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Alles kann – die Welt als Kunst. Ein letzter Kommentar zur documenta 13

von Dominik Busch (Düsseldorf)

 

Anfang Juni 2012 beschwor Hans-Joachim Müller in der „Welt“ noch das Recht der Kunst als soziale Handlungsform und erinnerte in einem historischen Aufriss vergangener Weltausstellungen an die Vergangenheit einer Kunst als säkularisierter Religion. Einige Tage nach der Eröffnung der d13, der 13. documenta in Kassel, mag er sich jener Worte erinnert und deren Veröffentlichung möglicherweise bereut haben. Denn was an Berichterstattungen über die documenta im Folgenden erschien, ließ sich durchaus als Kritik jenes Volksgeschehens pseudoreligiöser Art lesen. So besprach man beispielsweise an zahlreichen Stellen die stetig durchscheinende Allmacht der Kuratorin Carolyn Christov-Barkagiev, deren Konzept hermetischer Geschlossenheit vorgeführt, gerügt und gewissermaßen in sträfliche Nähe zu Wagner gestellt, die Rollenverteilung zwischen Künstler und Kurator gar in ihrer Praxis angezweifelt wurde. Christov-Barkagiev erschien bisweilen als die eigentliche Künstlerin der documenta, ausreichend viele Berichte zeugten von einer Art der Überwachung, die künstlerische Praktiken massiv einschränkte und versuchte zu institutionalisieren.

Foto: Eduardo Knapp

Neben dieser rein an „CCB’s“ kuratorischer Arbeit ansetzenden Kritik, verwirrte sie jedoch zeitweise selbst mit beispielsweise der Forderung nach dem Wahlrecht für Hunde und Erdbeeren, da sich ihrer Meinung nach in „einer wahren Demokratie alle äußern dürfen“[1]. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung klingen die Worte der Kuratorin wie im Nachhall Joseph Beuys’. Sie spricht von natureigenen Schöpfungen als der Kunst gleichwertigen Bestandteilen der Welt und macht aus „Jeder ist ein Künstler“ „Alles ist ein Künstler“. Sie sieht keinen grundlegenden, will sagen strukturellen Unterschied zwischen einer Frau oder einem Hund, einem Menschen oder einer Pflanze. Noch in dem Moment, in dem sie Heideggers Zitat „Wir wissen, dass wir sterben müssen, die anderen Tiere nicht“ für ihre Argumentation gegen eine menschenzentrierte Auffassung von Kunst anführt, missinterpretiert sie die Intention des Philosophen, der sich vielmehr auf seinesgleichen bezog, als auf das Sein der Tiere.

Christov-Barkagiev geht es jedoch um die Emanzipation der Tiere und die Emanzipation der Pflanzen. Aha. Das verwundert allerdings nur bedingt weniger, wenn man ihre Ablehnung der westlichen Philosophie sowie des gesamten Intellektualismus des 20. und 21. Jahrhunderts in Betracht zieht. Geradezu paradox mutet dies in Bezug auf die Wahl ihrer Referenzen an. Was bleibt ist der Nachgeschmack einer Selbstinszenierung zwischen Schamane und Revoluzzer, zwischen Naturgeist und Atomphysiker, der sich die paradoxe Intervention auf seine Fahne geschrieben hat. Folgerichtig, dass die offizielle Pressemappe zur d13 aus drei Fotografien zu Giuseppe Penone, neun zu Jimmie Durham, aber gleich neunzehn zur Kuratorin selbst inklusive Abstract besteht. Das von Seiten der Presse verliehene Alias CCB’s – „Madame Maybe“ – scheint sowohl in Bezug auf ihre kuratorische Schlagrichtung, als auch auf ihr Hierarchieverständnis nicht ganz unpassend gewählt.

Aber lassen sich „diese ganze Maybe-Rhetorik der Kunstvermittlung, die Sichtschutzwände endloser Textgebirge, die allerorten aufsteigenden verbalen kosmischen Nebel der Ambivalenzen und Relativierungen“ wirklich derart leicht klassifizieren oder stehen wir letztendlich als einer dieser „traumatisierten Kunstkritiker“ da und stellen fest, dass wir den Schuss nicht gehört haben, weil jede Art von Kritik von Vornherein impliziert und damit unwirksam war?

