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Im Gespräch mit Anna-Lena Werner von artfridge

Die in Berlin lebende Anna-Lena Werner ist die zweite Gesprächspartnerin in unserer Interviewreihe mit deutschen Kunstbloggern, und bildet auch direkt eine Ausnahme. Denn der von ihr, mit Unterstützung von Amy Sherlock, geführte Blog Artfridge ist zwar stark in Berlin verortert, publiziert aber überwiegend in englischer Sprache. Der Themenschwerpunkt der Berichterstattung liegt auf dem Rheinland, Berlin und London.
Die Entscheidung für den internationalen Auftritt ist allerdings nicht nur strategisch bedingt, sondern hat durchaus persönliche historische Gründe. Anna-Lena hat selber lange Zeit in London gelebt und gearbeitet. Eine ihrer Redakteurinnen, Amy Sherlock ist nach wie vor dort. Ursprünglich stammt die leidenschaftliche Bloggerin aber aus Köln, also ganz aus unserer Nähe. Dem Rheinland ist sie dadurch immer noch verbunden und hat deshalb die Kunstszene hier nach wie vor gut im Blick.

Im Frühjahr diesen Jahres wechselte Sie aus der Rolle der Beschreibenden in die Rolle der Organistorin und Kuratorin, unter dem Titel “Untitled (Absence)” realisierte sie bei Savvy Contemporary eine Ausstellung mit Lela Ahmadzai aus Afghanistan und dem gebürtigen Dänen Lars Bjerre. Trotz ihrer Aktivitäten und Projekte hatte Sie freundlicherweise Zeit uns ein paar Fragen zu beantworten.

Anna-Lena Werner | artfridge.de

FK: Welche Ausstellung war für Dich besonders wichtig und warum?

ALW: Im Frühling 2005 habe ich im Hamburger Bahnhof in Berlin die Präsentation von Friedrich Christian Flicks Sammlung gesehen. Das war so mit das erste Mal, dass ich so viele gute zeitgenössische Kunstwerke geballt in einem Museum betrachten konnte. Ich war völlig fasziniert von Paul McCarthys Videoinstallation ‚Saloon Theatre‘. Seine Arbeiten haben mich noch Jahre später beschäftigt – ich habe auch viel über ihn geschrieben. Für mich war diese Ausstellung wie eine Tür zur Kunstwelt, die sich ganz plötzlich öffnete. Alle hingen sie da: Cindy Shermans Fotografien, Bruce Naumans Installationen, Arbeiten von Nam June Paik, Peter Fischl und David Weiss, Martin Kippenberger, Pipilotti Rist und vielen anderen. Seitdem ist der Hamburger Bahnhof mein Lieblingsmuseum – die Räume dort haben eine ganz eigene Mystik.
Auch fasziniert hat mich „The Killing Machine and Other Stories“ im MACBA in Barcelona. Das war 2007. Diese Sonderausstellung von dem Sound-Installations-Künstler-Duo Janet Cardiff und George Bures Miller war so schockierend wie radikal. Man versinkt in eine völlig abstrus-anti-utopische Welt. Ohne tatsächliche Gewalt zu zeigen, ruft die durchchoreografierte Installation „The Killing Machine“ die tiefsten Ängste und Phobien hervor. Alle Sinne sind für diese Zeit vollständig auf das Werk konzentriert.
Mit der Bewertung von wichtigen und unwichtigen Schauen halte ich es also wirklich simpel: Wenn ich mich nach Jahren noch so scharf an Ausstellungen erinnern kann, wie an diese beiden, dann haben sie zumindest einen großen Eindruck hinterlassen.


FK: Ein Blog über Kunst ist ja auch ein Eingriff in das Kunstsystem, wenn auch zu erst einmal im Bereich der Kunstvermittlung. Worin liegt für Dich der Anreiz zum Betreiben eines Kunstblogs?

ALW:  Ich besuche sowieso gerne Ausstellungen und halte sie meist fotografisch fest – so erstelle ich mir sozusagen ein persönliches Archiv. Irgendwann hab ich mir gedacht, dass ich mein Archiv genauso gut öffentlich teilen kann und so kam ich auf die Idee einen Blog zu machen. Jetzt bin ich an dem Punkt, wo der größte Anreiz für mich darin liegt, wenn ich Resonanz von meinen Lesern bekomme, oder ich durch den Blog Künstler, Kuratoren und andere spannende Menschen aus der Kunstwelt kennenlerne. Das ist eine riesen Bereicherung und schafft viele Kooperationen und Projekte. Außerdem möchte ich Künstlern, die noch keinen so großen Bekanntheitsgrad haben, die aber hervorragende Arbeiten produzieren, eine Plattform bieten. Das ist ja immer noch ein riesen Problem in der Kunstwelt.


FK: Ich finde es eine schönen Ansatz, das eigene Archiv zu öffnen und mit anderen zu Teilen. Wie gehst Du damit um wenn andere nun Deine Arbeit verwenden und nutzen, eventuell auch ohne Dich zu zitieren?

