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Büro für Qualifikation und Vermögen in Berlin

Die Politik jazzt die Berufsgruppe der Kreativen ja gerne mal lässig zur Creative Class hoch, denn arm ist angeblich sexy und zu viel Geld sowieso nur etwas für alte Männer oder die ganz Korrupten unter den Künstlern. Ein Leben nur für die Kunst, dazu am besten sozial verantwortungsbewusst bis zur Selbstaufgabe und ständig engagiert für eine bessere Welt, so vermitteln sich manche gerne mal das Bild des kreativ Schaffenden – inklusive der involvierten Personen selbst.

Und so bleiben die Künste sowie das Arbeiten unter dem Stern der Kreativität auch weiterhin die Falle die mit Freiheit lockt und in die manch junger Mensch begeistert hineintappt. Wer dann aber Teil der Creative Class geworden ist, lernt oft sehr zügig am eigenen Beispiel wie sich der abstrakte Begriff des Prekariats ganz konkret als Lebenswirklichkeit anfühlt – auf Dauer durchaus anstrengend und mitunter auch mal etwas zermürbend.

Früher, in der guten alten Zeit, war ein solches unbestimmtes Dasein eventuell mal cool, No-Future war immerhin Punk und Teil einer Antihaltung, die es einem erlaubte viel Zeit mit Drogen, überwiegend beschissener, dafür aber lauter Musik und wenig Gedanken an die Zukunft zu verbringen.
Wer leerstehende Häuser besetzen wollte, konnte das noch innenstadtnah in aufregenden Städten wie Hamburg oder Berlin tun und musste sich nicht in die ländlichen Brachen Ostdeutschlands oder des Ruhrgebiets zurückziehen.
Und wer auf die Unannehmlichkeiten von Hausbesetzung und Straßenpunk keinen Bock hatte, sich eher zu Glamour und Pop hingezogen fühlte, der ging eben direkt zur SPD und später dann zu Gazprom.
So einfach war das Alles in der guten alten No-Future-Zeit.

Heute, im Jahr 2012 ist No-Future eher ungewollt zum Lebensgefühl einer bürgerlichen Generation geworden, die eigentlich so gar keine Lust auf Keine-Zukunft hatte, weil nämlich eigentlich alles cool war, und auch so hätte bleiben können.
So treten an Stelle von aufregenden, persönlichkeitsbildenden Rauscherfahrungen bei gitarrenverzerrter Musik nun unbezahlte Vollzeitpraktikas in klimatisierten, coolen Lofts mit Latte-Macchiato-Koffein-Flash gratis. Aber auch wenn Mama, Papa oder die Großeltern, den Arbeitsplatz im schicken Altbau brav finanzieren, bleibt es nicht selten trotzem nur beim Danke-du-hast-Dich-super-eingebracht-und-das-Projekt-komplett-eigenverantwortlich-durchgezogen-alles-gute-für-die-Zukunft-I-Pod oder, wenn es ganz optimal läuft, beim Zeitvertrag.
Und mancher von uns redet sich gar ein, die permanente Selbstausbeutung am unteren Ende der Hackordnung wäre ja im Grunde auch so eine Art freies Unternehmertum, man müss doch nur fest genug an Sich und das Projekt glauben.
Tschacka! ruft der Kunstblogger laut.

Irgendwie merken aber doch immer mehr, daß auch unser gemeinsam inszeniertes Selbstbild und die zugehörige Wirklichkeit auseinander fallen, und so macht sich in den Coworkingspaces und Gemeinschaftsbüros Europas ganz langsam eine gewisse Irritation breit.

Aber man ist zu jung um ein wie auch immer geartetes Schicksal einfach zu akzeptieren und es widerstandslos hinzunehmen, denn noch brennt etwas in uns. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt und so werden nun verschiedenste Ansätze ausprobiert um sich und damit vielleicht auch dem Ein oder Anderen aus der Misere zu helfen.
Die Einen gründen dazu die nächste Partei, diesmal nicht in grün, dafür nun in orange. Und es soll geentert werden, was noch eine Generation zuvor, beim langen Marsch durch die Institutionen, erlaufen werden wollte. Weitere Unterscheidungsmerkmale zum bereits Etablierten erarbeitet die Basis nach dem Entern per Twitter oder Liquid-Doodle, verspricht man sich.