Foto: Nils Klinger

Akzeptieren wir ruhig für einen Moment die mögliche Lesart der d13 als Gesamtkunstwerk, akzeptieren wir meinetwegen auch jene im Sinne Wagners, die infolgedessen zu Noten in der Partitur der Kuratorin degradierten Künstler und eine zum seienden Nichts aufgeblasene Kunst – so vermag der Philosoph doch ein Konzept zu entdecken, welches unausgesprochen bleibt, da es doch zumindest polarisiert. Ein ebenso hochaktuelles wie diskussionswürdiges Konzept, welches in seiner Ur-Form Luhmann, Deleuze und Foucault erkennen lässt und Ende der 90er unter dem Namen „Relationale Ästhetik“ veröffentlicht wurde. Das Konzept des Kunstkritikers Nicolas Bourriaud blieb nicht lange unkommentiert und erfuhr bisweilen harsche Kritik seitens der zeitgenössischen Philosophie[2], welche der Relationalen Ästhetik per definitionem Willkür, Zufall und Mangel an Referenzen unterstellte. Bourriauds Definition der „Relationalen Kunst“ als einem „Set künstlerischer Praktiken, welches als seinen theoretischen und praktischen Ausgangspunkt eher die Gesamtheit der menschlichen Beziehungen und deren sozialen Kontext nimmt, als einen unabhängigen oder privaten Raum.[3] darf also durchaus kritisch gegenüber gestanden werden und ist in dieser Form sogar aufgrund ihrer Unbestimmtheit das Beste Argument gegen sie.

 

Unabhängig jedoch von der argumentativer Folgerichtigkeit des Konzepts erscheint diese Definition als eine gleichermaßen theoretisierende wie prägnante Verbalisierung der Kasseler Weltausstellung. In den Worten Georg Diez’ führt die d13 „die Überlegenheit der Kunst vor, weil Kunst eben eine Methode ist und keine Form, nicht festgelegt wie Theater, Film oder Literatur. Weil die Kunst damit so sehr dem entspricht, was diese Zeit fordert: verschiedene Dinge zu bündeln, […] den Traumata unserer Zeit nachzuforschen, der Chronologie zu entfliehen, Geschichten zu sammeln, die Welt zu erfassen, sinnlich wie intellektuell.“ Nach Meinung des Autors stimmt Diez nur zu überschwänglich in die Lobreden dieser ach so politischen documenta ein, dieser weltverbessernden, politisch korrekten und polyformalen documenta, welche sich letztlich doch zumeist nur banaler, formloser und angestrengter Kunst widmet, die auf Biegen und Brechen hochkomplexe Bezugssysteme aufstellen zu wollen scheint, welche jedoch letztlich im Nichts verlaufen. Der politische wie feministische Impetus, das evozierte ökologische wie technoinnovative Bewusstsein der Besucher bleibt ebenso ungelenkt, uferlos und beliebig, wie die Aussage darüber, was hier eigentlich Kunst ist. Hätte die Kuratorin dieser Uferlosigkeit entgegengewirkt, die angestrebte Diskussion hätte sich deutlich substanzieller gestaltet.

 

Die Berücksichtigung von Polykontexturalität ist indes kein neues Vorgehen, das interobjektive Befragen der Werke ebenso wenig wie das Tanzen, Lesen oder Kochen im Ausstellungsraum. Aber wann gab es zuletzt eine Kuratorin, die dies alles unter einem Dach vereinte? Wann gab es zuletzt eine Kuratorin, die der eigentliche Star, der eigentliche Künstler ihrer Ausstellung war und gewissermaßen als Urheberin jeder einzelnen kommunikativen Einheit verstanden werden konnte? Gab es jemals eine derart hochkomplexe Diskussionsplattform, die bei ausreichender Auseinandersetzung die Grenzen ihres Systems tatsächlich auf die gesamte Welt auszudehnen vermochte?[4] Falls dem so sein sollte, darf man sich durchaus einigen Aspekten der kritischen Reflexion der d13 anschließen. Falls nicht, findet sich CCB aktuell absolut zu Recht auf Platz eins der artreview Top 100. Wie lange sie dort zu bleiben vermag, hängt indes von einer Unzahl komplexer Bezüge ab.

 

Sämtliche Abbildungen sind dem offiziellen Pressematerial der documenta entnommen (http://www3.documenta.de/de/presse/oeffentlichebilder/).


[1] Vgl. die Berichterstattung der Welt, der Neuen Zürcher Zeitung, der Süddeutschen Zeitung, der Zeit, der FAZ, des Spiegels, des art-magazins, des monopol-magazins sowie diverser Blogs, bspw. perisphere.de. Sinngebend für einen Großteil der Debatte war das von Kia Vahland auf sueddeutsche.de geführte Interview mit Carolyn Christov-Barkagiev.

[2] Vgl. u.a. Jacques Rancière; Der emanzipierte Zuschauer; Wien 2009

[3] Bourriaud, Nicolas; Relational Aesthetics; Les presses du réel 2002; S. 113

[4] Im Unterschied zu den anderen Subsystemen der Gesellschaft verfügt das „Kunstsystem“ über eine gesamtgesellschaftlich-reflexive Beobachtungsfähigkeit. Vgl.: Lehmann, Harry: Die flüchtige Wahrheit der Kunst, Ästhetik nach Luhmann; München 2003 sowie meinen Artikel „Die Kunst der Gesellschaft?“ auf definitionsarephenomena.tumblr.com vom 16.07.2012