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Die Ökonomie des Subversiven, ein Trauerspiel?

"A KOONS IN A MILLION; 50.932297,6.930211" Jerome Daly 2012
„A Koons In A Million; 50.932297,6.930211“ Jerome Daly 2012

Ein Kaspar Hauser im Trümmerfeld

„Die demokratischen Systeme dieser Welt stehen vor tief greifenden Erschütterungen.“ schreibt der deutsche Politologe Wolfgang J. Koschnick1 in seiner Einleitung zu einer Artikelreihe, die in dem Online-Magazin Telepolis erscheint. Weiter schreibt er: „Die entwickelten Demokratien in aller Welt – von den USA über Europa bis Japan – stehen vor dem gleichen Elend: Zwischen den Völkern und ihren Politikern ist ein tiefer Graben der Entfremdung aufgerissen, […] […]Die Menschen haben kein Vertrauen mehr in das politische System, in den Parlamenten und den politischen Parteien herrschen Hierarchien, es geht nicht mehr demokratisch zu, die Volksvertretungen nicken Regierungsentscheidungen nur noch ab, wichtige Entscheidungen werden in Hinterstuben getroffen, die politischen Institutionen sind handlungsunfähig […]“2. Im weiteren Verlauf des Textes legt er nahe, dass es sich um eine grundsätzliche Systemkrise der Demokratie handelt, die zur heutigen Realität gehört. Diese Systemkrise bezieht sich jedoch nicht nur – und nur ist vielleicht nicht das richtige Wort um es in diesem Zusammenhang zu gebrauchen – auf die Demokratie, sondern auf alle Systeme. Wir sprechen heute von einer Bankenkrise hier, einer Energiekrise da und gleichzeitig werden Bürgerrechte ausgehebelt, sowie die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinander gezogen.

Dennoch halten die meisten Menschen an den Systemen fest, weil sie nicht anders können. Auch darauf hat Wolfgang J. Koschnick eine Antwort: „Wer religiös erzogen wurde, bewahrt ein Leben lang seine kindlichen Vorstellungen darüber, […] […]Diese kindlichen Vorstellungen bleiben meist mächtiger als alle späteren Einflüsse und Überlegungen des Erwachsenenlebens.[…] […]Wenn systembedingte Katastrophen den Alltag beherrschen, wird krampfhaft nach Erklärungen und nach Sündenböcken gesucht[…] […]Aber das demokratische System bleibt sakrosankt. Unantastbar.“2 Dieses Phänomen beschreibt er wie eine Barriere, die dafür sorgt, dass die Zweifel am System selbst nicht zu Ende gedacht werden. Das System selbst ist also mit unseren grundlegendsten Überzeugungen verbunden: „Demokratie ist untrennbar verknüpft mit der Achtung und Verteidigung von Menschenwürde, Freiheit, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit, Menschen- und Bürgerrechten. Das macht sie so kostbar. Und niemand kann sich deren Abschaffung wünschen.“2 Es fehlt also, laut Wolfgang J. Koschnick, an radikalem kritischem Gedankengut um die Welt neu zu denken. Wir bräuchten sozusagen eine Armee aus Kaspar Hausers3, die losgelöst von ihrer Erziehung und einer systemischen Verwebung neue Definitionen schaffen für das was ist, um es einmal überspitzt zu formulieren. Aber was hat das nun alles mit der bildenden Kunst zu tun? Auch die bildende Kunst befindet sich in einer systemischen Krise und wirkt in sich fest gefahren. Auch sie scheint korrumpiert durch ein System das sie sich selbst geschaffen hat. Aber vielleicht müssen wir, um dies zu erkennen, uns erst einmal dem System Kunst selbst widmen.


