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Mit krimineller Energie in der Halle 14, Leipzig

von Stefanie Ippendorf (Berlin)

 

Anything goes – in der zeitgenössischen Kunst scheint prinzipiell alles möglich. Die Freiheit der Kunst wird hierzulande gar durch den Artikel 5, Absatz 3 des Grundgesetzes garantiert. Dass dies leider keineswegs selbstverständlich ist, zeigen die Verhaftungen von Künstlern wie Ai Weiwei in China oder die Festnahmen von Mitgliedern der Voina-Gruppe in Russland sowie von den als Femen bekannten, feministischen Aktivistinnen in der Ukraine. Doch auch in Ländern, in denen die Kunstfreiheit als Grundrecht betrachtet wird, ist die Kunst kein rechtsfreier Raum. Werden die Grenzen des rechtlich Erlaubten überschritten, können auch als künstlerische Aktionen gemeinte Handlungen geahndet werden. Genau diese Schnittstelle von Kriminalität und Kunst möchte die Ausstellung Mit krimineller Energie. Kunst und Verbrechen im 21. Jahrhundert in der Leipziger Halle 14 thematisieren.

Ulla Kartunen: Donna Criminale

„Was bewirken Künstler, wenn sie Tabus brechen, wenn sie repressive Gewalt in reale Aggression verwandeln oder verrückt spielen?“ lautet eine der Fragestellungen des Kurators Frank Motz. In seiner Ausstellung müssen sich nun die Installationen, Objekte, Performances, Videos, Fotografien und Dokumente  von siebzehn internationalen Künstlern auf ihre kriminelle Energie hin abklopfen lassen. Dabei ist diese Ausstellung politisch orientierter Kunst ähnlich wie die diesjährige Berlin Biennale von dem Wunsch nach und dem Glauben an das gesellschaftliche Veränderungspotential der Kunst geprägt: Eine gewisse „verrückte Kreativität“ sowohl bei Verbrechern, als auch bei Künstlern vermutend, möchte Motz mit der Ausstellung erkunden, ob „kriminelle Künstler und künstlerische Kriminelle unser Sein „nutzbringend“ verändern, ihre unkonventionelle Haltung Freiräume öffnen und Überkommenes unterwandern“ können. Kunst mit Anspruch also – aber inwiefern haben sich die in der Ausstellung vertretenen Künstler wirklich  in die Illegalität begeben?

Brock Enright Kidnapping Service

Zwar führt der Amerikaner Brock Enright mit seiner 2002 gegründeten Agentur Videogames Adventure Services sogenannte „Ordeals“, d.h. in diesem Kontext Auftragsentführungen durch, doch werden diese „Designer-Kidnappings“ stets auf den ausdrücklichen Wunsch der Kunden hin veranlasst.  Bei inzwischen über 100 gebuchten Entführungen konnten sich die sensationslüsternen Sammler dem Künstler ausliefern und sich nach Belieben fesseln, knebeln und foltern lassen. >Fightamin´s Records<, eine der aktuellsten von Enrights Aktionen, wurde am 28.4.2012 in Brooklyn umgesetzt und live nach Leipzig übertragen.

Ulla Kartunen: Donna Criminale
Ulla Kartunen: Donna Criminale

Die raumgreifenden Installation Donna Criminale: Capitalism as Religion – Market Criticism as Crime der finnische Künstlerin Ulla Karttunnen soll als Reaktion auf den Skandal, den ihre auf erotischen Internetbildern basierende Installation Virgin Whore Church 2008 in Finnland ausgelöst hatte, verstanden werden. Nicht nur musste die als Kapitalismuskritik gemeinte Installation von 2002 abgebaut werden, auch wurde Karttunnen der Kinderpornographie beschuldigt und vor Gericht verklagt. Donna Criminale besteht aus verschiedenen Komponenten wie z.B. einem von der Decke baumelnden Hochzeitskleid welches zum Boden hin in ausgerollte Toilettenpapierrollen mündet, einer mit blutrot angesprühten Hygienehandschuhen bestückten Wäscheleine, auf dem Boden ausgelegten schwarzen Müllbeuteln, in die kleine Gemälde eingebettet sind sowie einer großformatigen Plakatreihe. Mit dem Werktitel bezieht sich die Künstlerin auf den italienischen Arzt, Psychologen und Gerichtsmediziner  Cesare Lombroso, der Ende der 1870er Jahre mit seiner mehr als zweifelhaften Theorie vom „geborenen Verbrecher“ und der Behauptung, dass Verbrecher anhand körperlicher Merkmale zu erkennen seien, die Tätertypenlehre begründete. Nicht ganz schlüssig ist Karttunnens Anliegen, durch die Verwendung von Putzmaterialien auf das Elend der Putzfrauen aufmerksam zu machen, die ihr als „Prototyp eines sprachlosen, sozial niedrig gestellten und in den Augen der Gesellschaft fehlgeschlagenen Bürgers“ erscheint.