Andere wiederum gehen weiter und versuchen die Dinge unter dem Stichwort Do-it-Yourself selber in die Hand zu nehmen.
Wer unseren kleinen, Underground-Blog für das gehobene Prekariat kennt und etwas länger verfolgt, der weiß wahrscheinlich auch welchen Ansatz wir hier bevorzugen. Denn Selbstorganisation ist das Stichwort in einer zunehmend automatisiert verwalteten und rationalisierten Welt, in der Niemand mehr für irgend etwas zuständig, dafür aber Alles und gleichzeitig Nichts mehr geregelt ist.

In Berlin hat nun das Büro für Qualifizierung und Vermögen geöffnet, dort will man sich mit verschiedenen Projekten der Problematik des Kreativ-Prekariats annähern. In Workshops, Performances und Lectures geht es vom 19.5. bis zum 9.6. in der Eberwalswaldersraße 21 um das Thema Hilfe zur Selbsthilfe.

Mitgetragen und organisiert wird das Projekt von den Kollegen der Berliner Gazette, die das Unterfangen wie folgt umschrieben. „Sozialamt, Jobcenter, Gründerberatungsstelle: Orte, so inspirierend wie eine Zahnarztpraxis. Orte, die die in Berlin steigende Anzahl von “Kreativen” meidet – selbst wenn die Ratlosigkeit unter ihnen wächst, wie die eigene Existenz zu finanzieren ist. Doch was, wenn es ein Beratungsbüro gäbe, das von den Betroffenen geleitet wird?
Eine Selbsthilfestelle, in der die Sachbearbeiter keine realitätsfernen Maßnahmenleiter sind, sondern erfolgreiche Künstler und Sozialunternehmer. Ein Ort, an dem nicht der Geruch von Akten die Atmosphäre bestimmt, sondern der Anschein einer geheimen Bar. Willkommen im BQV, dem Büro für Qualifikation und Vermögen!“

Los ging es am 19.5. im pong mit der Lecture „Creatives like us“. Das Performancekollektiv Andcompany&Co. (@Alexander Karschnia, Nicola Nord, sascha sulimma) fragte in seinem Lecture Concert anlässlich der Eröffnung des BQV: Wie könnte ein Kommunismus der Kreativen aussehen? Oder eine Gewerkschaft der prekären kreativindustriellen ArbeiterInnen weltweit?

Und mit glühenden Textfragmenten und Disco-Sounds wurde mit der Installation die roten Fahnen! des Künstlers Johannes Paul Raether (@Jean Paul Ratier) im BQV der kommende Aufstand in den Fabriken der Kulturindustrie beschworen.

Am 26. Mai ging es unter dem Titel „Knirpsschweinchen-Kickstarter“ um das Thema Crowdfunding, im Rahmen der Veranstaltung ging man diesen Fragen gemeinsam mit Tim Pritlove (Podcaster), Anna Theil (Crowdfunding-Coach) und Karsten Wenzlaff (Medienforscher) nach.
Anna Theil, eine der Teilnehmerinnen hat dazu in der Berliner Gazette einen Artikel geschrieben, in dem sie einen Überblick über das Phänomen Crowdfunding und über den damit Verbundenen Hype, sowie über die Potentiale dieser Idee gibt.

Weitere Veranstaltungen sind

  • 02. Juni | „Sound & Dance Space Measurements“ | 18 Uhr
  • 09. Juni | „Volksbegierden Totale Rekonstruktion“ | 18 Uhr
  • 19. Mai | „Prekär/Produktiv“ | 14 Uhr
  • 26. Mai | „Fans finanzieren Kultur“ | 14 Uhr
  • 02. Juni | „Sozialarbeit Reloaded“ | 14 Uhr
  • 09. Juni | „Was wollen wir vom Staat?“ | 14 Uhr

Alle Infos zu den einzelnen Projekten gibt es auf den Seiten der Berliner Gazette unter
http://berlinergazette.de/seminar/projekte/bqv/

Büro für Qualifikation und Vermögen (BQV) in Berlin
19.5. bis zum 9.6.2012
Eberswalderstraße 21 / Prenzlauer Berg

Alle Bilder by Andi Weiland via @ohrenflimmern und fb