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Das Freie Kunst Territorium in Bochum

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

Wenn es prinzipiell stimmt, dass eine unabhängige Kunstszene sich vor allem in großen, reichen Städten entfalten kann und von einem vorhandenen Angebot an kommerziellen Galerien, Kunsthochschulen oder Museen besonders profitiert, gibt es jedoch genug Ausnahmen, die diese Regel bestätigen. Bochum ist beispielsweise nicht gerade prädestiniert, ein solche Kunstszene zu beherbergen. Aber die Stadt besitzt eine wichtige Voraussetzung um Kunstschaffenden anzulocken: Preiswerte bis sehr preiswerte Mieträume in zentraler Lage.

Diese Tatsache hat Uwe Siemens dazu bewegt, die besser gestellte Stadt Essen zu verlassen und sich in ein verwaistes Gebäude von Thyssen-Krupp im Zentrum von Bochum anzusiedeln. Zusammen mit Christoph Gruse, Cristóbal Márquez, Dorothee Schäfer, Gabi Moll und Joanna Zadora-Gruse hat Siemens 2009 das Freie Kunst Territorium (FKT) gegründet, eine Ateliergemeinschaft, die die fantastischen räumlichen Möglichkeiten ihres Standortes ausschöpfen möchte.

En Teil der FKT-Truppe: Uwe Siemens, Christof Gruse, Gabi Moll, Dorothee Schäfer und Zorro

Die Zentrale des FKT befindet sich einem langgestreckten, bungalowartigen Gebäude, in dem lungenkranke oder verletzte Angestellte von Thyssen-Krupp sich bis vor ein paar Jahren behandeln ließen. Mit der strukturellen Umwandlung der Firma hätte das in den 1950er Jahren errichtete Mini-Sanatorium eigentlich abgerissen werden müssen. Aber während die umliegenden Hallen verschwanden, wurde das Haus aufgrund seiner industriekulturellen Relevanz – sowie mancher interessanten architektonischen Details – unter Denkmalschutz gestellt und blieb erhalten.

Bild: T. Bocian
Bild: T. Bocian

Ein Glücksfall  für Künstler und Kreative: Hier gibt es extrem preiswerte Quadratmeter und jede Menge Raum. Thyssen-Krupp kann sich übrigens glücklich schätzen: Das FKT, sowie die anderen Nutzer des Hauses, pflegen und hüten das Objekt und garantieren es vor einem sicheren Verfall. Der Schwerpunkt des FKT an diesem Standort liegt auf die Atelierarbeit. Die Künstler haben sich in den relativ niedrigen Räumen eingerichtet und, neben der Fortführung ihrer eigenen Produktion, veranstalten immer wieder Workshops und Kurse in Malerei, Bildhauerei oder Aktzeichen für ein Laienpublikum.

Christof Gruse im Atelier

Atelier Gabi Moll
Atelier Dorothee Schäfer

Diese Öffnung der Gemeinschaft zur Öffentlichkeit wird noch deutlich verstärkt durch die zahlreichen Ausstellungen, die in den Kellern des Hauses stattfinden. Dort sind keine riesigen Hallen zu erwarten, aber es ist immerhin genug Platz, um kompakte Präsentationen in guten Bedingungen zu ermöglichen. In unregelmäßigen Abständen werden hier lokale bis regionale Künstler präsentiert; monumentale Projekte sind eher ausgeschlossen.

Zu dieser Ausstellungstätigkeit kommen noch diverse interdisziplinäre Projekte, die die Schnittstelle zu Literatur, Theater und Musik suchen. Die passend betitelte Masala-Reihe bringt beispielsweise Künstler aller Sparten in dem Haus zusammen und, mit diversen Programmpunkten, schafft eine Festivalstimmung auf kleinstem Raum.

Sibylle Pieper - Performance während Masala 2011. Bild: © Cristóbal Márquez
Anja Schreiber - Performance während Masala 2011. Bild: © Cristóbal Márquez
Mia Sellmann - Performance während Masala 2011. Bild: © Cristóbal Márquez
Lesung von Witek Danielczok während Masala 2011. Bild: © Cristóbal Márquez

Apropos Raum: Das Gelände um die FKT-Zentrale steht der Gruppe auch zur Verfügung und wirkt zunächst unendlich groß. Die denkmalgeschützte Lage hält Investoren fern und, außer den üblichen halbwilden Tieren, haben die Künstler keine Nachbarn, die sich über Lärm beschweren können. Von solchen räumlichen Zuständen träumt die Künstlerschaft der großen Städte. Der Bochumer postindustrielle Garten wird immer wieder in Anspruch genommen, um Kunst im Freien auszustellen oder außergewöhnliche Aktionen zu realisieren. Im Mai startet eine poetische Performance-Nacht, in der Gedichte beim Vollmond und an unterschiedlichen Stellen des Gelände vorgelesen werden. Auch bei dem kommenden Natur-Festival wird eine Brachfläche bespielt.

Diese besondere räumliche Großzügigkeit, gepaart mit der Erreichbarkeit des Ortes, führen zu regelmäßigen externen Anfragen – die Lage ist für Konzerte, Partys und größere Freiluft-Events so toll, dass es eigentlich nicht überrascht. Die Gemeinschaft lässt aber nicht jeden zu und überlegt sich genau, wer rein kommt und wer draussen bleibt. Nicht-kommerzielle Projekte, die eine gewisse Geistesverwandtschaft zu den Grundsätzen des FKT aufweisen und trotzdem ein anderes Publikum generieren können, bekommen meistens den Zuschlag. Demnächst wird hier z.B. das Forum Freies Theater aus Düsseldorf eine Produktion realisieren.

Selten genug um unterstrichen zu werden: Das FKT ist übrigens kein e.V. und hat auch keine Ambition, ein solcher zu werden. Trotz des möglichen finanziellen Vorteils dieser Rechtsform, hat keiner Künstler wirklich Lust, Vereinsarbeit zu leisten und Zeit an administrativen Angelegenheiten zu verlieren. Das „Freie“ des Freien Kunst Territoriums ist wohl ernst gemeint…