherfisch aus Hamburg-Wilhelmsburg: 2 Euro

Kunst einer anderen Stadt / Art of Another City, 2012
Ute Vorkoeper / Andrea Knobloch (Hg.)
288 Seiten, 21 x 28 cm, deutsch/englisch, mit zahlr. farb. Abbildungen
Hardcover, Leinenband, 38,- EUR. jovis Verlag Berlin
ISBN 978-3-86859-119-4, Essays von Yvonne P. Doderer, Uli Hellweg, Andrea Knobloch,
Michaela Ott, Ute Vorkoeper, Tanja Wetzel, Gesa Ziemer
http://www.mitwisser.net/system/category/2011/kunst_einer_anderen_stadt

Wozu Kunst? – Aisthesis

Mit unseren Bildstrecken zum Rundgang der Düsseldorfer Kunstakademie 2012 sind wir in den letzten Tagen sehr bildlastig geworden. Nicht, dass wir etwas dagegen hätten, aber das Gleichgewicht soll doch auch hier gewahrt bleiben. Und so verweisen wir heute auf eine Artikelserie die bei ‚Aisthesis‚ unter dem Titel ‚Wozu Kunst?‘ im vergangenen Jahr erschienen sind.

Natürlich wissen auch wir, dass eigentlich schon der Verweis auf die, sich hinter den nachfolgenden Links verbergende, Textmenge in diesem Medium eine Zumutung ist. Aber wir möchten Ihnen gerne etwas zu muten, weil wir fest davon überzeugt sind, dass sie das abkönnen und Dieter Bohlen hier nicht mit liest.
Nehmen Sie sich also am Wochenende einfach mal etwas Zeit und widmen sich den Texten dort, es lohnt sich (so wie im übrigen der gesamte Blog). Denn die Frage ‚Wozu Kunst?‘ ist auch im Kontext der großen Schau an der Düsseldorfer Akademie, welche den Betrachter zu Weilen alleine schon durch die riesige Menge an Exponaten zu erschlagen droht, von Interesse.
Wir wünschen den tapfersten Lesern unter Ihnen auf jeden Fall viel vergnügen bei der Lektüre und gratulieren bei dieser Gelegenheit auch gleich mal Blog und zugehörigem Autor Bersarin zum 3-jährigen Diesntjubiläum.

Teil 1 – Wozu Kunst? – 30.04.2011
Wozu Kunst? (Teil 2) – Das unendliche Kreisen um das Ende – Apokalypse Now (Part 1)12.05.2011
Wozu Kunst? (Teil 3) – Das unendliche Kreisen um das Ende – Apokalypse Now (Part 2) – 20.06.2011
Wozu Kunst (4) – Interludium, die Tonspur zum Sonntag25.06.2011
Wozu Kunst? (5) – Noch einmal: Hegel22.07.2011
Wozu Kunst? Zu Walter Benjamins „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ (1) – 08.08.2011

 

 

 

RUNDGANG DER KUNSTAKADEMIE DÜSSELDORF 2012 – Teil III: Sirin Simsek

Tag 2 des Rundgangs: Mittlerweile hängt alles wie es hängen soll. Während der letzte Müll entfernt wird, werden die ersten Prüfungen absolviert. Es läuft alles so schmerzlos und unspektakulär, so schnell. Das Haus ist voll und warm, ein klares Licht dringt hinein und die Volumen sind noch überschaubar. Die ganze Aufregung verflüchtigt sich allmählich. Die besonders forsche Fraktion der Studentenschaft hat schon einen Kater von der gestrigen Eröffnung und kultiviert ihn ostentativ. Hysterische Gelächter in den Gängen; warme Umarmungen und kalter Prosecco am frühen Morgen; benebelte aber selbstbewusste Blicke, die offensichtlich einstudiert wurden. Es ist der besonnenste Tag des gesamten Rundgangs. In 24 Stunden stürmen die Massen das Gebäude an der Eiskellerstraße. Dann ist es nur noch komisches Theater am Tag, hektische Party in der Nacht. Wir werden es nicht erleben; wir konzentrieren uns auf die Arbeit. Die Fotografin Sirin Simsek hält für uns alles fest.

