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The white male complex bei SAVVY Contemporary

von Stefanie Ippendorf (Berlin)

„Macho, weiß, von gestern” titelte DIE ZEIT und machte damit Barack Obamas Wiederwahl sowie die „Bedrohung“ der „Männer des Westens“ durch „Frauen, Migranten“ und „den Rest der Welt“ zum Thema.  „Die Wiederwahl von Obama“, so das gemischtgeschlechtliche Autorenteam „markiert eine historische Wende, die Jahre selbstverständlicher männlicher, weißer Dominanz gehen zu Ende …“.

Ähnlicher Meinung dürfte auch der Künstlerkurator Thomas Eller sein. Für den Berliner Kunst- und Projektraum SAVVY Contemporary hat er die Ausstellung The white male complex konzipiert, in der stichprobenartig untersucht werden soll, was es unter heutigen Voraussetzungen bedeutet, weiß und männlich zu sein. SAVVY Contemporary versteht ich als „Laboratorium der Formgedanken“ und  ist, so die Homepage-Selbstdarstellung, “ein gemeinnütziger Kunstraum, der durch Ausstellungen, Performances, Lectures und Talks den Austausch zwischen Westkunst und Nicht-Westkunst fördert“.

links: Adib Fricke: Seven Ties Version1 with 7 suits_
(1991); rechts: Thomas Eller: THE selbst (sans…) (2011)

Bei der Themenfindung zur aktuellen Ausstellung hat sich Eller durch eine kritische Betrachtung der amerikanischen „Whiteness Studies“ sowie vom Gedankengut des Germanisten Klaus Theweleits inspirieren lassen, der 1977 mit seinen „Männerphantasien“ Furore machte: einem doppelbändigem Buch, in dem er die Entstehung der faschistischen Gewalt untersuchte und danach fragte, wie diese in den Körpern der (männlichen) Soldaten verankert war. Laut Eller haben Theweleits „Beschreibungsweise von nicht zu Ende geborener Männlichkeit und Körperpanzern aller Art, bis hin zu Superheldenhalluzinationen ein brauchbares Instrumentarium zur Verfügung“ gestellt. Resultat ist eine Ausstellung mit zwölf, durchweg von Männerhand erschaffenen Werken und einem Comicheft.

DETEX: VI4GRA [SPAM] (2012)

Was also sind die Komplexe des weißen Mannes? Thema: Phallus, Thema: Potenz! Mit der VI4GRA [SPAM] betitelten Arbeit, die am Anfang der Ausstellung zu sehen und hören ist, geht die Künstlergruppe DETEXT in Zusammenarbeit mit der spanischen Band Mendetz direkt in die Vollen. „life is unjust and cruel if you have a tiny tool”, „you can be a real macho”, „be proud of your masculinity, much longer than it used to be” tönt es hier aus den kleinen Boxen – alles Textzeilen von per Spam-Mail empfangenen Viagra-Werbungen, die zu einem tanzbaren Synthie-Pop-Song mit schicken Visuals verarbeitet wurden (leider ein Ohrwurm! hier nachzuhören http://www.detext.es/).

Thomas Eller: THE selbst (endgame)(2012)

Thomas Eller lässt die Hosen runter. In seinen Arbeiten macht sich der Künstler immer wieder selbst zum Thema und bevölkert die Welt mit Stellvertreter-Aufstellfiguren in unterschiedlichen Größendimensionen. Als THE selbst (sans…) zeigt er sich dandyhaft  im schwarzen Anzug mit Krawatte, doch ohne Beinkleid und geschrumpft. Auf THE selbst (endgame) gibt er sich gar die komplette Blöße und sitzt mit erigiertem Penis beim Schachspiel gegen das eigene, bekleidete Konterfei. Mit der 2012 entstandenen Arbeit verweist Eller auf Marcel Duchamp, der sich 1963 mit der nackten Studentin Eve Babitz beim Schachspielen im Museum fotografieren ließ, um das Ende seiner künstlerischen Tätigkeit anzukündigen.