 

Die Kunst als Kind der Ökonomie

Wo sich die bildende Kunst vorher in den festen Händen des Adels und der Kirche befunden hatte und über ihre Bilder in einen stetigen Kontakt mit breiten Teilen der Öffentlichkeit getreten war, öffnete sie sich seit Beginn der Moderne dem Bürgertum, definierte ihre Stellung innerhalb der Gesellschaft neu und schaffte sich unbesiedelte Aufgabengebiete. Wo vorher Bilder, aus heutiger Sicht betrachtet, zu eher illustrativen Zwecken in Auftrag gegeben und geschaffen wurden, um z.B. die Machtverhältnisse der Kirche zu stärken, werden von nun an Bilder geschaffen, um festgefahrene Muster innerhalb des Sehens aufzubrechen. Zumindest handelt es sich dabei um das erklärte Ziel. Damit besinnt sich diebildende Kunst offen auf die eigentliche Aufgabe der Kultur, einen lebendigen Diskurs mit ihrer Umwelt zu führen und als Gegengewicht zu den herrschenden Machtstrukturen kritsche Anmerkungen zu liefern.

Diese Tradition lässt sich übrigens in anderen Bereichen der Kultur, wie z.B. dem Theater, bis in die Antike zurückverfolgen. Schon Aristophanes kritisierte im alten Athen mit seinen Komödien die Machtinhaber auf eine kreative Weise unter den Augen der Öffentlichkeit. Jedoch war laut Stefan Heidenreich4 von vorne herein nicht deutlich ob Subversion, für die bildende Kunst, nicht mehr als ein erklärtes Ziel war. In seinem Buch „Was verspricht die Kunst?“5 legt er die ökonomischen Prozesse hinter dem Umbruch zur klassischen Moderne offen. Natürlich sind bildende Künstler von Verkäufen abhängiger als z.B. Schauspieler oder Musiker (die Strukturen untereinander in anderen Bereichen der Kultur sind besser organisiert). In der bildenden Kunst war schon seit der Romantik der Individualismus groß geschrieben worden und seither hatte sich daran auch nichts geändert. Simpel ausgedrückt: Künstler arbeiteten überwiegend alleine und – ausgelöst durch die Erfindung der Fotografie – sahen viele Künstler sich schlichtweg selbst vor einem Aus stehen. Der Fotoapparat hatte weite Bereiche ihres Schaffens eingenommen, was natürlich ökonomische Konsequenzen für die Künstler hatte. Parallel dazu suchten Teile der Öffentlichkeit, sprich Galeristen, nach Verwendung für die Werke aus den Häusern der ehemaligen Machtinhaber und die, die neu geschaffen wurden. Diese sich gerade neu bildenden Galerien machten sich laut dem Autor das Subversive zunutze und verwandelten scheinbar die bildende Kunst in das von einer Marktökonomie korrumpierte Modell, was wir heute kennen. Schon Picasso oder Dalí waren brilliante Geschäftsmänner und begnadete Vertreter auf dem Gebiet der formalistischen Subversion! Die Kunst hatte sich mit Hilfe der Subversion ihr Brot erkauft, jedoch zu was für einem Preis? Sie schien ihre Glaubwürdigkeit vor breiten Teilen der Öffentlichkeit verloren zu haben und erzeugte sich selbst einen Aussenseiterstatus. Die suversive Haltung des modernen Künstlers hatte in Verbindung mit der Ökonomie ein tiefes Misstrauen in breiten Teilen der Öffentlichkeit geweckt. Die Frage kam auf, ob es sich wirklich um einen subversiven Diskurs mit der menschlichen Umwelt und dem Sehen handelte, oder ob der Künstler vielmehr von ökonomischen Interessen getrieben wurde.

Um die Künstler entstand eine Elite, welche den Künstler schätzte und unterstützte, der Rest verstand einfach nichts mehr und für eine aktive Kunstvermittlung gab es in der Öffentlichkeit kein Interesse. Die bildende Kunst hatte den Kontakt mit der Aussenwelt verloren. Die konzeptuelle Kunst, die dann Ende der 70er Jahre aufkam und laut Camiel van Winkel den Beginn der Postmoderne markiert, war dann der erste massive Versuch, sich dem Elitären und dem Warenfetisch zu entledigen, die Glaubwürdigkeit der Kunst wieder herzustellen und mit der Gesellschaft wieder in Kontakt zu treten.