Bilder: Sirin Simsek

 

KLASSE MARTIN GOSTNER

Melike Kara

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Preparing for Zürich – Postdada

Seit einiger Zeit stehe ich über Facebook und Twitter mit Philipp Meier in lockerem Kontakt. Philipp ist Co-Direktor des Züricher Cabaret Voltaire, dem legendären Geburtsort der Dada-Bewegung und nun erneut einer der quirligsten Orte der Welt. In den nächsten Tagen werden wir mit ihm ein Interview über postdada, occupy und die aktuellen Aktivitäten des Cabaret Voltaire über facebook machen. Natürlich werden wir das Gespräch im Anschluss daran auch hier veröffentlichen, interessierte Leser werden den Verlauf quasi live auf der facebook-Seite der Cabaret Voltaire verfolgen können.

Zur Einstimmung auf unser Vorhaben gibt es hier schon mal ein Portrait über Philipp, das Cabaret Voltaire und die von Knowbotic Research entwickelte Figur MacGhillie.

Produziert von theavantgardediaries.com.

RUNDGANG DER KUNSTAKADEMIE DÜSSELDORF 2012 – Teil II: Krischan’s Choice

Bevor die Bestandsaufnahme des diesjährigen Rundgangs fortgeführt wird, schieben wir eine feine Auswahl von Atmos von Christian Ahlborn (der übrigens das Titelbild des vorletzten Beitrags geliefert hatte). Der Autor und Fotograf liefert einen persönlichen Blick auf das kleine Ereignis in der Kunstakademie – die erste Reihe von Bilder wurde am Montag Vormittag realisiert, als der Rundgang noch nicht offiziell eröffnet war und die Präsentation teilweise noch nicht fertig stand; die zweite Bildfolge entstand während der regulären Öffnungszeit.

Bilder von Christian Ahlborn (Düsseldorf)

Teil 1: Vor dem (An-)Sturm

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Die Nordkaap Tour macht Station bei Jack in the Box

Das Projekt Nordkap tourt seit 2011 durch Europa und behandelt das Phänomen des Populismus. Nach München und Istanbul war das Projekt am 3. und 4.2. in Köln zu Gast, bevor es dann nach Lissabon und Budapest weiter geht. Gastgeber in Köln war JACK IN THE BOX, ein gemeinnütziger Verein für Entwicklung und Erprobung innovativer Modelle der Beschäftigungsförderung, mit Sitz auf der Brache des ehemaligen Güterbahnhofs Köln-Ehrenfeld. Weitere Infos dazu gibt es hier.

Die Infos zum Nordkap-Projekt selber befinden sich auf der Projektwebseite www.noordkaap.org.
Mit dabei sind:
Arturo Hernández Alcázar (Mexico City), Hans van den Ban (Amsterdam), Nada van Dalen (Dordrecht), Dan Dryer (Cologne), Foundland (Amsterdam), Fabian Hesse (Munich), Oliver Kunkel (Cologne), Daan den Houter (Rotterdam), Filippo Minelli (Brescia), Federico D’Orazio (Den Bosch/Bangkok) and Art van Triest (Utrecht).

Nordkaap in Köln
zu Gast bei JACK IN THE BOX,
Vogelsanger Straße 231,
50825 Köln-Ehrenfeld

3.2./4.2.2012

http://www.noordkaap.org

RUNDGANG DER KUNSTAKADEMIE DÜSSELDORF 2012 – Teil I: Bestandsaufnahme

Offiziell wird er am 8. Februar eröffnet. Wir waren aber schon da und haben das Ereignis wie im letzten Jahr dokumentiert. Gewissenhaft und methodisch, haben wir uns Klasse für Klasse durch die vier Ebenen der Düsseldorfer Kunstakademie gearbeitet und die Produktion der Kunstaspiranten fest gehalten. Dass es trotz unserer Vorliebe für die Systematik nicht alle studentische Arbeiten auf dieser Seite geschafft haben,  dürfte nicht überraschen – das Material ist so zahlreich, dass wir eine kleine Auswahl treffen mussten. Diese richtet sich übrigens nicht nach sachlich-qualitativen Kriterien sondern nach Bock drauf/kein Bock drauf. Dieses Jahr erhöhen wir jedenfalls den Takt, schießen mehr Bilder denn je und fügen sogar die Namen der Urheber dazu. Wer seine Arbeit (oder die eines Kollegen/Freundes) erkennt und dabei feststellt, dass der Name fehlt, kann sich bei uns melden und die Lücke füllen. Zu gewinnen ist ein ermäßigter Eintritt ins Fantasialand (gilt nur für Kinder unter 12 Jahren und nur bis zum 15. Februar).

