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Im Gespräch mit Bülent Gündüz vom 360 Grad Blog

Auch wenn es manchmal den Anschein hat, Kunst und neue Medien finden im deutschsprachigen Raum derzeit nicht nur in Berlin statt. Obwohl die Konzentration von Blogs, Plattformen, Communities und anderen Onlineprojekten mit Kunst und Kulturbezug dort derzeit wohl unbestritten am höchsten ist. Aber – und das ist der Punkt – auch an anderer Stelle entwickeln sich innovative Projekte mit Pioniergeist und dem Anspruch neue Wege zu gehen. Die ehemalige Bundeshauptstadt Bonn und das beschauliche Friedrichsthal sind solche Orte, denn dort entstehen die Ideen für den 360-grad-blog.de des Journalisten, Kunstkritikers, Beraters, Kurators und Bloggers Bülent Gündüz.

Und weil man das Rad nicht immer wieder neu Erfinden muss, und das Kopieren und Zitieren eine uralte Kulturtechnik ist die im Netz zu ungeahnter Blüte reift, greife ich an dieser Stelle kurzerhand auf Wikipedia zurück um den Mann kurz vorzustellen.

Gündüz ist der Sohn eines Türken und einer Deutschen. Er wurde in Saarbrücken geboren und wuchs in Friedrichsthal (Saar) auf. Nach dem Besuch des Gymnasiums und der Ableistung des Zivildiensts studierte er Rechtswissenschaften. Nach Abschluss des Studiums begann Gündüz als freier Journalist für Zeitungen. Gündüz volontierte beim Kunstmagazin Artsjournal, war dort Redakteur und Ressortleiter und ist seit einigen Jahren freiberuflich für Magazine und Tageszeitungen tätig. Gündüz gilt als Experte für die Kunst des 20. Jahrhunderts, insbesondere für den Abstrakten Expressionismus. Seit 2009 ist Gündüz auch als freier Kurator und Ausstellungsberater tätig.

Hinzuzufügen wäre noch, dass der von ihm geführte 360-Grad-Blog seit 2006 existiert, damit zu den ältesten deutschsprachigen Kunstblogs gehört und der Autor selber, da 1971 geboren, noch ein Paar Jahre mehr auf dem Buckel hat. Aktuell arbeitet Bülent Gündüz an seinem ersten Buch, einer Biografie über den Maler Jackson Pollock.
Wir freuen und bedanken uns dafür, dass er sich dennoch die Zeit genommen hat die Fragen so ausführlich zu beantworten.

Über das persönliche Verhältnis zur Kunst.

FK: Welche Künstler und/oder Werke sind für Dich von besonderer Bedeutung? Was interessiert Dich an Ihnen und Ihrer Arbeit?

BG: Ich habe mich schon früh auf die Abstrakten Expressionisten um Jackson Pollock, Willem de Kooning und Clyford Still spezialisiert und das nicht ohne Grund: Ich mag die abstrakt-expressionistische Malerei, den Ausdruck, die Kraft und Energie in den Werken. Diese Periode der Kunstgeschichte war einer der größten Umbrüche in der Kunst der letzten Jahrhunderte und machte New York zur Welthauptstadt der Kunst und das in einer spannenden Zeit gesellschaftlicher Umbrüche.

Ansonsten beobachte ich natürlich berufsbedingt viel Künstler, die ich toll finde. Als Kritiker werde ich mich aber hüten, hier Namen zu nennen, aber ich mag das Neue, Innovative, ästhetische Grenzüberschreitungen, Künstler, in deren Werken ich suchen muss, die mich zum nachdenken und genauen Hinschauen animieren.


FK: Welche Ausstellung war für Dich besonders wichtig und warum?

BG: Da fällt mir spontan keine ein, bzw. gibt es jedes Jahr so viele tolle Ausstellungen, dass da selten eine heraussticht. Das Centre Pompidou, die Fondation Beyeler, die Schirn, die Kunstsammlung K20 und die Ausstellungen der Tate Modern sind fast immer etwas Besonderes. Aber auch viele kleinere Museen schaffen herausragende Ausstellungen. Ich hab da immer wieder mal Glücksgefühle. Und natürlich das MoMA in New York, wohin sich schon Flüge lohnen, wenn es solche Ausstellungen wie die de Kooning-Retrospektive im vergangenen Herbst gibt.


