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Anna Schmitt in Düsseldorf-Reisholz

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

 

Film: Franz Schuier

 

Liebe Anna Schmitt,

in der Hoffnung, Dich kennen zu lernen, habe ich vor wenigen Tagen die große Halle in Reisholz besucht, in der Du Deine Einstandsausstellung als Kuratorin hattest. Natürlich hatte mich auch die Kunst dorthin verschlagen. Aber ich war in erster Linie sehr neugierig zu erfahren, wer Du bist. Denn, obwohl ich mich nicht wenig in der hiesigen Szene herumtreibe, muss ich gestehen, dass ich Deinen Namen noch nie gehört hatte. Im Vorfeld meines Besuchs hatte ich im üblichen Kreis der Connaisseurs nach Dir gefragt, bekam aber stets vage und widersprüchliche Aussagen. Später ertappte ich mich dabei, Deinen Namen zu googeln, um Informationen – oder ein Gesicht – zu erhaschen. Aber das Netz und die Welt sind voll von Anna Schmitts! Hättest Du Dich tarnen wollen, hättest Du keinen besseren Namen finden können.

Foto: Jeannette Schnüttgen
Foto: Jeannette Schnüttgen

Du kannst Dir also vorstellen, wie enttäuscht ich war, als ich letzten Montag erfuhr, dass Du nicht kommen könntest. Du warst auf alle Fälle gut vertreten: Jeannette Schnüttgen und Anne-Katrin Puchner waren vor Ort und haben mich durch die Ausstellung geführt. Sie erzählten mir, dass Kai Richter auch eine wichtige Rolle spielt und dass ihr alle an dieser ersten Präsentation gearbeitet habt. Durch die zwei Frauen wurde ich übrigens bezüglich Deiner Person nicht schlauer. Ihre Antworten auf mein Nachfragen waren rätselhaft und ließen sogar die Deutung zu, dass es Dich gar nicht gibt! Absurd, nicht? Ich vermute jedoch, dass Du genau wie Deine drei Freunde Künstlerin bist. Ich vermute sogar, dass Du skulptural arbeitest. Puchner und Schnüttgen, in geringerem Maße auch Richter, entwickeln ja in ihrer jeweiligen Kunst einen Ansatz, in dem die Spannungsverhältnisse zwischen Form und Fläche, zwischen Zwei- und Dreidimensionalität ausgelotet werden. Interessanterweise war genau dies der rote Faden der Ausstellung – deshalb meine naheliegende Vermutung. Man merkt es ihr an, dass diese Ausstellung eine Gelegenheit für die Künstler-Kuratoren war, ihre eigene Herangehensweise zu überprüfen und sich mit verwandten Positionen zu konfrontieren.

Julia Kröpelin: Hidden Move (2011)
Julia Kröpelin: Hidden Move (2011)

In dieser Hinsicht fand ich die zwei bunten Plastiken von Julia Kröpelin sehr passend. Kröpelin geht zunächst von expressiven, abstrakten, all-over-Zeichnungen aus, die hochkopiert und auf eine kubistisch anmutende Struktur geklebt werden. Die in sich geschlossene, mannshohe Form spielt dabei die Rolle eines Trägers oder Körpers, der die Zeichnungen gleichzeitig hält und in den Raum projiziert. Reminiszenzen an Picasso drängen sich auf. Sowohl der Bezug zur Collage-Technik als auch die Öffnung eines zweidimensionalen Objektes zum Raum hin (und dazu müsste man noch die gebrochene, grobe und kristalline Grundform der Plastik erwähnen) rufen den alten Meister auf den Plan. Du wirst vielleicht denken, dass es ein gewagter Vergleich ist, aber alles in allem hatte Deine Ausstellung doch etwas Klassisches.