Die Reihe beginnt heute mit Aufnahmen von Emmanuel Mir, exzellenter Redakteur aber mittelmäßiger Fotograf, und geht in den nächsten Tagen weiter.

 

KLASSE RITA MCBRIDE

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Gerhard Franken im Parkhaus Malkasten

Dass die kurz anberaumte und rasch durchgeführte Ausstellung von Gerhard Franken für Irritationen sorgt, liegt an der Natur seiner Arbeit, bzw. seiner Disziplin. In einem Ort, in dem ausschließlich künstlerische Positionen ausgestellt werden, hat der Objektdesigner seinen letzten Kreationen präsentiert und damit bewiesen, dass die in Deutschland so konsequent durchgezogene Abschottung zwischen den Bereichen der Kunst und des Designs keine Fatalität ist.

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

Die Irritation befällt vor allem den kunstaffinen und gut informierten Ausstellungsbesucher, der seit ein paar Jahren immer wieder mit Werken konfrontiert wird, die die Grenze zwischen freier und angewandter Kunst ausloten. Bildende Künstler wie Tobias Rehberger, Olaf Nicolai, Gerold Miller oder Erika Hock (die alle im Kunstbetrieb agieren und von dem Subsystem „Zeitgenössische Kunst“ anerkannt und legitimiert werden) streifen schon seit längerer Zeit an der Seitenlinie ihres Terrains und wagen Ausflügen in das Design-Feld. Ein Frevel.

Wenn man den kleinen Raum im Parkhaus betritt, glaubt man zunächst, mit einem diesen Spieler zu tun zu haben. Ist Gerhard Franken ein Künstler, der den Disziplinmix sucht? Hier hat er jedenfalls zahlreiche Stehlampen und außergewöhnlich geformte Glasflaschen auf dem Boden ausgebreitet, zwei Holzmodule dazwischen gestellt und Leuchten an die Decke gehangen. Angesichts der gelungenen Raumokkupation und der skulpturalen Gesamtwirkung, denkt man also an eine Installation, die die erlesene Sphäre des Designs aufgreifen würde. Wenn man die weichen, organisch-abstrakten und taktil ansprechenden Formen genossen hat, sucht man die Ironie, die Dekonstruktion, die Kritik oder das Zitat – aber nichts dergleichen ist hier zu finden.

Dass es sich im weitesten Sinne um eine Produktpräsentation und nicht um eine Kunstausstellung (der kategoriale Unterschied ist m. E. sowieso sehr dünn) handelt, versteht man erst, wenn man die Preisliste entdeckt hat. Die Sideboards Rag Bon und die Dong-Lampen sind seriell angefertigte Gebrauchsgegenstände, die einzeln gekauft werden können. Die Farbpalette ist dekorativ motiviert – und nicht expressiv. Wenn du auf den Knopf drückst, geht das Ding an. Anfassen darf man. Ja, aus der Flasche lässt sich hervorragend trinken. Also: es ist keine Kunst. Danke für die unnötige Information.


Gerhard Franken hat Produktdesign in Arnheim studiert. Dies erklärt möglicherweise seine Nähe zur Bildenden Kunst. Das dutch design, erzählte er mir, sei viel offener, spielerischer und freier als das deutsche, das seinerseits sehr industriell geprägt ist. Während deutsche Designer sich auf Normen und Massenproduktion konzentrieren, gehen die Niederländer persönlicher und fantasiereicher an ihre Objekte heran. Die Beziehung zwischen Produktdesign und Kunst erweist sich dadurch als porös – und dies ist in der Arbeit von Franken deutlich sichtbar. Hier wird zwar Vielfalt angeboten, aber die Produktlinie bleibt homogen und die Handschrift des Schöpfers ist sofort erkennbar. Die Lampen aus Aluminium, die teilweise sandgestrahlt und eloxiert werden, sind wie kleine Lichtskulpturen mit einem unleugbaren Retro-Touch. Die Sideboards wirken ihrerseits strenger und sind in ihrer Funktion offen: Die universellen Ablagen, die Neo-Neo-Geo-Skulpturen evozieren, passen sich jeder Fantasie des Verbrauchers an.


