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Ein Facebook Interview mit Philipp Meier – 96 Jahre Dada

Das Cabaret Voltaire in Zürich ist ein legendärer Ort. Von Hugo Ball und Emmy Hennings am 5. Februar 1916, also heute vor 96 Jahren gegründet, ging von dort einer der einflussreichsten künstlerischen Impulse des 20. Jahrhunderts aus. Im Umfeld des Cabaret Voltaire entwickelte sich DADA und verbreitete sich dann rasend schnell über den Globus. New York, Paris, Berlin und Köln wurden im Zuge dieser revolutionären Entwicklung zu weiteren wichtigen Zentren dieser Idee.
„Im Wesentlichen war es eine Revolte gegen die Kunst von Seiten der Künstler selbst, die die Gesellschaft ihrer Zeit und deren Wertesystem ablehnten. (Wikipedia) „.
Für all die Leser, die die damit verbundenen Ent- und Verwicklungen noch mal kurz auffrischen möchten, bietet der verlinkte Wikipedia-Artikel einen brauchbaren Einstieg in die kurze Geschichte des DADA.

2004 besetzte die Künstlergruppe Kroesus erneut das Gebäude in der Spiegelgasse 1 in Zürich und knüpfte damit an die Geschehnisse zu Beginn des letzten Jahrhunderts an. Mittlerweile wird das Cabaret Voltaire durch die beiden Co-Direktoren Adrian Notz und Philipp Meier geführt und durch die Stadt Zürich und private Förderer unterstützt. In letzter Zeit gab es im Cabaret Voltaire mehrere Projekte und Veranstaltungen mit dem Ziel die Idee DADA weiter zu denken und sich mit der Frage zu beschäftigen was DADA heute sein könnte.
Wir haben uns mit dem Co-Direktor Philipp Meier über die vergangenen und aktuellen Projekte per Facebook-Timeline unterhalten. Das Gespräch ist so weit möglich in der Originalfassung belassen worden. Die Einschübe einiger, Ihnen eventuell unbekannter, Autoren sind Facebook-Freunde des Cabaret Voltaire, die sich so an dem Gespräch beteiligten.
Wir wünschen viel vergnügen beim Lesen.
Kurz lebe ADAD!

96 JAHRE DADA – A COFFEEBREAK OF A REVOLUTION

voina und philipp meierdie russische kunstaktivistengruppe voina und philipp meier im cabaret voltaire

Florian Kuhlmann‬ > Philipp Meier 13. Februar um 09:22 in der Nähe von Düsseldorf
Ich beobachte die Aktivitäten im Cabaret Voltaire seit einiger Zeit aus der Ferne, vor allem über Facebook, Twitter und Eure Blogs. So ganz genau weiß ich aber trotzdem nicht was bei Euch vor Ort gerade los ist.
Es gab und gibt u.a. die Projekte DADA NEW YORK II, AL DADAIDA, 96 JAHRE DADA – A COFFEEBREAK OF A REVOLUTION, dazu den immer wieder kehrenden Untertitel „The Revolution to Smash Global Capitalism“ und dann waren kürzlich THE YES MEN (NYC), REVEREND BILLY (NYC) und VOINA GROUP bei euch zu Gast. 
Es handelt sich also unbestritten um ein fantastisches Chaos, dass ihr da mit viel Einsatz am Laufen haltet.
Würdest du mir trotzdem einfach mal kurz erzählen wie all das miteinander zusammenhängt und was ihr in den letzten Monaten so gemacht habt
?

Philipp Meier danke für dein feedback, das in eine frage mündet. in deiner kurzanalyse aus der ferne steckt gleichzeitig fluch und segen (sprich: sie ist lobgesang und verriss in einem guss…;) mehr dazu später…

Florian Kuhlmann als verriss wars nicht gedacht. jetzt bin ich gespannt.


Cleaning Swiss Banks – ein spontane Aktion im Rahmen von «96 JAHRE DADA – A COFFEEBREAK OF A REVOLUTION»

Götz Gramlich fluch und segen, ying und yang. wo bleibt die dreifaltigkeit? oder ist der dada der heilige geist?

Philipp Meier was ich an meinem ersten, gegensätze vereinenden fazit nicht mag: es ist dieselbe strategie, mit der die kunst ehrfurcht ausstrahlt (denn nur ein kunstwerk schafft es, gegensätze in sich zu vereinen…;) Wolfgang Ullrich – Tiefer hängen

Florian Kuhlmann guter mann, der herr ullrich!

Philipp Meier also…; ein zweiter versuch….; respektive eine fortsetzung/ausführung zu meinem ersten kommentar: um menschen zu erreichen (und geld aufzutreiben;), sollte man verstanden werden. so gesehen ist es eine bittere pille, dass du unser programm nicht verstehst.
zum anderen ist es ein grosses kompliment, wenn du unser chaos als fantastisch bezeichnest (ich sass gerade heute mit ein paar grossen dada-kennerInnen an einem tisch und uns faszinierte, dass sich viele leute für dada begeistern können, obwohl niemand wirklich verstehen kann, was damals geschah…)

zu deiner konkreten frage:
wir (und die stadt zürich;) werden 2016 100 jahre dada feiern. auf dem weg dorthin, werden wir in ausstellungsreihen die drei bekanntesten (und wohl wichtigsten) dada-städte thematisieren.
von sept. 2011 bis aug. 2012 macht new york den anfang (in den folgejahren sind dann paris und berlin an der reihe…) nach einer übersichtsshow über den historische new york dada (mit fake-objekten und -bildern eines serbischen künstlers, der in berlin das museum of american art betreibt), waren the yes men an der reihe.
weil picabia und duchamp gemäss ihren worten in new york «die zukunft der kunst» fanden…; machte sich adrian notz (der zweite ko-leiter neben mir;) vor einem jahr in new york auf die suche nach der zukunft der kunst…; und traf the yes men (und reverend billy).