ALW:  Das Teilen von Archiven und im Endeffekt auch das Teilen von Wissen ist in der Wissenschaft unabdinglich. Nicht ohne Grund kommt das Wort von der Aktion „Wissen schaffen“. Behält man alles für sich, wird doch eine Kette von Verknüpfungen unterbrochen. Wem bringt es etwas, Dinge zu produzieren – seien es Texte, Kunstwerke oder etwa Musik – und sie dann im Verborgenen zu halten. Im Gegensatz zum deutschen Universitätssystem, predigen die Dozenten in England diese Strategie permanent. Ich habe während meines Masterstudiengangs in London so viel davon profitieren dürfen, dass andere mir Zutritt zu ihren Archiven, Gedanken und Prozessen gestattet haben. Das man diese Ideen nicht klaut, versteht sich von selbst. Es wäre auch dumm, weil die Kunstwelt zu klein ist, als das der ‚Raub‘ nicht sowieso an irgendwann ans Tageslicht kommt. Insofern sehe ich das Teilen eines Online-Archivs als etwas Positives.
Bis jetzt bin ich damit auch immer gut gefahren – ich empfinde den Umgang zwischen Kunst-Bloggern sowieso als recht kollegial.


FK: Welche Thematischen Schwerpunkte setzt Du bei Dir?

ALW:  Es geht um zeitgenössische Kunst aus Berlin, Köln und London, die mir oder den anderen Redakteuren gefallen, beziehungsweise: die wir für relevant halten. Das ist ein wichtiger Punkt, denn wir schreiben nur ganz selten vernichtende Kritiken. Ich empfinde zum einen keine Freude daran und zum anderen mag ich Ausstellungen erst gar keine Plattform bieten, wenn sie mir nicht gefallen. Eine Ausnahme sind Museumsschauen, die oftmals durch ihre fehlgeschlagenen, kuratorischen Ekstasen großartige Kunstwerke kompromittieren oder sie schlicht degradieren.
Die Formate der Posts wechseln zwischen kurzen Reviews, Interviews mit Künstlern und Artist Watchs. Dazu gibt es dann immer viele Fotos.


FK: Welche Künstler/innen beeindrucken Dich aktuell am meisten? Wen hast Du auf der Watchlist und wessen Arbeit verfolgst Du regelmäßig?

ALW: Die junge Kunstszene in Köln und Düsseldorf finde ich cool. Darunter zum Beispiel David Ostrowski, Michail Pirgelis, Max Frintrop oder Jana Schröder. Die haben einen anenehmen Umgang mit ihrer Kunst: machen sehr gute Shows, ohne dabei allzu ernst zu sein. Diese Leichtigkeit erlebe ich dort immer wieder. Meine Fühler gehen aber in viele Richtungen: Hier in Berlin hab ich mich dieses Jahr im Rahmen von artfridge zum Beispiel mit den gewaltigen Bildern von Santiago Ydanez und Mie Olise, wie auch mit der poetischen Konzeptkunst von Ulrich Vogel beschäftigt. Im April hab ich eine Ausstellung mit den politischen Afghanistan-Fotografien von Lela Ahmadzai und den nostalgischen Malereien von Lars Bjerre kuratiert. Und jetzt freue ich mich auf das kommende Interview mit der vielversprechenden Künstlerin Anna Virnich.
Ich bin aber auch ein Fan von Thomas Rentmeister und  Oda Jaune. Von Paul McCarthy sowieso. Und seit Neuestem verfolge ich auch die Aktionen und Installationen von Santiago Sierra und Tino Seghal vermehrt – ich glaube, die beiden gehören zu den wichtigsten Künstlern im Moment.
Florian – du musst ‚Stopp‘ sagen!


FK: Um was geht es Dir bei Deinem Projekt, was treibt Dich an?

ALW: Ich finde Kunst oft erst dann wirklich spannend, wenn ich den Zusammenhang verstehe. Die Geschichte zu einem Werk, oder einer Reihe erfahre ich aber am liebsten aus erster Hand und vor allem nicht in über-akademischem Wissenschaftsjargon. Es geht mir darum Kunst als etwas Positives zu vermitteln – sie nahbarer zu machen.
Kunst kann vieles bewegen, von einer gerührten Psyche und gutem Humor, bis hin zu politischen Veränderungen wie bei Ai Weiwei. Ich würde mir wünschen, dass mein Blog den Lesern diese Erfahrung näher bringen kann oder sie inspiriert, sich eine Ausstellung anzugucken, die ich mit gutem Gewissen empfehlen kann.


FK: Welche Ausstellung wäre das im Moment?