 

Die Kunst im Kontakt mit der Welt

Die Konzeptkunst hatte sich vorgenommen, das Subversive von den formalistischen auf die ideologischen Bestandteile eines Werks zu verlagern, so dass sie für jedermann verständlich werden sollte, sowie dessen stoffliche Identität innerhalb der Objektwelt vollkommen aufzulösen. Zumindest soweit zur Theorie. Jedoch praktisch kaum umsetzbar. Nach einer anfänglichen Euphorie stellte sich schnell wieder Ernüchterung ein.

Zum einen kommen die Künstler in Zugzwang, zuwider ihrer Überzeugung, der Idee eine stoffliche Hülle zu verpassen. – Man braucht einen Transmitter, sprich Bild, um das Konzept auf den Betrachter zu übertragen. – Zum anderen war das Negieren des Warenfetischs nicht dauerhaft haltbar. „The conceptual art movement has failed.“ schreibt der niederländische Autor Camiel van Winkel6 in einem seiner Bücher. Er schreibt über eine Assimilierung von bürokratischen Prozessen aus den aktuellen Entwicklungen der Realwirtschaft und Gesellschaft zu dieser Zeit. Es handelt sich um eine umfassende Bürokratisierung der künstlerischen Auffassung, darüber hinaus führte die Konzeptkunst dazu, dass sich das System Kunst noch mehr festfuhr, sich noch enger mit dem Faktor Ökonomie verwebte und sich noch stärker institutionalisierte. Dennoch, „Art is communication“7 sagt Mike Kelley in einem Interview. Dieser Samen war gelegt und postkonzeptuelle Künstler widmeten sich von nun an bewusst und mit Nachdruck dem Betrachter und seiner Umwelt. Trotz dieser sich durchsetzenden Überzeugung war der Elitarismus und Warenfetisch damit nicht ausgemerzt, aber das Subversive wurde von nun an mit Nachdruck verankert und Kontrollmechanismen eingeführt, die das Subversive im Werk messbar machten, wenn auch zunächst, oder immer noch, unter Einbüßen des Spielraumes für den Künstler und dessen Expression. Trotzdem, Camiel van Winkel schreibt zumindest über den Elitarismus, wenn wir Elitarismus so verstehen wie Andrea Fraser unter anderem in ihrer Performance Gallery Talk8, also von einer gewissen Unzugänglichkeit zum Werk sprechen, dass dieser sich seit Beginn der Konzeptkunst verschärft hat. Da war also der Künstler auf der einen Seite, der nun endlich bereit war mit der Welt in Kontakt zu treten. Und die Welt auf der anderen Seite, welche den Künstler nicht verstand. Trotz der Einführung der Idee, dass ein Künstler sein Werk nicht selbst zu produzieren hat, blieben die Werke verstreut und schwer zugänglich. Ein Diskurs mit den Medien, welche man zur Kunstunterweisung hätte einsetzen können, fand auch nicht statt.

Die bildende Kunst verfiel also in eine Art Sinn-Krise, unfähig den Diskurs mit der Aussenwelt ohne Zeitverlust aufrecht zu erhalten, während die ökonomische Krise ohnehin ihren Lauf nahm. Ihre Funktion als Teil des natürlichen Gegengewichtes zur künstlichen Kulturproduktion, sprich Creative Factory, hatte sie bis zur Jahrtausendwende schon eingebüßt und war zu einem Nischenprodukt der allgemeinen Kulturproduktion verkommen. Nur die Pop-Kunst vermochte es, einen breiten Teil der Öffentlichkeit effektiv zu erreichen. Der Großteil der bildenden Kunst nahm dabei Abstand, weil die Pop Art zu Gunsten des öffentlichen Diskurses die Ökonomie umarmt hatte. Man fürchtete die Gaubwürdigkeit im Subversiven einbüßen zu müssen, obwohl man sich bewusst war, dass reine Subversion ein Kindermärchen ist, ja sogar einem breiteren Diskurs mit der Öffentlichkeit im Weg stand. Wieder vergingen fast drei Jahrzehnte, bis sich eine neue Bewegung bildete welche die ehemaligen Ideale der Konzeptkunst wieder aufnahm und den Kunstdiskurs wieder in die Mitte der Gesellschaft platzieren wollte. Dieses Mal jedoch nicht aus der bildenden Kunst selbst, sondern von der Straße kommend. Die Streetart entstand.