Franken, der bald einen Lokal in Bilk eröffnen wird („Bonjour tristesse“) erwähnte die Schwierigkeiten, seine Arbeit in der Kunststadt  zu präsentieren. Karl Heinz Rummeny hatte den Ausstellungsvorschlag wohlwollend akzeptiert und sich zugleich davon distanziert – die Produkte eines Designers passten nicht in sein Programm. Der Verantwortliche des Parkhaus musste jedoch ein wenig Überzeugungsarbeit bei dem Malkasten-Vorstand leisten, denn die Künstlerschaft zeigte sich sehr zurückhaltend und fand Frankens Projekt einfach „zu kommerziell“. So porös wie in den Niederlanden sind die Grenzen zwischen Kunst und Design hierzulande nicht.

Bonjour Tristesse – Formgebung
im Parkhaus Malkasten
22-29.1.2012
Sonntags v. 15-19 Uhr
Bei vimeo ist auch ein Film zu sehen.

KNAPP DANEBEN IST AUCH VORBEI in der Walzwerkstraße

Hat der einsame, selbstbezogene und allmächtige Kuratorenheld ausgedient? Spätestens seit der Manifesta 8 hat sich das Kuratorenkollektiv in der freien Kunstszene etabliert. Die Veranstaltung in Murcia hatte letztes Jahr drei verschiedene Kuratorengruppen eingeladen, mit dialogischen und nicht-autoritären Ausstellungsformen zu experimentieren. In Düsseldorf werden kleinere Brötchen gebacken – immerhin ist die aktuelle Ausstellung im Untergeschoss der Sammlung Philara von einem Kuratorinnenduo konzipiert worden: Stefanie Ippendorf und Claudia Jansen.

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

Die zwei Damen, die unter dem Label „Die Ausstellungsmacherinnen“ auftreten, haben für ihre erste gemeinsame Show einen schönen, griffigen Titel gefunden. „Knapp daneben ist auch vorbei“ heißt die Präsentation der sechs Positionen im White Cube der Philara. Dank ihrer Kontakte in Düsseldorf und Berlin haben es Ippendorf und Jansen geschafft,  einige, bekannte Namen wie John Bock und Achim Duchow oder aufsteigende Nachwuchskünstler wie Jan Brokof zu gewinnen. Sie haben eine kompakte und gleichzeitig klare Ausstellung geliefert, die, wie der Titel erahnen lässt, die Thematik des Scheiterns verarbeitet.

Die Präsentation eröffnet mit Jan Brokof, der im letzten Jahr im Museum Folkwang aufgefallen war und sich mit DDR-Motiven auseinandersetzt. Mit z. T. monumentalen Holzdruck-Arbeiten rekonstruierte er bisher die subjektiv erlebte Volksdemokratie und untersuchte Aspekte ihrer populären Kultur. Hier tritt er kürzer und liefert eine Wand voller übermalter Druckerzeugnisse. Es handelt sich um Titelblätter aus der Berliner Boulevardpresse, die die alten Ost-West-Ressentiments aufrecht erhalten („Kein Job, weil sie Ossi ist“; „Viele Wessis sind dumm und arrogant“).

Jan Brokof: Ostern/Western (2009-2011)

 

Die Stereotypen des netten, aber unbeholfenen Loser-Ossis treffen da auf die Stereotypen des arroganten und herzlosen Winner-Wessis. In diesem Tagebuch der gewöhnlichen deutsch-deutschen Dumpfheit hat Brokof die Blätter übermalt und damit die Aussagen unterstrichen.

Shahram Entekhabi

Unmittelbar neben Brokoff laufen drei Videomonitoren mit Arbeiten von Shahram Entekhabi. Der gebürtige Iraner tummelt sich seit Jahren in Berlin und spielt dort mit den Klischees, die an seiner verdächtigend orientalisch wirkenden Gestalt hängen. In seinen Aktionen auf offener Straßen, in denen er als Islamist in voller Montur erscheint (mit obligatorischem Bart, Hut und Rosenkranz), irritiert Entekhabi zeitweise die Berliner Geschäftigkeit.

Shahram Entekhabi: Miguel (2005) Bild: Entekhabi

Obwohl der gute Mann eigentlich nichts anderes tut als herumzustehen (vielleicht aber gerade deshalb) erntet er misstrauische Blicke und leicht besorgte Mienen. Die versteckte Kamera, die das lakonische und leicht desorientierte Umherschweifen des Künstlers registriert, entlarvt ebenso die sanfte Hysterie seiner Nachbarn.