ALW: Als jugendliche hab ich oft das Museum Ludwig in Köln besucht, fand aber deren Pop-Schwerpunkt nicht so interessant. Seit Kaspar König frischen Wind in das Museum gebracht hat, bin ich ein riesen Fan von deren Sammlung. Die momentane Ausstellung „Ein Wunsch bleibt immer übrig“ ist seine letzte als Museumsdirektor und zeigt noch einmal die für ihn wichtigsten Ankäufe aus seiner Zeit. Eine tolle Schau mit vielen Überraschungen und wichtigen Positionen, wie etwa Zoe Leonard, Hans-Peter Feldmann und natürlich Rosemarie Trockel. Zudem finde ich die Fragen spannend, wann, wie und ob eine Sammlung jemals als ‚komplett‘ gelten kann oder ob es die Prozessualität und sogar das Suchen nach der Lücke ist, die den Charakter einer Sammlung bestimmt. Ein seltenes Beispiel für eine Museumsschau, bei der das Konzept und die Werke ohne Mühe und Verkrampftheit als Einheit auftreten.


FK: Du sprichst davon, dass Du Kunst als etwas positives wahrnimmst und das so vermitteln willst. Viele kunstgeschichtlich bedeutsame Künstler haben sich mit Antikunst versucht, das geht bei Dada los und setzt sich etwa bei Fluxus fort. Wie erklärst Du Dir diese Ablehnende Haltung der Künstler gegenüber der Kunst?

ALW:  Ich finde das Eine hängt mit dem Anderen nicht zusammen. Jede Antikunst positioniert sich trotzdem immer im Rahmen der Kunst. Sie bedient sie sich ja nach wie vor ihrer Bühne. Ich glaube nicht, dass etwa Dada eine ablehnende Haltung gegenüber der Kunst hatte, sondern gegenüber ihrer Tradition und ihrer Wahrnehmung. Das programmatische ‚Nonsens‘ war vielmehr ein Wachrütteln der Konventionen und eine Reaktion auf den ersten Weltkrieg. Jedem – ganz besonders den Kunstschaffenden – steht es frei Kunst scheiße zu finden und sie in Frage zu stellen. Das muss man sogar.
Kunst als etwas Positives zu vermitteln – wie ich es bei artfridge versuche – soll nicht heißen, dass man alle Kunst toll finden soll, sondern dass ich sie zunächst mal massentauglicher darstellen möchte. Kunst sollte Interesse wecken, kritisches Denken anregen – aber eben nicht nur bei einer minimalen akademischen Elite.


FK: Gibt es Dinge die Kunstblogs besser können als die etablierten Kunstmagazine?

ALW: Ich denk schon. Sie sind viel schneller, kostenlos, verzichten auf umständliche Bürokratie und haben normalerweise einen größeren Bildanteil. Das Internet bietet aber auch noch viel mehr Möglichkeiten: Verlinkungen, Videos – alles ist miteinander vernetzt und so fließen die Informationen zum Leser.


FK: Mit dem Stichwort kostenlos sprichst Du ja ein wichtiges Thema des Internets an. Natürlich ist es wunderbar Informationen frei verfügbar zu machen, aber ein Blog ist auch viel Arbeit wenn er gut gemacht ist. Wie machst Du das? Siehst Du deine Arbeit als Geschenk an die Allgemeinheit?

ALW: Wenn ein Blog nur noch Arbeit ist, dann sollte man aufhören. Denn des Geldes wegen fängt man damit bestimmt nicht an. Zugegeben: Ich bin momentan in der glücklichen Position an einem Projekt zu arbeiten, das mir daneben genug Zeit lässt zwei, drei Mal pro Woche einen Post zu publizieren. Und ich bin ja auch nicht allein: Amy Sherlock schreibt in regelmäßigen Abständen wunderbare Posts über Londoner Ausstellungen und wir haben seit Kurzem Anneli Botz an Bord, die artfridge ebenfalls mit super Beiträgen bereichern wird.


FK: Was glaubst Du, sind Kunstblogs eher eine Art Trend der vorbei geht, oder hältst Du es für möglich, dass hier längerfristig etwas Neues entsteht?

ALW:  Ich bin mir sogar sicher, dass Kunstblogs nur der Beginn einer viel größeren Medialisierung der Kunstwelt sind, deren Vorteile man nutzen und auch schätzen sollte. Schon jetzt gibt es ja Art.sy, die VIP Art Fair oder seditions. Das wird immer mehr werden und vor allem immer mobiler.


FK: Die Kunstwelt lebt sehr stark von den informellen Verbindungen und persönlichen Netzwerken in denen es um viel Geld und um Einfluss geht. Glaubst Du, dass sich die Verbindungen die derzeit durch das Netz entstehen langfristig dagegen durchsetzen können oder eine Alternative bieten?

ALW: Nein, weder noch. Das ist so wie beim Online-Dating. Der besoffene Gang in die Bar funktioniert trotzdem besser. Das Smile-Zeichen ersetzt die obligatorischen Dinner-Parties nicht. Und ich glaube das ist auch gut so. Das Internet kann zufällig Netzwerke entstehen lassen und hilft vor allem beim internationalen Austausch. Aber trotzdem fliegen alle in Persona von Basel nach Miami, von Kassel nach Venedig. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das so bald ändert. Und wer will schon auf die ganzen ‚Betriebs‘-Reisen verzichten?


FK: Vielen Dank für das Gespräch.

Der Blog von Anna-Lena Werner berichtet über Berlin, Köln, Düsseldorf sowie London und ist erreichbar unter http://www.artfridge.de.