 

Die Kunst frisst ihre eigenen Kinder

Nachdem man feststellen musste, dass die künstliche Kulturproduktion mehr und mehr Raum eingenommen hatte und sie darüber hinaus die Kontrolle über den Großteil der kulturellen Prägung für sich beanspruchte, kam die Idee auf, sich bdiesen Raum, unabhängig vom mittlerweile korumpierten Kunstbetrieb, zurück zu erobern um sich eine Plattform zwischen Kunst und Ökonomie zu schaffen. Die Streetart Bewegung hatte sich vorgenommen, die Pläne – welche die Konzeptkunst erarbeitet hatte und mit denen sie grandios gescheitert war, nämlich den Warenfetisch zu negieren und Kunst rational fassbar zu machen – dieses Mal in die Tat um zu setzen. Jedoch orientierte sie sich dabei nicht an der Methodik der Konzeptkunst, sondern an der Pop Art und benutzte die Bildsprache der Medien selbst, um eine kritische Reflektion der menschlichen Realität im Sehen durchzusetzen. Man nutzte also die Bilder der künstlichen Kulturproduktion, die der Bevölkerung im Laufe der Zeit anerzogen wurden, um das Publikum für die bildende Kunst zu erweitern. Was sich die Konzeptkunst vorgenommen hatte, nämlich einen Diskurs mit dem Publikum zu schaffen, wurde nun auf banalste Art und Weise durchgesetzt, mit Erfolg! Ein breites Spektrum an Bildern und Zeichen enstand, die eine breite Masse an Menschen erreichten. Sie erzeugten dies nicht nur durch den Gebrauch der allgemeimen von der Creative Factory eingeführten Codes, sondern auch dadurch, dass sie ihre Werke in den öffentlichen Raum platzierten, also auf der Straße und an Häuserwänden, vollkommen anonym und damit gleichzeitig dem Warenfetisch und exklusiven Character eines Kunstwerks radikal widersprechend. Während die Kunstwelt auf Grund der durch die Konzeptkunst eingeführten Kontrollmechanismen die Augen verschloss, feierten große Teile der Bevölkerung ihre neuen Helden. Die Glaubwürdigkeit der bildenden Kunst in den Augen der Öffentlichkeit schien wieder hergestellt. Jedoch wurde der Streetart ihr grandioser Erfolg schnell zum Verhängnis.

Als Stiefkind der natürlichen Kulturproduktion war die Streetart schutzlos den COE’s der großen Markenfirmen und damit der Creative Factory ausgeliefert9. Unsicher über ihre Zugehörigkeit ließen sich schnell Streetart Künstler von der künstlichen Kulurproduktion vereinnahmen und als die Kunstwelt, nach Druck aus der Öffentlichkeit, die kunstge-schichtliche Relevanz der Streetart erkannte und begann sie in ihre Museen einzureihen, waren ein Großteil der Streetartists zur Werbebranche übergelaufen oder verschwunden. Die Vermarktung innerhalb des Kunstbetriebes gab der Streetart dann den letzten Todesstoß. Denn in den Augen der Öffentlichkeit hatte sie damit ihre Werte verkauft. Nur Banksy vermochte es mit dem Erschaffen von Mr. Brainwash ein letztes Mal die Vermarktungs-mechanismen von Kulturgut, mit dem Satz „[…]is art nothing more than a joke?[…]“10, kritisch offen zu legen. Gleichzeitig läutet er damit das Ende der Street Art Bewegung ein. Wieder einmal konnte die bildende Kunst der Wahrheit nicht ins Auge sehen das der ökonomische Konflikt ihr Sargnagel ist und wieder einmal hatte sie sich zu ernst genommen und dabei ihr erklärtes Ziel seit der Moderne aus dem Auge verloren. Die Konzeptkunst bzw. die bildende Kunst fraß also ihr eigenes Kind und befand sich wieder da wo sie vorher war: als Außenseiter des Kulturbetriebes, in der Krise, ihr Kind allein lassend.