Heiko Räpple: Actio (2011)
Heiko Räpple: Karya (2010)
Heiko Räpple: Karya (2010)

Auch die zwei Arbeiten von Heiko Räpple besitzen, trotz des Umgangs mit aktuellen technischen Materialien (seine Stahl- und Gipsskulpturen sind mit Kunststoffaser verstärkt), eine klassisch-moderne Prägung. Die dynamisch anmutenden Karya und Action, ihre unaufdringliche, zurückhaltende aber durchaus selbstbewusste Präsenz im Raum, dieses gelungene Gleichgewicht zwischen Bodenständigkeit und graziöser Leichtigkeit haben mich an manche minimalen Kompositionen von Archipenko oder Brancusi erinnert – ja, der Kunsthistoriker in mir muss sich immer wieder zu Wort melden. Dabei scheint Räpple mehr an der reinen Materialität und Objekthaftigkeit seiner Skulpturen interessiert zu sein als seine illustren Vorgänger es waren. Die Gipsabgüsse von Blechplatten werden gedreht, gezwängt, verspannt und in einem zwiespältigen Schwebezustand gebracht. Diese körpergewordene Grenzsituation fand ich überzeugend.

Max Sudhues: Inverted Invasion (Billard) (2012)

Ich gestehe, es mir ein wenig schwerer mit den Kopien von Max Sudhues getan zu haben. Vor gut einem Jahr hatte ich seine Arbeit im Institut für Skulpturelle Peripherie gesehen und fand das Zusammenspiel mit Jon Moscow gelungen. Hier fiel mir der Zugang nicht besonders leicht; die Relevanz des Motivs blieb schleierhaft. Ich könnte die Kunst der nicht informierten Deutung so weit bringen und im Motiv des Billardtisches und der Billardkugel eine formale Spielerei zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion sehen, oder eine Metapher der Bildhauerei (Fläche und Volumen; Ordnung, Komposition und Hierarchie, Manipulation und Hand-Werk) oder aber eine Projektion von kosmischen Zeichen und stellaren Konstellationen in der Fläche. Ja, liebe Anna, ich kann in diesen Arbeiten Einiges sehen – aber ich fürchte, dass es Sudhues nicht besonders tangiert.

Janine Tobüren: Twig (2012)
Janine Tobüren: Bastard Title (2012)

Sudhues scheint jedenfalls einige Aspekte der komplexen Brücke, die zwischen den Disziplinen der Graphik und der Bildhauerei / Plastik geschlagen ist, verarbeiten zu wollen. Dieser Impetus ist bei Janine Tobüren deutlich klarer ablesbar. Die Münsteranerin und Meisterschülerin von Guillaume Bijl führt seit ein paar Jahren eine kritische Interpretation der Lyrischen Abstraktion durch. In ihrer Beschäftigung mit der New York School, hinterfragt sie die expressionistische, spontane Geste und nähert sich systematisch den Meistern der 50er und 60er Jahren an. Dies brachte sie in der Vergangenheit dazu, Kompositionen von Franz Kline in die Dreidimensionalität zu übertragen. Die beiden Plastiken in Reisholz beziehen sich ihrerseits auf Zeichnungen von K.R.H. Sonderborg. Es sind in Tusche gefasste Holzbalken, die die räumliche Bedeutung des Grafischen hinterfragen und einen distanzierten Kommentar zu Wildheit und Spontanität formulieren.

Das Video von Adriane Wachholz hat auch etwas Wildes an sich. Der kurze Loop zeigt eine Art schnelle Fahrt durch die Natur. Pflanzlich-organische Formen, die rasch vorbei ziehen und verschwinden, bestimmen das Bild. Dieses hat eine kongeniale Präsentation auf der verdreckten und verrosteten Hallentür gefunden. Eine klare Wahrnehmung der Arbeit stellt sich indes nicht ein (vor allem nicht, als die Sonne durch die Halle schien und die Projektion unsichtbar machte). Wenn der Bezug zum Grafischen evident ist, habe ich mich doch gefragt, ob diese Arbeit, wie ihre Nachbarn, wirklich den Raum sucht.

