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Ian Wallace bei Volker Bradtke

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

 

Dass die Legende der konzeptuellen Fotografie, die die kanadische Kunstszene der 60er und 70er Jahren prägte und Referenzen wie Jeff Wall oder Stan Douglas ausbildete, sich auf eine Ausstellung in dem kleinen Raum auf der Birkenstraße einlässt, mag zunächst erstaunen. Aber nach der Präsentation von (relativen) Größen wie Keren Cytter oder Mark Lewis, muss man sich hier nicht mehr wundern. Adam Harrison, einer der drei Köpfe von Volker Bradtke, hatte wieder seine Finger im Spiel: Wie Wallace stammt Harrison aus Vancouver und hat bei seinem Mitbürger wohl gute Überzeugungsarbeit geleistet.

Der fotografische Ansatz von Ian Wallace ist zwar streng konzeptuell, jedoch nie vollständig von sinnenhaften Komponenten befreit. Das Anekdotische findet hier seinen Platz neben dem medienkritischen und autoreflexiven Diskurs. Zur grundsätzlichen Befragung der Realität, bzw. der Bildrealität, wendet der Künstler diverse Strategien an, wie die Dekontextualisierung von Bildelementen (meistens durch Cut und Paste), das irritierende Wiederaufgreifen von Motiven in verschiedenen narrativen Kontexten und die Sichtbarmachung der technischen und sozialen Bedingungen der Rezeption von Fotografie. Dieser dekonstruierende Impetus kommt jedoch – wie eine vergangene Ausstellung im Kunstverein Düsseldorf gut gezeigt hat – selten trocken und schulmeisterlich daher, sondern entfaltet teilweise eine mitunter schmeichelnde formelle Vielschichtigkeit.

Die Ausstellung bei Volker Bradtke besteht aus zwei Arbeitsblöcken. Ersterer ist schnell erfasst und überrascht nicht besonders, ja, ist in seiner konzeptuellen Arglosigkeit sogar ein wenig enttäuschend. Eine Ausgabe des Sterns wurde auseinander genommen, jedes Blatt an die Wand gehängt und nach Wallaces Anweisungen aneinander gereiht. Diese Ausbreitung der Zeitschrift bewirkt eine Entfaltung des DIN A4-Objektes in der Fläche, kehrt sozusagen die Vertikalität seiner Struktur in eine Horizontalität um und verwandelt die lineare Zeitdimension seiner Wahrnehmung in eine simultane Erfassung. Hier scheint man an die historischen Wurzeln der Concept Art zurück gekehrt zu sein – und in der Tat ist die Arbeit bereits 1970 entstanden.

Im Nebenraum erweist sich der zweite Arbeitsblock deutlich komplexer und spannender. Hier hat Wallace mittelgroße Scans seiner, in den Jahren 1969 bis 1971 realisierten Fotografien nach einer klar vorgegebenen Ordnung hängen lassen. Die Bilder scheinen aus der Hüfte geschossen zu sein; es sind offenbar wahllos entstandene Straßen-Aufnahmen, teilweise vom Beifahrersitz eines Autos aus, oder zufällige und nichts-sagende Schnappschüsse der anonymen Menge eines Kaufhauses. Die Motive sind nicht komponiert, schlecht kontrastiert und, in ihrer erzählerischen Laschheit, irrelevant. Es sind beliebige Auszüge aus einer urbanen, westlichen Realität, die es an sich nicht verdient haben, näher betrachtet zu werden.

Ian Wallace verschiebt die ganze Aufmerksamkeit des Betrachters von den an sich unbedeutenden Motiven auf die Modi ihrer Vervielfältigung. Er überträgt das analoge Material in einer digitalen Fassung und schafft, wie in der Malerei üblich, Wiederholungen der eigenen Oeuvre. Dabei forciert er die Sichtbarkeit der vielfachen Versetzungen und Transformationen, die dieses Prozess begleiten. Weil das gescannte Bild nicht genau auf das Scannerbett passt, wird die Struktur des Papiers sowie die Materialität der Maschine wahrnehmbar. Die Körnung und Knicke des Papiers werden in die Komposition integriert und die im Hintergrund mitgescannte Klappe des Geräts, als besonders leuchtende weiße Fläche hervortretend, wird zum Bildelement gemacht.

Das Prinzip des Remix ist, wie bereits erwähnt, eine Konstante bei Ian Wallace. Und auch hier nutzt er das Selbst-Zitat als Ausgangspunkt einer Reflexion zur Originalität des Kunstwerkes und zur Veränderung seiner Natur im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Nun – Walter Benjamin konnte zwar die digitale Entwicklung der Fotografie nicht vorahnen; möglich ist aber, dass er bei dieser Re-Auratisierung des Bildes ins Grübeln kommen würde. Die Logik der technologischen Übersetzung analog-digital sieht eigentlich vor, eine dinghafte Rohmaterie in eine abstrakte Datei zu verwandeln. Aber Wallaces Arbeit besitzt die paradoxale Eigenschaft, das Original in einer reinen Information zu machen und die materiellen Eigenschaften und sinnlichen Komponente dieses Originals in seiner Wiederholung zu unterstreichen. Das Trompe-l’oeil wird also gleichzeitig produziert und entlarvt. Das vielschichtige Bild, konstruiert nach einem zu entschlüsselnden Matruschka-Prinzip, gewinnt an Tiefe, Komplexität und, last but not least, Faszinationspotenzial.

 

Ian Wallace
Volker Bradtke
Birkenstr. 128
19.5-17.6.2012
geöffnet Samstags