Petra Warrass: o.T. (2001-2004). Bild: P. Warrass

Die konzeptuellen Fotografien von Petra Warrass sind die Enttäuschung der Ausstellung. Die Serie „Da sitz ich so, ganz harmlos“ zeigt Bilder von stolpernden Frauen, kurz vor oder nach ihrer unsanften Landung. Die Modelle erinnern an unbeherrschte und hilflose Puppen, gesteuert von höheren physischen Gesetzen. Aber weil sie gestellt sind (und zwar ziemlich schlecht), wirken die Aufnahmen undynamisch und spannungsfrei, und liefern der Thematik des Scheiterns eine ziemlich platte Illustrierung. Die Inszenierung des Sturzes ist so fadenscheinig, dass man einen konzeptuellen Hintergrund vermutet – möglicherweise ebenso verborgen und nebulös wie das Konzept der benachbarten Serie „Wir sind die anderen“, das unnötig verklausuliert und schlicht unlesbar daherkommt.

Vlado Velkov: How to Make an H-Bomb (2007)

Gegenüber der Arbeiten von Warass entdeckt man die Installation von Vlado Velkov. Diese besteht aus einer Anleitung zum Bau einer Atombombe, die den bulgarischen Künstler im Internet gefunden und akribisch kopiert hat. Dazu ein paar Gegenstände und Stoffen, die für die Bastelaktion notwendig sind, und eine große Plastik, die an einem überdimensionalen Schwamm oder eine Wolke erinnert – und eigentlich ein umgedrehter Atompilz sein soll. Dass Velkov den Betrachter in die verbotene und gefährliche Welt des Terrorismus auf konkreter Weise transportieren will und mit der (wenn auch hypothetischen) Realität der Bedrohung spielt, ist klar. Was seine skulpturale Geste in diesem Kontext aber bedeutet, lässt sich nicht auf Anhieb erschließen.

John Bock: Skipholt (2005)

In einem separaten Raum wird John Bocks Skipholt projiziert. In diesem in Island realisierten Film verwandelt sich der Performer in einen abgedrehten Alexander von Humboldt auf Forschungsreise, der, nachdem er auf einer verlassenen Insel gelandet ist, skurrile Bemessungen und pseudowissenschaftliche Experimente durchführt. Diese Parodie der modernen Entdeckungs- und Eroberungsreise, allein getragen von der ausgedehnten Performance von Bock, der, wie gewohnt, den Betrachter  in seine selbstreferenzielle und geschlossene Welt mitzieht, ist köstlich und an sich Grund genug, nach Reisholz zu fahren.

Achim Duchow

Schließlich muss noch Achim Duchow erwähnt werden. Der früh verstorbene Assistent von Sigmar Polke, unverständlicherweise in Vergessenheit geraten, ist mit zwei Bildern und einer kleinen Installation vertreten, die alle Merkmale seiner Kunst tragen: Ironie, Humor und Eklektizismus. Seine kritischen und bissigen Kommentare der Kunstwelt, seine assoziative Herangehensweise und seine Vorliebe für Form- und Ideenrecycling sind postmoderne Zeugen aus einer anderen Zeit, die im Rahmen dieser Ausstellung keineswegs deplatziert und noch weniger datiert wirken. Ein guter Griff!

Die Ausstellung ist schnell erfasst; die Positionen in der Regel flüssig und logisch artikuliert – und die weniger nachvollziehbaren Übergänge bieten einen guten Rhythmuswechsel. Aber die solide kuratorische Arbeit bewirkt letztendlich keine große Überraschung. Und lässt eine tiefergehende und originelle Auseinandersetzung mit dem Thema vermissen. Abgesehen von der Tatsache, dass manche Arbeiten (z.B. die von Bock oder Velkov) keine offensichtliche Verbindung zum Sujet unterhalten, ist Ippendorfs und Jansens Auffassung des Scheiterns von ironischen, grotesken und/oder absurden Momenten beherrscht. Die existentiellen, tragischen Aspekte des Misserfolges treten hier nie direkt zum Vorschein und der enge Bezug des Scheiterns zur kreativen Produktion (das Scheitern als Grundbedingung des Erfolgs, als notwendige Etappe im Prozess des Suchens) wird nie angerissen. Der Titel gibt den Ton an: Es ist eine gute-Laune-Ausstellung, die sich auf unbekümmerte und leichte Weise an einem schwerwiegenden Sujet nähert. Eine kuratorische Entscheidung, die zumindest klar und bewusst getroffen wurde.