Philipp Meier mist…, zu früh die eingabetaste gedrückt…; es geht gleich weiter…;)))

Philipp Meier in einem langen gespräch mit mike und andy (yes men) schälte sich der titel «the revolution to smash global capitalism» heraus.
in der ausstellung «dada new york II: the revolution to smash global capitalism» präsentieren wir (noch bis nächsten sonntag) manifeste und anleitungen von unzähligen lokalen und globalen politischen künstlern und kreativen aktivisten. uns interessiert dabei die frage, wie diese aktivisten arbeiten und welche rolle wir dabei als institution übernehmen könnten oder sollten.
nach einer recherche-phase trafen sich am 3.-5. febr. (fast) alle beteiligten künstlerinnen und aktivisten im cabaret voltaire zum «coffeebreak of a revolution» und tauschten sich aus (z.b. wie in einer firma am kaffeeautomaten…;))) dabei entstanden kontakte und mehr oder weniger geplant ein paar aktionen.
ein wichtiger slogan der ausstellung verweist auf die zukunft der kunst und des kreativen aktivismus‘:
yesterday: greenpeace
today: the yes men
tomorrow: you!

Philipp Meier deshalb auch die anleitungen zu diversen kreativen revolutionären oder rebellischen aktionen…

Philipp Meier AL DADAIDA und DADANONYMOUS sind einfach so wortspiele, um denkräume aufzumachen…; und um die z.t. schwer vorbelasteten begriffe «politische kunst» und «kreativen aktivismus» zu umschiffen…

Florian Kuhlmann vielen dank für die ausführlich erläuterung. das hatte ich in der abfolge so in der tat aus der ferne nicht realisiert. wobei ich bezweifle ob das wirklich ein problem darstellt, ich das also keines wegs als bittere pille verstehe. letztlich hat es mich und viele andere erreicht, interesse erzeugt, angesteckt und es war immer klar es dreht sich um DADA/POSTDADA. also selbst aus pr-sicht ist alles i.o. – bitter ist anders.

Florian Kuhlmann‬ >> Philipp Meier 14. Februar um 17:00 in der Nähe von Düsseldorf
es folgt Frage zwei: Das Cabaret Voltaire tritt ja auch immer wieder zusammen mit der Occupy-Bewegung und Anonymous in Erscheinung.
 Wie ist euer Verhältnis zu Occupy und Anonymous? Wie nimmst du diese Bewegung(en) war?

Philipp Meier aktuell verlagert sich mein/unser (wäre auch eine spannende frage: was bin ich und was ist das cabaret voltaire?;) fokus von occupy weg hin zu anonymous.
zu occupy
wer kein geld hat, um über monate die stadt mit plakaten mit politischen slogans zuzupflastern (hier in der schweiz machen dies der milliardär christoph blocher und seine mit-millionäre der SVP), der oder die kann nur seinen oder ihren eigenen körper im öffentlichen raum sichtbar machen. dies wird jedoch vielen verwehrt (auch in zürich wurde das occupy-camp polizeilich geräumt).
mich fasziniert auch der umstand, dass alles basisdemokratisch organisiert wird und dadurch enorm träge wird. ich nahm die occupy-bewegung viel in schutz, weil ich es wichtig und richtig fand, dass sie keine einfachen slogans benutzten und dadurch nicht fassbar werden. occupy hat ein reales soziales system entwickelt, das vom internet geprägt wurde (zumindest vom ideal des demokratischen, anti-hirarchischen netzes….;) gleichzeitig finde ich occupy nicht sehr kreativ (zumindest hier in zürich). zu viel vergangene politästhetik wird sichtbar (hippies, trommeln, etc.). da fehlt mir eine gewisse sexyness, eine kreative unberrechenbarkeit und grundsätzlich zu wenig witz. darauf versuchten wir mit «the revolution to smash global capitalism» und «coffeebreak of a revolution» zu reagieren.


Reverend Billy & The Stop Shopping Choir — “We are the 99% (as we gather together)”

zu anonymous
auch wenn ich es noch nicht wirklich verstehe, dieses phänomen finde ich enorm spannend. das ist gänzlich unberrechenbarer aktivismus. jede und jeder kann teil von anonymous sein. ständig werden irgendwelche warnungen und «angriffsziele» verbreitet und niemand weiss, ob da was dahinter steckt…, denn nur der zeitgeist (zur selben zeit dasselbe denken/wollen) entscheidet, wo anonymous aktiv wird. am liebsten möchte ich mich gleich in intensive recherchen stürzen und aktiv mitmachen…; aber es steht als übernächste ausstellung «i am art» an… (yesterday: dada baroness. today: lady gaga. tomorrow: you!)

Florian Kuhlmann bezüglich der retro politästhetik bei occupy fällt mir im übrigen schon wieder wolfgang ulrich ein. der hat sich – ich glaube es war im art-magazin – mit der gestaltung der protestplakate bei stuttgart21 beschäftigt. eben auch unter dem gesichtspunkt, dass die überwiegende mehrheit der dort verwendeten medien aus zitaten und collagen der kunst- und kulturgeschichte bestehen.