 

Das Zeitalter des Zweifels

Der Zweifel ist es, der unsere Welt heute bestimmt und dennoch bleiben die Zweifel am System unangetastet. Eben so wie in der bildenden Kunst, die ebenfalls in einer systematischen Krise steckt, weil sie sich von ihren grundlegenden Überzeugungen, welche sie zu Beginn der Moderne geschaffen hat, nicht trennen kann. Es sei einem also auch nicht zu verübeln, genauso wie Wolfgang J. Koschnick für die Demokratie, von einer mangelnden Bereitschaft zum kritischen bzw. radikalen Denken innerhalb der bildenen Kunst zu sprechen. Zumal es sich näher betrachtet um eine einmalige Chance für die bildende Kunst handelt, ihr erklärtes Ziel seit Beginn der Moderne endlich wahrzunehmen, nämlich die Subversion. Also den Zweifel an ihrem eigenen System sowie den Systemen die sie umgeben zu schüren. Der Künstler von heute sollte sich also nicht als Aussenseiter verstehen, sondern in der Mitte der Gesellschaft, als Bindeglied zwischen festgesetzten und offenen Denkstrukturen. Er sollte bildnerisch die heute wichtigen Fragen kritisch zur Diskussion stellen, festgefahrene Strukturen aufbrechen und seine Autonomie dabei nicht aus dem Auge verlieren.

Der Zweifel selbst bleibt nämlich nicht unentdeckt von anderen Kulturproduzenten, welche sogar versuchen die entstehende Unsicherheit ein zu dämmen. Nicht nur über die Systeme selbst, sondern auch über ihre Bestandteile, ihre Objekte oder Zeichen und darüber, wie der Mensch sich darin einordnen kann. Die Creative Factory, als verlängerter Arm von Marken-firmen und Großkonzernen, schafft massiv Kulturgüter, ohne diese – in den meisten Fällen – kritisch zu hinterfragen.

Was wäre also wenn ein Künstler einen Weihnachtsmann schaffen würde? Würde es genauso enden wie wir heute Weihnachten feiern? Die Welt braucht autonome Künstler, die bereit sind neue Wege zu gehen und sich der modernen Rolle der Kunst zu entledigen und gleichzeitig gegen diese Form von Kulturproduktion resistent genug sind.

Neben der Streetart war die Populärkunst schon immer mehr als andere Kunstrichtungen bereit, die Masken fallen zu lassen und einen Diskurs mit breiten Teilen der Öffentlichkeit zu führen. Takashi Murakami z.B. sagt, dass eines Tages Künstler Kinofilme und Computerspiele erschaffen wie die Creative Factory, jedoch sei die Kunst noch nicht soweit. Ebenfalls wird der Elitarismus trotz der erzielten Rekordpreise ausgeschaltet. Takashi Murakami betreibt zwar eine Factory. Jedoch werden alle Mitarbeiter an den Werken auf den Rückseiten vermerkt. Von den Originalen werden Merchandise-Versionen geschaffen und dann in Fan-Shops verkauft. Takashi möchte seine Werke jedem Geldbeutel zugänglich machen und nicht nur dem modernen Adel! Zwar ist die Betonung des ökonomischen Faktors in Murakamis Werk unübersehbar, jedoch scheinbar notwendig, um in Konkurenz zu den Medien und der Creative Factory mit einem so breiten Teil der Öffentlichkeit einen aktiven Diskurs zu führen. Sein Werk nimmt die Ausmaße einer Markenfirma an und wird auch genau so geführt. Die Firma hat sogar einen Namen (Kai-Kai Ki- Ki) und eine Corporate Identity. Die Popkunst ist es also, welche diese Resistenz besitzt, eben weil sie sich deren Mechanismen bedient und sie dabei kritisch zur Diskussion stellt, indem sie das Subversive hinter sich lässt.