Claudia Jansen und Stefanie Ippendorf
Knapp daneben ist auch vorbei bei Philara
Philara Sammlung Zeitgenössischer Kunst
Walzwerkstraße 14, Düsseldorf-Reisholz
14.01.2012–29.01.2012
knappdanebenistauchvorbei

Zachary Formwalt bei Volker Bradtke

Nachdem das Trio des Künstlerprojektes Volker Bradtke gezwungen wurde, seinen Show-Room auf der Birkenstraße zu räumen, hat es 300 Meter weiter auf der gleichen Straße einen neuen Laden gefunden. In diesem kleineren und klareren Rahmen haben sich die Ausstellungsmodule von Christian Odzuk erübrigt; die erste Ausstellung am neuen Standort kommt mit den originalen Wänden zu Recht.


von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

© Bild: Zachary Formwalt

Und erneut handelt es sich um eine konzeptuelle Position. Der US-Amerikaner Zachary Formwalt, der bisher einige, wenige Ausstellungen in Italien, den USA und der Schweiz hatte, beschäftigt sich in seinen Video- und Fotoarbeiten mit den langfristigen, meistens unsichtbaren Mechanismen und Folgen des Kapitalismus. Er betrachtet dabei die aktuellsten Entwicklungen in der Weltwirtschaft, registriert ihre Auswirkungen auf den Feldern der Technik und der Kultur und verbindet seine Beobachtungen mit Lektüren von Karl Marx oder von Klassikern der Fotogeschichte.

© Bild: Zachary Formwalt

Bei Volker Bradtke zeigt er Unsupported Transit, eine 14-minutige Videoarbeit, die in Shenzhen gedreht wurde. Die Stadt bekam Anfang der 1980er Jahre den Status einer Sonderwirtschaftszone und hat sich seitdem zu einer der dynamischsten Metropolen Asiens entwickelt. Sie zieht Investoren aus der ganzen Welt an und gilt als die Stadt mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen in China. Von Shenzhen ist aber wahrlich wenig zu sehen in Formwalts Arbeit. Diese Megalopole gewordene Utopie des entfesselten Neoliberalismus, die Milton Friedman und seine Anhänger in Entzückung versetzt haben muss, ist bloß die Hintergrundinformation des Videos. Sie dient als semantische Kulisse, als symbolträchtiges Bühnenbild eines kurzen Monologs, verfasst und gelesen vom Künstler.

© Bild: Zachary Formwalt

In diesem Text geht Formwalt zunächst auf die klassische Anekdote zum Fotografie-Pionier Edward Muybridge ein, als dieser 1872 beauftragt wurde, ein galoppierendes Pferd aufzunehmen. Dank eines Spezialverfahrens erbrachten Muybridges Bilder den Beweis, dass die These des sog. „unsupported transit“ stimmte, also dass ein galoppierendes Pferd zeitweise kein Bodenkontakt besitzt und sich im Schwebezustand befindet. Muybridge war es gelungen, den ansonsten unsichtbaren Abschnitt eines Bewegungsablaufs fest zu halten und die Dynamik einer Vorwärtsentwicklung, die die Fähigkeiten menschlicher Augen übersteigt, einzufrieren. Sein Auftraggeber, der Railroad-Tycoon Leland Stanford, hätte neben dem Bild des trabenden Pferdes gern noch ein zweites gehabt. Es sollte ein Foto werden, auf dem man Züge sehen würde, beladen mit Gold und Silber aus allen Minen des Landes und in alle Himmelsrichtungen zirkulierend; weiterhin der Golden Gate,  Handelsschiffe auf ihrem Weg nach Asien und die große kommerzielle Flotte Amerikas in indischen Gewässer. Also: Die fantastische Vision eines Kapitalisten, der die Welt zu einer reinen Plattform des entgrenzten Austausches macht. Dass ein Bild dieser kosmogonischen Ausmaße (das übrigens die Alexanderschlacht von Altdorfer evoziert) damals nicht machbar war – auch nicht für Muybridge – spricht von selbst. Die Sehnsucht einer Visualisierung der Warenströme war jedenfalls formuliert.

