Werde Teil des kritischen Kapitalismus:
Support your local artist, investiere in die Avantgarde & stütze damit den Diskurs!


Podiumsdiskussion vom Netzwerk freier Berliner Projekträume

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

 

So ungern wir Rheinländer und Wahlrheinländer es zugeben: In vielen Dingen sind uns die Berliner ein Stückchen voraus. In Sache Projekträume und freie Kunstszene kennt die Dichte der Berliner Initiativen keinen Vergleich in ganz Europa. Und auch der Grad der Selbstorganisation und die Qualität der Selbstreflexion dieses voluminösen Netzwerkes sind für alle weiteren Off-Projekte der Republik ein Vorbild. 2009 wurde auf Antrieb der Art Transponder das Netzwerk freier Berliner Projekträume und –initiativen gegründet, das sich als „loser Zusammenschluss“ einiger Projekträumen der Hauptstadt versteht. Durch regelmäßige Treffen, Konferenzen und Aktionen sowie die Etablierung einer zentralen, koordinierenden Stabsstelle, die zugleich als Think Tank und als Diskussionsplattform dient, soll ein stärkeres Solidaritätsgefühl kreiert und die Identität und Rolle der unabhängigen Szene definiert werden.

Ein solches Konstrukt kann freilich nur in einer Stadt entstehen, in der die Zahl an Projekträumen derart groß und die politische Motivation ihrer Akteuren so hoch ist wie in Berlin – nur Hamburg könnte gegenwärtig eine vergleichbare Metastruktur auf die Beine stellen. Vergangene Woche organisierte das Netzwerk eine Podiumsdiskussion mit dem programmatischen Titel: „Interdisziplinär. diskursiv. nicht marktorientiert. Zur besonderen Bedeutung von freien Projekträumen und –initiativen für die bildende Kunst in Berlin“; Gastgeber war das Haus der Kulturen der Welt. Was von der Provinz aus wie eine Berlin-berlinerische Nabelschau wahrgenommen werden könnte, sollte jedoch genauer betrachtet werden. Denn die zwischen Kreuzberg und Prenzlauer Berg geführte Debatte dreht sich um Probleme, die wir auch, im wilden Westen – und im Süden und im Norden –, kennen. Außerdem gibt es nirgendwo sonst ein derartiges Reflexionsniveau zu diesem Sujet.

Séverine Marguin

Zum Auftakt der Veranstaltung wurden die Ergebnisse einer von Séverine Marguin geführten Studie präsentiert. Die französische Nachwuchssoziologin hat 2011 eine empirische Untersuchung zu den Berliner Projekträumen durchgeführt und stellt seitdem eine Datenbank her, in der die Komponenten des Phänomens katalogisiert werden. Ihre Umfrage, die von ca. 60 Off-Galerien beantwortet und von Experteninterviews flankiert wurde, brachte im Großen und Ganzen keine brandneuen Erkenntnisse zum Vorschein, bestätigte aber auf wissenschaftlicher Ebene viele gefühlten und intuitiv erfassten Fakten. Dass Projekträume flexibel, spontan, experimentorientiert und finanziell unterversorgt sind, und dass Selbstorganisation Selbstausbeutung zum Korrelat hat dürfte nicht als revolutionäre These durchgehen – aber nun beruhen diese Binsenwahrheiten des Offs auf einem zitierfähigen Dokument.

Die gegenwärtige Dynamik der Berliner Szene ist immer noch an ihre günstige urbane Struktur gekoppelt. Noch stehen genug freie Räume zur Verfügung, die zur Zwischennutzung umgewandelt und von einer Handvoll engagierter Menschen betrieben werden können. 150 Räume, betrieben von 900 Ehrenamtlichen, stemmen Jahr für Jahr um die 750 Ausstellungen in der Hauptstadt. Es sind beeindruckende Zahlen, die die Fragilität und endemische Prekarität des Biotops jedoch nicht verbergen können. Die Lebensdauer eines Projektraumes wurde zwar in Marguins Studie nicht dokumentiert, dürfte aber im Durchschnitt 3-5 Jahren nicht überschreiten. Zudem nimmt die Menge an bespielbaren Räumen aufgrund steigender Mietpreise ständig ab.

Nach der kurzen Präsentation von Marguins Studie fand die angekündigte Podiumsdiskussion statt. Versammelt waren Leonie Baumann, Jan Ketz, Andreas Koch, Heike Catharina Mertens und Detlev Schneider. Es wurden ebenso die klassischen Themen der Projekträume angesprochen, wie beispielsweise Fragen der Finanzierung, der Prekarität oder des ewigen Kampfes „On“ vs. „Off“, als auch neue Entwicklungen, wie zum Beispiel die Tatsache, dass kommerzielle Galerien oder Institutionen (Stichwort: Guggenheim Lab) sich anschicken, Projekträume zu betreiben und damit das Experimentelle und Prozessuale in ihre globale Kommunikationsstrategie zu integrieren – wie Jan Ketz, Leiter des Raums für Zweckfreiheit, bemerkte. Wir können und wollen nicht an dieser Stelle die Gesamtheit des informativen, vielseitigen und gut geführten Gesprächs zusammenfassen; der geneigte Leser sollte selbst zuhören.

Sehr angenehm an der Runde war jedenfalls das Selbstbewusstsein ihrer Teilnehmer, die mit dem anrüchigen Ruf des Off aufräumten. Von außen wird die freie Szene nämlich nicht selten als Reservoir für gescheiterte Künstler gesehen, ohne Zugang zum institutionellen oder kommerziellen System, sich mit den Krümeln der Öffentlichkeit begnügend. Dabei ist das „Off“ eine existentielle Wahl – im Sinne einer politischen Entscheidung –  und kein Abstellgleis. Viele bekennen sich offensiv zur Projektraum-Szene als Ort der Alternative und als Gegenentwurf zu einer dominierenden Kultur; sie sind keineswegs Gestrandete des offiziellen Kunstbetriebs. Die Bemerkung von Leonie Baumann war in dieser Hinsicht rhetorisch geschickt (wenn nicht unbedingt faktisch nachvollziehbar): Wenn einerseits viele junge Künstler sich nicht für den Kunstmarkt interessieren, sondern nur ihre Arbeit verrichten möchten und anderseits gestandene Künstler ohne Galerienvermittlung gut bis sehr gut von ihrer Produktion leben können, und wenn diese beiden Gruppen sowieso die große Mehrheit der Künstlerschaft bilden, müsste man den aktuell herrschenden Kunstmarkt zur eigentlichen Parallelgesellschaft erklären, zum (extrem sichtbaren und lauten, aber letztendlich peripheren) Randphänomen mit geringfügigem Realitätsbezug.

Dieses Selbstbewusstsein ist im braven Westen wenig vertreten. Hier spielt das Off allzu oft die Rolle eines Sprungbretts ins sehnsüchtig erträumte On. Eine klare politische und konsequente Haltung für die freie Szene lässt sich nicht ausmachen. Und vor allem lässt eines sich nicht ausmachen – und das ist etwas, das wir Rheinländer und Wahlrheinländer von den Berlinern lernen sollten: Den Zusammenschluss.