Fragen und Antworten zum Kunstbegriff

FK: Welche Rolle spielt für Dich persönlich die Kunst?

BG: Ich beschäftige mich zwölf Stunden am Tag und sieben Tage die Woche mit Kunst und besuche jede Woche zehn bis zwanzig Ausstellungen und Vernissagen. Mein ganzes Leben dreht sich also um die Kunst, Freizeit und Arbeitszeit verschmelzen. Für mich ist die Kunst Zentrum meines Lebens und meine ganze Leidenschaft. Für mich hat Kunst etwas ganz tief Philosophisches, ein bisschen Sinnsuche und ein bisschen Beschäftigung mit sich und der Welt. Das hat etwas ungemein bereicherndes, wenn man sich darauf einlässt.


FK: Welche Funktion hat deiner Ansicht nach die Kunst in unserer Gesellschaft? Wie beurteilst Du diese Funktion oder den aktuellen Status der Künste?

BG: Kunst soll unsere Welt erfahrbar machen. Gute Kunst sollte Erkenntnisgewinn bieten, sichtbar machen, hinterfragen und manchmal auch den Finger in die Wunde legen. Aber natürlich nicht nur: Kunst darf auch unterhalten, Schönes und Schreckliches zeigen, Gefühle und Gedanken sichtbar machen – nur bitte nicht langweilen.

Zum aktuellen Status: Leider wird die Bildende Kunst in unserem Leben immer weiter zurückgedrängt. Am deutlichsten merkt man das am Feuilleton: Der Kunst und ihren Protagonisten wird immer weniger Raum eingeräumt. Wir haben im Fernsehen regelmäßige Literatursendungen, Kinomagazine, Theatersendungen, Musiksendungen und Konzerte, aber eine regelmäßige Magazinsendung eigens zur Bildenden Kunst fehlt.


FK: Das Internet und die Computertechnologie verändert seit einiger Zeit viele Bereiche des kreativen und künstlerischen Arbeitens. Vor allem Musik und Film sind davon betroffen und die zugehörigen Debatten um Copyright und Urheberrechte werden zunehmend schärfer geführt. Gibt es Deiner Ansicht nach Bereiche der bildenden Künste die durch die Computertechnologie bzw. das Netz beeinflusst werden? Wenn ja, wo werden für Dich Spuren oder Auswirkungen dieses Medienwandels sichtbar?

BG: Natürlich gibt es diese Auswirkungen. In den letzten Jahren mit den neuen Medien auch neue Kunststile entstanden, zum anderen wird es durch das Internet für unbekannte Künstler einfacher, sich einer großen Öffentlichkeit zu präsentieren.
Aber auch die Debatte um das Urheberrecht wütet unter den Bildenden Künstlern. Einerseits ist da das berechtigte Interesse der Künstler nach Schutz und Anerkennung der künstlerischen Arbeit, andererseits ist es auch und gerade in der Bildende Kunst so, dass die VG Bild/ Kunst streng reglementiert, was, wann, wo gezeigt werden darf. Das hat auch Auswirkungen auf meinen Blog. So darf ich zwar Pressefotos für die Berichterstattung nutzen, muss sie aber nach Ausstellungsende entfernen.


FK: Die entwicklungsgeschichte der westlichen Kunst und der Avantgarde-Begriff sind eng miteinander verbunden, ob dieser Begriff heute noch sinnvoll ist, darüber streiten sich die Geister.
Was meinst Du? Ist das Konzept der avantgarde ein überholtes Prinzip oder gibt es das nach wie vor? Wie siehst du den Avantgarde-Begriff heute?

