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Merle Forchmann bei damenundherren

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

 

Zahlreiche Artikel oder TV-Reportagen haben bereits darüber berichtet, nun findet das Thema eine künstlerische Verarbeitung: Die Umsiedlung eines ganzen Ortes – Otzenrath, bei Jüchen – ist Gegenstand einer Fotoserie von Merle Forchmann. Seit Dekaden weitet sich dort das Abbaugebiet Garzweiler unaufhörlich aus und schluckt stetig neue Landschaftszüg. Dass wertvolle Biotopen, denkmalgeschützte Gebäude oder Menschen sich auf dem begehrten Gelände befinden, spielt keine Rolle. Sie haben zu weichen. Einmal abgesehen von der ökologischen Irrelevanz des gesamten Projektes, lässt der Brennwert der in Garzweiler abgebauten Kohle zu wünschen übrig. Trotzdem scheint sich der Aufwand einer Umsiedlung für den Tagebaubetreiber Rheinbraun und für RWE zu lohnen. Diese Umsiedlung hat Forchmann in Otzenrath begleitet.

Alles fing für sie eher unspektakulär an: Während ihrer Ausbildung zu Fotografin erhielt sie die Aufgabe, Aufnahmen des Ortes zu realisieren. Aus einer Übung wurde ein einjähriges Projekt, das die Grenzen der klassischen Fotoreportage sprengt. Die Künstlerin hat sich regelmäßig mit den Otzenrathern getroffen, hat mit ihnen gesprochen, sich die Geschichten der Enteignung aus verschiedenen Perspektiven angehört. Ist zu verschiedenen Zeitpunkten durch die Straßen gegangen um die Umgebung zu inspizieren. Hat verfolgt, wie aus einem lebendigen Dorf eine gespenstige Kulisse wurde. Daraus ist eine knappe Reihe von ca. 15 Motiven entstanden.

Es sind die letzten Einwohner des Ortes, die hier porträtiert werden. Diejenigen, die sich noch nicht in Neu-Otzenrath eingerichtet haben – und sich nicht mit den neuen Umständen abfinden wollen. Nein-Sager und Widerstandkämpfer in eigener Sache. Diese Menschen stehen in ihren Häusern und warten auf die Abrissbirne. Das Prekäre ihrer Situation ist dabei nicht sofort erkenntlich. Die Porträts könnten etwas Heroisches bewirken; sie könnten aber auch im Gegenteil das Zerbrechliche und Dramatische der Situation unterstreichen. Forchmann entscheidet sich aber für einen dritten Weg; sie nimmt den unaufgeregten, zugleich distanzierten und menschlichen Weg. Ohne viel Pathos behaupten sich diese letzten Bewohner, mal stolz und entschlossen, mal leicht desorientiert und unsicher, in ihrer natürlichen Umgebung. Sie sehen aus wie meine und deine Nachbarn, strahlen auf den ersten Blick Normalität aus. Halten sich an ihrer Welt fest.

Dabei löst sich diese Welt auf. Das auch ist Bestandteil der Serie. Während Einige Wenige vergeblich um einen Status Quo kämpfen, sind die ersten Spuren der Veränderung bereits sichtbar. Ergänzend zu den Menschenporträts hat Merle Forchmann die unheimliche Stille der Fassaden, der verlassenen Häuser und der wieder wild gewordenen Vorgärten festgehalten. Sie hat die Leere portraitiert. Die Flucht. Sie hat das Ergebnis einer empörenden, wirtschaftsbedingten Entscheidung dokumentiert, die eine Gemeinschaft aussterben lässt und Geschichte, Natur und Menschen behandelt, als ob es um Mobiliar ginge.

Aber auch in diesen Ding-Porträts bleibt die Präsenz der Künstlerin unaufdringlich. Forchmann möchte offensichtlich keineswegs in die Fußstapfen der sog. Becher-Schule treten und ihre Bilder sind zu suggestiv und erzählerisch, um das Prädikat „sachlich“ zu erhalten, hält sie ihre Sujets auf Distanz. Eine verhaltene Distanz, die nicht übermäßig kühl, kalkulierend und systematisch wirken möchte. Forchmann ist die unbeteiligte Beobachterin, die uns die Geschichte dieser Menschen und dieses Ortes beschreibt. Und die Geschichte ist wichtiger als eine stringente formale Linie. Daher ist „Otzenrath“ eher in der Kategorie des investigativen Fotojournalismus als in der konzeptuellen Fotografie einzuordnen.

Die Ausstellung schließt die kleine Reihe „Heimat“ bei damenundherren ab, die verschiedene Aspekte dieser verfrachteten Thematik behandelte. Ihrerseits führt Forchmann, die sich in ihren Fotos mit (z.T.) harten menschlichen Schicksalen auseinandersetzt, ihre dokumentarische Arbeit weiter. Ihre aktuelle Serie befasst sich mit minderjährigen Flüchtlingen.

 

Merle Forchmann: „Otzenrath“
damenundherren e.V.
Oberbilker Allee 35
40215 Düsseldorf
Ausstellung v. 10-31.5.2012
Am 30. Mai wird noch eine Gesprächsrunde zum Thema Heimat stattfinden.