Auch wenn die Popkunst im Verdacht steht rein ökonomischer Natur zu sein, polarisiert sie breit gefächert mit den Medien, der Öffentlichkeit und der Kunstwelt selbst. Sie durchbricht das System bildende Kunst, lässt ihre ohnehin vertrocknete Hülle zurück und schafft vor allen Dingen Ikonen. Ikonen , die die Welt zu brauchen scheint um den Zweifel zu schüren.

 

Hello World. My Name is Jerome Daly.

In der amerikanischen Rechtssprechung gibt es einen interessanten Fall, den es evtl. näher zu beleuchten gilt. Jerome Daly hatte sich ein Haus in Minnesota (USA) gekauft und dazu einen Kredit von der First National Bank of Montgomery aufgenommen. Später konnte Jerome Daly die Raten für den Kredit nicht zurückzahlen und die Bank wollte ihm das Haus wieder pfänden. Jerome Daly jedoch wandte sich an das Gericht in Scott County, um der vermeintlichen Enteignung aus dem Weg zu gehen. Er plädierte darauf, dass die Bank die Geldsumme für seinen Kredit aus dem Nichts geschaffen habe. Die Bank habe lediglich in ihren Büchern eine Geldmenge generiert und somit ihm nichts von Wert gegeben. Deswegen sei sie auch nicht berechtigt, ihm das Haus weg zu nehmen, noch müsse er die ausstehenden Raten zurückzahlen. Jerome Daly zielte damit auf das Prinzip der Mindestreserve ab. Eine Bank muss bei einem eingezahlten Betrag nicht die gesamte Geldsumme horten, sondern nur einen gewissen Prozentsatz. Mit dem Rest kann die Bank ihren Geschäften nachgehen, z.B. einen Kredit vergeben. Dieser Kredit wird dann natürlich ebenfalls wieder auf ein Bankkonto gezahlt von dem ebenfalls wieder ein großer Teil für einen neuen Kredit der Bank genutzt werden kann, usw.. Auf diese Weise kann eine Bank z.B. aus einhundert Euro mehrere tausend Euro generieren. Mit jeder Menge Schuldnern, welche der Bank dann das Geld in stofflicher Form wieder einbringen. Auf diesem Prinzip beruht die moderne Finanzwirtschaft wie wir sie heute kennen. Interessant jedoch war, dass Jerome Daly das Verfahren gewann. Das Gericht entschied zu seinen Gunsten und gab ihm Recht. Er dürfe das Haus behalten und der Kredit müsse nicht zurückgezahlt werden. Dieser Fall hatte im weiteren Verlauf keine weiteren Folgen für die Finanzwirtschaft. Im Gegenteil: die Bank tauchte trotzdem bei Jerome Daly auf und pfändete ihm das Haus mit Angabe dubioser Begründungen. Es ist sonst nur bekannt, dass Jerome Daly später als gesuchter Steuerbetrüger ins Gefängnis kam. Dennoch fasziniert der sogenannte Credit River Case und Jerome Daly bis heute alle Eingeweihten. Jerome Daly hatte mit seinem Urteil das Finanzsystem und seine Mechanismen, welche auf em Prinzip Schuld basierten, offen gelegt und das Konzept Kredit kurzzeitig unter Druck gesetzt. Vor allem im Zusammenhang mit den jüngsten Ereignissen im Finanzsektor, der durch die Bankenkrise 2008 ausgelösten Finanzkrise usw. ist dieser Fall besonders interessant. Wenn man dann darüber nachdenkt, dass dieser Fall selbst 2008, als jedem klar wurde, dass der Finanzsektor mit seinem Prinzip des unendlichen Wachstums die Welt zu Grunde richtet, nicht öffentlich diskutiert wurde, lässt das im Zusammenhang mit jüngsten Presse- und Zensur-Skandalen Rückschlüsse auf unser Informationssystem zu. Vielleicht fragt man sich auch ob Jerome Daly tatsächlich Steuerhinterzieher war, oder nicht eine ähnliche Taktik verfolgt wurde jemanden mundtod zu machen, wie man es vor kurzem bei Snowden und davor bei Wikileaks erlebt hat.