BG: Ich kann mit dem Begriff Avantgarde nicht viel anfangen, im klassischen Sinn ist die Avantgarde Vorhut  bzw. Vorreiter von etwas. Für die Künstler in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts galt das sicher, doch es fehlt heute an homogenen Strömungen die Vorreiter für etwas sind und Orientierung bieten. Vielleicht kann man den Begriff noch auf die Künstler der Neue Leipziger Schule und die Young British Artists anwenden, aber ich wüsste nicht, was heute avantgardistisch sein sollte. Aber das Wesen der Avantgarde ist es ja, in ihrer Zeit meist verkannt zu werden und erst im Nachhinein von der Kunstgeschichte dazu erkoren worden zu sein. Die Kunstwelt ist vielfältiger geworden und Avantgarden braucht es jetzt vielleicht auch nicht mehr.


Kunst und Blogs und Internet

FK: Ein Blog über Kunst ist ja auch ein Eingriff in das Kunstsystem, wenn auch zu erst einmal im Bereich der Kunstvermittlung. Worin liegt für Dich der Anreiz zum Betreiben eines Kunstblogs?

BG: Als Eingriff in das Kunstsystem sehe ich meinen Blog nicht, eher als konstruktiven Begleiter und Wegweiser. Mit dem Blog kann ich abseits der ausgetretenen Pfade experimentieren und Ausstellungen empfehlen und mit Lesern und Künstlern in kontakt treten, was in meinem Beruf als Kunstkritiker nur selten der Fall ist. So besuche ich viele Ausstellungen in Galerien und Museen, kann aber nur einen Bruchteil als Artikel verkaufen. Leider bleibt wenig Zeit, aber mein Ziel ist es, alle Berichte zu Ausstellungen, die ich nicht an Medien verkaufe, im Blog unterzubringen. Dazu müsste ich aber eine bessere Vermarktung anschieben, um die Erlöse aus dem Blog zu erhöhen, dafür fehlt dann wiederum einfach Zeit.


FK: Welche thematischen Schwerpunkte setzt Du bei Dir?

BG: Ich versuche thematische Schwerpunkte zu vermeiden und breit zu informieren, aber mein Augenmerk liegt sicher verstärkt bei der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts in Deutschland, Europa und den USA. In der letzten Zeit kann ich mich auch für die Kunstszene Chinas begeistern, da würde ich in der nächsten zeit auch gerne mehr zu machen.


FK: Um was geht es Dir bei Deinem Projekt was treibt Dich an?

Ich möchte einfach zusätzlich zum bestehenden Angebot etablierter Medien informieren.


FK: Gibt es Dinge die Kunstblogs besser können als die etablierten Kunstmagazine?

BG: Wenn die Kunstmagazine wollten, dann sicher nicht, aber die entdecken gerade erst das Internet. Blogs sind flexibler, können schneller und mit vielfältigen Stilmitteln informieren und sie sind kostenlos. Das haben aber auch die Kunstmagazine inzwischen begriffen und eigenen Blogs etabliert  – und die sind nicht mal schlecht. Aber Kunstmagazine müssen natürlich immer nach Auflagenzahlen und Klicks schielen, Kunstblogs sind da freier. Ich schreibe Artikel auch wenn ich weiß, dass das nur 10 Leute lesen.


FK: Sind Kunstblogs eher eine Art Trend der vorbei geht, oder hälst Du es für möglich, dass hier längerfristig etwas Neues entsteht?

BG: Hier ist längst etwas Neues entstanden, Blogs gibt es ja schon seit einigen Jahren, meinen ja auch schon seit sechs Jahren. Ich glaube schon, dass das mehr als ein Trend ist, aber anders als in vielen anderen Bereichen sind (gute) Kunstblogs noch selten. Sehr spannend finde ich, dass die Kunstszene mittlerweile Kunstblogs als zusätzliches Medium entdeckt, viele Museen haben mittlerweile eigene Blogs und berichten aus ihrem Allerheiligsten oder bloggen zu ihren Ausstellungen, Künstler bloggen zu ihrer Arbeit Galerien berichten und „Stadtblogger“ berichten über die Kunstszenen in ihrer Stadt, es wird von Kunstmessen gebloggt und von großen anderen Kunstevents.


