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Im Gespräch mit Matthias Planitzer vom Kunstblog Castor und Pollux

Das nachfolgende Gespräch bildet den Auftakt einer neuen Reihe bei perisphere, in welcher wir in loser Abfolge die Kunstbloggerszene im deutschsprachigen Raum beleuchten werden. Den Anfang machen wir mit einem Interview mit dem Berliner Matthias Planitzer vom Castor & Pollux-Blog.

Matthias startete mit seinem Projekt im Januar 2009 und gehört damit nicht mehr ganz zu den Pionieren, aber mittlerweile immerhin doch zu den fest Etablierten unter den deutschsprachigen Kunstblogs, sein Schwerpunkt liegt von Beginn an auf dem Kunstgeschehen in der Hauptstadt Berlin. Mitte diesen Monats wurde die kontinuierliche Arbeit offiziell gewürdigt, Castor & Pollux wurde in Hamburg mit einem Lead-Award ausgezeichnet. Die Auszeichung wird übrigens heute Abend in Berlin in der Kim Bar gefeiert.

Matthias Planitzer ist vielseitig interessiert und äußerst umtriebig. Er studiert Medizin, ein Studium welches laut eigener Aussage mit kurzen Lücken von Kleinauf sein Berufs- und späterer Studienwunsch war, gründete aber parallel dazu gemeinsam mit Sol­veig Maria Ebbing­haus die Kommunikationsberatungsagentur Ebbing­haus Pla­nit­zer — Art Con­sul­tancy. Zusätzlich zu den Texten und Rezensionen in seinem eigenen Blog schreibt er einmal im Monat für das Kunst-Magazin und unterhält noch ein eher experimentelles Online-Projekt unter dem Titel Ganymed, in dem es ihn um die Verbindung von bildender Kunst und Literatur geht.

Matthias Planitzer | Castor & Pollux

FK: Welche Künstler und/oder Werke sind für Dich von besonderer Bedeutung? Was interessiert Dich an Ihnen und Ihrer Arbeit?

MP: Mein besonderes Interesse gilt Kunst und Künstlern, die die Grenzen ihres Genres, ihrer Technik und ihres Sujets ausweiten oder überschreiten und die zeitgenös-sischen ästhetischen Paradigma hinterfragen oder gar überwinden. In diesem Sinne bin ich dem Avantgarde-Gedanken der Moderne sicherlich noch stark zugewandt, der nach dem vermeintlichen Ende der Metaerzählungen wohl doch noch nicht so eingestaubt ist, wie manche meinen.
Jedenfalls sind es sowohl ikonische Künstler des 20. Jahrhunderts wie Bas Jan Ader, Chris Burden, Marcel Broodthaers oder Gerhard Richter, ebenso wie eine zeitgenössische Generation, darunter Carsten Nicolai, Ryoji Ikeda oder Francis Alÿs, die mich begeistern. Aber auch junge Talente wie Cyprien Gaillard, Nina Canell, Pablo Rasgado, Timur Si-Qin oder Sinta Werner gehören für mich zu jenen Künstlern, auf die ich ein besonderes Augenmerk richte.
Hier ist es insbesondere die Oszillation zwischen Ernsthaftigkeit und Ironie, affektiver Beteiligung und kühler Distanziertheit in Bezug auf politische, soziale und ökonomische Themen unserer Zeit, die mich interessiert. Das, was andere unter dem aufsteigenden Stern der Metamoderne als den Berliner Schmelztiegel bezeichnen, ist für mich schlicht das Glück, am richtigen Ort zur richtigen Zeit zu sein. Das ist oftmals sehr spannend.


FK:
Welche Ausstellung war für Dich besonders wichtig und warum?

MP: Es fällt mir schwer, in Ausstellungen als im besten Falle epochalen Ereignissen zu denken, wie sie die Ären der Suprematisten oder Neuen Expressionisten einläuteten. In meiner Wahrnehmung kommt der einzelnen Ausstellung heute kein solcher Stellenwert zu, da sie heute mehr denn je nur einen kleinen Ausschnitt aus einer unübersichtlichen künstlerischen Vielfalt darstellen kann. Das liegt freilich auch daran, daß zumindest die Berliner Ausstellungsrealität der künstlerischen Produktion an diesem Standort nachsteht.
Dennoch stechen einige Ausstellungen durch ihre kuratorische Leistung oder historische Relevanz heraus. Dazu zähle ich „UEBERMODELS“, 2010 in der Program Gallery, für ihre beispielhafte Exploration des Phänomens der sog. „autofaschistischen Kunst“ und die diesjährige Schau „Discussing Metamodernism“ in der Galerie Tanja Wagner, welche mir für die erste umfassendere Übersicht über diese noch junge, aber schon viel beachtete Strömung erwähnenswert scheint. Auch „Entropie: über das Verschwinden des Werkes“ in der AR/GE Bozen, 2004 und die 7. Berlin Biennale gehören für mich zu den erwähnenswerten Schauen, letztere wegen der großen Enttäuschung, die sich mit ihr und ihren Entwürfen politisierter Kunst verbindet.