© Bild: Zachary Formwalt

Beinah zeitgleich mit der Entwicklung von Muybridges fotografischen Verfahrens, bemerkte Friedrich Engels im Vorwort einer Ausgabe des Kapitals von Karl Marx, dass das Gesicht  des Kapitalismus sich verändert hatte. Die Bewegung von Kapital auf den Weltmärkten war wichtiger als die Produktion von Ware geworden. Geld generierte Geld und damit verlor der Kapitalismus an Sichtbarkeit und Erfahrbarkeit. Die Fotografie war also in der Lage, physische Phänomene in ihrer Dynamik zu fixieren; die Dynamik des Kapitalismus entging ihr allerdings vollständig. Die Videoaufnahmen von Zachary Formwalt, die den Bau der neuen Börse in Shenzhen im Zeitraffer (eine Technik, die übrigens von einem Bankangestellten kurz nach dem Krach von 1929 entwickelt wurde) zeigen, knüpfen an diesen Punkt an. Die lange Belichtungszeit lässt die Arbeiter, die an der Errichtung der kolossalen Börse beteiligt sind, wie gespenstige Wesen erscheinen. Transparente und substanzlose Schatten, die keine Spuren hinterlassen werden. In einer Metapher der Immaterialität und der Unsichtbarkeit bringt Formwalt die Reflexion über die Geschichte seines bevorzugten Mediums mit Tendenzen der herrschenden wirtschaftlichen Ordnung zusammen. Er kommentiert nicht, moralisiert noch weniger, sondern webt interessante (z.T. auch ein wenig weit hergeholten) Verknüpfungen zwischen heterogenen Erscheinungen.

© Bild: Zachary Formwalt

Trotz ihres konzeptuellen und gar gelehrten Charakters, bleibt die Arbeit sinnlich anspruchsvoll und dies dank der makellosen Bilder von Formwalt und ihren langsam-melancholischen Rhythmen. Gewiss handelt es sich hier um ein Video, das einiges vom Betrachter fordert und, um die komplexen und intellektuellen Zusammenhänge zu begreifen, eine Beherrschung des Englischen voraussetzt – was die mäßige Akustik übrigens erschwert. Man kann froh und dankbar sein, dass Volker Bradtke Zachary Formwalt nach Düsseldorf geholt hat. Eine zweite oder dritte Arbeit auszustellen hätte aber ermöglicht, tiefer in das Gedankengut eines durchaus interessanten Künstlers einzutauchen. Mit diesem einzigen Statement kommt man ein wenig zu kurz.

 
 
Zachary Formwalt bei Volker Bradtke
Birkenstr. 128, 40233 Düsseldorf
Ausstellung v. 10.12.2011-22.1.2012
geöffnet Samstags 14-18 Uhr

Gregor Gleiwitz und Seb Koberstädt im dok25a

Er wirkt als funktionierendes Glied zwischen Institutionen und junger Szene und stellt für die einen eine Entdeckungsplattform und für die anderen ein Sprungbrett dar: Der dok25a von Tabea Langenkamp und Andreas Schön, der sich der Vermittlung junger und wenig bekannter Künstler verschrieben hat, ist einer der wenigen Off-Spaces der Stadt, in dem Galeristen und Museumskuratoren regelmäßig verkehren. Dort treffen sie auf noch nicht etablierte, aber bereits profilierte Positionen, die sich einige Freiheiten erlauben können.

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

Wie gewohnt suchen Langenkamp und Schön die Reibung. Im großen, kahlen Doppelzimmer der Düsseldorfer Straße haben sie zwei sehr unterschiedliche Künstler zusammen gebracht. Der mittlerweile in Düsseldorf regelmäßig ausgestellte Bildhauer und Installationskünstler Seb Koberstädt und der Maler Gregor Gleiwitz aus Berlin, der für die aktuelle Präsentation eine Klangarbeit realisiert hat, begegnen sich zum ersten Mal. Zu eindringlich ist die Konfrontation jedoch nicht: Die klare und sehr luftige Hängung lässt jede Arbeit atmen und ermöglicht zugleich kühne Perspektive.

Auch wenn gegenständliche Momente kaum oder gar nicht darin vorkommen, versteht Gregor Gleiwitz seine Malerei nicht als Abstraktion. Doch sind in diesen großen Formaten, die, barjedes Keilrahmens, direkt an die Wand gehangen werden, keine anderen Spuren als die des Malers zu entdecken. Breite Farbflächen wechseln sich mit nervösen Strukturen ab; oberflächliche, leuchtende Farben mit matten, flüssigen und weichen Tiefen. Kein Motiv, kein Ikon, keine Geschichte ist sichtbar – wirklich nicht? Nicht im herkömmlichen Sinne. Aber Gleiwitz operiert mit einem Begriff der Gegenständlichkeit, der deutlich feiner ist, als der übliche. Es sind nämlich Überbleibsel von Gegenständlichkeit, die sich hier manifestieren.

