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Stefan Balkenhol, die Documenta 13 und die OCCUPY-Bewegung

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

 

Sie sind wie Starbucks-, McDonalds- oder Nordsee-Filialen – wenn man in eine fremde deutsche Stadt kommt, kann man versichert sein, sie irgendwo zu finden. Die Rede ist von den Occupy-Camps, die sich mittlerweile in den urbanen Landschaften der Republik etabliert haben und, trotz gelegentlichen Räumungen, nicht mehr weg zu denken sind. Was ist aus diesen Herden des Widerstandes geworden? Während sie in Großstädten wie Berlin oder Frankfurt teilweise zur Artikulierung eines relevanten politischen Diskurses geführt haben und den enormen Beitrag geleistet haben, Plattformen des Austausches und der Protestkoordination zu werden, wirken sie in Provinzstädten wie ruhige Aussteigertreffpunkte, die ausnahmsweise vom Ordnungsamt toleriert werden.

(Damit wir nicht missverstanden werden: perisphere begrüßt die Occupy-Initiative unbedingt. Dieser Kampf ist richtig, genau so richtig wie seine Ziele. Vorliegender Artikel ist lediglich Ausdruck einer tiefen Desillusionierung über den Weg zu diesen Zielen. Wir hoffen, dass die Bewegung einen neuen Aufschwung finden wird; und wenn wir auf manche Fehlentwicklungen hinweisen, dann nur, weil wir von dem dringenden Wunsch einer kohärenten, kräftigen und differenzierten Kapitalismus- und Neoliberalismuskritik bewegt werden.)

Foto: Art Beyond Limit

Nun wachsen also die Occupy-Camps in allen großen bis mittelgroßen deutschen Städten und haben es, interessanterweise, besonders auf bedeutende Kunstereignisse abgesehen. Ob sie eingeladen werden (Berlin Biennale; wir berichteten bereits) oder sich selbst einladen (Documenta 13) – die Nähe der linken Kritiker zum Kunstbetrieb ist auffallend. In Kassel heißen sie kreativerweise oCCUMENTA oder dOCCUPY, belagern den Friedrichsplatz unmittelbar vor dem Fridericianum und beziehen sich im besten Fall auf die Beuysche Erweiterung des Kunstbegriffs. Für die Leiterin der Documenta, Carolyn Christov-Bakargiev, die während ihre 100 Tage den Friedrichsplatz nach Gusto bespielen kann und seine Besatzung explizit begrüßt hat, dürfte das Zeltdorf einen kleinen Glücksfall darstellen. Denn ihre (insgesamt: politisch orientierte) Ausstellung gewinnt dadurch eine unverhoffte Street-Credibility. Und wird dabei keineswegs in Frage gestellt – im Gegenteil.

Foto: Alexander Kloss
Foto: Art Beyond Limits

Wer eine lange Runde durch die Karls-Aue gedreht und sich mit den dort platzierten Werken beschäftigt hat, wird möglicherweise das Protestlager nicht von einer weiteren in-situ-Installation unterscheiden können. Denn das Camp, trotz allen Anscheinens einer wilden Spontanität, ist durch und durch gestaltet. Es ist ein Bild. Es ist ein Zeichenkonglomerat. Es ist eine Skulptur; es ist – tatsächlich – eine soziale Plastik. Es ist ein Bühnenbild, eingerichtet mit allen passenden Requisiten. Der Documenta-Besucher geht an dieser Bühne entlang und entdeckt die interessante Ausstattung, die glaubwürdigen Schauspieler, das einigermaßen bekannte Stück. Wenn er will, kann er sogar in die Handlung eingreifen. This is so contemporary… Das Stück zieht seine Legitimität und seine Faszinationskraft aus dem Märchen einer authentischen Belagerung. Die Inszenierung der Authentizität – mit „Inszenierung“ meinen wir hier die gesteuerte Sichtbarmachung eines Phänomens, die bewusst durchgeführte Modellierung eines authentischen Moments, und nicht die Täuschung oder die Tarnung – ist ein wesentlicher Zug von Occupy. Ohne Inszenierung – ohne Bild, ohne Zeichenkonglomerat, ohne Bühne – kein Camp. Die Botschaft des Protestes braucht eine Stimme; sie braucht einen Körper, der diese Stimme trägt und die Botschaft artikuliert. Und dieser Körper muss schon nach etwas aussehen. Die Aktivisten von Greenpeace, Robin Wood oder Attac haben es schon seit länger verstanden; kein Zufall, dass ihrer öffentlichkeitswirksamen Happenings an den Aktionen des Situationismus oder des Fluxus erinnern. Der Krieg gegen die Gesellschaft des Spektakels wird mit spektakulären Mitteln ausgetragen.

Foto: wideblick.over-blog.de
Foto: lio leiser aka hans hass

Das Konstrukt „dOCCUPY“, das die frontale Konfrontation zum symbolträchtigsten Gebäude des Documenta-Systems sucht und die oberflächigen Signale eines Widerstandes sendet, hat sich zu einem sinnvollen Parasit entwickelt. Wie für die Biennale von Berlin, hat sich der Kasseler Ableger der Occupy-Bewegung in das politische Gewissen einer großen künstlerischen Veranstaltung verwandelt. Es macht zwar auf seine Sache aufmerksam, bereichert aber zugleich den (linksorientierten, politisch-korrekten) Diskurs der Documenta. Auch wenn Christov-Bakargiev zu intelligent ist, um die linke Kritik zu instrumentalisieren, muss man sagen, dass das Bild prima zur Veranstaltung passt. Ob die Urheber dieses Bildes sich über diese Tatsache bewusst sind, mag bezweifelt werden. Dies ändert jedenfalls nichts an der Natur und der Funktion des Bildes – wohl aber an ihrer Qualität.