FK: Du verwendest den Begriff der Metamoderne, wie würdest du diese für dich definieren, was verstehst du darunter?

Unter dem Begriff der „Metamoderne“ subsumieren Vermeulen und van den Akker Beobachtungen und teils auch Erklärungen über die politische, gesellschaftliche und kulturelle Situation nach der Jahrtausendwende. Ohne damit bisher genügend philosophische Grundlagen gelegt zu haben, um explizit eine neue Epoche proklamieren zu können, sehen sie darin eine zeitgenössische Auseinandersetzung mit Moderne und Postmoderne, zwischen deren Polen die Metamoderne oszilliere. Diese oftmals starken Schwingungen zeichnen diesen Zeitgeist aus, der einige Phänomene zu erklären versucht: Generation Maybe, Ironie und Hipstertum, Retro-Chic auf der einen Seite, aber auch der Umgang mit den Finanz- und Bankenkrisen, neuen und alten Demokratieverständnissen, Bio-Boom und Erderwärmung.
Die Metamoderne ist das ständige Ringen um universelle Wahrheiten und Sicherheiten und die damit verbundenen Eingeständnisse und Relativierungen. Ein Dogma ist ihr fremd. Die Metamoderne ist vage, weil sie es nicht anders kann, weil sie vielem gerecht werden muss und will. Dadurch entsteht durchaus auch ein Spannungsfeld, das insbesondere in den Künsten frisch und wirksam dargestellt werden kann.


FK:
Welche Rolle spielt für Dich persönlich die Kunst?

MP: Für mich ist die Kunst eine Bereicherung, gleichermaßen eine Bereicherung des Alltags wie auch eine Bereicherung der vielfältigen sozialen und philosophischen Diskurse. Die Kunst stellt in meinen Augen auch ein schöngeistiges Gegengewicht zu den profanen Bildern unserer Umwelt dar, die dazu einlädt, über den kurzen Augenblick hinaus betrachtet zu werden.


FK:
Welche Funktion hat deiner Ansicht nach die Kunst in unserer Gesellschaft? Wie beurteilst Du diese Funktion oder den aktuellen Status der Künste?

MP: Diese Frage ist in unserem Kulturkreis sicherlich nicht so eindeutig zu beantworten wie vielleicht noch vor einem halben Jahrtausend es der Fall gewesen wäre. Die Säkularisierung Europas hat hierzu den ersten Schritt getan, ehe die Verfügbarkeit der Bilder und ihrer Produktionsmittel durch Fotografie und zuletzt das Social Web gesteigert wurde. Diese Entwicklung ist mit der Entstehung und dem Fortbestand der Avantgarde stark verknüpft, deren Unerhörtheit nicht zuletzt auch darin bestand, die geltenden Funktionen der Kunst zu überwinden. Allerdings greift in der Folge die Kritik der Nabelschau zu kurz, weil sie weiterhin am Paradigma einer dienlichen und nützlichen Kunst festhält. Daher ist die Antwort auf die Frage nach der Funktion der Kunst in unserer heutigen Gesellschaft vielleicht damit zu beantworten, daß die Kunst um ihrer selbst willen existiert. Auch wenn ich befürchte, daß diese Causa sui auf die Formel „L’art pour l’art“ verkürzt für meinen Geschmack zu sehr auf das Weltbild eines Jonathan Meese zusteuert, erscheint mir dieser Gedanke doch eigentümlich attraktiv.
Dennoch, von der Kunst wird seit einiger Zeit verlangt, daß sie die gesellschaftliche Verfassung und die Spannungen darin reflektieren solle. Damit wird ein Anspruch an sie heran getragen, den sie oftmals dankbar, seltener jedoch bereichernd oder gar genuin erfüllt. Eine Kunst, die sich mit einer bloßen Metapher als ihrer Daseinsberechtigung begnügt, wäre jedenfalls besser beraten, sich gar nicht erst auf diesen Anspruch einer sozialen Funktion einzulassen.


FK:  Wie siehst du die Idee der Avantgarde heute? Ist der Begriff noch von Bedeutung oder hat sich das Konzept eventuell überholt?