Ulla Kartunen: Donna Criminale

Dorota Alicja Nieznalska: Jewellery

Auch wenn Dorota Alicja Nieznalska ebenfalls in einen Kunstskandal verwickelt und 2002 wegen ihrer Arbeit Pasja in Polen wegen der Verletzung religiöser Gefühle angeklagt (und 2010 freigesprochen) wurde, begibt sie sich mit ihrer glamourös glitzernden Dornenkrone oder dem platt provokativem, aus Swarovskisteinchen zusammengesetzten Hakenkreuz aus ihrer Reihe der Jewellery Arbeiten nicht auf gefährliches Terrain.  Ebenso harmlos ist Florian Göttkes Fotocollage Me and Saddam, bei der Menschen zu sehen sind, die neben einer Madam Tussauds Wachsfigur Saddam Husseins posieren.

Florian Göttke: Me and Saddam

Unter die Haut gehen allerdings Anna Odells Videoarbeiten Unbekannt, Frau 2009-3409701(Die Brücke) und  Unbekannt, Frau 2009-3409701(Das Geständnis). Sie dokumentieren, wie die Künstlerin scheinbar verwirrt und suizidgefährdet, mitten im Winter nur leicht bekleidet auf einer Stockholmer Brücke herumläuft und durch den Anruf von Passanten in die Psychiatrische Notaufnahme der St. Göran Nervenheilanstalt eingeliefert, mit Medikamenten versorgt und am Bett fixiert wird. Mit ihrer Aktion wollte Odell wohl im Sinne Michel Foucaults das Konzept der Psychiatrie hinterfragen. Dass der sie behandelnde Arzt Odell jedoch anzeigte als er erfuhr, dass es sich um eine Kunstaktion handelte, ist ihm, der täglich Verantwortung für seine Patienten übernehmen muss, nicht zu verübeln.

 

Der mexikanische Künstler Antonio Vega Macotela arbeitete für das >Time Exchange<-Projekt mit echten Kriminellen zusammen und machte Tauschgeschäfte mit Gefängnisinsassen. Zwischen 2006 und 2011 nahm er Kontakt zu 350 Häftlingen auf, die Aufgaben für ihn ausführen sollten. Im Gegenzug dazu ging Macotela zum Beispiel mit der Mutter eines Insassen tanzen oder bat Familienmitglieder im Auftrag der Häftlinge um Vergebung.

Adolfo Kaminsky

Zwar waren die wenigsten der in der Ausstellung vertretenen Künstler mit tatsächlich krimineller Energie am Werk, doch ist es spannend, dass mit einem dokumentarischen Verweis auf Adolfo Kaminsky einer der bekanntesten Dokumentenfälscher des 20. Jahrhunderts Eingang in die Schau gefunden hat. So werden in der Ausstellung Fotos und Bücher zum Lebenswerk des Mannes gezeigt, der über 25 Jahre lang im Untergrund gelebt und der sowohl Papiere für während der NS-Zeit verfolgte  Juden, den spanischen Widerstand gegen die Franco-Diktatur oder den Freiheitskampf der Schwarzen in Südafrika gefälscht hat und der über seine Vita sagt: „Es ist ein Leben außerhalb des Gesetzes, aus einem einfachen Grund: um Menschenleben zu retten. Aus Notwendigkeit.“

 

Mit Arbeiten von:

Lourival Cuquinha (BR), Nathalie van Doxell (FR), Brock Enright (US), Florian Göttke (DE), Adolfo Kaminsky (FR), Ulla Karttunen (FI), Oleg Kulik (RU), Antonio Vega Macotela (MX), Teresa Margolles (MX), Ivan Moudov (BG), Dorota Alicja Nieznalska (PL), Anna Odell (SE), Christian Gottlieb Priber (DE), Nedko Solakov (BG), Adam Tellmeister (CH), Avdei Ter-Oganian (RU), Trummerkind (US)

 

HALLE 14
Mit krimineller Energie – Kunst und Verbrechen im 21. Jahrhundert
 28. April bis 29. Juli 2012
Leipziger Baumwollspinnerei
Spinnereistr. 7
04179 Leipzig
office@halle14.org
fon +49 341 492 42 02
fax +49 341 492 47 29
Öffnungszeiten:
Di-So, 11-18 Uhr