Wer allerdings glaubt, der unkontrollierte Geist der Kasseler Kunstrebellion würde vor dem Fridericianum campen, täuscht sich. Paradoxerweise erweist sich die katholische Kirche als wahren Kern des Widerstandes – und lässt die okkupierenden Anarchisten wie brave Ministranten aussehen. Denn, wie viele Kunstinteressierte es wohl erfahren haben, befand sich der Kunstskandal des Sommerlochs Hundert Meter vom Friedrichsplatz und von der Documenta-Halle entfernt. Für diejenige, die den ganzen Sommer auf Feuilletons verzichtet haben, hier die kurze Zusammenfassung:

Foto: wideblick.over-blog.de

Im Spätfrühling lädt die Kirche Sankt Elisabeth Stephan Balkenhol zu einer Ausstellung ein, die ziemlich genau mit den Daten der Documenta zusammen fällt. Die Ausstellung ist aber keineswegs Bestandteil des Documenta-Programms und ist nicht mit dessen Organisatoren abgesprochen. Dabei steht Sankt Elisabeth in direktem Sichtkontakt zum neuralgischen Punkt der Documenta und ihr Kirchenturm überragt Fridericianium, Friderichsplatz sowie ein Großteil der Karls-Aue (eben die wichtigsten Spielplätze der Documenta). Der (in Kassel eingeschulte und sozialisierte) Bildhauer, der ein feines Gespür für Raumsituationen besitzt, hat vor, eine große Skulptur auf jenen Glockenturm zu platzieren. Das irritiert Frau Christov-Bakargiev, die eine ausgesprochen nicht-gegenständliche Documenta geplant hat und Anspruch auf die gesamte künstlerische Lufthoheit der Stadt erhebt. Unterstütz vom Kulturamt übt sie einen großen Druck aus, um die Installation zu verhindern, argumentiert dabei, dass Balkenhols Werk als Bestandteil ihrer Ausstellung missverstanden werden könnte. Eine ähnliche Verhinderung hatte sie übrigens bereits erfolgreich durchgesetzt, nämlich als sie die Schau von Gregor Schneider in der evangelischen Karlskirche annullierte – mit den gleichen Gründen. Aber diesmal ist die Aufregung größer. Die Presse spricht von einer Zensur der Kunst durch die Kunst, die kleine Kunstwelt empört sich, der trotzige Balkenhol zeigt keine Einsicht und der Dechant beweist einen starken Rückgrat und besteht auf seine Ausstellung. Der Akt ist juristisch unanfechtbar. Die Skulptur wird montiert und überragt seitdem Platz und Aue.

Nun, was hat das angestachelte Ego eines bockigen Künstlers und der Durchsetzungswille einer kirchlichen Institution mit den höher erwähnten kunstbetrieblichen Verstrickungen der Occupy-Bewegung zu tun?

Rein geographisch betrachtet, befindet sich dOCCUPY genau zwischen dem Fridericianum und Sankt Elisabeth. Und dieser Zwischenraum, platziert zwischen Macht und Gegenmacht, zwischen autoritärer Weisung und selbstbewusster Antithese, zwischen Hoheitsanspruch und wahrem Widerstand, erscheint extrem wirkungsarm. Occupy hat sich selbst neutralisiert. Im Kreuzfeuer eines Gefechtes um die demokratische Vielfältigkeit der kommunalen Kulturpolitik hocken sie da tatenlos, die brave Revoluzzer. Sie haben sich auf den vorgezeichneten, quadratischen Feldern des Hofes eingefügt. Sie bewohnen ihre ordentlich aufgestellte Zelte und sorgen für den nötigen Polit-Exotismus. Hier wird eine bunte, leicht verdauliche Propaganda vermittelt, die praktisch das umgedrehte Spiegelbild der Fridericianum-Ausstellung schafft. Parolen flackern im Wind, Traktaten und Info-Blätter liegen aus, Ulkiges wird ausgestellt. Der visuelle Overkill lässt nie vergessen, dass das Kunst-Zigeuner-Camp die Struktur eines preußischen Schrebergartens hat.

Foto: joiseyboyyz

Angesichts der Standhaftigkeit von Balkenhol, wirken die Kapitalismusbekämpfer und Globalisierungsgegner zaghaft. Natürlich sind sie nicht da, um für die Freiheit der Kunst zu demonstrieren. Was sie wollen, ist (u.a.) die Freiheit des Individuums in einer entfremdeten Welt und eine Art Gerechtigkeit – also die Berücksichtigung der alten critique artiste. Aber, in ihren Zwischenraum geklemmt, scheinen sie nicht zu sehen, wie sie von der einen Seite – von einer Leiterin mit Allmachtfantasien – gefangen sind und wie sie von der anderen Seite – von einem Hyperindividualisten und global artist – an die Wand gespielt werden. Während der konservative Balkenhol aus konservativen Gründen die richtige politische Antwort an dem Versuch von Christov-Bakargiev, die ganze Stadt zu documentarisieren und auf eine Linie – nämlich ihre – zu bringen, formuliert, produziert Occupy nur ein interessantes Bild der Rebellion. Gibt es Fataleres für eine Aktivistengruppe?

 

 

 

N.B.: Aufgrund eines massiven Datenverlustes sind unsere originale Aufnahmen der Documenta leider abhanden gekommen. Die hier präsentierte Fotos haben wir aus dem Netz. Den Autoren seien dafür bedankt – es wird nie wieder vorkommen (ganz bestimmt nicht)!