MP: Wenn ich an „Avantgarde“ denke, kommt mir sofort Clement Greenbergs bekanntes Essay „Avant-Garde and Kitsch“ aus dem Jahre 1939 in den Sinn. Darin legt er eindrücklich die Beziehung zwischen beiden Phänomenen und die Notwendigkeit des einen für den anderen dar. Zwar bezieht er sich darin explizit auf die Anfänge der Avantgarde in der Mitte des 19. Jahrhunderts, doch auch noch hundert Jahre später hatte seine Beobachtung nicht viel an ihrer Bedeutung verloren. Heute ist dieser Kontrast für das geübte Auge trotz einer vorangeschrittenen Angleichung immer noch sichtbar.
Allerdings habe ich nicht das Gefühl, daß die sog. Avantgarde heute noch in dem Maße als Trendbarometer gilt wie einst. Das ist durchaus auch auf das Ende der Moderne zurückzuführen. Trends entstehen heute nicht etwa durch das Wirken einzelner Vorreiter, sondern zunehmend aus der Mitte der Gesellschaft. Das ist die eine Seite, auf der anderen steht aber auch die Kunst, in der es heute sicherlich schwieriger ist, einen konsistenten Trend auszumachen – wenn man überhaupt in die Glaskugel schauen wollte. Denn umso mehr Künstler und Denker mitmischen, desto unübersichtlicher wird das Gesamtwerk.


FK:
Das Internet und die Computertechnologie verändern seit einiger Zeit viele Bereiche des kreativen und künstlerischen Arbeitens. Vor allem Musik und Film sind davon betroffen und die zugehörigen Debatten um Copyright und Urheberrechte werden zunehmend schärfer geführt. Gibt es Deiner Ansicht nach Bereiche der bildenden Künste die durch die Computertechnologie bzw das Netz beeinflusst werden?  Wenn ja, wo werden für Dich Spuren oder Auswirkungen dieses Medienwandels sichtbar?

MP: Aber natürlich! Die Kunst reagierte schon immer sehr empfindlich und offen auf neue Medien. Davon sind auch das Internet und digitale Technologien nicht ausgenommen. Eine Aufzählung würde hier sicherlich zu umfangreich und unübersichtlich ausfallen, doch allein das Beispiel der Digital Art zeigt wegen ihrer natürlichen Verwurzelung in diesem Medium bereits ansatzweise, welche Möglichkeiten denkbar und auch durchführbar sind. Das ist zunächst die ästhetische Komponente, die sich bereits lange vor der Uhrheberrechtsdebatte abzeichnete.
Aus meiner Erfahrung im Kunstbetrieb heraus kann ich bestätigen, daß die Frage nach dem Urheberrecht und nicht zuletzt auch der Deutungshoheit über Werk und Künstler mit Zurückhaltung, auch Skepsis beantwortet wird. Vor diesem Hintergrund erstaunte es mich, daß bei der VIP Art Fair auch Videoarbeiten angeboten wurden. Mit nur wenig technischem Know-How hätte sich hier jeder Besucher die Werke einfach herunterladen statt ehrlich kaufen können. Offensichtlich war jedoch das Gegenteil der Fall, sodaß sich das Vertrauen der Galeristen auszahlte. Auf der anderen Seite zeigt jedoch auch die Distributionsphilosophie einzelner Künstler wie etwa Francis Alÿs, daß sich ein permissiver Umgang mit Copyrights durchaus mit einer Erhaltung des Marktwertes vereinbaren lässt. Hier sind jedoch letztlich auch die Galeristen gefragt, die für ihre Künstler flexible Geschäftsmodelle etablieren müssen, wenn sie sich nicht ganz der technischen Realität und Nutzungspraxis verweigern wollen.


FK:
Ein Blog über Kunst ist ja auch ein Eingriff in das Kunstsystem, wenn auch vieleicht zu erst einmal nur im Bereich der Kunstvermittlung. Worin liegt für Dich der Anreiz zum Betreiben eines Kunstblogs?

MP: Die Frage zielt vermutlich auf den medialen Charakter eines Blogs ab, die althergebrachte publizistische Hierarchie auf den Kopf zu stellen und daraus einen neuen publizistischen Entwurf zu entwickeln. Darin sehe ich keinen primären Anreiz, weshalb Castor & Pollux auch nicht als klassisches Blog mit partizipativen Strukturen und persönlicher Note konzipiert ist. Es versteht sich dagegen als kunstjournalistische One-Man-Show, in der Ausstellungen auf kritisch-argumentativer Grundlage besprochen werden. Im besten Falle sieht der Leser darin eine Ausstellungsempfehlung oder den Anreiz, eigene Erfahrungen zu erweitern. Insofern unterscheidet sich Castor & Pollux nicht viel von klassischen Magazinen, wenn auch freilich die personellen Voraussetzungen für einen solchen Betrieb fehlen.