Markus Voit: ME (2005)
Markus Voit: Ohne Titel (2011)

Für das Selbstportrait ME lies auch Markus Voit die Hüllen fallen. Mit bravem Seitenscheitel und freundlichem Blick präsentiert er uns seinen schmalen, jugendlichen Körper. Doch was ist das? Statt roter Brustwarzen, wachsen zwei Fellbüschel auf der sonst haarlosen Brust. Seinen damals ebenfalls noch jugendlichen Körper inszeniert Bruce Naumann in Walk with Contraposto. Mit ordentlich viel Hüftschwung durchschreitet er einen langen, schmalen Korridor und erkundet dabei die Möglichkeit,  den auf Standbein und Spielbein basierenden, in der klassischen Bildhauerei genutzten Kontrapost in Bewegung zu setzen.

Clemens Wilhelm: Read me (2011)

„Was die Zukunft wohl bringen mag?“ fragte sich Clemens Wilhelm und konsultierte während eines Residency-Aufenthalts im chinesischen Chongqing vier Wahrsager, die ihm aus der Hand lasen und ihm über seine künftigen Erfolge, den Reichtum, das Liebesleben und die Gesundheit Auskunft gaben. Im Video ist die überlebensgroß auf einen Tisch projizierte Hand zu sehen. Als Untertitel läuft die englische Übersetzung der aus dem Off erschallenden chinesischen Zukunftsvorhersagen. Erstaunlicherweise sind sich die unabhängig voneinander befragten Wahrsager in den Kernaussagen einig. Man erfährt u.a., dass Wilhelm wohl nicht so früh heiraten wird (bzw. nicht so früh heiraten sollte), er aber einige Affären haben wird, er  jemand ist, dessen Arbeit auf dem Intellekt fußt und nicht körperlicher Art ist und dass er eine ausgeprägte Analysefähigkeiten besitzt. Mit Read me gewährt Wilhelms Einblicke in eine normalerweise sehr private Erfahrung und vermittelt dabei eine chinesische Blickweise auf seine Person.

Mike Kelley: Superman Recites Selections from `The Bell Jar`and other works by Sylvia Plath (1999)

In seinem Spätwerk hat sich der leider Anfang des Jahres verstorbene Mike Kelley mit der Vita von Superman und somit dem Paradebeispiel des heldenhaften, weißen Mannes, befasst. Ausgangspunkt für das Projekt Kandor-Con 2000 ist die Stadt Kandor: eine Stadt, die in den Comics als letztes Überbleibsel des zerstörten Heimatplanten Krypton auftaucht. Kandor wurde von einem Bösewicht auf Miniaturformat geschrumpft und gelangte in Supermanns Besitz, der die Stadt unter einer Glasglocke aufbewahrt – Superman nicht als Held sondern als durch die Vergangenheit, den Verlust der Heimat bzw. durch ein „entfremdetes Verhältnis zu dem jetzt von ihm bewohnten Planeten“ traumatisiert.  Mit dem Video Superman Recites Selections from ‚The Bell Jar‘ and Other Works by Sylvia Plath ist in der Ausstellung leider nur ein minimaler Teil von Kelleys umfassendem Projekt zu sehen. Hier rezitiert ein Schauspieler im Supermann-Kostüm Textteile aus Sylvia Plaths Roman Die Glasglocke (1963).

Irgendwie unnötig, dass neben Kelleys Arbeit eine Kopie des Comics Superman: Für den Mann, der alles hat (1968) hängt, in dem Batman, Robin und Wonder Woman dem Superhelden eigentlich einen Geburtstagsbesuch in seiner „Festung der Einsamkeit“ abstatten wollen, diesen jedoch starr, geistesabwesend und von einer Art Pflanze befallen vorfinden…

Walter Robinson: untitled (Penthouse) (2010)

Wie sang einst Herbert Grönemeyer? „Männer haben Muskeln, Männer sind furchtbar stark, Männer können alles, Männer kriegen ´nen Herzinfarkt, Männer sind einsame Streiter, müssen durch jede Wand, müssen immer weiter…“

 

The white male complex
Thomas Eller, DETEXT, Adib Fricke, Mike Kelley, Bruce Nauman, Walter Robinson,
Felix Schneeweiss, Superman, Markus Voit, Clemens Wilhelm
4.11. – 4.12.2012
Do- So, 16.00-20.00 Uhr
SAVVY Contemporary
Richardstr.43/44
12055 Berlin
www.savvy-contemporary.com