Carsten Gliese: o.T. (2003)
Carsten Gliese: Tür (2003)

Denn auf der gegenüberliegenden Wand ist diese Suche nach dem Raum, bzw. die Abflachung des dreidimensionalen Raums evident. Carsten Gliese ist eigentlich Bildhauer und greift, wenn er nicht mit verschachtelten Modellen arbeitet, die sich einer eindeutigen Raumwahrnehmung entziehen, in den vorhandenen architektonischen Kontext seiner Ausstellungen ein – oder aber auch gerne in Hausfassaden. Hier tritt er ein wenig kürzer und zeigt Fotografien von Lichtprojektionen in verschiedenen Raumsituationen. Die Lichtkontraste sind dabei so hoch, dass die Hell-Dunkel-Abstufungen verschwinden und die Perspektive sich auflöst. Es bleiben abstrakte Formen, in einer Balance zwischen 2D und 3D. Auch wenn der Bezug zum realen Raum nicht ganz verneint wird und raumanekdotische Elemente zugelassen werden, haben diese Lichtflächen eine immaterielle und geometrische Schönheit, die sie in die Nähe der Kompositionen des Suprematismus rücken lassen.

Tania Bedrinana: aus der Serie „Simple Song“ (2009)

Neben diesen strengen Kompositionen sind die zarten und zugleich bestimmten Zeichnungen der in Peru geborenen und in Berlin lebenden Tania Bedriñana zu sehen. Es sind surrealistisch anmutende, onirische, z.T. verstörende Szenen, in denen Kinder inszeniert werden. Das Bilduniversum von Bedriñana hat diese vage und trotzdem präzise Konsistenz eines Traums, oszilliert zwischen der Wunderwelt von Lewis Carroll und der präpubertären Hölle eines Henry Darger. Grazile, junge Wesen, die sich in einem Zustand der Metamorphose befinden und ihr Gesicht noch nicht gefunden haben, spielen, tanzen und führen merkwürdige Rituale in einem diffusen Raum durch. Die einzige narrative Position der Ausstellung ist zwar alles anderes als überraschend, weckt ja gar ein Déjà-vu-Gefühl, gleicht jedoch die allgemeine ästhetische Kälte und die spröde Schönheit der gesamten Ausstellung aus.

Christian Schreckenberger: o.T. (the only mistake) (vorne)
Christian Schreckenberger: o.T. (2012)

Es ist eben keine opulente, überbordende und farb- oder motivverliebte Ausstellung. Es ist eine konzentrierte, pointierte und aufmerksam zusammengestellte Präsentation, zugleich luftig und dicht, vielleicht ein wenig zu ernst, aber einfach gut und auf den Punkt gebracht. So wie die Arbeit von Christian Schreckenberger. Seine Materialerkundungen, die sich in höchst heterogenen Objekten manifestieren und immer wieder die Nähe zur angewandten Kunst suchen – oder einen leichten Hang zur narrativen Aufladung aufweisen –, haben all die eben genannten Prädikate verdient. Der Bildhauer entwickelt eine besondere Aufmerksamkeit für Texturen, in der Regel ungewöhnlich, nicht selten widerspenstig, und koppelt diese an Formen.

 

Liebe Anna, ich weiß nicht, warum ich Dir das alles erzähle. Du kennst ja diese Dinge besser als ich; es ist schließlich Deine Ausstellung! Aber ich wollte Dir mit diesem Brief sagen, wie gut mir Dein Einstand gefallen hat. Ich bin gespannt auf die zwei nächsten Einzelpräsentationen, die Du bis Ende des Jahres auf die Beine stellen willst. Du willst beim nächsten Mal zum Gagarin ziehen, den Raum dort okkupieren und dann weiter wandern. Vielleicht kreuzen sich unsere Wege. Vielleicht schon am kommenden Sonntag. Die Finissage der Ausstellung findet ja am Nachmittag bei Kaffee und Kuchen statt. Kaffee-Kuchen ist nicht gerade mein Ding, aber vielleicht komme ich doch. Um Dich endlich kennen zu lernen.

 

Mit herzlichen Grüßen.