FK:
Welche Thematischen Schwerpunkte setzt Du bei Deinem Blog Castor & Pollux?

MP: Ich schreibe ausschließlich Kritiken zu Ausstellungen, die ich selbst gesehen habe. Ankündigungen und unkommentierte Fotostrecken haben damit bei Castor & Pollux und andernorts keinen Platz. Damit ist der Schwerpunkt natürlich auf Berliner Schauen gesetzt, obgleich Ausstellungen in anderen Städten nicht ausgeschlossen sind.


FK:
Um was geht es Dir bei Deinem Projekt? Was treibt Dich an?

MP: Castor & Pollux entstand auch aus der Beobachtung heraus, daß es im Internet für den deutschen Kunst- und Sprachraum keine ernsthafte journalistische Kunstbetrachtung abseits der großen Magazine gab. Als ich Castor & Pollux 2008 gründete, gab es lediglich einige Design- und Kulturblogs, die Kunst gelegentlich streiften und darüber auch kaum Worte verloren. Glücklicherweise relativiert sich heute dieser Mißstand, obgleich auf Kosten der profunden Kunstkritik mehrheitlich Publikumsjournalismus betrieben wird. Darin sehe ich zwar keinen Anlass zur Kritik, allerdings verfolge ich in meinen Artikeln für Castor & Pollux, das KUNST Magazin u.a. nach wie vor einen anderen Ansatz, der durchaus auch andere Lesergruppen anspricht.


FK:
Gibt es Dinge, die Kunstblogs besser können als die etablierten Kunstmagazine?

MP: Ein gut geführtes Blog bedient sich der Mechanismen der Social Webs und zieht daraus seine Stärke, nachhaltig Meinungen zu formen. Das trifft zunächst auch für den Bereich der Kunst zu, wird aber meiner Meinung nach hierzulande bei Weitem nicht in dem Maßstab betrieben, wie es beispielsweise in den USA längst etabliert ist. Kunstblogs stehen hier noch im Schatten der großen Kunstmagazine, aus dem sie jedoch nach und nach heraustreten. Für bestimmte Lesergruppen sind Kunstblogs jetzt schon attraktiver als die bekannten Publikums- und Fachmagazine. Dennoch ist ein deutliches Defizit zu verspüren, das nicht zuletzt auf die mangelnde Professionalisierung zurückzuführen sein dürfte. Andererseits ist es auch der oft vorsichtige Umgang der Galerien mit ihrem sensiblen Image und dem ihrer Künstler, der hierzu beiträgt. Ein solch volatiles Geschäft wie das der Kunst erfordert eine besondere Vorsicht, für das die Kunstblogs erst nach und nach das nötige Vertrauen gewannen.
Heute fällt mir die Pressearbeit mit den Galerien leichter als noch vor drei Jahren, als Misstrauen gegenüber möglichen Nestbeschmutzern weiter verbreitet war. Mittlerweile erkennen immer mehr Galeristen die Möglichkeiten des Social Webs, was nicht zuletzt auch den Kunstblogs zugute kommt. Wenn diese weiter wachsen und diesen Vertrauensvorschuss nicht verspielen, sehe ich keinen Grund, warum nicht eines Tages ein reines Internetmedium den etablierten Kunstmagazinen den Rang ablaufen sollte.


FK:
Kunstblogs sind also nicht nur eine Art Trend, der vorbei geht? Hältst Du es für möglich, dass hier längerfristig etwas Neues entsteht?

MP: Die meisten Blogs, die kamen, werden auch wieder gehen. Das liegt in der Natur der Sache. Das Medium Blog – wenn wir darunter eine chronologische Artikelsammlung mit barrierefreier Leserinteraktion verstehen – hat vielleicht seinen Zenit erreicht oder womöglich überschritten. Die Erwartungen an eine reichhaltige Partizipation zwischen Lesern und Autoren und damit einhergehend einer Nivellierung der publizistischen Hierarchie haben sich jedenfalls nicht erfüllt. Das zeigt sich gerade auch bei den Kunstblogs, die alle an geringen Kommentarquoten kranken. Hier sehe ich derzeit keine Zukunftschancen.
Was übrig bleibt, ist die Idee einer mehr oder minder lose und interdisziplinär zusammengesetzten Redaktion. Beispiele wie die Huffington Post oder hierzulande der Freitag sprechen dafür. Falls dem deutschen Kunstjournalismus eine solche Zukunft beschieden ist, würde mich das sehr freuen.


FK: So das war es. Wir bedanken uns für das aufschlussreiche und interessante Gespräch und wünschen auch weiterhin viel Erfolg und Vergnügen mit den zahlreichen Projekten.

Der Blog von Matthias Planitzer ist erreichbar unter www.castor-und-pollux.de.