Die Informationen rund um Jerome Dalys Leben und den Credit River Case sind rar gesät. Vielleicht ist diese Geschichte auch nur ein Schreckgespenst der Internetkultur, dessen Ursprung wir im Silicon Valley zu suchen haben. Eines steht jedoch fest: Der Fall Jerome Daly gibt zu denken. Man beginnt zu zweifeln über die Systeme selbst, gelenkt durch eine Ikone, die vor dem inneren Auge erscheint. Jerome Daly ist einer dieser Kasper Hauser welche diese Welt zu brauchen scheint. Ein Mann, der nicht davor zurückschreckt, das System selbst verantwortlich zu machen. Auch wenn da die Angst ist, die Menschheit könne im Chaos versinken wenn sie einmal ihre Systeme zum Reboot abgeschaltet hat. Was wäre also, wenn jeder von uns zu einem Jerome Daly würde? Was wäre, wenn ein Künstler dieser Jerome Daly wäre? Was wäre, wenn Jerome Daly zu einer Marke würde? Was wäre, wenn Objekte und Menschen als Links in unserer stofflichen Welt auf seine Geschichte verweisen würden? Was wäre, wenn diese Objekte und Personen genau so real existierten wie die abstrakten Nummern eines Kreditsystems?

Die Systeme, wie wir sie kennen, müssen neu definiert werden und die Objekte oder Zeichen, die sie und uns umgeben, neu geordnet. So viel steht fest und vieles mag davon abhängen. Eine Ikone wie Jerome Daly lädt zum Zweifeln ein und vielleicht ist es gerade die Kunst, die ihren Beitrag dazu leisten muss, Ikonen zu schaffen um diesen Zweifel aufrecht zu erhalten, in einer Welt, in der das Reale mit dem Abstrakten in Koflikt steht.

 

1 deutscher Buchautor für Medien und Marketing

2 Quelle: Eine Demokratie haben wir schon lange nicht mehr – Teil 1 // Wolfgang J. Koschnik // Telepolis 2013

3 Kaspar Hauser war ein Findling welcher seine gesamte Kindheit in einem dunklen Raum mit nichts weiter als Wasser, Brot und einem Holzpferd verbracht haben soll. Sein Auftreten sorgte für internationales Aufsehen, wurde doch in diesem Moment der Wissenschaft klar, dass es anerzogene und angeborene Eigenschaften am Menschen gab. Seine Geschichte ist jedoch heute umstritten.

4 deutscher Kunst und Medienwissenschaftler

5 auf dieses Buch stütze ich in diesem Teil den Großteil meiner Argumentation // Autor: Stefan Heidenreich // Berlin Verlag

6 niederländischer Kulturwissenschaftler, auf dessen Argumentation ich mich in diesem Teil stütze; Quelle: During the Exhibition the Gallery will be Closed, Valiz Verlag / 2012

7 Quelle: Youtube

8 In der Performance Gallery Talk versammelt Andrea Fraser Sätze aus Verkaufsgsprächen von verschiedenen Galerien und Messen. Der Satz: „this has been made to exclude people, to exclude you from the ordinary of their lifes“ ist so etwas wie eine kritische Fußnote zur bewussten Exkludierung in der Kunst.

9 Ich stütze meine Argumente hierbei auf das Buch „No Logo“, das Ende der 90er von Naomi Klein veröffentlicht wurde. In diesem Buch beschreibt sie die Übernahme der Kulturproduktion durch die Creative Factory und legte unter anderem damit den Grundstein für die Streetart Bewegung. Sie geht von einer Funktion der Kunst und Kultur als natürliches Gegengewicht zum modernen Marketing aus.

10 Quelle: „Exit through the Giftshop“ Banksy Film // 2010