Gregor Gleiwitz

Das Bildist bei Gleiwitz ein Ort der aktiven Erkenntnisgewinnung – auch wenn die Suche nach Erkenntnis selbst zum fundamentalen und vordergründigen Akt erklärt wird. Das Bild ist ein Experimentierfeld, auf dem Gesten und Gedanken, Handlungen und Ereignisse ausgetragen werden. In der Tradition der Informelle , die hier nicht ohne Ironie zitiert wird, wird ein Verhältnis zur Welt auf der Leinwand geklärt. Ohne Pathos, ohne unnötige Gestikulation, ohne Manifest. Deshalb ist die Malerei von Gleiwitz so durchsichtig. Sie zeigt alle Irrungen und Wirrungen eines Menschen, der, wie er selbst sagte, auf der Suche nach Sinn ist. Diese Suche wird in den Umgang mit dem Material und dem Stoff nachgegangen; während der künstlerischen Praxis bekommt die diffuse Frage des Künstlers einen Körper und formuliert sich allmählich. Letztendlich führen die ungestillte Neugier von Gleiwitz und sein Mut, sich bei der Suche bloß zu stellen, zu einem neuen Stück Malerei.

Diese Malerei kennt kein Kalkül, keine gezwungene Strategie. Diese Malerei offeriert kein selbstverliebtes Auspacken und bietet keine ausgefallene Selbstbehauptung an. Diese Malerei entflieht den Ritualen der Virtuosität und der spektakulären Demonstration. Diese Malerei erschwert die Identifikation und generiert keine Faszination. Möglicherweise wird der (passive) Betrachter seine Probleme mit einer Malerei haben, die Weg, Frage, Prozess und intime Entwicklungsarbeit ist – und nie Ziel, Behauptung, Produkt und universale Botschaft sein will. Diese Malerei ist von einer berührenden Ehrlichkeit geprägt. Sie ist glaubwürdig und, trotz ihrer Klugheit, frisch und jung.

Gregor Gleiwitz

Seb Koberstädt bricht seinerseits Strukturen um sie neu zu artikulieren, spielt mit der Modulationskraft jeder Form und sucht die Serie und die Wiederholung. Der Modus der Assemblage dominiert seine Arbeit, wobei er auf die kulturellen Reflexe des Betrachters offensichtlich eingeht und sie programmatisch verwirrt. In einer Persiflage der Hochkultur erbaut er einen absurden Totem aus Bierflaschen und Beton, der die Helden der Moderne und der Postmoderne heraufbeschwört (Brancusi als Säufer und Sol LeWitt als Bastler; Georg Herold hätte seinen Spaß daran gehabt) und sich gar zum funktionalen und avantgardistischen Kerzenhalter entpuppt. Statisch perfekt, symbolisch offen, ästhetisch fraglich (und vor allem: fragend). Der Leuchtturm realisiert jedenfalls die Verbindung von Boden und Decke – dank des Rußes der Kerze –  und stellt den Rezipient vor unlösbare Fragen: Darf ich lachen? Ist das schön? Ist es Ironie, Verarschung oder beides?

Seb Koberstädt; © Bild: Andreas Schön

Die Sprache scheint eine große Rolle in Kobertsädts Arbeit zu spielen. Allerdings wird sie in der aktuellen Präsentation zu ihrem grundsätzlichen Zustand reduziert: zu einem Baukasten aus Zeichen, die noch nichts bedeuten und auf ihren (semantisch) sinnvollen Zusammenbau warten. In einer Fotoserie, in der er selbst erscheint – mittlerweile eine übliche Strategie des Koberstädt, der sich mal als Statist, mal als Stillleben-Element inszeniert und dabei sich neben seiner Arbeit und zugleich mittendrin befindet – sitzt er bei einer Kiste Bier und ein paar Laminatmodulen, die jeweils in einer Buchstabenform zusammen geschustert wurden. 26 Bilder reihen sich an der Wand und bilden so das Alphabet nach. Am Anfang war das Wort; aber das Potenzial der Dinge lag da noch brach und alles schien möglich zu sein. Verbinden, zusammenfügen, anreihen, stapeln, kombinieren, etc. sind die Ur-Gesten des Bildhauers. An diesen unveränderlichen Ursprung der Plastik erinnert auch Seb Koberstädt.

Seb Koberstädt; © Bild: Andreas Schön
Gregor Gleiwitz und Seb Koberstädt
im dok25a
Düsseldofer Straße 25 a
40545 Düsseldorf