Do-it-Yourself, Selbstorganisation und Institutionskritik

FK: Wie siehst Du die aktuelle Rolle der Kunstinstitutionen wie Museen, Messen, Auktionshäuser aber auch der großen Kunstmagazin wie art oder Monopol?

BG: Die Monopol war von Anfang an mehr Lifestylemagazin als Kunstmagazin und so arbeitet sie auch. Die art ist eine alte Tante, die man in den letzten Jahren behutsam renoviert und weiterentwickelt hat und die mir inzwischen schon recht gut gefällt. Die Rolle der beiden Magazine ist aber eher untergeordnet, ganz anders als einige Kunstmagazine in den USA.
Die Hauptprotagonisten sind leider Schuld daran, dass die Kunstszene zunehmend kommerzialisiert wird und die Kunst zur Ware verkommt. Immer mehr Museen richten sich danach, was kommerziell erfolgreich ist und nicht nach dem, was gute Kunst ist. Sicher kann man darüber streiten, was wirklich gute Kunst ist und die Museen wären dafür der ideale Ort, das findet aber nicht statt. Einen wirklichen Vorwurf kann man den Museen hier kaum machen, denn nur noch aufwendig inszenierte Blockbuster mit großen Namen ziehen das Publikum an und letztlich schaffen Museen in ihren Sammlungen auch nur ein Abbild des Kunstmarktes. Diese Eventkultur ist allerdings sehr schädlich, weil viele Museen inzwischen das Sammeln, Bewahren und Ordnen vernachlässigen und der Mut zu unpopulären aber wichtigen Ausstellungen verloren geht. Da wird viel Geld für Werbung und Merchandising verpulvert. Das ist schade.
Mit den Kunstmessen ist das so eine Sache, einerseits sind das durchgestylte Verkaufsschauen, andererseits trifft man viele Bekannte und Gleichgesinnte und kann viel Neues entdecken. So sehr mich die Kommerzialisierung auch anwidert, so sehr mag ich doch auch Kunstmessen und schätze sie. Den Wert der Kunstmessen sollte man nicht unterschätzen, bietet sie doch vielen Künstlern eine Möglichkeit, sich einem großen fach- und einem breiten kunstinteressierten Publikum zu präsentieren.


FK: Stärken oder schwächen diese etablierten Player eher die Autonomie der Kunst und der Künstler?

BG: Sie schwächen die Autonomie, da sie nur dem Kunstmarkt Rechnung tragen und wenig dafür tun, neue Künstler zu fördern. Fraglich ist aber, ob es eine Autonomie der Kunst und der Künstler überhaupt gibt, schließlich müssen auch Künstler essen, wohnen und wollen ins Kino.


FK: Blogs sind in Gewisser Hinsicht auch ein Teil der Do-it-yourself-Kultur. Wie wichtig ist für dich das Thema der künstlerischen Selbstorganisation und Autonomie?

BG: Für mich persönlich natürlich nicht, aber ich glaube, dass künstlerische Autonomie für den Künstler und die Kunst sehr wichtig ist. In einem durchkommerzialisierten Kunstmarkt ist Autonomie aber eine sehr schwere Sache und die Kommunen ziehen sich mehr und mehr aus der Förderung der freien Künstlerszene zurück. Klamme Kassen und der Unwille den Wert der Kunstszene anzuerkennen, haben da in den letzten Jahren viel kaputt gemacht.


FK: Und zum Abschluss, welche anderen Blogs liest Du regelmäßig und gerne?

BG: Ich lese gar nicht so viel Blogs, aber der Blog von vernissage.tv gehört zu meinen Favoriten, wie auch der Blog von arthistoricum.net und der Blog von Jörn Borchert. (Kulturelle Welten).


FK: Vielen Dank für Deine Zeit und dieses Gespräch.


Informationen zu Bülent Gündüz und der Link zu seinem Blog:
www.360-grad-blog.de

www.buelent-guenduez.de